"/W^ {^ HERMES ZEITSCHRIFT FUß CLASSISCHE PHILOLOGIE HERAUSGEGEBEN VON CARL ROBERT und GEORG WISSOWA DREIUNDFÜNFZIGSTER BAND i lif/ BERLIN WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG 1918. HS INHALT. Seite M. BANG, die Grabschrift des Philosophen lulianus 211 H. DESSAU, über die Abfassungszeit einiger Schriften Senecas . 188 H. DIELS, Hippokra tische Forschungen. V. Eine neue Fassung des XIX. Hippokratesbriefes 57 F. JACOBY, Studien zu deu älteren griechischen Elegikern. I. Zu Tjrrtaios 1 II. Zu Miranermos 262 U. KAHRSTEDT, zur Geschichte Großgriechenlands im 5. Jahr- hundert 180 A. KÖRTE. Bacchylidea 113 t G. KÖRTE, zu Xenophons KYNEFETIKO^. Ein Fragment ... 317 L. MALTEN, ein neues Bruchstück aus den Aitia des Kallimachos 148 E. MEYER, die Rhapsoden und die homerischen Epen 330 B. A. MÜLLER, zu Stephanos Byzantios . 337 J. MUSSEHL, über eine Aporie in der Lehre von den Aggregat- zuständen bei Lukrez (II 444 — 477) 197 t H. MÜTSCHMANN, die älteste Definition der Rhetorik ... 440 R. PHILIPPSON, Nachträgliches zur Epikureischen Götterlehre . 358 M. POHLENZ, das zwanzigste Kapitel von Hippokrates de prisca medicina 396 A. ROSENBERG, die Parteistellung des Themistokles 308 K. SCHERLING, Gemmen mit der Inschrift MNHIGH .... 88 0. SCHROEDER, PY6M0S 324 A. STEIN, Ser. Sulpicius Similis 422 H SWOBODA, 2KYTAÄISM02: 94 0, WEINREICH, die Heimat des Epigrammatikers Poseidippos . 434 H. WERNER, zum AOYKIOi: H ONOS 225 W. ZILLES, Hippias aus Elis 45 IV INHALT Seite MISCELLEN. E. BETHE, die Zeit Nikanders 110 der Schluß der Odyssee und Apollonios von Rhodos . 444 0. CUNTZ, zum Ehreudekret von Lete in Makedonien für M.Annius (Dittenberger, Syll. 2 i 3I8) 102 H. DESSAU, das Alter der römischen Municipalbeamten (Nachtrag zu Bd. LI 1916 S. 65) 221 W. GEMOLL, Xenophon bei Clemens Alexandrinus 105 0. KERN, ein Soloncitat bei Lysias 220 J. H. LIPSIUS, zum attischen Volksbeschluß über Chalkis ... 107 C. ROBERT, Nysius? 224 Zu Senecas Hercules 446 A. STEIN, Drusus Castor . 217 REGISTER 447 STUDIEN ZU DEN ÄLTEREN GRIECHISCHEN ELEGIKERN. I. Zu Tyrtaios. Die durch Eduard Schwartzens tiefgreifende Ausführungen (d. Z. XXXIV 1899 S. 427 ff.) wieder in Fluß gebrachte Tyrtaiosfrage ist durch den Exkurs in Wilamowitz' Textgeschichte d. griech. Lyriker 1900 S. 96ff.^) im Princip und auch in den meisten Einzelheiten endgültig gelöst. An die Stelle der Gesamtathetese, die sich doch nur daraus erklärt, daß man nicht von den Gedichten, sondern vom Dichter und der Tradition über ihn ausgingt), oder der Gesamt- 1) Angedeutet hatte er den Weg zur Lösung schon Herakles I (1889) 69, 32. Dann hatte Reitzenstein, Epigr. u. Skol. 46 das Richtige kurz gesagt, aber die einzelnen Elegien, die er analysirte. nicht gerade glücklich beurteilt. 2) Als Verrall, Class. Rev. X 1896, 269 ff', auf Grund einer tollen Be- handlung von Lykurg, in Leoer. 104 — 107 Tyrtaios ins 5. Jahrh. herab- rückte — das einzige Verdienst des Aufsatzes ist, daß er wohl Schwartz zu seiner Untersuchung veranlaßte — , hat Macan ebd. XI 10 sofort ver- langt, daß eine solche Behauptung durch eine 'Studie über die Echtheit der Gedichte' begründet werden müsse, deren voraussichtliches Resultat er auch schon richtig dahin angab, daß Jüngeres mit unter den alten Namen getreten ist. Verrall, ebd. XI 185 ff. begnügte sich daraufhin mit allgemeinen Redensarten und einer Wiederholung seiner Interpretation. Aber auch Schwartz ist noch methodisch falsch vorgegangen, als er zu- erst die Geschichtlichkeit eines grofsen messenischen Aufstandes im 7. Jahrh. bestritt und aus den Gedichten zunächst nur den für die Da- tierung bedeutsamen Vers 5, 6 herausgriff. Was er am Schlüsse über die Gedichte sagt (S. 464 fi".), ist wenig und geht bezeichnenderweise fast ausschließlich auf die tatsächlich jungen Stücke 10 A und 12. Von dem wirklich Alten spricht er gar nicht näher. Ein Schritt weiter hätte die Unmöglichkeit der Athetese erwiesen. Dabei führt noch die zu scharf gezogene Parallele mit Solons politischen Gedichten in die Irre. Für die Methodik im Gercke-Nordenschen Handbuch wäre die Tyrtaiosfrage ein sehr instruktives Beispiel, schon weil es sich hier nicht um ein äszsioov handelt. Hermes LUX. 1 2 F. JACOBY Verteidigung^) ist die Erkenntnis getreten, daß wir es mit einem allmählich gewachsenen Buch zu tun haben. In ihm standen einige zweifellos altspartanische Stücke aus der Zeit des großen Messenier- aufstandes; so die sog. Eunomie, die keine 'Gedichtgruppe' war, wie man immer wieder sagt, sondern ein Einzelgedicht, das nicht ein- mal den Umfang der Solonischen Salamiselegie mit ihren 100 Stichen erreicht zu haben braucht. Die Gitate Aristot. Pol. V 6, 2 E>c Tfjg TvQxaiov Tioiyoecog xrjg xalov fA,evr]g Evvojuiag und Strab. VIII 4,10 p. 362 ev jrii eXeyeim, i)v EJiiyod(povoiv Evvojuiav lassen daran gar keinen Zweifel. Wenn Suidas eygaipE Tzohreiav Aaxeöai- uovloig y.al v7io^r]y.ag di eXeyeiag sagt, so bedeutet das nicht mehr, als die Sonderanführung der Salamiselegie s. 2!6X(joV Jtoü]jua di' eXeyeicov, o 2aXafxlg ejiiyQdcpexaL • vnodr'jy.ag di ikeyeiag. Ferner ein Gedicht, das durch den Hinweis auf die langwierige Eroberung Messeniens unter König Theopomp zum Ausharren auch im gegen- wärtigen Kriege mahnte (Strab. VI 3, 3 p. 279 nach Ephoros ; Paus. IV 15,2): djLi(p' t avTVjV d' ijnd](ovT' evvsay.aiSsx' et}]. In dieses gehörte vermutlich die Schilderung des Zustandes der Unterworfenen (Paus. IV 14, 4 = 6. 7 Bgk.), deren paraenetische und paradigmatische Abzweckung nicht zu verkennen ist. Vielleicht war es auch diese Elegie, in der der Dichter sich als 'Stratege' bezeichnet hatte: Strab. VIII 4, 10 p. 362 rjviy.a q^ijolv avrbg orgar^^yrioai xbv tioXe/jlov xölg AaxEÖaijuovioig. Die Verse selbst gibt Strabon leider nicht ^); und viel- leicht ist das Ganze doch nichts weiter als ein Schluß aus dem Ihr- Typus der paraenetischen Gedichte. So wird ja die lakonische Herkunft des Dichters der Eunomie einzig und allein aus dem 'wir' von frg. 1 oloiv äjua jrgoXiTiovxEg 'Eqiveov fjVEjiioEvxa EVQElav IlEXoTrog vTjoov ä(piy.6iu£&a erschlossen (Strab. a. 0.); Verse, die schließlich der Eingebürgerte genau so schreiben konnte, wie der gebürtige 1) Weil, Journal des Savants 1899 = Etudes sur l'antiq. Gr. 193 ff., der principiell den ganz richtigen Standpunkt hat 'on peut croire enfin, que de vieux recueils . . resterent longtemps ouverts et fi'enrichirent de Cou- plets plus recents et meine d'elcgics compVetes', aber praktisch davon keinen Gebrauch macht. 2) Will man ihn ganz scharf interpretiren , so hat es auch in den Gedichten keinen Beleg für diese Tatsache gegeben, sondern nur den für die dorische Herkunft: rjviy.a cprjoiv avioq ozQazr^yfjoai xov ji6).e[iov Aa- xedaii-iovLOig • y.ai yuQ elvai (pt]oiv iy.sTdev xrL Aber ich zweifle, ob die Stelle solche scharfe Interpretation verträgt. zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 3 Spartiate ^). War es mehr, so wird man sich doch nicht den Kopf zerbrechen über den Rang, den der Dichter bekleidete'^). Auch 1) Die 'berühmte' Fragestellung Apollodors (Strab, VIII 4, 10 p. 362) — die in Wahrheit etwas flüchtig ist; denn z. B. jtazsgcov t'jfXEzsQOiv jiazKQsg tut dieselben Dienste, wie die von ihm citirte Versreihe Avzdi; yuQ Kqo- rccov — hat diese Eventualität nicht erwogen. Wilamowitz (Herakl. a. 0.) hat das getan und sie wenigstens nicht a limine abgelehnt. Der 'Stolz auf die Herkunft aus der dorischen Tetrapolis' fällt minder schwer ins Gewicht, wenn man aus dem Vergleich mit Mimn. 9 er- kennt, daß wir hier die tyi^ische Gestaltung eines Gedankens der poli- tischen Elegie vor uns haben. Ich zweifle überhaupt, ob wir das Recht haben, in dem Distichon olaiv äiia jTQoXtJiörzFg den Ton persönlichen Stolzes zu hören. Es dient doch nur dem Zwecke, den Unzufriedenen einzuschärfen, daß Zeus nicht ihnen, sondern den Herakliden die Stadt gegeben hat und daß sie sich den deozqirjzoi ßaodfjeg, oTai fisXei üxcägzi^g ffiEQÖeaaa nöhg fügen sollen. Die Sjjartaner scheinen in älterer Zeit nicht so exklusiv mit dem Bürgerrecht gewesen zu sein (vgl. Nilsson, Klio XII 329). Andererseits zwingt auch nichts, die Existenz eines spar- tanischen Dichters zu leugnen. Im Gegenteil; manches spricht dafür, daß der Dichter der Eunomie ein Mann von autoritativer Stellung war. kein Neubürger (Wilamowitz, Textgesch. 107). Man muß eben nur an- nehmen, daß er die Form vom ionischen Rhapsoden gelernt hat, eine Möglichkeit, die jetzt nach Wilamowitz, Textgesch. 117 niemand mehr leugnen wird. 2) Ganz unglücklich ist hier Schwartz' Argumentation (S. 465), aber auch Wilamowitz' Polemik, Textgesch. 110, verfehlt meines Erachteus das Ziel. Er wirtschaftet mit dem doch ganz nichtssagenden ozQazrjyfjaai Stra- bons {diu xi]v Tvqtcu'ov ozgaztjyiav auch Philochoros Athen. XIV 680 F), als ob das Wort in den Gedichten gestanden habe. Er behauptet, daß die Gedichte 'den letzten schwachen Rest concreten Lebens veilieren, wenn sie einem Befehlshaber niederen Ranges in den Mund gelegt werden'. Als ob die eigentliche 'Paraenese des Feldherrn' — von Ausnahmefällen ganz besonderer Art abgesehen — jemals in poetischer Form gehalten sei! Die paraenetische Elegie kann nie bei officiellen Gelegenheiten an Stelle der Rede verwendet worden sein, auch nicht, wenn ihre Dichter Könige oder Archonten oder sonstige officielle Persönlichkeiten waren. Sie ging stets neben ihr her an anderem Orte, vor anderem, weiterem Publikum. Solons Salamiselegie, seine Poesie überhaupt kann das lehren; und die Alten haben das immer richtig beurteilt: avzeijcEv o Zölcov äva- Gtäg xal jioXXa öie^fjk&ev ö^oia zovxoig oig 8tä zcöv Jtoit]/j,dzcov yeyQaepsr. Der Dichter der echten Elegien (lOB. 11) spricht zu den vsoi mit der Autorität des Alters. Mehr geben die Gedichte jetzt nicht. Es scheint mir ganz zwecklos, danach über die militärische Stellung des Dichters zu streiten. Aber man soll daran denken, daß auch Selon zum Strategen gegen die Megarer geworden ist, weil er io/uev ig SaXafiiva sagte. Dieses 1* 4 F. JACOBY seinen Namen hat er natürlich weder in dieser noch in einer anderen Elegie genannt ^). Man mag den Dichter der Eunomie imd der anderen aus der Zeit des Messenierkrieges stammenden Stücke Tyrtaios nennen, wenn man sich bewußt bleibt, daß es eine bequeme Bezeichnung ist und daß der Name gerade für diese Ge- dichte keine Gewähr hat, falls ihr Verfasser ein gebürtiger Dorier gewesen sein muß 2). paraenetische 'wir' mag sich auch in den Elegien des Tyrtaios gefunden haben ; spricht er doch fr. 5 von 'unseren Großvätern'. Das konnte dazu führen, in ihm den axQatrjyög zu sehen (vgl. S. 13 A. 1). Schließlich kann Deutlicheres sogar in einem Gedicht gestanden haben, das gerade nicht dem alten Lakonen gehörte. "Wie sich Apollodor (oder schon Kallisthenes) die Stellung 'neben den Königen' dachte, wissen wir nicht. Aber eine Analogie gibt die Geschichte von Tisamenos, dem die Pythia sagt, 'er werde fünf große Siege gewinnen', und den die Spartaner ä/xd 'Hga/iXetÖEcov roToi ßaai/.evoi tjyeiiöva rcbv :n.o).hioiv machen wollen (Herod. IX 33, 2 — 3). Mit ihnen ovyy.aTaiQESL die fünf Siege. Er selbst hat ge- wiß von 'seinen' Siegen gesprochen. 1) Die Zuversicht, mit der Wilamowitz, Textgesch. 109f, erklärt: 'man kaim nach der Art der atten Elegie nicht anders annehmen, als daß Tyrtaios sich genannt hatte, wie Solon und Phokylides', erscheint mir unberechtigt. Das Gegenteil ließe sich leichter behaupten. Pho- kylides und die didaktisch-gnomische Poesie überhaupt, die auf Hesiod auch in der Namennennung zurückweist, ist nicht vergleichbar. In der Elegie finden wir den Namen des Dichters " sowenig genannt wie den des Redners in der Prosarede. Ainog y.rjqv'^ 7}).dov sagt Solon (1, 1) und rai'Tu öidd^m dvfiog 'A&rjvaiov; fie xsXsvsi (4, 3). Wer der avtög war. wußte jeder Athener. Wohl nennt er sich oder läßt sich nennen m den Trochäen an Phokos ovx e(pv 2ö?.cov ßa&i-cpgcov (33, 1). Aber das ist eben auch ein Beweis, daß zwischen lambos und Elegie ein Unter- schied im Ton wie in der Sprache besteht. Selbst in den dürftigen Resten der elegischen Poesie des Archilochos ist das deutlich. Bei Solon ist der Unterschied sogar stärker und offenbar mit Bewußtsein inne- gehalten. 2) Reitzenstein erklärte es für selbstverständlich, daß 'der Tyrtaios, aus der Fremde eingewandert sei. Vielleicht nicht nur 'der Tyrtaios" sondern ganz einfach 'Tyrtaios'. Nicht weil Suidas ihn Ady.cov i) Mdrj- acog nennt, so vertrauenerweckend das klingt, zumal der AdrjvaTog fehlt. Aber wir kennen die Quelle nicht: und auf die Kameenliste wird man nicht raten. Aber der Name, der, wie Wilamowitz sagte, 'nicht attisch klingt', klingt noch weniger lakonisch. Er selbst erinnert an Tvgxaiiog. Der Musiker Tyrtaios von Mantinea aus dem 4. Jahrhundert kann un- möglich auch nur für peloponnesische Herkunft des Namens beweisen: er beweist ganz allein für die Tyrtaiosmode seiner Zeit, die wir ja zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKEKN 5 Wann und wie diese altspartanischen Gediclile über ihren Enl- stehungsort hinaus verbreitet worden sind, lasse ich dahingestellt. Die evidente Nachahmung eines alten Stückes in den Theognidea (881 o5 fr. 5, 1 Bgk.) hilft da nicht weiter. Für die Annahme, daß Solon sie gekannt hat, wie er die Elegien des Mimnermos und die ionische Poesie s. VII überhaupt kannte, ist die Übereinstim- mung in einer Floskel (Tyrt. 11, 10 cö vtoi, uju(poTeQü)v eg hoqov tjkdoere oa Solon 'Ad. tt. 5,3 o'i nolkan' äyadxhv ig xoqov rj?Ao£Te) doch eine etwas unsichere Grundlage; und für seine politischen Dichtungen, die man nicht EvvojLiia überschreiben sollte, hat er die Anregungen doch wohl eher aus lonien bezogen. Daß wir — wenigstens in den elegischen Resten — nichts unmittelbar Ver- gleichbares besitzen, ist bei dem fast vollständigen Verlust der iilteren ionischen Elegie kein ausschlaggebender Grund. In Archi- lochos' lamben und Epoden finden sich Analogien genug; und wer die typologische Übereinstimmung des sicheren Fragments der Tyr- taiischen Eunomie (1 Bgk. Amög ydg Kqoviojv) mit Mimnerm. 9 Bgk. 'Ejiei TS IIv?Mi' beachtet, wird geneigt sein, die Prototypa nicht nur der kriegerischen, sondern auch der politischen Paraenese in lonien zu suchen, wo die Entwicklung beider el'dr] aus den Reden des homerischen Epos mit Händen zu greifen ist; womit nicht gesagt sein soll, daß nicht daneben noch eine andere nicht literarische Anregung wirksam gewesen ist, der enthusiastische Aufruf zum Kampfe. Auch die Feldherrnreden des Epos entsprechen ja leben- digem Brauche. Doch das gehört nicht hierher. In der Text- geschichte der Tyrtaioselegien berührt jedenfalls eine Tatsache sehr auffällig und erklärt die wiederholten Versuche der Athetese; daß nämlich die Gedichte in Sparta selbst ganz vergessen worden sind. kennen. Die, soweit sie alt sind und von Menschen, nicht Heroen ge- tragen werden, ganz seltenen Namen auf -cuog fehlen in Sparta über- haupt, Dagegen haben wir in Lesbos einerseits Tigraiiog, andererseits W.y.oLog; beides vornehme Namen. In Milet 'lonaTog. Alle verständ- lich bis auf TvQzaTog und TvQzafwg. Diese machen den Eindruck von Kurznamen. Aber die Wurzel klingt ungriechisch (s. den Nachtrag S. 43 f.). Also wird die lakonische Kriegspoesie, mindestens die Elegie, unter den Namen des eingewanderten Berufssä,ngers getreten sein. Suidas nennt auch einen Vatersnamen 'Ag/efißgorog, über den wir natür- lich ebensowenig urteilen können. Die Frage steht in mancher Be- ziehung ähnlich wie bei Alkman. Sehr möglich, dafs hier Sosibios vor- liegt, der die athenische Herkunft nicht anerkannt haben wird. 6 F. JACOBY Zwar setzt Piaton Leg. I 629 B voraus, daß sein Spartaner diaxo- Qr)g avxcöv eotiv, und Philochoros (Athen. XIV 630 F) weiß von einer spartanischen Kriegssitte, äv öeiTcvojionjocovrai xal naiav'i- ocooiv, äideiv xad^' eva (rd) TvQxaiov ' xQiveiv de xöv JioMjuaQ/or xal äiV.ov öidovai rcöi vixcövu xgeag. Der Redner Lykurg (in Leoer. 107) kennt ein Gesetz, özav ev joig önXoig E^eor^aTSvjueroi cbo(, xaXeTv em rijv rov ßaoiXewg oy.i]vi]v dxovoofiEvovg rcov Tvgraiov 7ioct]fidTcov äjimnag. Endhch berichtet eine vereinzelte Notiz — nicht Aristoxenos ^) — bei Athen, a. 0. davon, daß avrol ol Ad- xcoveg er xoTg noXsfxoig xd TvQxaiov 7iou)iiiaxa djiopvijjLiovsvov- xeg EQQV&fxov xivrjoir Tioiovvxai. Aber die Zeugen sind durch - 1) Quellenmäßig liegt die Sache so: in eine Abhandlung über die .ivQQiyj] (6oOE. 631 AB), an deren Anfang Aristoxenos für die lakonische Herkunft citirt wird und die ihm ganz gehören wird, sind Notizen ein- geschoben über kriegerische Poesie der Lakonen (630 F): :ioIei.uxoi ö' dolv Ol Aüxcovsg knüpft das an die dgpjaig nolsiux}) und beweist zugleich, daß die zweite Notiz ^ü.öyoQog 8s (pi]oiv agarijoaviag Äay.EÖaiiiovlovg Mso- orjviojv 8ia ri]v TvQxaiov azQaztjyiav iv raTg argaTeiaig sdog aou)oaoßai xr).. (s. o.) sich wirklich nur auf einen Kriegsbrauch bezieht (gegen Reitzen- stein a. 0. 45, 1). Ob der Brauch auch sonst galt, können wir aus dieser Stelle nicht entnehmen, wissen es auch sonst nicht. Das anonyme Stück aber, das zwischen den Citaten aus Aristoxenos und Philochoros steht und das Tyrtaios nennt (an die Nennung dieses Namens hängt sich das Philochoroscitat) — 7coAe[.uxoi <5' etolv ol Aäxmvsg, wv xal oi viol zä I,«- ßazi'jQia f^ieh] ava/.afj,ßävovoiv, ujisq xal ivojzha xaXsTzai. xal avzol ol Ääxoi- vsg xzl. (s.o.) — , ist deutlich aus zwei Angaben verschiedener Herkunft zusammengeschoben, wodurch der Gegensatz zwischen den Ädy.mvEg und ihren vlol entstanden ist. Daß dieser Gegensatz so Unsinn ist, bedarf keines Beweises. Die iußaz/jQia gehören nicht den Knaben, sondern vor allem den Kriegern. In diesem Zusammenhang muß man zu Tvgzaior auf die Elegien beziehen, wie es Wilamowitz, Textgesch. 96 tut, der das alles fälschlich als Aristoxenisch gibt. Sachlich wird Reitzenstein recht haben, der es auf die ifißazrjgia bezieht. Zum Marsch gehört der Marschvers, nicht der Hinkvers. Der Autor der Notiz hat also auch die ffißazrjQia für Tyrtaiisch gehalten. Diese Ansicht war verbreitet. Die iiih] cio'/.eiuazrjoia stehen bei Suidas in der Bücherliste des Tyrtaios; und bei Pausan. IV 15,6 heißt es, daß Tyrtaios xal zä ileyEia xal zä s'-ii/ acpiai zä dvdjiatoza i)i8ev (Wilamowitz 96 hat die Stellen übersehen). Wo sie für anonym gelten, wie bei Plut. Lyk. 21, erhöht das ihr Alter. Daß die gesamte lakonische Kriegspoesie unter einen Namen trat oder ge- stellt wurde, ist doch nicht w^eiter wunderbar. Wir kennen weder die Vertreter der Zuweisung an Tyrtaios, noch die der Hinaufschiebung in Lykurgische oder vor -Lykurgische Zeit. Die erstere Auffassung mag jünger sein; hellenistisch sind beide. zu DEN Äl.TEREN GRIECH. ELEGIKERN 7 weg Athener, die alle auch die atlische Herkunft des Dichters an- nehmen. Keine der Angaben ist älter als die 60 er Jahre des 4. Jahrhunderts. Ihnen gegenüber steht Xenophon, der von ach^xal beim Heere erzählt und überhaupt eine teilweise sehr ins einzelne gehende Beschreibung gibt über die kriegerischen Einrichtungen und wie es beim Auszuge des spartanischen Heerbannes zugehl {Aax. noX. \l — \^). Er weiß von keinem jener Bräuche^), was man doch nicht damit erklären wird, dafs er nur 'Lykurgische' Be- stimmungen anführt, die freilich von Kriegsliedern des Tyrtaios noch nichts wußten. Auch Herodot hat in Sparta nichts von einem spartanischen Dichter Tyrtaios gehört. Seine Gewährs- männer haben ihm gegenüber sogar ausdrücklich abgeleugnet, daß die Lykurgische Verfassung vom delphischen Gott gegeben oder bestätigt sei: etwas anderes bedeutet es ja nicht, wenn er auf ein delphisches Lykurgorakel die Worte folgen läßt : ol /ikv d/j xivec; JiQog TOVxoioL Xeyovoi xai (pQdoat avTCOi rrji' UvOirjv zöv vvv xad^eoreana xoo/uov SjiaQTUjrrjLOi " (hg (5' avrol AaKedaißOvioi Xeyovoi, Avxovgyov . . ex Kq/jti]? äyayeo&ai xavTa. Und doch standen in der Eunomie — nicht nur in der tendenziösen Umfor- mung des Gedichtes, die Ephoros anführt (Diod. VII 12, 6), sondern auch in der zugrunde liegenden echten Fassung, die Aristoteles hat (Plut. Lyk. 6) 2) — die Verse 0oißov äxovoarxeg Ilvßoovodev 1) Bei Thukyd. V 70 gehen die Lakedaimoniev zum Angriff vor ßgadscog xal vjto avXijiöiv vö/liwv iyxadsazdiTcov . . . Tra 6/j,a?MS fZEiä Qvdfiov jigosldoiEV >cal /ui/ öiaojiaa&eit] avioTg rj rü^ig. Die Felclmusik der avXol {avXol i/ißar>'/otoi Pollux IV 82) wird oft ervfähnt. Aber Tyrtaios (!) heißt auch Erfinder der tuba (Porph. Horat. Ars 4()3), was keine Corruptel ist, da auch Die Chrys. II 29 vom Jtgog oälniyya mdsod^ai spricht. Von Liedern beim Marsch oder Angrilf sagt Thukydides nichts. Die Worte V 69, 2 — vor der Schlacht, während bei den Gegnern die Feldherrn zu ihren Soldaten reden — ^iaxedaifwvtoi 8s xad^' exäoTOvg xai fxszä rcöv nols/iuxwr vö/ioiv y.zX. deuten die Schollen auf rä cuof-iaia amq i]ibov ol ÄuxeSaif^ö- vioi /ns/dovTsg ßä'/Eoßai ' yv ät- jTooTQEJiTixä, ixäXovv 8s if(ßaii]oia. Ich be- zweifle die Richtigkeit der Deutung. Die Lakedaimonier brauchen keine Paraenese {?Mycüv öi' oXiyov xalwg Qt]{)sTaav jingaivsaiv) wie ihre Gegner. weil sie die sgycov ix jioXXov fisXJrt] haben. Das schließt auch aus, daß etwa die Verlesung von Texten gemeint ist, von der Lykurg erzählt. Die vö/:ioi sind nicht Lieder, sondern Bräuche, die bekannten Vorberei- tungen in Kleidung und Frisur, bei deren Vornahme sie sich gegen- seitig von ihren tüchtigen Leistungen erzählen. 2) Das Verhältnis scheint mir noch klarer, seitdem Schwartz RE V 678 in der Ephorischen Fassung das dritte Distichon jiQEaßvyEVEig 8 F. JACOBY ol'y.aö' h'Eiy.av ^uarrtiag xe deov y.al te/Jevt' etieu. Mir scheint das für das Wissen von Tyrtaios im Sparta des 5. und des begin- nenden 4. Jahrhunderts entscheidend, weil es sich hier um eine spartanische Quelle und bei Xenophon um einen — man kann wohl sagen spartanischen Autor handelt. Dagegen lege ich gar keinen Wert auf die in dieser Frage vielfach angeführte Geschichte von dem lamiden Tisamenos und seinem Bruder (Herod. IX 33 ff.), die jiiovvoi di] Tidvicov äv&oojTion' Eyerovro 2^7iaQrii]ri]ioi nohrjrai. Sie stammt nicht aus spartanischer, sondern aus eleischer Tradi- tion und beweist, wenn überhaupt etwas, nur. daß Herodot nichts von der Herleitung des Tyrtaios aus Athen wufste. Ich würde daraus nicht einmal schließen, daß diese Herleitung zu seiner Zeit noch nicht existirte. Ich lasse es wieder dahingestellt, welcher äußere Anlaß die kurze Tyrtaiosmode der Platonisch -Aristotehschen Zeit hervorrieft); sicher scheint mir aber, daß, wenn jene atheni- lU ysoorrag als Interpolation aus der Aristotelischen ausgeschieden hat. In dieser sind die zwei entscheidenden Disticha sicher authentisch und alt — das zeigt der lakonische Akkusativ drjixöziig und das Parti cipium an Stelle eines Verbum finitum {avzanaueißousvovg vgl. Od, 6 231. Archiloch. 1, 2. Solen 13, 52; denn das Distichon nimmt sein Verbum nicht mehr aus dem Vorhergehenden , sondern beginnt den Teil, der das ■/oi'ji.iaxa HzrjGeo&ai ganz aus den Augen verliert). Aber auch das einleitende Di- stichon kann man nur bezvreifeln, wenn man von Herod. I 65 einen Ge- brauch macht, zu dem ich mich nicht entschließen kann. Gegenüber dem einleitenden Distichon der Diodorischen Fassung mit den vier Epi- theta für Apollon beweist das einfache ^'oi'ßov dnovoavtEg das Alter. Auch i'veiy.av, zu dem wir das Subjekt nicht ergänzen können (ich glaube, es waren die Könige), spricht für den Zusammenhang, den die Verse in der Eunomie gehabt haben müssen. 1) Die Frage nach der Echtheit der Schrift des Königs Pausania.s über die Lykurgische Gesetzgebung (E. Meyer, Forschungen I 215 ff'. E. Schwartz, Index lect. Rostoch. 1893) lasse ich beiseite. Sollte sie wirklich um 400 geschrieben sein und dem Ephoros seine Fassung der Eunomieverse geliefert haben, was beides nicht unwahrscheinlich ist, so beweist sie doch nichts für ein Leben des Tyrtaios in Sparta. Denn Pausanias schrieb sie in der Verbannung, oder vielmehr, er ließ sie von einem Journalisten schreiben. Spuren elegischer und selbst von Sko- lienpoesie in Sparta (Wilamowitz, Textgesch. 118, 1) sind so gering, daß man sie als Null bezeichnen kann. Ganz weniges in den Theognidea hat lakonischen Inhalt; und man darf zweifeln, ob dieses wenige wirk- lich in Sparta entstanden ist. Wenn 'der Chier Ion noch im 5. Jahr- hundert für Archidamos dichtet', so beweist das eher, daß es in Sparta selbst keine Dichter gab. Auch Lysander beschäftigt lonier. Was die zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN <> sehen Angaben richtig sind (und ganz können sie der tatsächhchen Grundlage doch nicht entbehren), wenn es, wie Reitzenstein das ausdrückt, „für die 'Skohen" der Spartialen ein officielles Text- buch gab, welchem in historischer Zeit die einzelnen Lieder ent- nommen werden mußten, ra Tugraiov", dieses Textbuch oder richtiger seine Einführung in Sparta nicht älter sein kann, als das 4. Jahrhundert. Auch hier hat Schwartz das Faktum richtig er- kannt: das Sparta, 'das die Gedichte des Tyrtaios zur officiellen Erziehungsliteratur bestimmte \ war das bei Leuktra geschlagene. Wir werden aber deshalb nicht mit ihm zur Athetese schreiten, sondern die Tatsache, daß Sparta seinen eigenen Dichter aus dem Auslande zurückempfangen mußte, als einen Beweis mehr für die allmähliche geistige Erstarrung dieses Staates betrachten, die im 5. Jahrhundert vollständig geworden war. Vielleicht konnte sich auch die Legende von der athenischen Herkunft des Tyrtaios, die in den Gedichten gar keinen Anhalt hat, deshalb so leicht bilden und so vollständig durchsetzen, weil kein Gegenanspruch vorhanden war. Die Legende setzt voraus, daß man in Athen ein Buch des Tyrtaios besaß. Hier wird es in den lakonenfreundlichen Kreisen im Gebrauch gewesen sein ^). Über diese hinaus hat es allgemei- äußeren Zeugnisse lehren, wird bestätigt durch den Text. Es fehlt, wie Wilamowitz selbst feststellt, jede Spur eines lakonischen Tyrtaios. Das wäre, da es in frühhellenistischer Zeit spartanische Grammatiker gab, unbegreiflich, wenn ein Text, der von unserem wesentlich verschieden war, existirt hätte. Ich bezweifle also, daß 'im 4. Jahi-hundert ein La- kone und ein Athener ihren Tyrtaios' überhaupt vergleichen konnten. So natürlich die Annahme ist, daß die Gedichte des SjDartaners Tyrtaios 'ebendort in Ansehen und praktischem Gebrauch blieben', sie ist doch falsch. Was übrigens die Sprache des echten Tyrtaios angeht, so kann man doch kaum bezweifeln, daß es im wesentlichen die der ionischen Elegie des 7. Jahrhunderts war, vermutlich mit einigen metrisch oder aus anderen Gründen bequemen Dorismen. Sie mußte in Sparta so gut verstanden werden, wie das homerische Epos. 1) Eine Lösung der Frage, wie man dazu kam. den Verfasser des Elegienbuches zum Athener zu machen, ist mit voller Sicherheit nicht zu geben, aber das oben Ausgeführte (s. besonders die vorige Anmerkung) spricht doch dafür, die Diskussion ganz nach Athen zu verweisen und sie nicht zwischen Sparta und Athen, sondern zwischen Lakonenfreunden und -gegnern ausgefochten sein zu lassen. Maßgebend waren dann auch nicht literarische Erwägungen, die viel eher auf den Gegensatz Milet- Sparta geführt hätten, da das Buch doch nichts specifisch Athenisches hatte, sondern politische. Ursprünglich galt das Buch, in dem die Eu- 10 F. JACOB Y neres Interesse erregt nur im 4. Jahrhundert; und das wohl erst, als es in Sparta selbst wieder aufgenommen war, Piatons Kennt- nis ist vielleicht älter (ich persönlich glaube auch das nicht) : aber erst nomie und das Messeniergedicht standen, gewiß als ein spartanisclies und wird gerade als solches in bestimmten Kreisen geschätzt worden sein. Machte man den Dichter zum Athener, so hatte das von vornherein eine Sparta abträgliche Tendenz. Die Erfindung war leicht, einmal weil man keine spartanischen Dichter kannte, wohl aber viele ausländische Dichter und Propheten, die z.T. sogar in Sparta eingebürgert waren, wie Ter- pander, Alkman, Thaletas und im 5. Jahrhundert den aufsehenerregenden Fall des Tisamenos. Sodann weil spartanische Hilfsgesuche in Athen von der Heraklidenzeit bis in die Gegenwart einen rn.^og athenischen Selbst- lobes bildeten. Wann die Erfindung gemacht ist und welches ihr un- mittelbarer Anlaß war, ist schwerer zu entscheiden. In Kimonische Zeit würde ich sie ungern rücken, weil Tyrtaios erst in Platonischer in wei- teren Kreisen interessirt hat. Die Tyrtaiosmode geht so schnell vorüber. / ztg ßi/xvEzco voraufgeht. Aber es ist immerhin interessant, daß Zenodot Anstoß nahm und schrieb Tqwcov di-i jie8iov ovXr]ooi.iEV svzsa VExgovg, iva /nfj fwvov Eig ztjv TtgäEiv, d)./.d xal Eig z6 xsgSog ovi.(JtEodafißdvoi kavzov d Neozcoo (Schol. T). Die Schollen widerlegen ihn mit dem Eßog 'O/ntjoixdv. Was sie beibringen, ist teilweise ganz unpassend. Einzelheiten, Inconcinnitäten entscheiden nicht, es handelt sich um die Gesamtanlage. So geht es nicht an, aus der großen Hektorrede 2" 285/809 nur die vv. 297 d?.r äyEd'\ cog äv iyut EiTico, TiEißojfisßa :idvzEg. vvv /iiEv ddojiov eIeo-&e herauszugreifen. Die ganze Rede, die überhaupt nicht paraenetisch ist, sondern die Absichten und Ansichten des Feldherm ausspricht, zerfällt in zwei Teile. Die Ab- rechnung mit Pulydamas' Vorschlag (285—296), sehr erregt, mit ent- sprechender Inconcinnität nov/.v8dfia , ov [xiv ovxsz' ifioi wü.a zavz' dyo- OEVEig . . ■ 287 i) ov 7i(o xexöqtjoÜe . . . 295 v^mE, fitjxhi zavza vorjfiaza fpaiv' ivl öiqiMcoi, 'denn ich werde es nicht dulden, daß man dir folgt'. Dann steht 297 der formelhafte Vers dV: äyE^\ der zum zweiten Teile überleitet (298—309), der Anweisung an die Truppen 'eßt jetzt und wacht; morgen wollen wir kämpfen und ich werde Achilleus entgegen- zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 15 das Epos. Den emphalisclien Abschluß zeigt beispielsweise ganz, wie die Salamiselegie die Sarpedonrede il/'326,'8: vvv d' e'jUTtrjg ydg x)~]Qeg e(peoTdaii' "d^avaroio jLivQiai, äg ovK eoTt cpvydv ßgorov ovo' vjiakv^ai, l'ojLiev, f]€ TOJi el'yog oqe^ojuev ije rig fjjjuv — und ebenso die zweite Fassung der Poseidonrede JV 95 — 124: 115 äXX' äy.ea)^ueOa Odooov äxeorai toi cpgeveg eodXwv, während die erste beginnt mit 95 aidojg, 'Agysioi, y.ocQoi veoi. Denn diese Beobachtung, daß hier zwei Redetypen durcheinander- gehen, spricht am entschiedensten für die Zerlegung der vielumstrit- tenen Rede, wie sie jetzt Wilamowitz in seinem wundervollen Buche 'Die Ihas und Homer' S. 220 vornimmt, in 95/98. 115/124 und 99/114. Nur daß v. 115 eben nicht zur ersten Fassung gehören kann, in der er zum mindesten unnötig, meines Erachtens auch ganz unpassend ist, sondern als Schluß der zweiten, mit co ttojioi, y /ueya &avjna beginnenden, unentbehrlich ist und auch gut, wenn man nur keinen Hinweis auf die Airai darin findet. In diesem gleichen Typus des kriegerischen Aufrufes zeigt sich die enge Zusammen- gehörigkeit von 95/98 und 116/124, nicht in der von Wilamowitz angeführten Verwendung des Stichwortes /ueß/joeze 97 jusdiere 116 jiieü')] jLioovvy 121. Denn mit fiedierai, diesem bekannten Terminus der Paraenese, wirtschaftet auch die zweite Fassung — 108 jue&rj- fxoovvrjioi T£ Xacbv 114 juei&iejuevai jioXejuoio — , die die erste vor- aussetzt, wie eben auch das in v. 115 etwas überraschende eod^XoC beweist. Die erste Fassung baut sich ganz auf dem Gedanken auf, daß die angeredeten jidvreg uoioroi eovTeg ävd orgarov sind. Denn das liegt schon in dem betonten v/ijuiv 95 und vjueig 97. Für 10 A ist die Bedeutung des Wir-Typus besonders wichtig. Denn dies ganze, auch in den Einzelheiten stark Homerische Ge- dicht steht weniger dem TijLiijev re ydg eozi xal äyXaov dvögl jud^eo^ai des Kallinos nahe, als daß es eine Paraphrase der Hektor- rede0 486ff. ist: treten'. Dieser Teil hat mit l'hods — iyeiQo/uev "Aorja — oi' /.iiv eycoys (pev^o/iiai. die äußere Form der Poseidonrede im £", aber eben nur die äußere Form. Ein wirkliclier Übergang in der Paraenese vom 'wir' zum 'ihr', und zwar nicht zum 'ihr' schlechthin, sondern nur zu einem Teile, den vEoi, wie man ihn in El. 10 für möglich hält, kommt da nirgends vor. Sollte er möglich sein, müßte der zweite Teil ganz anders gebaut sein. 16 F. JACOBY Tgcbsg xal Ävxioi xai Jagdavoi äy/ijuayt^rai, ävegeg eoie, cpiXoi, juvijoaode de dovQiöog älyS]g, denn Zeus liilft uns: 494 äXlä iidyeod' im vijvolv äokMeg' og de xev v/ueojv ß?j]/iievog )]£ TVJielg d^dvazov y.al noxixov emont^, reßvdrco ' ov ol äeixeg äjuwo/uevcoi tzsqI 7idTQ7]g Teßvd/uev ' dXV (iloyog xe oot] xal nalöeg ömooco, xal olxog xal xXfJQog äxrjQazog, ei' xev 'Ayaiol 499 olycovrai ovv vrjvol cpilrjv ig jiargida yaTav. Schon Lykurg hat diese 6 Verse vor dem Excerpt aus Tyrtaios angeführt. Er hat die Verwandtschaft gespürt. Wir aber haben ein Recht, daraus die Situation und die Abzweckung der Elegie zu erschheßen. Wenn anders man in dem lebendigen , kräftigen Ge- dicht nicht nur allgemeine Phrasen und Stilübung sehen will, so handelt es sich hier allerdings um einen "^schweren Verteidigungs- krieg'. Nicht einfach zu mutigem Kampfe mahnt der Dichter, wie in 10 B; nicht von Ruhm oder Schande nur ist die Rede. Zum Verzweiflungskampf um Sein und Nichtsein, zur äjiovoia ruft er die Bürger auf. Darum wendet er die Argumentation des Epikers und stellt ihnen nicht, wie der siegesgewisse Hektor, den Lohn des Sieges vor Augen, nicht wie Kallinos die Ehre des Todes oder des Sieges fürs Vaterland, sondern die Folgen der Niederläge ^). Darum umrahmt er seine Mahnung mit re&vdvai. das auch Hektor wuch- tig verwendet: TEdvdjusvai ist sein erstes, i)vt']oxcojUfA' y'vyewr ju)]xen (peiöojUEvoi sein letztes Wort. Darum setzt er den Ihr- in den Wir-Typus um, der immer eindrucksvoller ist, schon weil da- mit nicht nur die veoi, sondern alles, was Waffen tragen kann, 1) Schwartz 466, 2 sah sich gezwungen, die klare Situation zu miß- deuten, weil er sie seiner Theorie zuliebe in einem Messenischen Kriege unterbringen mußte. Gerade seine Argumentation zeigt, daß das eben nicht möglich ist. Wenn Weil, Etudes 197 es wieder versucht und das Bild der vv. 3/8 auf Zustände deutet, wie die Eunomie sie voraussetzt, so ist das gezwungen und ohne jede überzeugende Kraft. Damit nicht aus der richtigen Interpretation von El. 11 ein neues Argument für Tyr- taios als Dichter von 10 A gewonnen werde, sei bemerkt, daß /hijxsti V. 14 natürlich nicht auf fi-ühere Feigheit und demzufolge erlittene Niederlagen deutet. Es bedeutet 'sterben wir als Leute, die ihr Leben nicht mehr schonen, denen nichts mehr am Leben gelegen ist'. ävdQe^ /.irjxizi acoi'CoixEvoi sagt Theogn. 68 in anderem Zusammenhang, 'für die es keine Rettung mehr gibt'. zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN I7 aufgeboten wird. Es schwindet in ihm jede Spur von KäUe, die die Paraenese leicht liat. Und zu der leidenschaftlich erregten Stimmung paßt gut die starke Umordnung der Gedanken, mit der er beginnt. Denn daran, daß das Distichon 13/14 -ßvjucdi. yTjg negl xfjode /uaycüjiie&a xal tzsqI naidcov i&vtjoxojjuev ein Gedichtschluß ist, kann man ernsthaft ja nicht zweifeln. Im Ausdruck erinnert daran und ist vielleicht von 10 A beeinflußt der Abschluß von 12 xavzrig vvv Tig dv)]Q ägsTr]? slg äxQOv Ixeo&ai Tieigdodcü ■dv/j-cbi, /ur] jue- -ß^telg TtoUjiiov. Aber an dem ydg des Eingangs hat man Anstoß genommen. Zu Unrecht; denn vergleichbar ist nicht nur das frei- lich leichtere Hyperbaton des Gedankens in epischen Reden, wie H 327 'Argsld)] je xal äXXoi dgiorTjeg IJavayaicbv jioXXol ydg re&väoi xdgt] xojuöayvieg 'Ayaioi .... 331 TCO 0€ ygi] tiÖXsjuov fiev (ijii rjoi Jiavoai 'Ayaaov .... P 220 K£x?.vze, juvgia (pvXa TiF.gixriovwv enixovgcDv ' ov ydg Eyd) nXrjd^vv di^rjjuevog ovde yari'Qcov iv&dö' d(p' vf^iExegcov noXiojv ijyeiga h'xaaxor .... 227 xü) xig vvv Wvg xexga/iijiievog fj dnoXeo&co )]e aacoßrjxcD . . .^). Auch die ionische Prosarede erlaubt es sich in kritischen Augen- blicken oder bei lebhafter Bewegung des Sprechenden. So beginnt der Brief des Harpagos an Kyros (Herod. I 124) — Brief und Rede sind ja nicht principiell verschieden — c5 Jidi Kajußvoeco ' oe ydg d^eol EJiogwoi ' ov ydg äv xoxe ig xooovxo Tvyjig dnixov ' ov vvv 'Aoxvdyea xöv oecovxov cpovea xeToai; und so führt, in der Situation unserer Elegie entsprechender, die Rede des Phokaiers Dionysios von der Begründung über die Erörterung der Aussichten zur ab- schließenden Aufforderung (Herod. VI 11, 2 — 3): ejil ^vgov ydg dxfxrjg eysxai y/uTv xd Tcg/jyjuaxa, ävögsg "Icoveg, 7] elvai eXev&EgoLOi li] dovXoioi, xal xovxo c6g dgf]7iEXi]iot. vvv 0)v v/u£ig fjv jUEV ßovXr]0'&£ xaXaincogiag ivÖEXEo&ac, x6 na- gaygfjjua juev novog vjuTv kaxai, olo'i xe öe eoeo&e vjcEgßaXo- juEvoi xovg Evavxiovg slvai sXEV&Egoi' ei Öe jnaXaxirji xe xal d- xa^Lrji diaygr]0}]0&E, ovÖE/uiav vjuecov Eyco E?^mda fii] ov diboEiv vjUEag dix)]v ßaoiXn xfjg dnooidoiog. dXX^ Ejuoi XE TXEiÜEo&E xal Ejiwl vfiEag avxovg ijitxgEymxE . . . . 1) Schol. A vergleichen noch Od. ?c 190. Hermes LIII. 18 F. JACOBY Das ist im Grunde die unlogische Sprache des Lebens, die Kan- daules (I 8) spricht: rvyii, ov ydg oe doxeoj neideodai jjloi li- yovTi jiEQi lov Ei'ösog xrjg yvvatxog . . . Jioiei öxcog exeiv^v -ßErjoeai yvjuvi'jv, die in der Rede zum Kunstmittel wird. Das hat der Autor IJsqI vipovg 22 gesehen, der die Wirkung des Hyperbatons gerade an der Dionysiosrede erläutert: k'ortv dt Xi^ecov i] vor}0£(ov ly. Tov xax' äxoXovdiav y.ey.nnjjuev}] id^ig xat olovel xaqay.Ti^g Ivayoiviov Tiddovg aXrjd^eoTaTog. ojg ydg ol rcöi ovri ögyiCofievoi }] (foßovjiievoi Tj dyavay.Tovvxeg . . . äkla TcgoOeuevoi noXXdy.ig in' äXXa jiieTan)]öü)oi . . . ovtco nagd Tolg dgioioig ovyygacpevoL öid Tcov vnegßaxwv fj fdurjoig Inl xd xfjg q)voecog egya (pegexai. xoxe ydg fj xEyvii xEXtiog, yriy' dv cfvoig Eivai öoy.rji, y «5' av cpvoig EJiixv//]?> oxav Xavßdvovoav 7T£giEyj]i xi]v xr/ryi' ^). Damit stellt sich die Elegie 10 A als ein vollständiges Gedicht heraus. Die Möglichkeit, daß das überlieferte Elß' ovxog (11)^) prosaische Überleitung ist und den Forlfall eines Stückes aus der Mitte anzeigt, braucht man nicht lange 7ai erwägen. Die Schilde- rung des Vertriebenen ist mit Tidoa ^' dxi/uii] y.al xaxoxyg ETiExai (10) deutlich abgeschlossen; der Vers faßt die Stellung des Mannes (er lebt in Unehren) und sein Wesen (es ist ein schlechter Mann, kein uv^ig dyadog, wie v. 2), wie sie sich aus dem Vorhergehen- den ergiiit, knapp zusammen. Dann ziehen 11 14 die Schlußfolge- rung, und tun es, wie immer man die Eingangsworte gestaltet, wirk- lich in "^sehr moderner Weise' — A'ergleichbar ist wieder El. 12. Diese Einheitlichkeit nicht nur im Gedanken, sondern auch in seiner Formu- lirung fehlt der Elegie des VII. Jahrhunderts, die noch wie die epische Rede die einzelnen Argumente als in sich geschlossene Einheiten, ohne Verbindung miteinander hinstellt^). Der Verfasser von EI. 10 1) Mit der Herodotischen vergleiche man die große Rede Xeno- phons, Anab. 111 1, 35— 44, "wo der Satz 'denn wir bind in kritischer Lage' in einer Parenthese ganz am Schluß steht: S y.al i\uäg 8sT vvv y.axaiia- ßövTa; — iv zoiovion yag y.aioöJi Eonev — avzovg te ävdoag ayadovg eivai y.al Toi'g a'/.'/.ovg Ttagayahir. Der Unterschied der Wirkung ist evident. 2) Daraus bat Francke sl Ö' ovrcog gemacht. Wilamowitz, der eine dann allerdings einfache Umstellung ei 8e toi ovzwg uvögög vorschlägt, übersieht, daß nicht sl 8\ sondern Eid'' überliefert ist. Die Apodosis des Ganzen muß mit v. 11 beginnen. Wenn wir in ei&' ovroig Prosa sähen, könnten wir kaum etwas anderes ergänzen, als (d/Äö) — j-iaydiiisda und müßten dann avdoog — ykvEog als Parenthese formuliren , wie 11, 1 — 2. 3) Instruktiv ist auch hier ein Vergleich mit der Sarpedonrede des zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 19 hat freilicli überhaupt nur ein Argument, die wirksame Schilde- rung dessen, der die Heimat verloren hat. Sie macht den Aufruf zum Kampfe zur Elegie. Die bewußte Knappheit, die der wirk- lichen oder vorausgesetzten Situation angemessen ist, steht in vollem Gegensatz zu dem breiten Wortreichtum der El. 12. Daß dieses Gedicht aus einer bestimmten Situation erwachsen ist, was für 12 schwerlich angenommen werden kann , wird man gern glauben. Daß jedes Indicium fehlt, wie es etwa in 11 die Bezeichnung der Angeredeten als Heraklessöhne gibt, macht zwar die Lokalisirung des Gedichtes unmöglich, dieses selbst aber noch nicht zur allge- meinen Paraenese. Die paraenetische Elegie hat, soweit sie nicht an einzelne sich richtet, wie besonders häufig bei Archilochos, dessen Neuerung das ist und der eben damit den Charakter der allgemeinen Paraenese abstreift und dafür den Ausdruck individueller Ansichten sich ermöglicht, naturgemäß meist nur ganz allgemeine Anreden. Die Ephesier wissen ja, daß sie gemeint sind, wenn ihr Landsmann Kallinos co veol sagt. Solons 'HjuEiegi] Jiohg, die ja auch in der Form weniger Paraenese, als Betrachtung ist, steht mit ihrem Nachwort lavia Öidd^ai 'ßv/udg "Adip'aiovg pji xelevei wohl nicht nur zufällig unter den älteren Stücken allein. 10 B und 11. Es bedarf nun wohl keines Wortes mehr, daß mit diesem in sich geschlossenen Gedicht die zweite, mit der Aufforderung an die veoi beginnende Reihe (10 B) nichts zu tun hat. Sie muß für sich be- M, die schon einen hohen Grad von logischer Argumentation zeigt. Aber die Argumente stehen nebeneinander. Das erste 'wir genießen die Königsehren, darum müssen wir im Vorkampf stehen'. Dann, getrennt durch die neue Anrede m ji£-tov, das zweite: ei /iisr "wenn wir dadurch- daß wir uns dem Kampfe entzögen, unsterblich würden, so würde ich nicht kämpfen, noch dich dazu veranlassen' — das steht dem Schluß, unserer Elegie sehr nahe, gibt aber selbst den Schluß noch nicht. Der erfolgt mit vvv d' sftjirjg yäg xfJQEg irpsaiäoiv ßaväroio fivgiai , äg ovx eoti (fvysTv . . . i'oiiisv und berücksichtigt nur das zweite Argument. Nicht viel anders noch Kallinos, wo die beiden Argumente 'die Zeit des Todes bestimmt dem Menschen das Geschick' und 'dem Tode kann niemand entfliehen' getrennt sind durch die Aufforderung d?2d ztg Wvg Izco, mit der das Gedicht schließen könnte. Das weiterleitende yog, das das zweite Argument anknüpft, hat die Erklärer irregeführt. Es handelt sich deut- lich um ein neues Argument, nicht um eine Begründung für die Argu- mentation 12/15, die in sich geschlossen ist. 2* 20 F. JACOBY trachtet werden. Ich glaube nämhch nicht, daß Wilamowitz sie richtig beurteilt hat, wenn er in ihr eine Bearbeitung des alten echten Tyrtaios sieht. Ausschlaggebend war dabei für ihn wohl. daß das letzte Distichon ä?J>.a. xiQ ev öiaßäg juevhco noolv äfi(poTEQOioiv orrjQiy^&Eig im yfjg, 'lukog ödovoi öaxcov in der anerkannt alten El. 11 w^iederkehrt als Anfang des didakti- schen Teiles — so muß man sagen — , der Anrede an die einzelnen Waffen. Wilamowitz zieht daraus zunächst den meines Erachtens unwidersprechlichen Schluß, daß 'in dem Exemplar des Lykurgos noch mehr aus dieser folgte". Das Distichon kann in der Tat nicht Anfang einer dritten Elegie sein; denn es ist kein Anfang. Und wäre es ein Anfang, was hätte es für einen Sinn gehabt, nur diesen auszuschreiben? Es kann auch kein 'späterer formelhafter Zusatz' (Reitzenstein : Sitzler) sein — das scheint mir eine reine Verlegenheitsausflucht — oder eine Interpolation (Brunck, Gaisford, Francke u. a.). Nicht einmal als Beginn einer zweiten Fassung der vv. 21/30 ist es denkbar, weil sich diese Verse von 20 nicht lösen lassen. Am allerwenigsten ist es natürhch eine 'peroratio', als die Bach und, wie es scheint, Bergk es bewunderten. Hinzu kommt, daß ein alter Dichter schwerlich mit 30 geschlossen hätte ohne die nochmalige Mahnung und Belehrung. Es bleibt also nur übrig, anzunehmen, daß wirklich auch dieses Gedicht den ganzen didak- tischen Abschnitt von 11, d. h. die allein echten Distichen 21 — 28; 35 — 36 enthielt. Wie das zu beurteilen ist, bleibe vorläufig da- hingestellt. Die Tatsache einer Bearbeitung kann doch nur aus den vv. 15 30 selbst erwiesen werden. Fragen wir also, was in diesen auf eine solche weist. Wilamowitz führt dafür dreierlei an: 1. Es sei 'gar nichts darin, was einen individuellen Charakter zeige'. 2. Die Verse wiesen 'jene Homerumbildung' auf, die 'in den Zusätzen der echten Elegie^ — das geht wohl auf 11,29 — 34 — bemerkbar ist. 3. v. 18 (fulorpvyeTv sei 'ein Wort so junger Bildung, daß ich sie [die Bil- dung oder die ganze Überarbeitung?] nicht für älter als das 5. Jahr- hundert halten kann'. Am schnellsten läßt sich der dritte Punkt erledigen. Denn das einzelne Wort cfiloxpv/ßTv, das man nicht mit Gonjecturen heimsuchen wird, um Wilamowitz zu widerlegen ^), kommt für das 1) ixr] (fsidd) xfvxijg SC. :zoieTa&£ Sitzler. Aber cpdoywxstv ist für zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 21 Gedicht überhaupt nicht in Frage, weil das ganze Distichon 17/18 eine evidente Interpolation ist. Ich befasse mich nicht mit den ver- schiedenen Anstöfsen und den Versuchen, sie zu heben — noi- do§ai dvfjLÖv, dvögaoi juaQvdjueroi [vgl. in dem gleichfalls inter- polirlen Teile von 11 v. 33 dvögl jiiayjodco] — , es genügt die Feststellung, daß äX?M einen falschen Gegensatz einleitet zu 16 ur]de cpvyyg aloxQdg äq^Exe ju}]de (poßov. Der wirkliche Gegen- satz geht hier, wie in 11, 1—4. 21 — 28, vorauf. Und hier, wie 11, 29 — 30 ä?dd Tig eyyvg uov nach juijö' Ixxbg ßcXeoiv iordro) domo' t'ycov, hat die Umordnung des Gedankens zur Interpola- tion eines neuen Gegensatzes geführt, den die modernen Interpreten festhalten , obwohl er offensichtlich stört. Das zeigt wenigstens, warum interpolirt ist. Obwohl in 11 schon Francke, dann Weil Rh. Mus. XVII, zuletzt Wilamowitz die vv. 29—34 gestrichen haben, werden immer wieder Rettungsversuche wenigstens für 29/30 unter- nommen^), "da man sonst nach iu)]d' exrog kxI. die positive An- Euripides wie in dieser Elegie der Gegensatz zu /nüxEodai (Hec. 315 .-ro- Tega fia)[ovfie&' y (piXoywxrjooiAEi', xov naz^avövx OQÖJvreg ov Tiiiwf.iEvov). Der Begriff der Feigheit, den dieses 'das Leben lieb haben' ursprüng- lich nicht hat — z. B. nicht bei Herodot. VI 29 6 '^laxiaiog üjit^cov ovx ajioXeeo&ai vno ßaaüJog . . vyirji> TOirjvds riva avaigiszai, bei Plat. Apol. 37 C (aber Leg. XII 944 E ist es 'Feigheit') und Lysias Epitaph. 25 — , geht in diesem Zusammenhang leicht in den des 'feige sein', ja fast den 'fliehen' über, wie eben bei Eurip. a. 0. und Herakleid. 517 f. ti 8svo' a.tpiy.saß-' Ikeoioioi ovv tv ovxezi yovvax llacpqä, ^11] xaTaXeiTTOvreg (pevysje TOvg yegaiovg. Den zweiten Einwand verstehe ich nicht recht ^). Die Homer- umbildung, d. h. hier vor allem die ihrer Bedeutung wegen viel- umslrittene Versgruppe 21 — 30, die eine Paraphrase von II. X 66 bis 76 ist, beschränkt sich doch wahrlich nicht auf die 'Zusätze', son- dern ist das tägliche Brot für den Elegiker, dessen Paraenesen teil- weise überhaupt nichts anderes sind, als Paraphrasen der epischen Reden. Gerade der echte Tyrtaios schließt sich sogar besonders eng an Homer, wie das für den Lakonen, der das Epos bei seinem Publikum voraussetzen kann, auch ganz begreiflich ist. Ganz wie 10,21 — 30 zu X66— 76 stehen die unbezweifelt echten Partien von 11 zu Homer. Längst verglichen sind die Distichen 11—14 oX fjLsv ydg toXjuäJoiv Tzag' uXIyjJloioi juerovreg eg t' avtoo'/eöh]v y.al Tzoojiid/ovg levai, navQOTEQoi dtn'joy.ovoiv, oaovoi de labv ömooco' TQSOodvTCOv ö' ävÖQÖJv zido dnöloile äger/] mit II. 0 561 ff. (=£'529ff.; s. auch ^A^ 47-48): 'Q cplXoi, ävegeg ioze y.al atöco deoü^ evl &vjua)t, äXhjXovg r' aldeXode yarä youTegäg vojuivag ' alöojuevcDv d' ävögcöv nXeoveg oooi fjh nefpavxai, (pevyovTWv ö' ovx' ag' xAeog OQVvrai ovre rig älyJi, wobei im Vorbeigehen bemerkt sein mag, daß auch näo' änoXcole ägerrj sich aus dem Homerischen Gedanken ohne weiteres erklärt. Selbst der 'spartanische Terminus' in diesen Versen steht im Hexa- meteranfange £"522 uvÖQCJv xQEoouvxwv; und man könnte wohl fragen, ob in diesem xQeooai = (pvyeZv pcexd öeovg (Schol. A zu iV 515 u. ö.) wirklich die spartanische Heeressprache die alte Be- 1) Ein IV ^(« bvoiv. Das Homerische Wort fpößo; 'Flucht' wird durch das voraufgell ende (fvyfjg erklärt, (ir^ös ^oßsTods 'flieht nicht' sagt auch der Verfasser von 11, 3. An diesen Vers erinnert 12, 17. 2) Ob Wilamowitz jetzt anders urteilt, ist aus 'llias u. Hom.' 95, 1 nicht sicher zu erkennen. zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 23 deutung bewahrt oder ob nicht die Poesie des Tyrtaios hier die Heeressprache beeinflußt hat. Aber auch die eigenartige Didaxe erst der HopHtcn, dann der yvfivrize>; liat ihr Homerisches Vorbild. Der alte Nestor stellt im J 292 ff. sein Conlingent auf: iTiTjfjag jLih' TtQcora ovv Innoion' xal öy^eocpi, jiE^ovg d' i^orcide otTjoe)' noltag je y.nl toOkovg, EQxog EfiEv TiolEf-ioio' KUHohg ö' ig uEooov e'Xuooev, öcpga y.al ovx e&eI(X>v Jig avayy.ahji noXEfd'Qoi — wobei wieder im Vorbeigehen an das berüchtigte fr. 9 Bgk. er- innert sei, wonach auch Tyrtaios einmal von solcher gezwungenen Tapferkeit sprach; da war es ein ttqo töjv Tdq^Qcov xal xcbv roiov- Tcov TiaQardxTEiv (Arislot. Elh. Nie. III p. 111(5'' 1); ich meine, fr. 11 zeigt uns, wie das auch in der Elegie möglich war. Dann folgt im A die Rede, die allerdings Anstölse bietet — der geringste ist der Übergang aus der indirekten in die direkte Rede (ich verfolge diese gar nicht so seltene Erscheinung ein andermal; sie tritt hier durchaus passend ein); der größte, dafs von den jie'Qoi überhaupt nicht gesprochen wird und daß der Schluß gerade auf die ange- redeten iJiJiEig recht wenig zu passen scheint. Ausschneiden könnte man nur die ganze Scene 292 — 325. Also: InnEvoiv jUEv jiqöjt' etiexeXXexo ' Tovg yäq ärcoysi o(f>ovg l'jiJiovg e^e/^iev iui]Ö£ xXovEEodai öjUiXcoi ' jU'i]dE rig Innoovvt^i rs xal )jroQ£)](pi jrEJioidcog olog jiQÖod-' äXdcov /HEfidioj Tqojeooi j-idiEodai xtX. Das Verhältnis ist überall das gleiche: Anpassung Homerischer Reden an die Verhältnisse der eigenen Zeit und Umsetzung er- zählter Scenen des Epos in die Form der Rede. Als Argument für spätere Bearbeitung, Interpolationen und dergleichen ist es nur zu verwerten, wenn die Interpolation schon aus anderen Gründen feststeht — wie 11, 29—34 — und vielleicht einmal, wo die Über- nahme besonders unpassend oder ungeschickt geschieht. Das trifft auf 10 B nicht zu, wo das Alter der umgesetzten Partie ja noch ganz besonders durch den ganz eigenartigen v, 25 gesichert wird'). 1) Für Montis Kritik ist charakteristiscli , daß er das Distichon 25/26 streicht. Elier könnte man fragen, ob nicht 23,24 aus Homer inter- polirt ist, um das unangenehme Distichon zu ersetzen, also in der Ab- sicht der Interpolationen von El. 11. Daß 27 schleclit anschließt, wäre kein Gegengrund. Was Conjecturen wie al/nazosvi'' srdiva (Fick) oder EvzEQa d' aifiazÖEvia (Cobet) für Sinn haben, sehe ich nicht. 24 F. JACOBY Dieser ganz seltene Zug, das aljuaioevia alöoia cpiXmg er X^Qolv e/^eiv, wie immer es zu deuten ist ^), dürfte gleich auch 1) Geklärt ist die Frage auch durcli Wilamowitz a. 0. nicht, den der berechtigte Zorn über Mülder hier die Gerechten mit den Ungerech- ten verdammen läßt. Daß Homerparaphrase vorliegt, wie auch Dümmler annahm, und daß die Pentameter 24. 28 Füllsel sind, hat er mit Recht scharf betont. Nur gilt das eigentlich noch mehr für 26. Aber wer so energisch ßvuov ojronvsiovza xtI. für Verbreiterung erklärt, der sollte nicht fragen, ob die Feinde 'so dumm oder auch so grausam waren, diese Ver- stümmelung an dem lebenden Feinde zu vollziehen', ganz abgesehen da- von, daß diese Verstümmelung tatsächlich und nachweisbar auch an Lebenden vollzogen wurde, was noch im letzten Kriege der Italiener gegen die Abessinier vorgekommen ist. Das vgzeoov anörEoov alöota sv XSQoi Eyovxa y.ai XQÖa yvinvcoßeria ist ganz unbedenklich. Das Schlimmste, das der Pentameter hervorhebt, fällt zuerst in die Augen und wird so- fort genannt. Es bleibt übrigens, wie immer wir 25 deuten. Sprach- lich ist doch kein Zweifel, daß die Bach-Wilamowitzsche Auffassung 'wie er die blutige Scham mit den eigenen Händen bedeckt hält' viel eher des Beleges bedarf, als die andere (11. y42() 'F lö2,'i . Übrigens wäre zuerst zu fragen — ich bin zwar überzeugt, Wilamowitz wird die Be- rechtigung dazu leugnen — , warum denn die Schamteile ahiazöevTa sind. Aus Homer hat Tyrtaios das nicht. An Verwundung glaubt kein Mensch, weil eine so specielle Sache in die allgemeine Mahnung nicht paßt. Soll das also ein leeres Beiwort sein oder stammt das Blut aus einem Bauchschuß? Sachlich ist der Gestus der Scham selbst bei dem alten Manne um diese Zeit nicht mehr so selbstverständlich. Seit fa.st 100 •Jahren lief man in Olympia ohne Schurz. 720 fing es an, und wenn da ein Lakone siegt, so wird man glauben dürfen, daß diese falsche Scham in Sparta des längeren verschwunden war, wenn sie dort jemals bestand. Wilamowitz verlangt Analogien. Er ist sonst der erste — gerade hier beweist er es ja — , aus vereinzelten Stellen zu lernen. Und Analogien wofür? Ich sehe nicht, wie man aus dem Wortlaut überhaupt entschei- den will, ob es sich um eine .superstitiöse Handlung oder einfach um einen Act der Roheit handelt. Ist das erstere der Fall, was ich nicht glaube, so würde ich auf die Erklärung verzichten. Sie wäre vielleicht nicht schwer (es genügt auch nach Benndorf und Wilamowitz zu Aischyl. Choeph, 439 der Verweis auf Rohdes Ausführungen über den uaoyaXioiiög. Psyche^ I 322 ff. ; der Brauch würde eine vollkommene Parallele bieten; s. auch Dümmler, Kl. Sehr. II 219), aber unsicher. Ist das zweite rich- tig, so genüge die Erinnerung daran, daß es ein Sklavenkrieg ist, in dem die Spartaner kämpfen. Ich lege keinen Wert darauf, die Bücher über Grausamkeit auszuschreiben, um zu beweisen, daß die Rache der Geknechteten an ihren besiegten Herren sich mit Vorliebe in Roheits- akten gerade dieser Art, die übrigens vielfach eines gewissen grimmigen Humors nicht entbehren, entladen hat. Das Wesen dieser Paraenesen läßt zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 25 den dritten Einwand widerlegen. Die Forderung 'individuellen Cha- rakters" ist a priori überhaupt nicht sehr berechtigt. Wir können dem Dichter nicht vorschreiben, ob er mit allgemeinen Gedanken oder mit besonderen Hinweisen auf die Verhältnisse den Kampf empfehlen will. Gerade die älteste Elegie scheint die allgemeine Mahnung durch die Gedanken, daß der Tod im Kriege ehrenvoll, daß er unvermeidlich, daß seine Zeit unbestimmt, daß der wackere aber auch die Möglichkeit oft'en, daß es .sich um eine einmalige Scheuß- lichkeit handelt, die der Dichter benutzt, um den Kampfzorn der Leute zu erregen. Wer die Berichte über Kämpfe der Engländer gegen die afghanischen Grenzstämme oder über andere Kolonialkriege gelesen hat, weiß, wie die barbarische Schändung der Gefangenen und der Leichen der Gefallenen die Wut der Truppen erregt. Vereinzelte Roheiten der Art zeigt auch die griechische Kriegsgeschichte, über die die Schrift- steller schnell hinweggehen. Was bedeutet es z. B., daß bei Xenoph. Anab. III 4, 5 roig u::io'&av6vrag avzoy.sXEVOTOi ot "EXXip'eg ■tjixiaavro, (og ort rpoßeQonaTOV roTg :Jo?.e,uloig el'rj ögäv? Doch oiFenbar einen /.lacxo-hofiög, der dem Griechen erträglicher erscheint, weil er an Barbaren verübt wird. Mülder und anderen, die die Iliasstelle und Tyrtaios verglichen haben, gegenüber bemerke ich noch, daß hier wie dort der Vergleich von '/egcov und rhg ganz allgemein zu fassen und nicht in den Einzelheiten so zu pressen ist, als ob der Dichter sagen wolle, es sähe schön aus, wenn die Hunde eines jungen Mannes atdco aloyvvovai. Wer so arbeitet, kommt naturgemäß dazu, in Tyrtaios den Vorgänger zu finden, in dem Dichter des X den ungeschickten Imitator. Oder aber er interpolirt in der llias einen Vers, um ein solches Mißverständnis auszuschließen. Denn daß v. 73 y.sToOat, .-rävTa 6h y.ala davövri jtso ötti cfar/jijt diesem Zwecke dient und eine Interpolation ist, ist mir ebenso unzweifelhaft, wie daß Tyrtaios ihn nicht gelesen hat. Son.st hätte er wohl seinen Flickpentameter 28 anders gestaltet, Sonst braucht man über die Rede des Priamos und ihre Gedankenentwickluug nach Wilamowitz 94 f. kein Wort mehr zu verlieren, außer daß es um der Nachahmung willen her- vorgehoben zu werden verdient, daß der Gegensatz nicht nur zwischen ysQcov und vtog ist, wie bei Tyrtaios. Der Jüngling in X ist dgijixrd- fisvog, Ss8aiy/.i£vog 6'^ei yaly.öji — dazu braucht der Dichter mit Recht einen ganzen Vers ; denn das gibt, worauf es ihm ankommt, den Unter- schied gegen den Greis , der einfach erschlagen wird und TiQwzrjtai ßv- 07J101 liegt. Auch dies ein Beweis, daß v. 73 heraus muß; der Interpola- tor hat den Sinn von 72 nicht begritfen. Dagegen Tyrtaios hat ganz sachgemäß benutzt und den Gegensatz entsprechend der für ihn gülti- gen Situation umgestaltet, wie er auch mit dem Distichon 29,30 das übernommene veoiai 8s jiävx' kneoiy.Ev hübsch begrenzt oder bestimmt. Der V. oO ist ähnlich formulirt wie Kallinos 1, 19. Aber der Gegensatz Zcoög — ■&vriay.(ov wird in der alten Elegie häufig gewesen sein. 26 F. JACOBY Krieger von allen geehrt wird u. a. m,, im Anschlufs an viele der- artige epische Reden bevorzugt zu haben. So arbeitet Kallinos, dessen Verhältnis zur Sarpedonrede J/ 310/28 für diese ganze Art und auch für die Entstehung der kriegerischen Paraenese überhaupt instruktiv ist, in der großen erhaltenen Elegie ganz mit solchen allgemeinen Gedanken. Nur der Aufruf enthält, ganz wie bei Tyrtaios 11, einen Hinweis auf die Situation aTUO noXe/iiog yaiav äjiaoav syei, dem Hörer der Zeit ohne weiteres verständlich, für uns undeutbar. Da- gegen ist es nicht nur willkürlich, in der Lücke vor v. 5 speciel- lere Angaben zu erwarten (besonders gern hat man ja den Vers vvv ö' im Kijujusgicov orgarog egysiai oßgijuoegyMv hier einge- setzt), sondern geradezu falsch. Denn der erhaltene Schlußvers des verlorenen Stückes, yMi rig ujioOvijoy.on' vorar^ äxomodTOJ, beweist, daß nur eine allgemeine Mahnung zur Tapferkeit, ein Gegensatz zu dem im Eingang gerügten y.aTay.Eiodai dagestanden haben kann (s. u. S. 40). Derselbe Kallinos hat im Aoyog etg Aia, der der Form nach keine Paraenese ist, sondern wie Solons Aoyog elg Movoag zu beurteilen sein wird, aber wohl noch mehr wirkliches Gebet war, Namen und Daten genug gegeben, um auch uns, wenn wir das Gedicht hätten, die Feststellung der Situation zu ermöglichen. Das Fehlen oder Vorhandensein 'individueller Züge' beweist für das Alter eines Gedichtes also nichts. Es steht hier ähnlich wie mit den literarischen Feldherrnreden. Aber am wenigsten berechtigt ist die Forderung, wenn man allein solche Züge gelten läßt, die uns die Situation verraten, in der die Elegie vorgetragen ist. Auch in 11 gibt der Dichter ausdrücklich und absichtlich nichts Näheres über Situation, Gegner und dergleichen. Allerdings kann man hier — und Wilamowitz hat es getan — aus der Ausdrucksweise die Situation ableiten und kommt hier etwas weiter, als bei Kalli- nos 1, 4, der formell gleichsteht. Schon das dagoeiie der Anrede statt des gewöhnlichen jiidyeode zeigt, daß der Dichter hier nicht einfach anfeuert, sondern ein geschlagenes Heer ermutigt. Dieser Gedanke beherrscht ihn so ausschließlich, daß er den einleitenden Ruf qVm dagonxE zerreißt, um noch vor der Aufforderung ein Wort des Trostes, der Ermutigung vorausschicken zu können: äDJ — "Hgax/^fjog ydg ävix}jrov yh'og ioze — dagoeZz — ovjiw Zevg avyeva Xo^ov eyei — firjö' ävdgon> jrh]dvv detjuaivexe xtX. Das paßt natürlich ausgezeichnet zu der Tradition über Tyrtaios; zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGJKERN 27 denn aus solchen Gedichten ist ja die Tradiliun erst abgeleitet, die die Spartaner nach schweren Niederlagen — iyovrcov udvfxcog uexa Trjv Jih]y)']v Pausan. IV 16, 6; luslin. III 5, 6 weiß von 'drei Schlach- ten', in denen sie geschlagen sind — sich nach Delphi und Athen wenden läfst. Selbst die Gegner kann man in diesen Versen indi- rekt angedeutet finden. Den 'schiefen Nacken des Zeus' hat nach einem längst verglichenen Distichon des Theognis (535,'6) erst Wila- mowitz richtig gedeutet 'noch ist Zeus kein Sklave'. Man hat das trotzdem nicht verstehen wollen. Aber vergleicht man 11. A 234: 'Agyeioi, juYj ncö ti jLieüieTE OovQiSog älySjg' ov yuQ eni ipevdeooi Jiarijo Zeug eoosi' aQOjyog (wo Aristarch xpevdeooi (bg oacpeooi schrieb, um die Bedeutung ov yuQ ToTg xpevojaig TqcooI ßorjOei 6 Zevg zu gewinnen, wäh- rend Hermapias sich mit nicht schlechten Gründen für ipEvdeooiv (hg TEiyjooiv entschied) und denkt man an die Schilderung, die Tyrtaios fr. 6. 7 von den durch Theopomp unterworfenen Messe- niern gibt (ojotisq övoi jueyd^oig äyßeot leiQÖjuevoi und deoJiozag olfxw'Qovreg), so wird allerdings wohl deutlich, daß eine Anspielung auf die Gegner beabsichtigt ist: die Sklaven, zu denen Zeus nicht gehört, sind die aufständigen Hörigen, und die Beziehung auf den großen messenischen Aufstand ist damit gesichert. Das ist gewiß individuell; aber es sind nur Andeutungen. In einem anderen Gedicht stand dagegen auch Deutlicheres, sogar Namen von Personen — sehr bezeichnend freilich, daß es der alte König Theopomp ist, der mit seinen Mannen paradeigmatisch ver- wendet ist; die Könige der Gegenwart hat Tyrtaios nicht genannt (Pausan. IV 15, 2). Ithome kam vor und auch die Meooi'jvioc waren in den sehr lebendigen Schilderungen sicher genannt. Aber nichts berechtigt uns, die gleiche Art von allen Gedichten zu ver- langen. Mir scheint es für eine einzelne Paraenese individuell genug, was v. 25 sagt; noch individueller freilich die ganze Mah- nung, die Alten nicht im Vorkampf allein zu lassen. Die kann gar kein Bearbeiter hereingebracht haben, schon weil die Teilnahme der jiaXaioreQoi am Kampfe in dieser Weise singulär ist. Das weist auf alte Zeit ^). Und hübsch, des Dichters, der ja selbst zu 1) In dem altspartaiiisclien Kriegerstaate bat es gewiß ursprüng- lich überhaupt keine Altersgrenzen gegeben. Später, als die feste Ho- plitenphalanx besteht und man die WehrpflicLtigeu nach Jahrgängen aufruft (aber wohl nicht nach einzelnen, sondern in Gruppen zu je fünf 28 F. JACOBY den TiaXaiöregoi gehören mufs, würdig ist es, wie er es selbstver- ständlich findet, daß die Alten nicht fliehen, sondern bis zum Tode kämpfen. Sie bedürfen keiner Mahnung, die auch unpassend ge- wesen wäre. Aber es wird wohl vorgekommen sein, was er schil- dert und was ihn zu seiner Mahnung veranlaßt. Nichts hindert, diese Elegie, so wie sie ist, für sehr alt zu halten. Und dann wird sie auch dem 'Tyrtaios' gehören ^). TOI dexa, jiBvrexaidexa ktI. aq^' i'ißiii), stehen die Alten nicht in den vor- dersten Reihen, sondern gewissermaßen als Triarier: Thukyd. V 72, 3 in der Schlacht bei Mantinea werfen die Gegner den linken Flügel der Lakedaimonier xal i^scooar ig rag d/nd^ag xai r]Tal xtX. Die Anschau- ung, daß das 0 zur Vorschrift des Tyrtaios 'ein Musterbeispiel' geben >oll, wäre grotesk, auch wenn die Situation bei Tyrtaios nicht so indi- viduell wäre und wenn das Wesentliche der lliasscene nicht Nachbil- dung der Rettung Nestors durch seinen Sohn Antilochos in einem älteren Gedicht wäre. Die Jugend und 'Minderwertigkeit' des & tut also gerade hier nichts zur Sache. Sonst würde es sich jetzt wohl lohnen, einmal das Verhältnis der Elegie zum Epos neu zu untersuchen, da ein Einfluß der ersteren auf die jüngere Epik a priori natürlich nicht ausgeschlossen ist. ich bin freilich überzeugt, das Resultat wird ganz negativ sein. 1) Für die Deutung auf den Messenierkrieg und spartanische Ver- hältnisse s. die beiden voraufgehenden Anmerkungen. zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 29 Denn die beiden Elegien 10 B und 11 sind einander in Ab- •/weckung und Form recht ähnlich. Beide sind Paraenesen an die veoi (10, 15. 11, 10), die in oflener Feldschlacht kämpfen sollen, in einer Formation, die auch in 10 B noch die alle ist. Auch hier führt nichts auf die später berühmte spartanische Phalanx. Beide setzen kräftig mit dem Aufruf dVA judyeoif^e, äXXd OaooeTze ein. dem der Gegensalz folgt. Auch dies ein vTrtgßarov, aber ein ein- facheres als das, mit dem 10 A beginnt. Dieser Beginn der Par- aenese macht einen formelhaften Eindruck gegenüber der im Epos häufigen und danach von Kallinos verwendeten rhetorischen Frage /lexQi? tsv xaidxeio&e, und einen älteren gegenüber dem Hervor- treten des Sprechers in 12 Ovr dv fiv}]oaifU]v ovr' ev XoyoJi ävdga nßei/iap', das man freilich schon dem Archilochos conce- diren muß. Dieser formelhafte Charakter, den man gerade einem lakonischen Dichter gern zutraut, verstärkt sich, wenn, wie wir nun annehmen müssen, in beiden Gedichten die didaktische Anrede an die Hopliten und Gymneten den Schluß bildete — denn daß mit 11, 35/36 das Gedicht zu Ende war, scheint mir ebenso sicher, wie daß es mit dVA dagodre begann. Wir haben da eine kanon- artige Didaxe, die der Lakone vielleicht schon von einem seiner ionischen Vorgänger übernommen hat, dem der in seiner Heimat nicht mehr gebräuchliche Riesenschild Anlaß zu den signifikanten Versen bot. Diesen feststehenden Versen schickte er nach Bedarf die aus der Situation geborene Paraenese vorauf. Diese ihrerseits besteht aus dem allgemeinen Aufruf — 'kämpft tapfer, flieht nicht': dieser Gedanke ist gegeben und wird nur im Ausdruck, kaum noch in der Form variirt — und einer speciellen Mahnung, wie in 10 B. oder einer speciellen Begründung, wie in 11. Nur in diesem Teile liegt das eigenthch individuelle oder besser das aktuelle Element der betreffenden Elegie. In dieser Partie hat in anderen Elegien einst die paradeigmatische Berufung auf König Theopomp, die Schilderung, wie völlig die tapferen Großväter die Messenier ge- knechtet hatten, der Hinweis auf die eine Flucht hindernden Gräben und vielleicht noch manches andere gestanden, wovon uns keine Spur geblieben ist. Allzuviel war es schwerlich, wenn wir nach der Überlieferung des messenischen Aufstandes urteilen dürfen. Doch wissen wir nicht, wie genau Kallisthenes das Buch auf histo- rische Judicien durchgearbeitet hat und ob er mehr nahm, als was in die Augen sprang. Nach ihm hat es ja kaum noch jemand an- 30 F. JACOBY gesehen. Natürlicli will ich nicht bestreiten, daß 10 B von einem anderen Dichter stammen könnte als 11. Ein solches Stück ver- trug eine Wiederholung, wälirend die Paraenese, solange sie lebendig war. je nach den Umständen sich modelte. Aber für wahrschein- lich halte ich es nicht, weil auch dieses Gedicht wegen des v, 25 keinesfalls auch nur ins 6. Jahrhundert hinabgedrückt werden kann. Mir scheint vielmehr eine solche Übung der aus lonien oder viel- mehr von einem ionischen Dichter in Sparta übernommenen Form dem specifisch sparliatischen Wesen ganz angemessen. Diesem Wesen schreibe ich auch — mit der gebührenden Vorsicht, da von der ionischen Kriegspoesie ja nur ganz dürftige Reste erhalten sind und aucli vom echten Tyrtaios nicht gerade viel da ist — die aus- schließlich praktische Gestaltung der Paraenese zu. Dem lakoni- schen Dichter fehlt, was doch schon die homerischen Mahnreden zeigen, die Verwendung allgemeiner Gedanken, die den Mann zum tapferen Kampfe bestimmen sollen: die Ehre als abstrakter Begriff, wie sie doch schon in Kallinos rijuTjev xe ydg ion erscheint; Argumente, die der lonier aus der Spekulation über die Ungewiß- heit des menschlichen Lebens zieht — davarog Öe tot' eoGexat, OTTTiöre y.ev ö)/ Moloai enixldbacooi und ov yoLQ y.u>g ^dvaiov ye q^vysTv eijuagjiievov eoriv — , selbst die Erinnerung an den Nach- ruhm. Er wirtschaftet ausschließlich mit Argumenten ad hominem Ratschlägen oder Feststellungen, wie sie dem Krieger leicht ein- gehen : es sieht nicht hübsch aus, wenn die alten Leute, die nicht mehr so schnell laufen können, erschlagen daliegen; ihr seid kriegs- erfahrene Leute, also müßt ihr wissen, daß die Flucht euch nur schadet. Denn ein Fliehender ist leichter zu treffen ; der Zusammenhalt sichert jeden einzelnen usf. Diese praktische Gestaltung der übri- gens, soweit wir sehen, sehr aktuellen Paraenese scheint mir cha- rakteristischer für Tyrtaios, als der gewöhnlich hervorgehobene Mangel an Individualität. Ich bezweifle, daß diese Individuahtät in der ionischen Kriegsparaenese gar so stark war. Sie wnrd da durch die Bevorzugung allgemeiner Gedanken stark eingeschränkt. Diese allgemeinen, meist schon aus den Reden des Epos stammen- den Gedanken, die immer wieder erscheinen, verleihen der ionischen Elegie, soweit wir sie kennen, jedenfalls einen viel weniger aktuellen Charakter. Man hat bei ihnen vielmehr das Gefühl, daß sie überall und zu jeder Zeit passen. Das gilt schon für Kallinos 1; aber es gilt nicht für Tyrtaios 10 B und 11. Und ein Beispiel, wie sehr zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 31 diese ionische Kriegspoesie bestimmte schemalische Formen an- genommen liat, liefert uns gerade die letzte große unter Tyrtaios' Namen laufende Elegie. 12. Auch über diese El, 12 Ovi' äy /(yi]oaii(7jr kann ich Wila- mowitz' Auffassung nicht ganz teilen, ohne andrerseits die unüber- legten Widerlegungsversuche Sitzlers und Montis auch nur in einem Punkte mitzumachen, für die das Gedicht wieder Tyrtaios und 7. Jahrhundert ist. Alle Verleidiger des alten Ursprungs, von Weil Etudes 199 angefangen, haben ihren Blick einseitig auf die lange Reihe der nagadeiy/iara 3 — 10 gerichtet, die als solche natürlich auch in einem alten Gedicht möglich ist ^), statt auf den ganzen Aufbau des Gedichtes, der so überlegt, so bewußt symmetrisch ist, daß Wilamowitz gewiß das Richtige getroffen liat, wenn er die Elegie jetzt 'erst der Sophistenzeit' zutraut-). Ihr Dichter ist auch nicht 'der Sänger, dessen Beruf es ist, yJJa avögcöv zu feiern'-"'), sondern der ethische Denker, der auch in poetischer Form sich geradezu ein Thema stellt und es in klarer Gliederung der Ge- danken abhandelt. Ein Kritias oder ein Sophist, der sich, wie Hippias, Euenos u. a., auf seine Beherrschung auch der poetischen Form etwas zugute tat, könnte solche Elegie geschrieben haben; nie und nimmer der Dichter von 10 B und 11, auch kein lonier des 7. Jahrhunderts. 1) Man vergleicht gewöhnlich / 379 ff. und E Sil S.; vrarum ge- rade diese beiden Stellen, ist nicht recht einzusehen, zumal die formale Gestaltung anders ist. Die Aufzählung- wird da durch Wiederaufnahme des Eingangs abgeschlossen. Legt man auf die Aufzählung besonderen Wert, so kann man noch manches andere, wie die Reihe der jranaögiy- iiura für T/.f]vo.i £" 382 ff., heranziehen. Will man den 'rhetorischen' Cha- rakter der Partie beweisen, so kann man Dutzende von Stellen anführen, schon aus sehr alten Teilen. Bewiesen wird mit den Analogien für unsere Frage nichts. 2) Sappho u. Simon. 2.''i7, L Textgesch. 115 rühmte er die 'Leich- tigkeit und Elcgjinz', so daß er 'nicht wagen würde, das Gedicht selbst einem Selon zuzutrauen'. Das Lob würde ich nicht hoch werten. Man kann gern zugeben, daß Selon allmählich Fortschritte in der für Athen neuen Kunst gemacht hat, Gedanken poetisch auszudrücken. Aber Leich- tigkeit und Eleganz sind die Eigenschaften, an die man bei seinen Ge- dichten am letzten denkt. •S) Reitzenstein , Epigr. u. Skol. 4ß, 2, der von den vv. 3 — 10 einen kaum berechtigten Gebrauch macht. 32 F. JACOBY Der erste Teil un:ifaf3t die vv. 1 — 14. Es ist die Propositio, die Thernastellung. In der Form der ovyxQioig werden die Vor- züge {aQetai) aufgezählt, die ein Mensch besitzen kann, und alle für gering erklärt gegenüber der &ovQig älxrj. Deutlich schließt dieser Teil mit der Behauptung, die der Dichter beweisen will: 13 ijd^ ägex/], Tod' äe§Xov iv äv&Qomoioiv ägiorov xdVuoTO}' T£ (peqeiv yiyverai dvögl vecoi. Und deutlich nimmt darauf der Schlufs des Gedichtes Bezug, nach- dem der Beweis geführt ist: 43 Taj'r»;?' vv7' rig ävi]Q doeTfjg dg äxgov Ixeo&ai Tieigdo'&a) -d^v/uwi, jur] jueß^islg noXifxov. 14—42 führen den Beweis für den Satz 'von allen dgerai ist krie- gerische Tüchtigkeit für den Mann die beste". Er beginnt mit der allgemeinen Aufstellung (15 — 22), daß ein Mann, der diese dgeiTJ besitzt, ein Schatz für die ganze Stadt ist — v. 15 ist zu- sammengesetzt aus 77 262 ^vvbv de xaxbv tioIeeogl Tc&ecoi und r 50 Tiargi re ocbi jueya Jitj/ua noXrji rs Tidvxi ze d'^jucoi. Dabei wird zuerst Wesen und Benehmen eines solchen Mannes ausführ- lich im Relativsatz (16 — 19) geschildert, dann erst die Leistungen angegeben (21 — 22), die ihn zu einem ivvöv dya&öv machen. Mit dem Flickpentameter 20, der im Ausdruck mit 10 genau cor- respondirt, hilft sich der Dichter auf das zurück, was er eigentlich sagen wollte. Daran schließt, wie die Stadt sich zu einem solchen Manne stellt (23 — 42), wieder zweigeteilt; wenn er selbst im Kampfe fällt (23-34) und wenn er am Leben bleibt (35—42). Den Eingang avTÖg ö' iv Jigofid^oioi Tieochv 23 hat Bergk mit der leichten Änderung ög (5' am hergestellt. Wäre sie nicht so leicht, würde ich diesem Dichter wohl die Gedankenlosigkeit zutrauen, daß er im Stil und mit den Ausdrücken der Grab- epigramme — diesen Stil erkannte schon Schwartz — den Tod fürs Vaterland priese und dann doch die Möglichkeit eI de (pvytji juev xfjga anschlösse. Die Grabepigramme können sie natürlich nicht beachten; aber mindestens seit Kallinos, der auch darin dem Epos folgt, ist die Aufstellung der beiden Eventualitäten in der kriegerischen Paraenese üblich; und seit Kallinos — oder vielmehr seit der Hektorrede im O — steht der Tod an erster Stelle in breiterer Ausführung, wird die Möglichkeit des Überlebens gleich- sam anhangsweise behandelt. Horaz trifft das Wesen dieser Par- zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 38 aenese, wenn er überhaupt nur den Tod fürs Vaterland nennt: dulce et decorumst -pro patria mori. Auf den ersten Blick scheint dieser symmetrische Aufbau, scheinen vor allem die auffällig angebrachten Correspondenzen (10 o3 20; 13/14 OS 43/44) allerdings das Urteil zu bestätigen, dali diese Elegie 'in ihrer Geschlossenheit und Vollendung keinen Ge- danken an Überarbeitung gestattet'. Tatsächlich liegt die Sache auch anders, als in 10 B oder 11, wo wir durch Absonderung der jüngeren Parallelfassungen und durch Aussonderung von ein paar törichten Interpolationen ohne große Mühe den alten Gontext wieder- gewinnen. Das Verhältnis von alten und jungen Partien in dieser Elegie ist complicirter und vielleicht überhaupt nicht nur auf eine Weise zu erklären. Beginnen wir mit dem Schlußteile 23 — 42, in dessen zweiter, vielbehandelter Versgruppe 35—42 anerkanntermaßen nicht alles in Ordnung ist. Über die Wiederherstellung des Ursprünglichen hat man sich allerdings nicht einigen können^). Ich schreibe die Verse so hin, daß die einfachste, meines Wissens bisher nicht beachtete Möglichkeit heraustritt, die Annahme dreier Fassungen der Apodosis: 35 et de (pvyi]i [xhv xrJQa TavijXeyeog '&avdroio vixrjoaq d' aixjurjg dykaov sv^og s'Xrji, I 37 jcdvieg juiv rijucooiv öjucög veoi fjde naXaioi, TioXld de xeQTivä jia&cov egy^erai elg 'Aidrjv. II 39 y7]Qdoxcov [ö'] doxoloi [.lerangenei ovöe rig avxbv ßkameiv ovx' alöovg ovre öixijg e&eXei. III 41 jidvTeg [d'] iv ^coxoioiv ojucog veoi oi re xar' avxbv eixovo' ex xcbQi]g ol re Tiakaioxegoi. Die Fassung I benutzt einen Pentameterschluß des Mimnermos (2, 14 IjueiQCOv xaxd yrjg eQyexai elg 'Aiöijv, danach Theogn. 726). daneben vielleicht einen Vers des Archilochos (8, 2 ovöeig dv fxdXa noll^ l/ueQoevxa nddoi), während der Hexameterschluß aus Homer stammt (IL £"108. Od. a 395. ß 293. d 720. § 58). Daß sie dem Sinne nach keine Fortführung erlaubt, ist ebenso klar, wie daß sie 1) Thiersch ordnete nm: 37/38. 41/42. 39/40. Francke sonderte 39/42 mit dem Schlußdistichon 4.3/44 zusammen aus. Schneidewin und Wilamowitz strichen 37/38. Schwartz 464, 2 hielt die Stelle für 'stark zerstört durch Dittographien' und gab versuchsweise nävtsg fuv zi/xwoiv 6fiü>g veoi Ol TS xaz' avzov X^^QV? ^' ei'xovatv roTg xe TiaXaiorsQoig yrjQäoxcor dazoiot fiszayiQsjiEi ovös zig — s^eXei. Andere anderes. Hermes LIII. 3 34 r. JACOBY die älteste ist. Daß ihr veoi f]de naXaioi correspondirt mit dem %>eoi rjde yeQOvreg v. 27, scheint noch besonders für Zugehörigkeit zu der Elegie zu sprechen, die solche Gorrespondenzen liebt (10 OD 20. 16 rss 23). II. III setzen sie voraus, indem sie das knappe xegjivä nad^eiv in den Einzelheiten ausführen. III ist zudem noch im Wortlaut von ihr abhängig. Sinn, Ort und Zeit von II, in der Schwartz 464, 2 einen spartanischen Zug findet — 'nach Aristo- teles und Xenophon ist die Aufnahme in die Gerusie ädXov Trjq aQETTJg, die Geronten sind ävev&vvoi" — , eröffnet die Klage der Marathonomachen (Aristoph. Ach. 676 ff.): Ol yeQOvreg oi nalmol juejU(p6jueo&a rrjt JioXei. ov ydg ä^icog exeivcov u>v ivavjLia/jjoajuev yy]QoßooHOVjueo&' vgp' vjucbv, dXXd deivd Jidoxojuev, oi' Tiveg yeQOvrag ävdgag ijußd?,ovreg ig ygacpdg vjid veavioHOJV eäre xazayeXdod^ai g^jJOQCov. Ihnen gegenüber, die nichts mehr sehen ei ju)] xrjg dinf]g irjv i]lvyy]v, läßt man es an der gebührenden Achtung fehlen, verküm- mert ihnen ihr Recht. Aixr] und aldcbg gehören zusammen, wie bei Hesiod. "'Egy. 192 ff. dixi'} (5' ev xegol, xal aiöwg ovx eozai' ßXdxj'ei (5' 6 xay.og zöv dgeiova cpwxa juv&oioiv oxoXuolo' evencov, ejii <5' oQxov djuehai (vgl. Plat. Leg. XII 943 D). Die Frage ist nun, ob II und III zusammengehören. Legt man den strengsten Maß- stab an, so schließen sie sich aus. Nicht nur, daß jede Fassung — auch II im Lichte der Aristophanischen Klage — für sich stehen kann, III gewinnt eigentlich erst rechten Sinn, wenn ganz allgemein der tapfere Mann, nicht nur der y}]Qdoxcov diese Ehren genießt. Besonders die TtaXaiöregoi sind neben oder nach dem. yi]Qdoxcüv überflüssig. Auch daß beide Hexameter auf das gleiche Wort ausgehen, macht bedenklich. Andrerseits sind beide Fassun- gen mit de in den Text eingearbeitet, scheinen nicht bestimmt, die Fassung I zu ersetzen, was der Zweck der jüngeren Fassungen von EI. 11 ist, die die allen Verse den modernen Verhältnissen oder die lakonischen Gedichte den Zuständen anderer Städte an- passen wollen. Danach wäre es doch nicht unmöglich, daß wir sie nicht als fälschlich in den Text geratene Parallelen oder als Doppelfassungen zu betrachten haben, sondern als beabsichtigte Erweiterung und Eindichtung in die berühmte Elegie. Der Inter- polator war gerade kein Meisler, aber er machte immerhin sehr viel bessere Verse, als die Rhapsoden, die in 10 B und 11 ihr Wesen Zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 35 getrieben haben. Daß Theognis 933.8 zu keiner Entscheidung ver- hilft, will ich ausdrücklich bemerken. Er hat die Elegie genau so gelesen, wie Stobaeus sie gibt. Nur hat er die drei Distichen zu zweien verkürzt, was für seinen Zweck mehr als ausreichend war, indem er II ganz aufnahm, I und III zusammenarbeitete. Das hat die Kritiker merkwürdigerweise irregeführt. Schließlich gibt es noch eine dritte Möglichkeit, sich mit den drei Distichen abzufinden. Aber dazu müssen wir erst weitergehen. Eine Doppelfassung — um zunächst diesen bequemen Aus- druck beizubehalten — liegt auch in der ersten Versgruppe des Schlußleiles vor. 27 Tov <$' öXocpvQOvrai /uev oficog veoi i)de yegovTeg, ägyalewi re Jiodcoi Jiäoa yJxijöe 7i6)dg ' I 29 y.al TVjiißog y.al Jialdeg ev ävdgcojioig äoio}]juoi xal Jiaidcov Jialösg y.al yevog e^omoco. II 31 ovde noze xXeog eod^Xöv äjiSllvrai ovo' övoju^ avzov, dXX' vno yijg neg icav yiyvexai äd^dvarog, 33 övTiv' aQiOTEVovra juevovrd re jLiaQvdjiievov re yfjg TiEQi y.al naidcov ß'ovQog "AQf]g dleorji. Weil hatte früher 31 — 34 als Interpolation aus einer anderen Elegie gestrichen. In der Tat ist I so vollständig und abge- schlossen wie die Fassung I der eben besprochenen Gruppe. Ihr Pentameter stammt hier aus Solon (13, 32 ?/ jialÖeg Tomcov fj yevog e^omooi), der Hexameterschluß dort wie hier aus Homer (II. B 789. 7 35. Od. jt 198). Der gleiche Dichter wie für 37/38 ist evident. Eine Fortführung erlaubt die Fassung im Grunde sowenig wie das egyerat ig 'Aidtp. Es ist ja alles gesagt, was dem Gefallenen bleibt: das sehnsüchtige Andenken bei den Mit- bürgern, das ehrenvolle Grab, das Ansehen seines Geschlechtes, dieser schon im Epos typisch gewordene Impuls zum tapferen Kampfe. Die Form ist so knapp, wie die der anderen Even- tualität, und inhaltlich macht das keinen ganz jungen Eindruck. Was in II steht, schließt sich im Ausdruck ganz besonders eng an Grabepigramme schon der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts an. Das zweite Distichon 33,34 sagt in diesen Ausdrücken noch einmal, was schon 23/24 in dem ersten Distichon dieses ganzen Abschnittes steht. Maßgebend ist offenbar der Wunsch, wie dort vom Lebenden, so hier vom Toten mehr zu sagen. Es geschieht mit dem bekannten Oxymoron der Grabepigramme und Leichen- 3* 36 F. JACOBT reden, in dem eine jüngere Auffassung zutage tritt, als in dem Tvjiißog: äQio)]/uog. Nun sieht das hier noch weniger als in der Versgruppe 37 — 42 nach einer Parallelfassung aus, die vom Rande in den Text gekommen ist. Aber auch eine Erweiterung des be- rühmten Gedichtes, an die man bei den vv. 39 — 42 denken konnte, bezweifle ich hier. Denn die in der Fassung II auffällig stark auf- tretende Formelsprache der Grabepigramme auf gefallene Krieger tritt auch in dem Distichon 23i24 zutage, das doch zum Grund- stock der Elegie gehört: og (3' am' ev jzgojudyoioi tteocov cpilov wkeoe ^v/xör äoxv re y.al Xaovg y.al Tiareg' evxXeioaq. Es genüge, für den Ausdruck £vx?.etoag auf Kaibel 21, 10. 26, 4 (a. 446 a. Chr.) hinzuweisen, und auch das nur, weil hier das Homerische ye xev avrcöi öXeo&ai ivxXeiwg tiqo noXrjog (XllO) die Entwicklung zeigt. Im übrigen läßt sich jede Formel dieses Distichons wie der vv. 31/34 dutzendfach aus den Inschriften be- legen. Gibt man zu, daß eigentlich weder 29/30 noch 37/38 eine Fortsetzung zulassen, weil sie das letzte sagen, was überhaupt ge- sagt werden kann — Nachkommen des gefallenen und Tod des überlebenden Kriegers — , sieht man andrerseits, daß die Fort- setzungen in der Ausdrucksweise (31/34) auf das 5. Jahrhundert, in den Gedanken (39^40) auf dessen letztes Viertel führen, daß der Ver- fasser wenigstens der ersten aus demselben Kreise von Gedanken schöpft, wie der Verfasser der Elegie selbst, so tritt jene dritte Mög- lichkeit ein, die ich oben erst andeuten konnte: nicht Erweiterungen des berühmten Gedichtes liegen uns in den Versgruppen 31/34 und 39/42 vor, sondern der Verfasser von Ovx av juvtjoaijurjv hat für seine Dichtung ältere Stücke benutzt, die er im Geiste seiner Zeit und mit Formeln, die das Grabepigramm des 5. Jahrhunderts liebt, erweitert. Daß das wirklich der Fall war, wird uns nun der Eingang des Gedichtes zeigen, den ich so abdrucke, daß das Resultat ohne wei- teres herausspringt: 1 Oür' äv juvtjoaijurjv ovx' ev Xoyooi avöga ri&eijurjv ov TE Jioöcbv aQerfjg ov te naXaijuoovvrjg, 3 ov8' et Kv)t).u)7iu)v f.iev k'yot fieys&og te ßüjv re, vixcöit] 8k {Hcüv ÖQi]ixiov Bogsrjv, 5 ov8' El TidcovoZo (pv7]v yaQiEOXEQog eit], nXovTolr} Se MiSeo) xal Kivvqeco fidXcov, zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 37 7 ov8' sl TavraUSeoi IJeXo:rog ßaaiXevreoog eI'tj, yXojoaar 6' 'Jögi'jatoi' /UEi?.c/öyr]gvv i^oi, 9 ovo' et jiäaav e^^^ Sö^av nXrjv dovQi8og aXxfjg. ov yag ävfjo dya&og yiyvszai iv jto?.eficoi, 11 El jid] zEjXah] juev oqcöv (povov al/uaxöevra xal di]icov OQeyoir' iyyv^ev loiajuevog. 13 rj8' aoETt), x66' aE&Xov iv dvÜQCOJioiaiv ägioiov xäXXiozöv TB cpEOEiv yiyvEzai dvdgl vecoi. So wie das dasteht, schließt der erste Gedanke mit v. 9; und mit V. 10 beginnt die Begründung, die freihch nur in den:i recht ba- nalen Gedanken besteht, daß der kein wackerer Mann ist, der kein Blut sehen kann. Wir müssen den zwar nicht unerhörten, aber sehr seltenen — selbst v. 19/20 liegt es etwas anders — Satz- und Gedankenschluß am Hexameterende in Kauf nehmen. Denn weder ist v. 9 als Parenthese (Bach) möglich, noch kann man mit Conjecturen (Härtung) oder Paraphrasen (Weil) helfen. Die Con- struction ist ganz klar und in Ordnung^). So ungern man darauf verzichtet, 11 — 12 als Apodosis zu 1 — 9 zu fassen, es ist das ja schon durch nXy^v '&ovQidog äXxfjg v. 9 ausgeschlossen, Worte, die den Inhalt von 11/12 vorwegnehmen. Nun fällt innerhalb des ersten Satzes formell der Gonstructionswechsel auf, der Übergang von den freien Genitiven v. 2 zu der Aufzählung weiterer Eigen- schaften mit ovo' et. Ein solcher Wechsel ist nicht unmöglich. Auch gegen die Aufzählung ist, zumal in einem jungen Gedicht, nichts zu sagen. Hervorgehoben sein mag in ihr neben dem aller- dings ganz unsicheren ionischen judhov^) das späte näoav do'^av 1) Wenn Weil, Rh. Mus. XVII erklärt, v. llfi". hingen zwar gram- matisch, aber 'nicht dem Sinne' nach an v. 10; wenn Wilamowitz den Vers in seiner allerdings ganz knappen Paraphrase überspringt, so be- weist das eben, daß er stört. Wir erwarten einen Abschluß der Aufzäh- lung, wie in den verglichenen Iliasstellen (S. 31 A. 1). Einen solchen Ab- schluß bieten 11/12. Aber man kann nicht verbinden, weil 9/10 da- zwischen stehen, die man auch nicht auswerfen kann. Für mich ist dies der eigentlich entscheidende Grund, in 3— 10 Erweiterung des alten Contextes zu sehen. Die Construction verrät das Verfahren. Für die meisten wird das Verhältnis von 2 zu 3/4 überzeugender sein. 2) überliefert ist xivvqeoio /huXXmv. Camerarius' ßd&ior ist genau so gut und. wird durch [xäXXov ebenso erklärt wie fzdXiov, das in diesem modernen Gedicht befremdet. Für Monti beweist die ''recchia forma dorica inäXiov' lakonischen Ursprung des Gedichts. Dabei hält er den Vers, in dem sie steht, für interpolirt. Billigen wir ihm also einen 'Druckfehler' zu. 38 F. JACOBY f^X^tv und die Wahl der Paradeigmala , die Midas neben Heroen stellt und mit Kinyras (II. Ä 20 ff. Find. Nem. VIII 18) und Adrastos (Plat. Phaidr. 269 A denkt sicher an unsere Elegie; Theogn. 714 hat den gewöhnlichen Vertreter der Rede, Nestor) nicht gerade Ge- wöhnliches gibt. Es sind durchweg Namen, die dem lonier näher liegen, als einem Dichter des Mutlerlandes. Sachlich aber bietet die mit dem Constructionswechsel einsetzende Aufzählung den starken und nun wohl entscheidenden Anstoß, daß die ovo' ei- Reihe die athletische Tüchtigkeit zum zweiten Male bringt: viycoü] &ecjüv V. 4 wiederholt geradezu jtoÖmv ägezif] v. 2. Das erste Di- stichon und die folgenden sind nicht in einem Zuge geschrieben, stammen nicht von demselben Dichter — der Schluß scheint mir danach geboten. Wer sich dem damit entzieht — es ist wirklich geschehen — , daß er die Kyklopen zur jiaXai/noovvi] in Beziehung bringt als Muster der Ringkunst, der möge erklären, warum nur diese beiden dgerai einmal einfach und einmal paradeigmatisch be- legt genannt werden. Oder mit anderen Worten, warum dann nicht nur die Athletik, sondern auch Schönheit, Reichtum, Bered- samkeit aufgeführt werden ; warum der Dichter sich den Gegensatz Athletik — kriegerische Tüchtigkeit, den viele hier finden wollten, weil Xenophanes 2 einen analogen Gegensatz breit ausführt, selbst durch dazu nicht Passendes verdirbt^). Hier ist es nun ganz deutlich, daß von Interpolationen oder Erweiterung der Elegie Ovx' äv fxvrjoaifxrjv, für die man etwa den Verfasser von 31^34 und 39/42 verantwortlich machen könnte, nicht die Rede sein kann. Denn an der langen Aufzählung hängt das Distichon 13/14, das als Abschluß des ersten Teiles der großen Elegie geschaffen ist; und an 13/14 hängt die aufnehmende Fort- setzung 15/16 mit dem Beweis für diesen Satz und greift 43/44 der Schluß des zweiten Teiles zurück; d. h. die ganze Elegie hängt daran. Wenn hier erweitert ist, dann ist eben der Dichter unserer Elegie der Übeltäter. Es liegt vor Augen, daß er es war, der den alten Zusammenhang der Distichen 1/2 und 11/12 durch die ovo' ««'-Reihe gesprengt hat. Wie schön und kräftig dieser Zusammen- hang war mit der allen noboiv äQEXTq, dem T)S]vaL und dem cpovog aijuaToeig und dem an die alte Weise des Kampfes erinnernden. 1) Eine halbrichtige Empfindung hatte Francke, der 5 10 strich. Monti verschiebt das auf 3 — 8. Daß damit Tiäoat' dö^av 9 jeden Sinn verliert, bemerkt er nicht. zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 3!» aber doch wohl nur Homerischen eyyvdev iorajuevog, bedarf keiner Ausführung. Was ihm vorlag, war ein Gedicht, das gewiß nicht von dem alten lakonischen Verfasser von 10 B imd 11 stammt — das 'ich' des v. 1 paßt für den nicht — , das aber auch nicht ganz jung war. Spätestens Simonideische Zeit und ionischer Ursprung sind wahrscheinlich. Xenophanes kann es schon gekannt haben, als er den Gegensatz q(6/x}] — oocpirj einführte und den schönen Eingang zur Polemik gegen die sportliche Athletik umbog. Er hat in verschwenderischer Fülle die unnachahmliche knappe Aus- drucksweise des ersten Distichons erweitert zu dem Vollbild aller sportlichen Betätigungen, denen er seine oocpirj gegenüberstellt. Da- gegen bleibt es zweifelhaft, ob der Tlieognideer 699/718 in Be- ziehung zu unserer Elegie steht. Seine ovo' £t-Reihe brauchte er nicht hieraus zu nehmen; die Beispiele sind andere und das eine von ihnen ist nach einem bekannten Princip breit ausgeführt, wäh- rend unser Dichter, seinem Streben nach Symmetrie folgend, jedem Beispiel einen Vers widmet, wie es in dieser Form auch in den epischen Aufzählungen nicht üblich ist. Dadurch, daß der Dichter den Eingang eines alten Gedichtes benutzt und durch die Aufzählung erweitert hat, sah er sich zu dem Abschluß in v. 9 veranlaßt, und dieser Abschluß zwang ihn wieder zu dem neuen, begründenden Anheben in v. 10. Nötig und geschickt ist dieser Abschluß nicht. Es hat seinen guten Grund, daß an dem Distichon 9/10 so oft Anstoß genommen worden ist. Man hätte es sicher ohne weiteres entfernt, wenn nicht der corre- spondirende v. 20 den Pentameter gesichert hätte. Naturgemäß aber wird man, nachdem das Sachverhältnis für den Eingang fest- gestellt ist, fragen, ob das Gedicht, aus dem 1/2 und 3/4 stammen, im folgenden weiter benutzt ist. Ich möchte das bejahen. Viel- leicht ist es mehr subjektiver Eindruck; aber ich empfinde die Schilderung des Mannes, der 16 diaßdg ev jiQOjudxoioi jUEVt]i vcüXejLiecog, aio^gäg de (pvyf]g im ndyyy Xddt]rai, ipvxi]v y-OLi dvfiov rXijjuova Ttag&ejuevog, 19 '&aQOvv7]i ö' EJieoiv xdv nlrjolov ävöga Ttageozcog im Ausdruck wie in der Vorstellung von den Pflichten des guten Kriegers als archaisch. vcoXejuecog und öiaßaivEiv braucht der echte Tyrtaios nach dem Epos (5, 5. 11, 21) — namentlich das erste Wort kommt überhaupt nur im Epos und bei ihm vor; an 40 F. JACOBY ihn (10 B 15 — 16; ll,llff.) erinnern Inhalt und Ausdruck, der hier entscheidet. Denn die ngöjuaxoi kommen auch im Grab- epigramm vor; der Roltenkamerad , der jiaQaordTrjg aji äv oioi- X^oco, im attischen Soldateneid; und das ^agovveiv hat natürlich auch in der festen Schlachtordnung seinen Wert nicht verloren (Xenoph. Anab. III 1, 44). Wieder hat die Aufnahme der altertüm- lichen Verse, wenn auch in etwas anderer Weise, zum Abschluß des Gedankens am Hexameterende geführt; denn erst dadurch, daß unser Dichter die alte Partie, die das Benehmen des tapferen Mannes schilderte, in seine Elegie aufnahm, wird der Abschluß des Ge- dankens durch V. 20 zwar nicht unbedingt nötig, aber hier doch wünschenswert. Das Verfahren ist ganz das gleiche wie in der Partie 1 — 14. Nun ist es gewiß möglich, daß der Verfasser von Ovt' äv juvrjoaijufjv, der Solon (v. 30), Mimnermos und Archi- lochos (v. 38) zu benutzen schien, der die Distichen 1/2 und 11/12 einem älteren ionischen Gedicht entnimmt, auch ein Stück des echten Tyrtaios benutzt hat. Näher liegt es aber meines Erachtens, alles dies auf seine Vorlage zu schieben. Das ionische Mahngedicht, das im Anfang benutzt ist, liefert die Schilderung, wie der schätzenswerte Mann, der rezXair] ögcöv cpovov aljuaröevTa, sich im Kampfe be- nimmt, wie er selbst kämpft und den anderen den Mut stärkt. Eine solche Schilderung konnte nach einem Anfang, wie ihn 1/2. 11|12 geben, kaum fehlen. Ob es diese Schilderung mit den Farben des Tyrtaios gab, ob es vielmehr abhängig ist von den alten Gedichten, die auch Tyrtaios' Kunst erzeugt haben, das läßt sich nicht sicher entscheiden. Wir besitzen ja von der alten krie- gerischen Elegie nichts als Kallinos 1 ; und da ist gerade der Teil, den wir hier suchen, ausgefallen. Daß er dagestanden hat, zeigt der Pentameter xai ng äjzo^v/joy.cov vozar äxovxiodxoi. Wir können den Inhalt der Lücke jetzt näher bestimmen. Dieser Penta- meter kann nur eine solche Schilderung abgeschlossen haben. So glaube ich, werden wir uns für die zweite Möglichkeit entscheiden. Und dann dürfen wir auch weitergehen. Auf die Schilderung des tapferen Mannes und seines Verhaltens im Kampfe folgt bei Kal- linos erst die Begründung, was zu diesem tapferen Kampfe treiben soll — die Ehre, die Ungewißheit der Todesstunde, die Unentrinn- barkeit des Todes — ; dann der Lohn des Tapferen, wenn er fällt und wenn er überlebt. Die Argumentation konnte der Verfasser des älteren Gedichtes Ovz' äv ixvYioaifxrjv nicht brauchen. Er hatte zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 41 sie vorweggenommen in der subjektiv gestalteten Erklärung, mit der er beginnt. Aber den Lohn des Tapferen stellt auch er dar, in den Gedanken nicht viel anders als Kallinos, aber ausführlicher und in einer mehr symmetrischen Ausführung, die der alte Dichter noch nicht versteht. Es sind die Distichen 23 — 28 und 35 — 38, denen wir die sicheren Erweiterungen schon abgestreift haben, die für sich einen schönen und wirksamen Zusammenhang ergeben. Es war der Schiufa des alten Gedichtes, den der Verfasser unserer Elegie in seinen beiden Teilen verbreitert hat, wie er den Anfang durch die Aufzählung der doerai verbreiterte. Gewiß wird er auch hier im einzelnen noch manches geändert haben, vor allem in den Über- gangsdistichen. So zeigte v. 24 die Terminologie des Grabepigramms, ohne daß man behaupten mochte, daß der Vers in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts nicht hätte geschrieben sein können ; und 25/26 kann neben dem für sich Genügenden ev jiQojuaxoioi Tieocüv Erweiterung unseres Dichters sein. Immerhin scheinen Schluß und Anfang des ionischen Gedichtes, wenn auch mit einem verschiedenen Grade von Sicherheit, herstellbar. Aus der Mitte ist nur eine Versgruppe erhalten. Hier hat die vor allem durch die Erweiterung des Einganges bedingte Arbeit unseres Dichters ein- gesetzt, dessen Wesen und Ziel jetzt klar wird. So stellt sich gerade die El. 12 wirklich als Bearbeitung eines älteren Gedichtes heraus, aber nicht einer Elegie des lakonischen Dichters, sondern eines vermutlich ionischen, dessen Art noch gut kenntlich ist. Er ist ein Nachfolger der kriegerischen Elegie des Kallinos, dessen Schema er mit Freiheit behandelt hat. Er kennt auch Atchilochos, Mimnermos, Solon. Was er gab, stand künstle- risch recht hoch, macht aber schon den Eindruck einer allgemeinen Paraenese. Ich gebe, um das zu beweisen, im Zusammenhang, was diesem alten Gedicht wenigstens dem Gedanken nach ange- hört, und bitte, das mit Kallinos zu vergleichen. Die Unterschiede wie die Übereinstimmungen ergeben sich dann von selbst. 1 Ovt' av /i7'r]oaijnrjv ovt iv Xoycoi uvdga Ti&eif.ir]v ov re Jioöwv äQeTrjg ov re JiaXaijuoovp}]^, 11 ei juij rerXahj juev oqwv (povov aljuaxöevTa xal d7]i(ov OQeyoiT iyyvß'ev lorajuevog. * 16 öiaßäg ev jroojudxoioi juevrji 17 vcoXejuecog, aloyqäg öe qivytjg Im Tidyy^v Xdd^rjTm, 42 F. JACOBY y)vyj]v Hul dvjuöv Thjjuova ^lagde/uevog, 19 daQOVvfji ö' ETieoiv rov 7i?.ijoiov avöga nageoTchg * 23 t avrdg ö' ev ngofid^ioioi neocov cp'ilov ojXeoe dvjuöv äoxv T£ xal Xaovg xal TtaieQ' evxkeioag, 25 jio?dd öid oregroio xal äomdog o/ucpaXoeoorjg xal öid 'dwQyxog Jigöodev ih]?i.ajiiEvog. 27 rov d' oXocpVQOvxai juev öjuöjg veoi rjöh yEQortEg, dgyaXEcoi te tio&coi näoa xextjÖe noXig. 29 xal Tvjiißog xal jratdeg ev dvdocojioig dQio7]juoi xal Jiaidoiv jzaTdEg xal yivog E^omom. 35 eI Öe qjvyrji juev xrjga Tav}]}.£y£og -davaroio, vixijoag 6' alyjurjg dyXabv Evyog e?j]i, 37 TxdvjEg juiv Ti/iicöoiv öjiicög veoi fjök naXaioi, jioXld dk TEQTivd jia'&ojv EQ/Eiai Eig ^Aidrjv. Ich betone nochmals , daß wir nicht sicher sind , wieweit wir in dieser Schlußpartie den Wortlaut des älteren Gedichtes besitzen. Aber im ganzen zeigt der Zusammenhang, daß der Bearbeiter seiner Weise, ganze Stücke zu übernehmen, treu geblieben ist. Dieses ältere Gedicht ist für die Simonideische Zeit, auch für das 6. Jahrhundert gut möglich. Der Unterschied gegenüber dem echten Tyrtaios ist kaum geringer als in der Bearbeitung. Es ändert sich aber das Urteil über den Wert der uns erhaltenen Elegie. Die Bewunderung für dieses wortreiche Gedicht habe ich nie so recht verstanden. Sein Dichter ist formell nicht ungewandt; aber er ist breit und redselig, und er übertreibt die Symmetrie des Aufbaues. Das beste, was er hat, stammt aus dem älteren Gedicht; und wenn er auch im ganzen die Einarbeitung in seinen Zusammenhang glück- lich vollzogen hat, so sticht doch das alte Material immer noch von seiner Umgebung ab; und der Dichter verunglückt natur- gemäß da am meisten , wo er sich am engsten an diese Vorlage anschließt. Sein Mittel, correspondirende Verse zu verwenden, ist vielleicht beim flüchtigen Hören eindrucksvoll, erscheint aber bei näherer Betrachtung als recht billig. Charakteristisch für ihn ist der Gebrauch des Wortes dgEXi] und die Zuspitzung des Gedichtes darauf, durch die die Paraenese noch allgemeiner wird. Ob er mit den Schlußworten jui] juEßiEig noMi^iov eine aktuelle Bedeutung seines Gedichtes hat vortäuschen wollen oder auch wirklich sein zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 43 Gedicht zu einer besonderen Gelegenheit geschrieben hat, lasse icli dahingestellt. [Nachtrag.] Über den Namen TugraTog schreibt mir mein College Ernst Fränkel: „Über Tvgracog, Tvgrajuog, TvQoig habe ich nachgedacht und halte die Namen ganz entschieden für un- griechisch (kleinasiatisch). Zwar kommt das Suffix -aiog auch sonst, wenn auch nicht gerade häufig, bei der Bildung von grie- chischen Personennamen, mythischen und historischen, vor. Vgl. Fick - Bechtel , Personennamen 2 25. 301, die als Kurznamen Ev- q)Qaiog {Ev(pQayh7]g), Oealog {Oecxyevrjg), Tijuaiog (Tijuayevrjg) und das ja schon als Heroenname belegte 'AXxalog {'AXxa- fievrjg) und als von jeher einstämmige Namen die ursprünglichen 'Widmungsnamen' AvyaXog (zur Heroine Ävyr]), EiQi]va7og {El- Qrjvrj), 'Exaraiog {'Exdrrj), 'EoriaTog CEoxia) und mehrere schon mythische Namen derselben Kategorie auffülirlcn. Aber -ajuo- ist sicher ausschließlich bei ungriechischen, größtenteils kleinasiatischen Namen im Gebrauch; s. Kretschmer, Einleit. 322 ff, , der Beispiele aus Lykien, Pamphylien, Pisidien, Lykaonien, Lydien, Troas gibt, und besonders Fick, Vorgriech. Ortsnamen 100 ff. (namentlich 106), der speciell TvQjajuog in eine Gruppe mit Ilglajuog, Tia/xog, 'Ajuiavög (Lydien), IIjjQa/uog, üiyQajuog (Lykien) stellt und -a/tio- als 'pelasgisches' Suffix ansieht. Auch Tvgoig ist, wie er mit Recht S. 100 angibt, ungriechisch, wohl kleinasiatisch und hängt mit TvQ07]v6g (mit kleinasiatischem Suffix -avo-, -yvo-; vgl. de Saussure, Mission de Chartre en Gappadoce, Paris 1898, citirt von Meillet, Bull, de la societe de linguistique XVIII 174) zusammen. Die Tyrsener wären demnach ursprünglich 'Burgbewohner' gewesen. Es ist natürlich unrichtig, wenn Fick die Herkunft der Etrusker aus Kleinasien leugnet und meint, bloß wegen des Anklanges von Tursco an Tvqorjvog hätten die Griechen, als sie um 600 die Etrusker kennenlernten, diese mit dem ihnen aus dem Osten des Ägäischen Meeres und aus Kleinasien geläufigen Namen Tvgmjvof bezeichnet. Demnach halte ich auch TvQraiog für kleinasiatischen Ursprungs. Die literarischen Gonsequenzen daraus zu ziehen, ist natürlich nicht meine Aufgabe. — Auch Teurajuog, Vater des Larisaeers Arj&og {B 843 A})doio UeXaoyov Tsvrajuldao), Groß- vater der Larisaeer 'Innödoog und Uvkaiog (ebd. 842) und sonst Eigenname, enthält nach meiner Ansicht kleinasiatisches -a/xo- 44 F.JACOBY, ZU GRIECH. ELEGIKERN (s. auch Fick, Vorgr. Ortsn. 106). Prellwitz, K. Z. XLV 159 stellt Tevra/biog zusammen mit dem Namen des Eleers TevrianXog Thukyd. III 29 zu osk.-umbr. tonto, lit. tmifä, got. p'mäa 'Volk', indem er das zweite Element von TevTiaTiXog mit altnord. afl 'Kraft', 'Hilfe', vfjnehTv, ävi]jieh't] usw. identificirt und TevTianXog als 'Volksbeherrscher' (Diefrich), Tevra/iog, Tevra^uiag als Tevza- rafiiag usw. 'Volksverwalter' interpretirt. Doch sind das natürlich sehr fragliche Combinationen, die, auch wenn sie richtig sind, nicht für TvoTajuog usw. ins Gewicht fallen, da ja TEvrafiog, Tevrajuiag, Tevrajuidiig in diesem Falle gar kein Suffix -duo- enthalten, son- dern aus volleren Formen durch dissimilatorischen Silbenschwund hervorgegangen sein würden." Kiel -Kitzeberg (z. Z. Itzehoe). F. JAGOBY. HIPPIAS AUS ELIS. Die Darstellung der Lehre und Tätigkeit des Sophisten Hip- pias, wie sie zuletzt Gomperz in seinem Buche über Sophistik und Rhetorik gegeben hat, ist in mehreren Punkten der Ergänzung föhig. I. a) In den beiden Hippiasdialogen ist der Sophist bei der Schilderung seiner Tätigkeit und seiner Erfolge recht wortreich, bei der Erörterung abstrakter Dinge jedoch meistens sehr einsilbig und beschränkt sich auf einfache Bejahung oder Verneinung der Fragen seines Gegenübers. Die wenigen Abweichungen von dieser Regel verdienen daher besondere Beachtung. Sie lassen sich in zwei Gruppen zusammenfassen. Zunächst äußert er Hipp. mai. 284 d und e seine Meinung über den vojuog. Sie entspricht den im Protagoras und im Xenophon- tischen Hippiasdialoge ihm in den Mund gelegten Ansichten und ist hinlänglich gewürdigt. Weniger beachtet ist eine zweite Gruppe, die indes nicht weniger bedeutsam erscheint. Hipp. mai. 301 b wirft der Sophist Sokrates vor: d?dd. yag d)j ov, c5 ^cüxgnreg, ra fiev öXa Tcov n^Qayjiidrcov ov oxojzeTg, ovo' exeTvot, oig ov el'co&a.; diakeyeo&at, xgovere öe änoXafißdvorreg to xalbv xai exaotor TCOV övrcov er roTg köyoig xararii.ivovxeg. did Tavra ovtcü /.isydXa vfxäg Xavd'dvei xai biavexri odof.iaTa rijg ovoiag TiEcpvxdza. 304 a heißt es: aXXd 07] y , c5 ZcbxQaiEg, rt ohi zavx' eivai ^vvdnavxa; xvt'jOjiiaTd TOI eoTiv xal jieqit /.u] i.iara tcüv Xoyojv, otieq ägri eXEyov, xaid ßgcix^' dii]gr]jiiEra. Einen ähnlichen Tadel spricht Hippias in dem kleineren Dialoge gleichen Namens 369 b c aus : (h SojxgazEg , d« ov rivag roiovrovg nXsxEig Xoyovg, xal ano- Xa/nßdv(ov, o äv // övoyEgEorarov tov Xoyov, tovtov e/ei xarn ojiuxgdv E(pa7zr6jUEVog, xal oi"/ öXcp dycovii^Ei reo jrgdy/iari, TiEg'i orov äv 6 Xoyog fi- Der Sinn der Äußerungen ist klar bis auf die öiavExi'j odo- fiaxa T?}s ovoiag TrEq^^xora. Diese haben recht verschiedene Deu- tungen erfahren, die hier nicht wiederholt werden sollen. Bei der Entwicklung des Sinnes dieses Ausdruckes ist davon auszugehen. 46 W. ZILLES daß Sokrates ihn 301 e aufnimmt mit den Worten: ov yaQ olov le öiavexeT 'koyco xriq ovoiag xard 'Injiiav äXXoig e'xeiv. Den öiaveySj ocüjuaTa entspricht also der diavexi]g koyog. Was aber unter dem Xoyog jfjg ovoiag zu verstehen ist, zeigen verschiedene Stellen anderer Dialoge. Lehrreich ist Leg. X 895 d: ev juev ovoiav, £v de Tfjg ovoiag tov loyov, er de övojua. Der Xöyog Tijg ovoiag ist also der Begriff des Daseins, der Wirklichkeit, des Wesens. Was der Zusatz öiavexrjg besagt, zeigt Plutarchs Ausdruck (Mor. 679 c): 6 T>]g aixiag di')]veyJ]g ejidoyiojuög. diavextjg Xoyog Ttjg ovoiag ist also das überall geltende, allüberallhin sich erstreckende, durchgreifende Gesetz des Seins. Von hier aus ist der von Hippias gewählte Ausdruck zu erklären. Das Bedeutungsverhältnis der Worte Myog und ocüjuara kann nur das sein, daß loyog den abstrakten Begrifl", oco^iaxa die concreten Erscheinungsformen bezeichnet. Dabei mag uns die Terminologie der Stoiker daran erinnern, daß ocöjna ganz allgemein das Wirkliche bezeichnet, nicht etwa nur Materielles und Stoffliches. Der sonstige Gebrauch des Wortes bei Piaton kommt hier nicht in Betracht, wo es sich offenbar um wörtliche Wiedergabe einer fremden Ansicht handelt; ovro) fxeydXa xai öiavexfj ocojuara xfjg ovoiag necpvxoxa heißt also: so wichtige und überall geltende natürliche Erscheinungsformen (durchgreifende natürliche Zusammen- hänge) des Seins. b) Es fragt sich, ob ein Zusammenhang zwischen den beiden Gruppen der von Hippias geäußerten Ansichten besteht. Er ist unschwer zu finden. Der im Protagoras überlieferte Ausspruch, mit dem die bei Xenophon und im größeren Hippias ihm zuge- schriebenen Äußerungen übereinstimmen, betont den Vorzug der cpvoig vor dem vo/xog, die oben angeführten Sätze den Wert der Erkenntnis der jiieydXa xai diavexi] ocojuaxa xrjg ovoiag necpvxoxa gegenüber dem Zerstückeln eines Gegenstandes: in beiden Fällen wird das willkürliche Vorgehen der Menschen der cpvoig gegenüber- gestellt. Vielleicht erscheint diese Verbindung auf den ersten Blick ge- sucht; ein Zeugnis Piatons jedoch macht den Zusammenhang recht wahrscheinlich. Im Lysis spricht Sokrates von den Schriften der sehr weisen Männer, die sagten, das Gleiche sei notwendig dem Gleichen immer freund; es seien aber die, die über die Natur und das All sich besprächen und schrieben. Ein Vergleich dieser Stelle mit der des Protagoras und des größeren Hippias macht es in hohem Grade wahrscheinlich, daß kein anderer als Hippias gemeint ist. HIPPIAS AUS ELIS 47 Prot. 337 d: tÖ ya.Q ö/.ioiov no öjuoup cpvoEi ovyyeveg eoziv, 6 öe vojiiog, xvQavvog (ov rcov avd^QMJicov, jioVA nagä tijv (pvoiv ßia^ETai. fjf(ug ovv aioxQov TYjv jUEv (pvoiv xGiv 7iQayjudTü)v siöevai, oofpwrd- Lys. 214b: Tovg de ovrag tcüv 'E?JJ]- ovxovv xal rolg twv oocpmrd- vcov, ... Tcov ovyyQajujuaoiv evxsrvxfJHag Hipp. mai. 301b: rct jiih' oXa raDr' avxä Xeyovaiv, öxi ro rcbv jTQay/iidx covov oxonsTg, . . . ofioiov reo öfioico dvdyxt] did rtxvxa ovrco j^isydla vjuäg del q)ilov elvai; elol de tiov 01 ?Mv^dvEi xal diavExy] oo\uaTa tieqI (pvoecog xe xal xov oXoi> xfjg ovaiag jiEcpvxoxa. öiaXEyö/uEvot xal ygdcpovxsg. Gerade diese Stelle des Lysis verbindet die des Protagoras und des größeren Hippias: zunächst der Satz der Naturlehre, auf den im Protagoras das Urteil über die Gesetze folgt; dann die Angabe, dies sei die Ansicht derer, die über die Natur und das All sich ver- breiten, auf welche Begriffe gerade die Salze des größeren Hippias hinweisen. Wirklich hat auch K. Fr. Hermann die Stelle auf Hippias bezogen: spätere Erklärer raten auf Anaxagoras, Empedokles, Demo- krit. Anaxagoras und Demokrit kommen indes als Adressaten der Stelle wohl kaum in Betracht. Unwesentlich sind dagegen die Be- denken, die gegen die Möglichkeit einer Anspielung auf Empedokles geltend gemacht worden sind: inhaltlich paßt die Stelle durchaus auf seine Lehre. Die Form der Darstellung aber macht diese Mög- lichkeit wenig wahrscheinlich. Schon Boeckh hat das empfunden, wenn er meinte, es müsse auch hier ein populärer Denker gemeint sein, den man aus mündHchen Mitteilungen kannte; nicht unbe- dachtsam habe Piaton die Kenntnis der weisen Männer dem jungen Lysis zugemutet, sondern gerade zu verstehen gegeben, daß keiner jener wahren Weisen, sondern die spoltweise so genannten, die Sophisten, gemeint seien. Sehr bedeutsam erscheint dabei der Ausdruck xoTg rwv oo(pwxdxü)v ovyygdjujuaoiv neben dem stolzen ooq)(joxdxovg övxag xcbv "EXXrjvcov des Hippias im Protagoras. c) Wir haben damit eine in sich geschlossene philosophische Ansicht des Sophisten. Es fragt sich, ob sie eigene oder von Frü- heren übernommene Weisheit ist. Die ganze Art seines Charakters, wie er uns überliefert ist, läßt von vornherein das zweite vermuten. 48 W. ZILLES Wer aber war sein Vorbild? Unter den spärlichen uns erhaltenen Resten des Empedokles enthält einer einen Anklang sowohl an das Naturrecht als an die Physik des Hippias: {xovto ydo ov rtol fier öixatov Tioi ö' ov dixaiov), äXla To //£!' JtdvTCOv v6/iuinov did t evgvjueöovrog ai&eQOc ip'execog rharai did t' djikhov avyrjg (Fr. 135 D.). *Doch das allgemeine Gesetz ist lang und breit ausgespannt durch den weithin herrschenden Feueräther und den unermeßlichen Him- melsglanz' (Diels). Hier ist das Lob des allgemeinen natürlichen Rechtes, dem das Lob der cpvoig im Protagoras und der Tadel des wandelbaren positiven Rechtes im größeren Hippias und bei Xeno- phon entspricht, hier auch ein Gegenstück zu den diavexfj oeojuaxa T?}g ovoiag nefpvKOxa. Besonders beachtenswert erscheint dabei, daß das seltene Wort (di)rjvsx}]g, das bei Piaton nur noch zweimal, davon einmal in einem Homercitat, sich findet, in den wenigen Fragmenten des Empedokles dreimal vorkommt, und zwar immer im Zusammenhange physikalischer Erörterungen. Außer der oben angeführten sind es folgende Stellen : aAA' avT{d) eotiv xavra, di' dlXrjloov de ^eovxa yiyvexai uXXoxe uXla xal yvexeg aVev öjuoTa (Fr. 17, 34 f. D.). 'Nein, nur diese (die Elemente) gibt es , und indem sie durchein- anderlaufen, entsteht bald dies, bald jenes und so immerfort Ähn- liches bis in alle Ewigkeit' (Diels). avxdg stieI xaxd juelCov ejuioysxo öaifiovi öaificov, xavxd ye ov/j,m7ix£oxov, dm] ovvexvqosv Exaoxa, älXa XE jiQog xdig jrolXd di)]VExfj E^EyEvovxo (Fr. 59 D.). 'Doch als der eine Gott mit dem anderen in größerem Umfange handgemein wurde, da fielen diese Glieder zusammen, wie gerade die einzelnen sich trafen, und auch viel anderes außerdem entsproßte da sich aneinander reihend' (Diels). Insofern also, als Hippias auf der Empedokleischen Philosophie fußt, ist die Annahme, die erörterte Lysisstelle deute auf Empedokles hin, nicht unrichtig; die Art der Darstellung dagegen spricht dafür, daß ein Sophist, daß Hippias ge- meint sei. Welche Umstände aber den Sophisten zur Beschäftigung mit der Lehre gerade dieses Philosophen angeregt haben mögen, ist unschwer zu erraten. Wird doch Empedokles als der erste Be- gründer der Rhetorik bezeichnet; auch Gorgias soll sein Schüler in dieser Kunst gewesen sein; vgl. Diels I''^ 150, 46f., 156, 11 — 23. Ob seine JJoXixixd (Diog. : xa^oXov öe v, ooixrjQiav avxov xe xal xcüv avxov ;f^>^/^cd. xecpdXaia der späteren Rhetorik heranziehen, in die das aristotehsche xalbv als Tekog der epideiktischen Beredsam- keit (Rhet. I 3) aufgelöst ist. Anaximenes z. B. lehrt: enaivETU fxev ovv iou Jigäy/uara rd dixaia xal rd vöjuijiia xal xd ovjU(pe- Qovra y.ai rd xaXd xal xd i]de.a^) xal xd QÜdia Jigaxdrjvai'^) (Kap. 3 S. 186 Spengel). Vielleicht deutet auch der oben bespro- chene Ausdruck vjioxi&ejuevog avxco TidfAJioXXa vojuijua xal ndy- xala (Hipp. mai. 286 b) auf Ähnliches hin. f) Diese Vermutungen über die Gliederung der Rede sind frei- lich unsicher. Sicher aber ist, daß die oben entwickelte Auffassung von ihrem Inhalte einen Schlüssel zum Verständnisse des gesamten Dialoges bietet, in dem sie erwähnt ist. Bruns (Lit. Portr. S. 349) hält die Einleitungsscene des größeren Hippias aus zwei Gründen für unplalonisch. Sie habe ihre ganz eigene, von dem übrigen unabhängige Tendenz, während Plalons Scenerie zu dem Haupt- zweck, zu dem wissenschaftlichen Inhalt, in einem organischen und damit in dem Verhältnis der Unterordnung stünde. Zweitens sei diese Tendenz rein historisch und in der Absicht geschrieben, die Leser geschichtlich zu unterrichten. Versuchen wir das vermißte organische Verhältnis zwischen Einleitung und Hauptteil aufzu- weisen. Dem gleich im Anfange des Dialoges (281b c) gezeichneten Lebens- und Bildungsideale der Sophisten gegenüber wird zunächst darauf hingewiesen, daß die allgemein geachteten {wv ovdixaxa fxeydla Xsyexai im oocpiq 281c) alten Weisen jenes Lebensideal nicht mit den neuen Weisen teilten 3); dann muß Hippias selbst 1) Vielleicht fand sich auch schon die Bestimmung 8ia ztjg äxofjg xal xfjg otfjsMQ rjdv (297 e) bei Hippias: vgl. Aristot. Rhet. III 2, Demetr. jieqI sQfirjvsiag: wQioazo Ö' aiitä (sc. tÖc leyö/Lieva xaXa. övöiiaxa) QEocpqaoxog ovTCog ' xia und nokiTixi] jiQä^ig [, Staatskunst" Raeder] ein- ander entgegengestellt sind). Das trifft durchaus für Bias, Thiiles, Ana- xagoras zu; wenn aber von der Teilnahme des Pittakos am öffentlichen Leben seiner Vaterstadt berichtet wird, so zeigt die Tatsache, daß er freiwillig und gegen den Willen seiner Mitbürger die ihm übertragenen Ämter niederlegte, wie weit er von den Anschauungen der Sophisten entfernt war. Daß es dem Verfasser überhaupt nur um die Feststellung der allgemeinen Richtung der älteren Philosophie, nicht um die gelegent- liche, von keinem Staatsbürger des Altertums ganz zu vermeidende öffentliche Tätigkeit zu tun war, zeigt der Zusatz: i) nävisg >; ol jiokXoi avzcöv, der vereinzelte Ausnahmen von der allgemein aufgestellten Regel ausdrücklich vorsieht. 56 W. ZILLES, HIPPIAS AUS ELIS lieh Guten nicht zu trennen ist (297 cd. 304 a), daß also das Ideal der Sophisten nicht deshalb berechtigt ist, weil es nützlich oder angenehm ist, sondern vielmehr, wenn es ein vernünftiges Lebens- ziel sein sollte, auch gut sein müßte, d. h. nicht darauf gerichtet, Ehre und Macht, sondern Tugend im Sinne des Sokrates und Piaton zu erwerben. Damit wird auch die Tatsache durchaus verständlich, daß am Schlüsse des Dialoges keine positive Bestimmung des Begriffes gegeben wird, da es eben zu Piatons Zwecke völlig ausreicht, wenn er die wissenschaftliche und pädagogische Richtung der Sophisten in ihrer Verkehrtheit darstellt. So erledigt sich auch der Vorwurf, den Bruns (S. 347) dem Verfasser des Dialoges macht: Piaton habe seinen Sokrates niemals mit Gegnern zusammengestellt, ohne ihn in irgendeiner Weise triumphiren zu lassen. Gegen dieses Grund- gesetz verstoße der größere Hippias. Der Sophist breche das Ge- spräch ab, indem er Sokrates von oben herunter abkanzele ; er gehe triumphirend davon. Kurz- vorher (S. 324) liest man freilich bei Bruns: 'Gewiß sollen diese Dialoge überzeugen, aber nicht den Vertreter der Gegenansicht im Personal des Dramas, sondern den Leser. Jener soll nur aus dem Sattel gehoben und voll- ständig diskreditirt werden.' Das ist zweifellos der richtige Stand- punkt; dieser Bedingung entspricht aber unser Dialog in einem Maße, daß andere Gelehrte wieder an dem Übermaß der Diskredi- tirung Anstoß genommen haben. Ganz widersinnig und ungeschicht- lich aber wäre der Gedanke, den Sophisten im Dialoge von seinen Idealen zurückzubringen und zur richtigeren Ansicht zu bekehren, vor allem aus dem Grunde gewesen, weil zur Zeit Piatons nach dem Tode des Sokrates und Hippias die von diesem begründete pädagogische Richtung noch bestand und sehr viele Anhänger hatte, wovon jeder Leser Piatons sich täglich überzeugen konnte. Wenn so Gedankengang und Bedeutung des größeren Hippias durch die oben dargestellte Annahme über den Inhalt des Tgcüixög löyoq verständlich wird, so darf wohl diese Tatsache wiederum als Stütze jener Annahme bezeichnet werden. Düsseldorf. W. ZILLES. HIPPOKRATISCHE FORSCHUNGEN V. (S. d. Z. XLV 126-150. 320: XLVI 260-285; XLVIII 378—407.) Y. Eine neue Fassung des xix. Hipi'okratesbriefes. Die Textgeschichte der griechischen Klassiiier hat gelehrt, daß die meisten und schlimmsten Entstellungen der Originale im Großen und Kleinen in der Regel auf die Zeit der Verfasser oder die un- mittelbar folgende zurückgehen. Der Text ist eben gleichsam noch in statu nasccndi. Die Autorität, die der Autor allmählich ge- winnt, übt noch keine conservative Kraft aus, die Grammatiker haben die Texte noch nicht in Pflege genommen. Wenn daher meine Untersuchungen über die Überlieferung der Hippokratischen Schriften gelehrt haben, daß die schlimmsten Schäden der Willkür und Sorglosigkeit der ärztlichen Kreise des 4. Jahrhunderts zu ver- danken sind, ehe die bibliothekarische und grammatische Methode der Alexandriner sich auch dieser Literatur annahm, so gilt ein gleiches auch von dem Nachhall Hippokratischer Weisheit, dem Briefwechsel des Hippokrates, den im Anfang der Kaiserzeit ^), wie es scheint, ein koischer Arzt und Literat verfaßt hat. Die Auf- findung mehrerer Papyri 2) zeigt nun auch hier dieselbe Erschei- nung. Schon bald nach der Entstehung dieses Briefromans muß sich in weiteren Kreisen Interesse dafür gezeigt haben, was auf den Geschmack dieser Kreise freilich kein günstiges Licht wirft. Auch in der Folgezeit blieb dieses Interesse wach. Es zeigt sich darin, daß die verschiedenen längeren und kürzeren, zum Teil formell ganz abweichenden Fassungen des Briefromans sich bis in die byzantinischen Exemplare hinein verfolgen lassen, ja daß sogar eine 1) S. darüber am Schlüsse S 81 ff. 2) Berol.6934 und 7091 (s. II/III her. von Kalbfleisch, Berl. Klassi- kertexte III 5fF.) und Oxyrh. 1184 (s. I p. Chr. her. von Hunt, Oxyrh. Pap. IX 195). 58 H. DIELS Handschrift des 16. Jahrhunderts^) an einzelnen Stellen die voll- ständigste Überlieferung gibt. Dies ist das Ergebnis der lichtvollen Untersuchung von Pohlenz (d. Z. LH 1917 S. 348 ff.). Ich war daher nicht überrascht, in einer bisher für die Briefe noch ungenutzten Handschrift, Urbinas 68 s. XIV, die für die in- direkte Erotianüberlieferung von Wichtigkeit ist, eine abweichende Recension des 19. Briefes zu entdecken, welche den in allen son- stigen Handschriften verstümmelten Text in ungeahnter Weise ver- vollständigt. Während in den Briefen 1 — 18 diese urbinatische Handschrift sich an die Vulgatüberlieferung in der Regel eng an- schließt, markirt sie nach dem Schlüsse des 18. Briefes eine Lücke von 1 ^2 Seilen ; die Briefe 20 ff. fehlen, von denen wiederum die letzten 23. 24 auch in MUV und den andern Vulgathandschriften fehlen. Sie sind nur in dem durch den Heidelberger Codex Palat. 398 s. X (b) repräsentirton besten Zweige der Überlieferung er- halten. Aber auch diese vorzügliche Handschrift gibt den folgen- den, in b als 20. gezählten Brief ArjjuöxQirog 'IjinoxQdxEi JJeQi fxavifjg (so hier die Überschrift) nur in einem verstümmelten Ex- cerpte. Der Anfang lautet nämlich jiiaivofievcoi de, cbg ecpi]v, ev rcöi Tiegl IsQfjg vovoov, vno vyQOzrjTog rov iyxecpdXov, ev cbi ioTi TO. Ti]g y'V'/j']g Egya. Man kann den Brief nicht mit de be- ginnen lassen, die Änderung jiiaivojiisvoi des letzten Herausgebers^) ist ebensowenig befriedigend wie die Interpolation Littres juaivo- jxeßa ^). Noch schwieriger ist die Frage zu beantworten, wer denn eigentlich nach der Absicht des Romanschreibers der Verfasser dieser Abhandlung sein soll. Man erwartet doch nach dem Ver- sprechen der vorhergehenden Briefe*), sie rühre von Demokrit her. Dieser kann ja nun freilich wohl nach der Voraussetzung des Ver- 1) Paris. 3052 {cp). 2) W. Putzger, Hippocr. q. f. Epistulae ad codd. fidem recensitae } tmv 'AoxXt]Jiia8(üv svysvEia ;ToAr' ys oov xo xl.iog xfi^ iv ItjToiy.fji oocfhjg TTFcpoiTr/- XEV xal ig i)[iEag acpixiai, 2) Symbola crit. ad Epistolographos gr. (Bonn 1883) S. 33. 3) Naiv war die Art, wie der treffliche Foesius sich aus der Ver- 60 H. DIELS Schrift b bietet : ArjfxöxQvtog'lTinoxQdrEi jieqi juavirjg, ist demnach ganz richtig^) und entspricht dem des 21. Briefes ITegl iXkeßoQiojuov 'l7inoxQUT}]g AijjuoxQizcoi. Also es zeigt sich, daß in der Lücke, die der Urb. 68 nach 18 freiläßt, vielleicht der Schluß unserer Briefsammlung 20 — 24, den die Handschrift nicht bietet, weggefallen ist, aber kein unbekannter Brief und wohl auch nicht der vermißte und bis jetzt nicht wieder- gefundene Anfang des verstümmelten Briefes 19. Denn auch ab- gesehen von der offenbaren Verderbnis des Anfangs, dürfte man nach der Weitschweifigkeit, mit der der Schriftsteller seinen Demo- krit im 17. wie im 23. Briefe reden läßt, wohl annehmen, daß er die drei Fragen seiner Vorankündigung //' Tig re eirj xal oxcog dv- &QU)7ioig iyyivetai xal riva xqojiov änokcocpeoiTO etwas gründ- licher beantwortet, als es hier ep. 19 mit den dürftigen Hippokrates- citaten geschieht. Ein ganz anderes Gesicht zeigt der 19. Brief in dem neuent- deckten Stück der urbinatischen Handschrift. Die drei Fragen des 17. Briefes werden hier nach einer umfänglichen Einleitung (§^1 bis 23) wiederholt. Die Disposition wird § 24 gegeben: tL ioxt xal oxoioiot öiayiyviüoxerat xal riva xqojiov djioXcocpEOixo. Mit der ersten Frage wird sofort § 25 die Ätiologie verknüpft xi ioxi xal dC oiag alxiag yiyvexai. Dieser Abschnitt wird weitläufig und mit Heranziehung der erwähnten Hippokratescitate in § 25 — 60 durch- geführt. Der zweite Abschnitt § 61 — 71 umfaßt programmäßig die Symptomatologie, an die ein klimatologischer Anhang § 72— 75 an- gefügt wird. Den Schluß bildet die Therapie xiva xqojiov djiokoi- (peoixo § 76 — 80. Schon dieser Überblick der Disposition zeigt, daß wir hier eine vollständige Abhandlung jisqI /iavh]g zu finden erwarten dürfen, von der im bisherigen Hippokratestexte nur wenige Paragraphen in z. T. abweichender Form bekannt waren. legenheit half. Er übersetzt nämlich diese Worte so: Tuum aiiiem de insania scriptum ad fe remisi. Das heißt die Grammatik töten, um den elenden Schriftsteller zu retten. Ermerins Hippocr. Ill 603 sagt über diesen mit Recht: videtnr auiem omnino ita fuisse ine^Jtiis, ut lihdhim ciiationibus ex Hippocrateis refertum et in quo ipse scri2^tor ex suia scriptis ipsius locos depromere se profileretiir, Democrito tribuere tarnen voluerit. 1) Sie läCst auch den in den Vulgathandschriften am Anfang von Br. 19 interpolirten Zusatz top jieqi fiavitjg Xöyov avrwi yQa)g (pvoiog fji, ävdyxr] xiveio&ai. xivov/nevov ök fxrjrs T}]v öynv ärgejui^siv ju/jie Tijv äxoi]v, äXXa äXXore d'AA' ogriv xe xal äxoveiv, ttjv xe yXöjooav xoiavxa ötaXeyso&ai, 61a äv ßXEnrji TS xal äxov7]i ixdoxoxe. ooov dt äv äxQEjuiat]i 6 eyxECpaXog, xo- aovxov xal cpQovEi iqovov 6 äv&gcoTiog. yivExai de. fj öiarp^ogä 5 2 rov eyxEfpdXov vno (pXey ^axog xal xoXriq. yvcooei dk ixdxEga (höe • ol ixev yäq vnb cpXEyfiaxog juaivöjuEvoi yovxoi xe eIolv xal ov ßo')]xal ovde 'dogvßcodeeg, ol ök vno xoXfjg ngrjxxai xal xa- xovgyoi xal ovx fjgE^ualoi. i]v jukv ivve^tög juatvMvxai, avxai ai Tigocpdoieg eloiv, 7]v ök de.if.iaxa xal cpoßoi, vno juExaoxdoiog yi- lo rexai xov eyxecpdXov &egjuaivojuevov vno xoXfjg ög^uworig in avxov xaxd xäg cpXeßag xäg aljuaxixidag ' oxav de dneX&rji f} %oAj) ndXiv 3 eg xäg cpXJßag xal x6 ocojua, nenavxai. dviijxai de xal dofjxai xal eni?j]&Exai nagd xaigbv ipvyojuevov xov eyxe(pdXov vno cpXeyfia- xog xal ^vvioxajiih'ov nagd xö e&og. oxav de e^amv7jg 6 eyxecpa- i^ Xog diadegiuaivi]xai vno ;^o/l>7s xaxd xdg (pXeßag xdg ngoeigrj [xe- rag inil^eoavxog ai'juaxog, evvnvia ogevoi (poßegd xal Sg iygtjyo- göxi xö ngooconov cpX.oyiäi, xal ol öqj&aXjiiol egevßovxai, xal fj yv(ü/Lit] enivoel xi xaxbv egydCeo&ai. xovxo xal iv xcoi vnvoii \ ndox^t- oxav de x6 aijua oxedao&fji ndXiv eg xdg (pXeßag, nenav- 2» 4 xai. £v de ixbi nefxnxoji xcov 'Enid)]iuicov loxög}]oag, coi eyivexo dcpwvirj, äyvoia, nagaX.ijg'ijoig, ovxval ^nl vnooxgocpai, fj de yXwoaa oxXjjg^j, xal ei juij diaxX.voaixo, XaXelv ovx ^^^^ "^^ V'^> 1 vyQoxsQag U cpioEüng U draxivEia&ai H Von xcvsTo&at an feh- len FGIJK 2 erstes t>)v fehlt U äigsfuCsiv bMV : ijQSßsTv D äUoze] äk- Xou U ä?Ja ogi-jv Putzger: äUotrjv bCHM'U'V: aV.oleiv U': aUolaM."^: äXlola nach ay.ovFivJ): aU.oTa oQfjv Littre: s S. 67, 19 3 xavza 8iaXsyso&ar. KxdoTOTED ßUjzei — dxovsi JJ 4 s;~]i, dno rcov uo&eveoregwv fj vov- aog enl rd toy^vgörega f]xei xard diddooiv, xf]v juev ev vdgcoTii rb diiyjua, vdgcoif, i]v d' er cpXeßicoi, aljua, ijv d' ev dgrrjgirji, SS 7ivev/ua rö juiav^ev, xal JivevuaTt xal aijuan xal vdgojjit diadi- dcooiv. exei de xal rode ovrcog ' coojieg fj xoüurj xevei] yevo- 30 1 Vgl. de inorb. IV S^-J (VI! 542, 18 L.) edikoy 8e djio(prjt'ai jiqöjzov. s. 41 {^QJ, 6) 19 de morbo sacro (VI 388, 13) yvworji ök sxdrsga d)8s (vgl. § 39. 53) 23 ä. Vgl de morbo IV 33 (VII 542, 18 L.) i{)üco ök dnocpfjvai tzqcötov, jicog t] x'^^'-V ^'^'- ^"^ olfxa xal vöqcoxjj xal z6 (p?Jyfia n)Jovu xai iläooova ylyvezai dno zcöv ßgcofiäzcov xal zcöv Ttofiätcov zqöjtcoi zoicbiöe ' rj xoüürj rcbi ocofiazi Jidvzcov Jit]yr} iozi jtXerj eovaa ' xsver] 8k yerofisrt] ijiav- Qioxszai dno tov aco/iiazog z7]xofisvov ' slai ds xal ä)J.ai nrjyai zsooaQsg xz).. 26 Vgl. de morb. IV 35 (548, 23). 40 (560. 7) sx^i 8s xal z68s ovtoyg 18 ff', vgl. iV 33 (zu Z. 23) 7 ev äXloiai] fehlt etwa yivEatv? zcöv d)l(x>v verm. Regenbogen 11 "kvzza W onov8dt,£L 18 Nebf-n der mit «ort beginnenden Zeile steht: {e)v akXoi cp7]aiv Xoif.ifX)8r]g (pdoga zcöv ivegyeiöjv zov iyx£q?d?.ov (nicht Hippo- krates, wohl Variante einer andern Hs. dieses Briefes) 21 etwa xsivo? xoivov (vgl. §§ 11. 16) verm. Regenbogen 24 v8qu)ii) (i. e. vygöv) sc. yivs- zai z6 fdav&ev Hermes LIII. 5 66 H. DIELS /<£)'?; eTiavgioy.exai änb rov OM/xarog njxoftEvov, ovroj y.al 6 EyxEcpaXog xai nl uXlai 7i}]yal äjio rov od)fiarog ejiavQcoxovxai. 31 l'Xy.ei ds y.al ro ocöjua, £7ii]v 6 £yye.q)al6g n e^V' ^^ eoovtcöi yai 32 rcov äXloav exaoxov. £7ii]v ovv y xaxi)] /coß)^o>;t eg rö ocöjua^ k'Xxei ami^v 6 eyxecpaXog öid rcöv cpXeßcov, xal imjv Xdßoi, oi- s 33 voiaro äv. xi]v juev ttoXM] er]i, iodooEiev ig rov eyxe(pa?MV avrixa, Tjv de öXiyov, ovx äv amixa iodooeiev, iqovcüi de dia- (p&ecQoixo xal e^co öioioei. 34 ev rovrcoi juev ovv icöi Xoycoi änojiecpavrai, oncog 6 eyxe- 35 q)a?Mg eXxei anb rov ocojuaTog. 7'uv de egeco negl rov ndß^eog^ lo ojicog eoeiei eg rov eyxecpaXMV xal non)ooi.iai lorogiov negl avreov 36 rööe. djoneg et rig ev egUoi eregov vygov egiov eni^oTxo, jzgöj- xov jiiev x6 6jiuX)]oav vygip'eie xö)i vygcöi xal e^ avreov ro juer' ixelvo, [teigig dv ev oXcoi xö vygbv dcpixeoixo, ovxoj xal rbv tbv Sei axoneeod^ai xcoi 6i]yßevxi roTg ödovoi xoXXeeod^ai xal jueraßdX- '•& ?,eiv avxb jrgbg ea>vxb xal avxeoji xd yeixvidCovxa xal di' avxemv 37 eg xbv eyxeq)aXov dcpixveeodai. Jtonjoojiiai de xal eregov loxö- 38 giov ev jivgl rode' dyg, äv rig egiov äXeg Xdßoi xal ev avrecoi äv&gaxog ofxixgorarov ßdXoi, ovx dv exxaioiro ro egiov vjzb rov 3 Vgl. de morbo IV 36 (550, 23) elxsc fiky yÜQ zd ocö/Lia eg ecovxo xxl. ]i sm rov Eyy.E(palov xaza rag vno vyQÖri]rog ' bxörav ydg vyQoregog rt]g q)vaiog Etil dvdyxi] xiVEEO&ai, xiVEVfiivov de fxi^TE ri]v oi^nv argsjui^Eiv ^irjXE rip' dxoiqv, aXV äU.ors ä?.?.a ögäv xal dxoveiv ri^v re yX&ooav roiavra biaXkyEodai, oia av ßXinrji rE xai dxovrji ixdarors ' ooov 6' «V urQ£/Liia)]i 6 syxEcpalog ygövor, xooovxov xai (pQovhi o äv&ga>nog 20 Vgl. das. 15 (38S, 12) yivsrai 8k rj Siaqpßooij rov syxetfdlov vno (plsyiiarog xal xolrjg ' yvwa)]i 8k exdregu a)8e ■ Ol fikr ydg vno 6ßog Jiagiozrjxe, fiF}(Qig djre^.dtji nähv ig rag (fXeßag xal zo aöjfia, ejTEiza Jiejiavzat 8 Epid.V 80 (V 248 L.) = VII 85 (V 444) !^v- dgoßaXsi [so V c u. VII] a.(p(üvir], ayvoia [fehlt V], JiagalrjQrjaig [Xrjgrjoig V Xvdivzwv [jiav&Evzojv VII] bk zovzcov jzsQifjv [jisgi9]t£i Yll\ 8zi av^vä' xal vnoozQoq?al f.yivovzo. rj 6s yXiöaaa diszsXei nävza zov ygövov ^tjQrj, xal f.I /4,r) öiax?.voaizo [öiaxlv^oizo V] Sialsyeadai ovy oTög zs rjv xal aq^ödga nixgy] fjv [jiiXQ?] lirjv fjv V] zä jzoVm. sazi 8' ozs xal Jigog xagdirjv oSvvt], tjv (pXeßozo- (liri ilvoev [qp?.sßoTOfii'r) klvos VII] zavza' [zavzrji V] vdgo^iooirj r) [?/ om. VII] fAE?uxgi]zov [^vvip'EyxEv fügt V zu] ' iVJßogov ejus fiE?.ava . . . zsXog dk /EijLiMi'og xazaxhdslg e^co syEvszo . . . Exslsiza 9 Das 81 (V 250 [ = Vil 86] VII 444) tÖ ÄhxäioQog jiadog, onozs ig jiozov ojgfirjzo' j[intvov) und 85 (550, 7) Eniorj^rjvoi GivEExai. wie de morb. IV 36 (552, 13) oiveöfiEva; 52 (592, 10) aivso- fiEvov 6 EJiivE/LiTjxai 7 noiEEi xai^ jxoieei 17 o:ia8oEiörjg] euiiuchenhaft (= ojia8wvoEi8r]g durch Haplologie s. Brugmann-Thumb gr. Gr. S. 197, 1) erklärt richtig Regenbogen 19 xef(/id/ia 8ixxv(ü8Eg (sc. nUyi-ia nach Gal. III 696 ff.j] 8vxxi(Jö8Eg 21 oxiQscovxai 22 (pXvxxaivrjxai 28 8o- HEOVOIV 70 H. DIELS ficboa, yJ'jv 1] §ig o^eu] y.ai äoaoxog, yJ]v al roi/eg aTzojiijixoioiv, yjjv ol Tioöeg oi'x äzQefuCovTEg eojoiv, yj]v vXay.röjoi, y.ijv dd- f. 428^" 63 y-vcooi, yJ]v jiagacpQOVECooi yai ßoö)oi y.al oTTCovrat. ndvra ravia (i4 o}]fi})'ia /.vooi]g vtcojixov i) iyyvg EOVo)]g yo)) voui^elv Tjv de y.ai vdgoq oߣi]Tai, cpXavQov rö oi]juEiov y.ai davarwÖEg }dav' s 65. 66 äjOLQ yJ)v tov yega (poßErjzai, iv fjEQi i) vovoog. fjv je vnb dijyjLiazog )jv xe vjio d}]iiootov xayh]g y.al öi' aviEov ig xbv iy- y.EcpaXov xal xads Jido/ji oy.ola y.al jTqoo&ev EiQEaxö juoi, y.al öxoxav 67 xov fjEQa cpoßE^xai, xivÖvvevei avEXnioxov yiyvEodai. xal öxoxav 68 xö vöü)Q Tixofjxai, änöklvxai. T]v ök xal nvgorpoßhjxai T] xgrj- lo 69 jurog)oߣ)]xai, ygovb] f) vovoog' xi]v jui] -dEoanEvd^fji, xäÖE Tidoyßi oxoTa xal ngoo&EV jxoi £l'gi]xai. ovxog ydg e EXEa, jiolXd- 70 xig de xal C, ovxa)g E'yei. xfjv juev juij juExgidorji T] jUExajiEorji, äjioXlvxai' ov yäg olov xe eoxi negiyEVEodai. ip de i}Ega7iEv- 71 d}]i, ov juExajimxEi. xal xavxa juev ig xovxo juoi Eigrjxai. lä 72 dvaßi]oojuai ö' ai'^ig dniooi, öy.ojg i7i:iö)]jLi££i fj vovoog, 73 igicov. öxoxav /liev ovv TiagaxgajiEh] xd aij^iufia xov xaxä Xöyov im xoig äoxgoig dvvovoi xe xal dvaxE/.X.ovot x6 xe juexojiü)- gov dvixfiov Tzgo'u'ji xal xaujLiaxcbdEg, xal 6 yEifxojv öiajLiExgErji xöjc xaxd Xoyov, e'v xe xöji ygi yiyvcovxai xav/xaxa i^anivaia xal 20 ixi] (hgaXa, xT]v vnb xvva jui] vdaxa yiyv)]xai /u}]d£ ol ixrjoioi qjvocöoiv, ovy olov xe juij cpXvöäv x)]v odgxa xal xbv iyxecpaXov vji£gavf]vat, (hg xdg Xa'ooag xal ^vjumjixEiv xoioi jueoij/iißgivoloi 74 jiiEgeoiv UTiaoi, judX.ioxa de im xoioiv eigrjjUEvoiot l^cbioioiv. ov &avjua ök ix xcbv xoiovxwv x)]v Xvooav yiyveoß^ai, öxov ye (pal- 2* rovxai xvvEg xal El'ÖEa ixigcov i^(oia)v -degeog xal vnb xvva Xvo- 75 OEOvxa, y(bg-i]i xal f]?uxh]i ^udXuoxa xfji ößOEidii. (xXXA xavxa juev äXig Eigriiai. 76 xbv de Xvooeovxa ygrj '&EganevEiv wÖe ' öxoxav juev al'odrjxai drgexeojg x)~jg vovoov xal uxixvg ö iyxEcpa/Mg f.u) doxEi]i, xaiEiv ^ 13 Philum. de venenat. anim. 4, 6 (8, 5 Wellm.) iarooovai ds rtveg (isza ijirasziav iviovg dlcövat. xon jiädei 15 Vgl. de morb. IV 88 (VII 556): 39(560). 40(5H2) 16 Vgl. ebda. IV 45 (VII 568) dvaßtjao/nai S' av§ig o.-iiao) 80 Rufus ed. Daremb. S. 450 , 1 1 Tivkg 6k y.al yavztjoioig aiSrjQoTg 4 vnöjizo) 6 ■^eQt] 8 Eigsazo: vgl. zu S. 66, 5 17 :iagazga7isir] : vgl. zu S. 69, 1 19 Siatiszohji zcöi (oppositns sit vgl. Manetho IV 74. 296). dia/nszQit] z6 27 ri'/.iy.ia. Man erwartet &Qtji, vgl. § 59 ofioeiditj 30 äx^y.ig: vgl. de morb. IV 43 (VII 564, 24) HIPPOKRATISCHE FORSCHUNGEN V 71 veoTQCOTov x6 öfjyjiia, eha otxv)]v txei ngooriÖEvai i] jiQOoxokläv, et olov re eh]. xal yevnnytjv ninioxeiv yjd uoiojoXoyirjv xal 77 xav^agida, exeivag juev em "^juegag fi, ravx^p öe äjia^, oixva>vh]i ze xal iXXeßuQcoi vjToxadagdip'ai, xal Tavra Txgoorpegeodai oxooa 5 xal OL juaivojuevoi. xal top eyxeqpaXov Jieigrjodai uygijvai xal 78 xaravxXeeiv rovg jTOÖag xal ßaXaveioig ;^^££ö*^ai, öxuoov av deoi. xal Tcöi öid xagxivcov ofu'jyjuan novVvv ygeeadai ygövov. eyei 79. 80 ^£ xal rode ovra>g ' xagxivojv Jioiajiuajv xe] oixva xokkrjdeToa [xeru jiof.Xfjg qdoyog naQÜayoi oqjslog 2 Philum. 2, 2 (ö, 1 8) ofioicog 8e xal gi^ag yev- riavfjg djioüeo&ai y.eKOfXfiEvag xai oeaija/nsvag ' öjiöiav 8e rtg drjydiji vjio ?.va- ocövTog xvvög, Eig olvov axQäxov nvä&ovg rgscg y xEooaQag i/.iJidao£iv, 8vo ^isr xoyXiÜQia xfjg tojv xaQxivcüv z£(pQag, sv ök xo^Xiägiov x-^g yEVxiavfjg . , jzisir ujio xfjg jiQcoTtjg TjfisQag /.isyai xEaoaQaxovta rjf.iEQwv; Rufus ed. Darenib. p. 450 3 Ruf. 451, G xadaigsiv öe öiä xfjg oixvcoviag; Galen b. Oribas. V 418,7 4 Philum. 2, 10 Jim'xcov 8e (h'voi/.icüxaxog ett' avicjv 6 EXXsßoQÖg /lot Eyvcooßjj 7 Damocr. (^Galen. XIV 195; ed. Uussemaker v. 7"^; Philum. 2, 3 (5, 16) 8eT xoivvv xagxivovg jroxaftiovg etiI xXrjfiaxidog XEvxfjg dfijiEXov xavaai xal xtjv xsq^Qav avxcöv X.sioxQiß/jaaviag e^eiv d.ioxEt/-i£vr]v. 6fioia>g 8y XX?.. (s. zuZ. 2); Ruf. 450, 14 xaQxUoyv Jioxaj.il.cov ejiI xlrj[xaxi8(ov ksvxfjg dfjt- tieXov xavßsvxcov ev xvjxqivwi dyysion. y yaXxwi xo/Judgia ß, ysvxiavfjg xfjg ^iCt]g Xslag xoyXidgtov a [XExa olvov dxgdrov jiaXaiov xoxvXöJv ß 9 Vgl. zu Z 2. Damocrat. ed. Bussemaker v. 85. 170; Rufus S. 450; (Aet. XlIIl); Gal. Oribas. V 41S, 6 10 Philum. 7, 13 oniov, of^ivQvrjg dvd oßoX.öv, jisjiEQEoyg ögayi^yv a, dgiozoXoyiag dgay/iiäg ß dgioxoXoyJyg] Da.raocr. v. 128 dXvo- öov] Gal. b. Orib. V418, 9 rj xfjg ai8t]gixi8og xyg 'HgaxX.Eiag, fjv xal äXvooov ovo/LidCovoi Sid xö xal fiövyv avxyv (bqpsX.Eiv; vgl. Dioscor. III 91 Xvxiov] vgl. Ruf. ed. Daremb. S. 450, 12; Gal. Oiib. V 418,3 11 jioXiov] Damocr. V. 138; Ruf. S. 450, 13,- Gal. Oribas. 418, 5 oxogödov] Philum. 3, 3 (6, 32). Vgl. Ruf. 450, 13; Gal. Orib. 4 IS, 5 aiX(p{ov 6.-iov] vgl Damocr. 173; Ruf. 450, 13; Philum. 3, 3 (7, 1); Gal. b. Orib. V 418, 4 12 Ruf. 451, 8 xivkg Öe y.al xov ijiiaxog xov öaxövxog xvvög söooav (payETv; Gal. b. Oiib. 418, 12 oivajTio/ioTg xal ögwjia^i] Philum. 4, 9 (8, 19) 1 TigoxoXXäv 3 aixvcovio) 4 oxoadxig oder vorher xovxcov? 11 xo- XeoV 12 X£Xg)jf.lEVO} 72 H. DIELS Das Prooemium des neugefundenen Textes IIeqI juavü]g trifft nicht ungeschickt den selbstbewußten polemischen Ton mancher Hippokraliker, die so tun, als ob die Arzneiwissenschaft erst mit ihnen auf die Welt gekommen sei. So wettert der Verfasser Tlegl dQxnh]g irjrgixfjg gegen die modernen „Hypothesen", so kämpft der Sophist IJegl Teyv7]g gegen die Angriffe auf die Medicin, so höhnt der Autor IJeqI qn'oiog äv&gwjiov über die Philosophen, von denen einer den andern in den Sand streckt, so setzt endlich der Anfang der Bücher JJeqI diam]g das yvöjvai ÖQ'&cbg, das der Verfasser sich selbst zuschreibt, der falschen Schriftstellerei seiner Vorgänger entgegen. Und aus dieser Schrift hat nun auch unser Briefsteller einige Phrasen z. T. wörtlich in sein Prooemium her- übergesetzt. So ist denn überhaupt eine Auswahl hippokratischer Schriften (de morbo sacro, Epidemien und besonders das vierte Buch de morbis) der Brunnen, aus dem er seine Phraseologie ge- schöpft hat. Die Übergangsformeln sind meist wörtlich nach- geahmt. Ob und wieviel dem Verfasser sonst noch an alter ioni- scher Literatur zu Gebote stand, ist schwer zu bestimmen. An Demokrit, der doch zunächst gelegen hätte, erinnert hier nichts. Und doch scheint sein Name für die ganze Behandlung dieses Themas ÜeqI /uavitjg nicht ohne Einfluß gewesen zu sein, obgleich ja der Witz des ganzen Buches, daß der wahnsinnige Philosoph schließlich als der allein weise sich herausstellt, darauf führen konnte. Aber es gab auch literarische Anknüpfungen. Freilich von dem großen Werke des alten Philosophen ist, wie ich bereits früher bemerkt und durch den neuen Fund bestätigt finde, so gut wie nichts dem Spätling bekannt gewesen ^). Aber in hellenisti- scher Zeit hatte der Mendesier Bolos eine große naturwissenschaft- liche Encyklopädie unter Demokrits Namen in Kurs gesetzt, die von nun an die alte und mittelalterliche Literatur auf diesem Gebiete beherrscht^). Dieser trüben Quelle entnahm Soran in seinem Buche über akute und chronische Erkrankungen (UeoI ö^ewv y.ai ygovicov 7ia§cöv) eine Reihe von Äußerungen über die Tollwut {Xvooa, vÖQOcpoßia, rahics canina), die uns in der lateinischen Bearbeitung 1) Vorsokr. IP 136 Anin. Ähnlich schon Ermerins Hipp III, i.xxxi. 2) S.Vorsokr. IP 125ff.; doch wird die dort gegebene Übersicht durch M. Wellmanns Forschungen über das Demokritbuch des Bolos ■wesentlich erweitert und berichtigt werden. Hoffentlich wird diese wichtige Arbeit bald veröffentlicht werden. HIPPOKRATISCHE FORSCHUNGEN V 73 des Caelius Aurelianus vorliegen ^). Der gelelirte Methodiker hält die Schwindelscluifl des Bolos für ein echtes Zeugnis des Ahderiten und berichtet, da& dieser die Hydrophobie als eine Nervenkrankheit auffaßte, was ja mit der modernen Wissenschaft übereinstimmt, welche die Tollwut als eine durch die sog. Negri'schen Körperchen (wahrscheinlich Protozoen) hervorgerufene Infektionskrankheit im Centralnervensystem bestimmt hat. Da Soran entgegen der von anderer Seite und 7,war mit Recht behaupteten Tatsache, dafs diese Krankheit der klassischen Medicin unbekannt sei, ihre Kenntnis be- reits dem Hippokrates vindiciren wollte'^), war ihm das Zeugnis eines vermeintlichen Zeitgenossen des Hippokrates willkommen. In Wirklichkeit haben erst Ärzte des letzten vorchristlichen Jahrhun- derts, Artemidoros und Artorius, der Leibarzt des Augustus, die Krankheit genauer beschrieben^). Auf ihre Schriften gehen ver- mutlich die zahlreichen Erwähnungen der Späteren*) zurück. Der Verfasser unserer Abhandlung glaubte daher etwas besonders Inter- essantes zu liefern, wenn er diese moderne Krankheit als die her- vorstechendste der Geisteskrankheiten (juavia) besonders ins Auge faßt § 7 : xal jiqcöxov djio xfjg xoivoTäri]g äq^oj-iai jiiavirjg, i]v d)) 1) acut. morb. III 14 quisnnm in hyrfrophöbicis locus corporis pntia- tur. eqiürleni Democrifus, cum de einprosthotonicis diceret, nervös inqicit, coniriens hoc ex corporis conductione [d. i. OTiao/nög] otque reretri tentigine [ä. i. oazvQiaoig], Das. 1.^ etenim Democritus, qui Hippocrati conrixii, noii soliim hmc memoruvit passionem, scd elium eius causam tradidit, cum de opisthotonicis scriberet. 16 Democritus vero iubet orignni decoctionem dari alque ipsnm poculnm quo bibunt in splmerae rotunditaiem formari. 2) Er hat dieser Frage das ganze Kap. III 15 utrum nova passio sit hydrophobiii gewidmet. 3) Cael. Aurel. ac. morb. III 14. Die von Soran angezogene Stelle Hippoer. Prorrh. I 16 (V 5U, 9 L.) über die ßga^vTiözai (vgl dazu Gal. in s. Comm. Corp. m. V 9, 2 S. 'SS, 11) geht (auch abgesehen von der wahr- scheinlich falschen Lesart) nicht auf die Hydrophobie. Polybos, Schwie- gersohn des Hippokrates, kennt wohl das hervorstechendste Symptom der Krankheit (er spricht von cpsvyvdooi) und ihren letalen Ausgang (Cael. a. m. III 9. 14), wie ja einzelne Fälle auch damals vorgekommen sein werden, aber eine eingehendere Beobachtung und Darstellung ist der Krankheit in der klassischen Zeit nicht gewidmet worden. Sie ist wohl erst in hellenistischer Zeit epidemisch in Kleinasien und Europa aufgetreten. Der Pariser Doxograph der Medicin (Rh. Mus. LVIII 1U4) sagt einfach und richtig: oi aoyaloi ovy. iurr'jo&tjoar rnvzov. 4) Das Wesentliche hat M. Wellmann in seinem Philumenus (Corp. M. X 1, 1) zu S. 4, 5 zusammengestellt. 74 H. DIELS XvGO))v xaXeofxev. Da die Hundswut, die man nach den Ausfüh- rungen des Verfassers darunter speciell zu verstehen hat, keines- wegs die allgemeinste Form der Manie heißen kann, so bezieht sich diese Bezeichnung auf ihr weitverbreitetes Vorkommen im Tierreich, wie er dies ja auch § 11 selbst erklärt. So zählt er § 22 Löwen, Wölfe, Hunde, Hyänen, Ibisse und Basilisken als tollwutempfäng- lich auf, die 'automatisch^ bei sich das Gift erzeugen. Von ihnen geht es dann durch Infektion auf die andern Lebewesen über. Die Ursache aber der Krankheit findet er ebenso wie der unten ange- führte Anonymus (Herodot nach M. Wellmann) in der Trockenheit des Pneumas (§ 20), die durch Galle und Blut auf das Hirn wirkt (§ 39). Hier tritt der pneumatische Standpunkt des Verfassers her- vor, der für die Auffassung seiner ganzen Abhandlung wohl zu beachten ist. Diese stoisch orientirte Schule der Pneumatiker nimmt ihren Ausgang von Athenaios aus Attalia, der am Anfange des 1. Jahrhunderts n. Chr. gewirkt haben muß^). Es scheint also, als ob der Verfasser, der, wie gesagt, in den ärztlichen Kreisen gesucht werden muß, von dieser modern-eklektischen Pachtung er- faßt worden ist, die sich mit dem Kultus der Hippokratesverehrung wohl vereinigen ließ. Diese Neigung zeigt sich nun auch in der eigentümlichen Um- formung der benutzten Hippokratesstellen. Er geht von den für den Verfasser von de morb. IV grund- legenden vier Stoffen aij-ia, xolrj, cplh/}.ia, vÖQOoyj (d. i. vyQÖnjg) aus, aber statt des Phlegmas fügt er hier sein Pneuma ein, das nach pneumatischer Lehre besonders in den Arterien concentrirt ist ^) : § 29 >c7]v juev Iv vdowni ro örjyjua, vdga>y>, tjv ö' iv (pXeßicot, aljua, i]v <5' ev äonjQhji TTvevjua zo juiavß^ev, y.al Tzrevjuan xal aXfxari xal vöqojtii diadidcooiv. Trotzdem aber betont der Verfasser der Demokritschen Ab- handlung auf das schärfste den Primat des Gehirns, das den Hippo- 1) M. Wellmann, Die pneumatische Schule (Wilamowitz, Ph. Unter- such. 14) S. 8 setzt ihn unter Claudius. Allein da der Pneumutiker Mag- nus (s. Wellmann a. 0. S. 14) älter als Agathinos ist und dieser als Freund des Cornutus wiederum älter als dessen Schüler Persius und Lucan sein muß, kommen wir für Agathinus mindestens auf Claudius' Zeit und werden guttun, Athenaios, den Stifter der pneumatischen Rich- tung, an den Anfang des Jahrhunderts zu setzen. 2) Wellmann a. 0. S. 139,7. Vgl. [Gal.J def.74 (XIX 36ß) dgr^gia iari Gwua y.oT'/.oi-, btyizon-ov, ix y.aodiag ooiiMiierov nvevuarog ^(oitxov xoQtjyöv. HIPPOKRATISCHE FORSCHUNGEN V 75 kratikern als Sitz der Seele gilt. Die echten Pneumatiker sehen dagegen entsprechend der stoischen Lehre') das Herz als Centruni der Intelligenz an"'^). Dies führt zu einer merkwürdigen Behandlung einer Hippokratesstelle, welche die üherlieferle Fassung des Briefes und die neue gegenüberzustellen gestattet. Der alte llippokratiker de morbo sacro oder vielmehr sein Fortsetzer ^) zeigt c. 14, wie alles Leid und alle Freude, aller Wahnsinn und alle Schreck- gespenster vom Gehirn ausgehen, dessen unnormale Bescharfenheit (zu grofäe Hitze, Kälte, Trockenheit, Feuchtigkeit) die krankhaften Geisteszustände hervorruft. Dann fährt er fort (c. 14. VI 388, 6) yMi juairojiiiiOa juev vjio vyQÖrrjxog' oxoxav yäg vyQoregog xfjg cpvoiog fi)]i (näml. 6 eyxecpaXog), ävdyxr] xiveeoOai mX. Der Brief- schreiber nimmt in der Yulgatfassung (Ep. 19 § 1) mit dem Gitat (hg ECpi-jv ev Tcoi sregl legrjg vovoov ^) diese Stelle wörtlich herüber, nur fügt er hinter vygoDjzog hinzu tov b/xECfdlov, ev cot iort rd r)~]g yv/jjg egya. Die neue Fassung dagegen läßt diese Ver- änderung durch die Feuchtigkeit hier § 39 beiseite. Sie greift viel- mehr die Ausführung des Hippokratikers c. 15 (388, 18) auf, wo dieser die Erhitzung des Gehirns durch die Galle behandelt: ijv öl- deifiaxa xal cpoßoL nagioxojvxai, vjio fiExaoxdoiog xov eyxecpdXov (näml. werden die Erscheinungen des Wahnsinns hervorgebracht] * fiB'&ioxaxai de degijiaivofievog' &£gjuaivexai de vjxö xTjg yoXrjg, öxöxav dgjiiijor]i im xov eyxecpaXov xaxd xäg q)Xeßag xdg alßa- xixiöag ex xov ocojuaxog. Dies wendet der neue Brieftext so § 39: e^a7xiv7]g 6 eyxecpaXog, ev cbi eoxi xd xfjg y'vyj]g egya, öia- d'EQfiaivexai vnb yoX)]g xaxd xdg (pX^eßag avxeov xdg aljuaxi- xidag xxX. Die beiden Fassungen haben also den hervorgehobenen Zusatz, der das Gehirn als Centralorgan mit Nachdruck bezeichnet, obgleich sie sonst verschiedene Wege gehen. Und wiederum begegnen sich beide im folgenden trotz der ganz verschiedenen Behandlung des Hippokratescitates in der Lesart Tzgtjx- xai. Der Vulgattext jener Stelle de morbo sacro 15 (388, 13) lautet Ol juev ydg vjio xov (pXJyjuaxog ßaivojuevoi fjov/^ot xe eloi xal ov ßoöjoiv ovde §ogvßeovoiv, ol öe viiö xoXifjg xexgäxxai xal xaxovg- 1) Die wieder auf die sicilische Äi-zteschule zurückgeht. S. Well- mann, Fragmente d. or. Arzte I 14. 103. 2) Wellmann, Pneum. Schule S. VM. 3j Regenbogen, Symb. Hippocr. (Berlin 1914) S. 31. 4) S. oben S. 61 (vgl. S. 59). 7ö H. DlKl.S yoi xat ovx ihot'uaiot. Die Handsoliiitl j'> \ixü[ lor vor (fXtyua- TOs viohtitr weg und stolll don un/\voitVlhat1 oohton Text im fol- iroiulen mit xa« or ßotjjat ot'de {toQvßtoöee< tost. Uoido Fassungen dos tJriotos stimmen hier Imlz aller Versehiodenlioit in der IVhaiid- lung dos Cilates übereiii (^|; "2 Vulir. - jJ 45. 4G Urb /) und zeigen schon hierduroh, dati ihr 're\t vor der byzantinischen Vulgala liegt. Beide geben aber auch statt dos einstimmig im Hippokralostext ttberlioterlen xexgäxTat xat xaxov(}yot die autTahendo Variante ai)»}xT(i< xai xaxovgyot {^ '2 Vulg. = § 48 Urb.). Das nach ioni- schem System gebildete :tj>»/xt*/s statt ji^ttjxrt'j^ {jtfMxxjtJQ), .todx- T(OQ fehlt in den W ürl er bü ehern, es fohlt aucl\ in den umfassenden und die hippokraliseho Lexis sonst sorgfiiltig borilcksiehtigenden Sammlungen von Ernst FrJinkel ^), scheint aber vvolil das echte. alte Wort zu sein, das in diesem Zusammonliange neben xaxovo- yog in tndfani jxirtcnt verwendet wurde, iihnlich wie .7oa.ru' und jXf}ivrTny bisweilen den Sinn von rtQa^txojxm' annehmen. Eis ist begreillich, dafa man spüter diese Glosse nicht mehr verstand, wie denn auch der junge, schmählich inlerpolirte Codex D i^Liitrt^s Paris, gr. 2254) ztXrjxjat liest. Po Lesart xt'xt;iaxTin, die in lior guten Hippokralesüberlieforung steht, ist wohl an die Stelle des nicht mehr vorstandeneu rji^ijXTai getivten mit Berücksichtigung des folgenden t^x vvxjmv öe ßoät xiu xhigayev (SS8, 24)^). Diese Spuren alter, jenseits unseitr Hippokratosüberlioforuug liegender Texlformen zeigen sich nun aucJi in dem folgenden Ab- scimitt, wo die Epidemien ausgeschrieben werden. Die in de« beiden Fassungen dos Briefes benutzten Stellen sind in unseren HandschriAen des Hippokratos zweimal erhalten, im 5. und im l"! Gesch. d. gr. Nomina agentis avif r#/i». twq, rif? , '2 Bde. vStniß- burg 1010. I91-); er hat die Form il^- als specifisch ionisch erwiesen. 2) 0. Regenbogen hat iu dem se neneit der Faknität eingereichte« abreiten Teile seiner Disi^ertation, der bisher nicht hat verOftentlicht wenien können, die ansprechende Vermutung geiluläert, auch .lof'jxjai sei eine Kutjjtellung der «rsprüngliehen Olos^e /#;Arroi = xfxo vgl. Herod. .t. /«»•. If^. c. 28. Aber auflaUeud ist, daß das Ionische und speciell die Hippokratesüberliefe- rxing nur xhegaya i^x^xtMxn}^), nicht x^xQt;ya kennt: de morbo sacro 15 (,VI i5{SS): de morb mul. 1 1^5 (YllI ISO): leidem. YIl 25 ;V A>6;. Ist ilies Koine-Ümformung ? HIPPOKR ATISCHE FORSCHUNGEN V 77 7. Buch. Der Text des Briefschreibers aber zeigt beiderseits, wie meine Anmerkungen angeben, einen bald der einen, bald der andern Recension angehörigen Wortlaut. Auffallend ist auch das gemeinschaftliche Mißverständnis einer Stelle, die in dem benutzten Hippokratescodex verkürzt gewesen zu sein scheint. Der Urtext lautet Epid. V 80 = VII 85 'AvÖgo^ahi äcpoivii^, uyvoia, nagalrfor}- oig' XvdevTOiv de jovxoiv Tieoirjv an ov/vd, y.al vTiooTOorpal iyi- vovro, d. h. den Androthales befiel Sprachlosigkeit, Bewußtlosigkeit, Irreden. Doch als diese Erscheinungen verschwanden, blieb er noch geraume Zeit am Leben und es traten Recidive ein. Der Brief da- gegen gibt in der kurzen Fassung § 4 7zaoa/.i]oy]oig, ov/val y.al imooTQoqpai, was bU in naoaXrjorjoeig ovyyai verschönert haben, dagegen ist in der neuen Recension umgestellt § 49 7iaoa/.7]gj]oig, v7ioo70oq:ai ov/val. Also war wohl in diesem Hippokratescodex der Satz XvßevTov — hi ausgefallen und so der Sinn verdunkelt. Die Kurzform ist also offenbar älter, da sie dem vorauszusetzenden ver- stümmelten Originale am nächsten bleibt. Wie ist nun aber gegenüber diesen nicht eben zahlreichen, aber deutlichen Spuren gemeinsamen Ursprungs die auffallende Ver- schiedenheit des sonstigen Textes zu erklären, die zwischen der alten und der neuen Fassung besteht? Soll man annehmen, was zunächst liegt, daf?. die kürzere Recension ein .Auszug aus dem voll- ständigeren urbinatischen Texte sei? Für diese Annahme lassen sich die Verkürzungen in den ersten Briefen als Analogie geltend machen. Ep. 8 ist in Pap. Ox. 1184 verkürzt gegenüber unserer handschriftlichen Fassung und der am Rande des Pap}TUs stehen- den. Umgekehrt ist Ep. 6 in unsern Handschriften gegenüber der Papyrusüberlieferung verkürzt. Auch der verbindende Text zwischen Ep. 4 und 5, den Pap. 1184 einschiebt: o de yewalog xi-jorjoag ro Trjg TE-/V7]g a^ioy/ua y.al xb Jigog xovg "E/Jajvag rpi/.ooxooyov ävTEffcorrjoev yodyjog xov xqotiov xovxov, ist in der Vulgata weg- gefallen ^). l"i Regenbogen, der auch für die urbinatische Fassung von Ep. 19 die Priorität annehmen möchte und die Vulgata auf solche Excerption zurückführt, verweist für den Wegfall der erzählenden Verbindungs- stüclie in unserer handschriftlichen Tradition auf die Analogie des Brief- wechsels des Apollonios von Tyana. Dort findet sich im Cod. Mazari- naeus 87 ein Zwischentext zwischen Brief 62 und 63, der in der sonst'gen Überlieferung fehlt: ravra avayvov; 6 'Jrro/./.ojvio; ovy. iyavvojßi] zatg ziuaTg 78 H. DIELS Aber abgesehen von der Verstümmelung der Vulgatüberliefe- rung am Anfang, die nicht von der Excerption herrühren kann, gibt der alte Text eine an die citirten Hippokratesstellen sich eng anschliefsende Kasuistik, während der neue an den betreffenden Stellen im Wortlaut wie im Inhalt viel freier gestaltet und mit Be- nutzung anderer Hippokratesschriften stilistisch erweitert ist. Be- merkenswert ist ferner, daß die Abhandlung IIeoI e?LkeßoQiojuov (Ep. 21), die Hippokrates artig Demokrit als Gegendedikation über- reicht, in unserer Überlieferung genau denselben ängstlichen An- schluß an Hippokrates (Aphorismen und de morb. acut, victu) zeigt wie der Brief 19 in der alten Fassung. Nimmt man an, daß die kürzere Vulgatfassung einem Excerptor verdankt wird, so gerät man in die Schwierigkeit, sich einen zu- gleich pedantischen und flüchtigen Schreiber vorzustellen, der einer- seits nur einen kleinen Teil des Materials auswählte, andererseits aber sich nun die Mühe nahm, nicht die vorliegende Fassung ein- fach herüberzunehmen oder zu verkürzen, sondern die freie Wieder- gabe seiner Vorlage nach dem Texte des Hippokrates abzucorri- giren. Warum soll er ferner den Hauptinhalt der neuen Abhand- lung, die Ävooa, geflissentlich ignorirt haben? Fürchtete er etwa, durch die Erwähnung der modernen Krankheit die Echtheit des Briefwechsels zu gefährden? Hätte andererseits ein späterer Bearbeiter, etwa auf Grund der in der alten Originalfassung gegebenen AnhaUspunkte mit Benutzung derselben Hippokratesschriften (de morbo sacro und Epidem. V), die neue inhaltlich so veränderte Form geschaffen, wie kommt es, daß er dieselbe Hippokratesausgabe benutzt hat wie das Original, mit dem er in guten (Tigiiy.rai) und schlechten (ov/j'al vTiooTQOcpai) Lesarten, in Auslassungen [IvBlvrcov dk xovtcov TiEoiriv en ovyvä) wie in dem Zusatz zu e.}'y.e(pdkov: er coi eon ra Tj)g y)vyj]g über- einstimmt ? \^'ie kommt es, daß sie beide den aus der Überlieferung von Buch V und VII der Epidemien contaminirten Text aufweisen? Ich sehe nur eine Möglichkeit, die Doppelform dieses Briefes y.al roTg ijiaivoig, cSore äjioxQivsoüai ta ysyaoia/tisva xal firj rä dhjdr) • iScor de rovg jigsoßeig ov navv Äaxoivixovg, ov% t'jo&Eig avroTg dvzs7TiTi&7]ai T>;v5f T?jv i.-norohp' (d. i. Ep. 63 1. S. Kaysers Quartausg. Zürich 1844 S. 54. Ich notire diese Analogie, weil sie die Auffassung E. Meyers (d. Z. LH 1917 S. 412) zu stützen scheint, daß die Apolloniosbriefe aus einer vollständi- gen Biographie herausgenommen seien. HIPPOKRATISCHE FORSCHUNGEN V 7<) zu erklären. Man muß annehmen, der neue Text stelle eine von demselben Verfasser angenommene Erweiterung und Umarbeitung des (ursprünglich am Anfang natürlich vollständigeren) Vulgattextes dar. Ich sehe also in unserer urbinatisclien Recension eine ver- besserte und vermehrte Auflage desselben Verfassers. So erklärt sich die Identität des Hippokratescodex und des unhippokratischen Zusatzes h wi eoti rd xrjg ipvxrjg. Und zwar gab zu den Änderungen den Anstoß, wie ich vermute, die Be- nutzung des vierten Buches de morhis, von dem in der alten Fas- sung keine Spuren zu finden sind (denn hier handelt es sich wie in der Vorlage ch; morho sacro nur um (plkyiia und loXy], die auf das Hirn wirken), während der neue Text die vierfache Wurzel der Theorie de morhis einarbeitet, die außer dem q)AEy[ia und der Xoh) auch noch den vögcoip (dies dem Verfasser von de. morhis eigene Wort entspricht der vyQorrjg des Verfassers von dn niorho sacro 388, 6) und das aljaa heranzieht. Die Differenz zwischen der kürzeren und der längeren Fassung der Demokritschen Abhandlung zieht nun aber weitere Gonsequenzen. Wenn die neue Auflage genau die Ankündigung erfüllt, welche der 17. Brief (§ 20f. ; S. 15, 8 Patzger) von der Schrift Ilegl /navh^g gibt (s. oben S. 60), während der alte Text weder den ersten Teil // rig xe Etrj noch den letzten jiva rgojiov ajiolwcpeoixo behandelt und wohl auch im vollständigeren Zustand nicht behandelt zu haben scheint, so ergibt sich daraus, daß in unseren Handschriften der 17. Brief in der zweiten Bearbeitung vorliegt^). Nun sehe man sich das Größenverhältnis der Briefe an. Die übrigen 22 unserer Samm- lung sind auffallend kurz, und ihr Umfang geht auch bei den um- fangreichsten nicht über ein Dutzend Paragraphen hinaus. Allein der 17. Brief mit seinen 58 Paragraphen gibt das Gegenstück zu der urbinatischen Fassung des 19. mit 80 Paragraphen. Beide ge- gehören also zur zweiten sehr erweiterten Auflage und sind auf- einander berechnet. Zu bedenken ist ferner, daß der alte Text dem Titel üegl juavir]g entsprechend nur das Wort jLiaireodm enthält (§ 1, oben S. 61.), während der neue beständig von Xvooa, Ivüoäv und den Symptomen der Hundswut spricht. So komme ich zu der Vermutung, daß der 1) Auch die Sektion der Tiere ep. 17 § 21, um die Beschaffenheit der Galle festzustellen, entspricht der späteren Bearbeitung, welche das Vorkommen der Ivooa bei gewissen Tieren hervorhebt. 19 § '22 Urb. 80 H. DIELS Verfasser selbst, angeregt durch eins der damals gerade erschiene- nen oder ihm bekannt gewordenen Bücher über die Hundswut (s. oben S. 73) und durch die darin mitgeteilte Ansicht des 'De- mokrit' über die Lyssa, dem Roman eine pikante Neuigkeit einver- leiben wollte, die gestattete, den Altmeister Demokrit mit den Er- rungenschaften der modernen Medicin auszustatten und zugleich auch die wieder in Aufnahme gekommene Pneumalehre anzu- bringen. Nun erklären sich auch die Zusätze hinter den Epidemien- citaten § 51. 52, welche in dem alten Texte fehlen. Der erste dieser beiden Fälle, wo der Kranke beim Anblick von Flüssigkeit die Vision eines Hundes hat, ist ebenso wie der zweite, wo der Kranke durch ein Bad, das er, wie es scheint, mit einem von ihm nicht be- merkten Hunde teilte, geheilt wird, der späteren Literatur über Hydro- phobie entnommen, da die alte Medicin, wie gesagt, diese Krank- heit nicht berücksichtigt. Daß diese von dem Verfasser zur zweiten Auflage benutzte Schrift IIfoI Ivoorjg ebensowenig ein Echo in der späteren ärztlichen Literatur gefunden hat, welche hauptsächlich den Philumenos und Markellos') von Side ausschreibt, wie die Gestalt seines Hippokratescodex einen Vertreter in unserer byzanti- nischen Überlieferung aufzuweisen hat, beweist meines Erachtens, daß die Abfassung auch der neuen Fassung des Briefes soweit wie möglich zurückverlegt werden muß. Verbindet man dies Ergebnis mit dem Resultat der Recensio, das Pohlenz ermittelt hat, so leuchtet ein, daß seine beiden Recensionen A und G der Briefe 4. 5, die nur wenige Jahre nach der Abfassung des Briefromans ent- standen und bereits im Oxyrhynchospapyrus verbunden worden sind, identisch sein müssen mit den beiden Auflagen, die wir jetzt im Br. 19 unterscheiden, und ebenso mit den beiden Formen, die Br. 6 zeigt: Codd. Pap. Oxyrh. 1184 Z. 28 (IX 197) 'iTiTioxQdrfjg At]^ui]TQicoi y^aiQeiv. 'IjiJioxodT7]g rogyia xöi (ptX- jäxo) nleiara xaioiv xai vyi- alvLV. BaoiXevg TTegGecov fjjLieag BaoiXevg 6 Uegoecov juera- jueTajxejUJierai ovx eldcog, özi Jiejuxpao&ai f]/ueag eßovXtj&r} 1) S. Röscher, Das von der Kynanthropie handelnde Fragment des Marcellus v. Side, Abb. d. Sachs. Ges. d. W. XVII phil. bist. III (1896). HIPPOKRATISCHE FORSCHUNGEN V 81 Xoyog Ejuol ooqoirjg xQ^^^v tiXeov enl xQ^^^f- ^^ ^^i^ clqyvqüji övvaxai. TzavjiXrjßet äyvocov, ort Xoyog 6 ifiög ooq)ir] HsxQrjjuevog XQ^~ oov jue^ova övvajuiv exsi' Nähmen wir an, ein Abschreiber habe das Bedürfnis nach Va- riation des Stils empfunden, wie das so oft den Anlaß zu Umfor- mungen gegeben hat (z. B. Brief des Aristeas bei Joseph. Anl. XII 7 ff.), so verstünde man nicht den Wechsel des Adressaten. Liegt aber der von dem Verfasser in mehreren seiner Briefe an- gebrachte Scherz zugrunde, seine eigenen Gönner und Freunde als Adressaten des klassischen Briefwechsels einzuführen und so ver- steckte Widmungen anzubringen, so läßt sich leicht denken, daß der Verfasser Anlaß hatte, bei einer zweiten Auflage mit einem Namen zu wechseln, wie es Cicero in den beiden Auflagen seiner Academica tat. Es ist wohl vergeblich, diese Freunde Demetrios = Gorgias (Br. 6; vgl. 24), Amelesagores (Br. 11), Philopoimen (Br. 12), Dionysios v. Halikarnaß (Br. 13) mit historischen Persön- lichkeiten identificiren zu wollen. Nur drei Namen geben über Zeit und Ort der Abfassung einen gewissen Anhalt. Der erste ist Da- magetos aus Rhodos, der das Schiff "AXiog ^) dem Hippokrates aus- rüstet. Dieser Name ist in Rhodos, wie die Steine lehren, seit dem ersten vorchristlichen Jahrhundert weitverbreitet, und es ver- steht sich von selbst, daß der Verfasser, der mit den Örtlichkeiten, den Sitten und der Geschichte von Kos und der kölschen Askle- piadenschule gut Bescheid weiß''^), zu Rhodos, dem geistigen und merkantilen Centrum der Gegend, engere Beziehungen gehabt hat. Für die Zeit der Abfassung hat Marcks ^) mit Recht an das Compliment angeknüpft, mit dem der Br. 16 beginnt: 'InnoxQa.xt'jg Kgarevai xaiQ^iv- 'Emarajuai oe Qi^OTOfiov ägiorov, c5 haTge, xal 1) Dem ejiiar}fiov"Ahog (d. h. der Wimpel mit der Aufschrift "JAto?), das bei einem rliodischen Schiffe keines Commentars bedarf, soll nach Br. 17 (13, 3) auch noch das sjiioTjfiov 'Yyieia zugesellt werden, nachdem sich Demokrit als gesund herausgestellt hat und dadurch die Heiilmis- sion des Hippokrates glänzend erfüllt ist. Die Worte zrjv "Aoxlrjniäöa vrja, rji [R: ^v cett.] Jigör ''«■c [R: jiQÖ&sg h: utgöo^s M; Tigöodev ürb. 68] HETOL Tov'AUov EJiiorjfj.ov xal j; . '^bR: vyifj MÜV Urb.] hat der neueste Herausgeber wie manches andere nicu. rstanden. Das Urteil, das Wila- I ■) : über diese Recensio fällte, ist leider richtig. 2) Herzog, Kölsche Forsch, u. Funde 217 u. ö.; Wilamowitz a. 0. 3) Symb. ad epistologr. gr. S. 43. Hermes LUX. 6 82 H. DIELS öid rer]v äox)]oiv y.ai dia TXQoyovoiv xkeog, (bg [xrjdev änodeXv os xov TigoTTOLTogog Kgazeva ' vvv ovv, el xai noze aXlors ßoravo- löytioov xtX. Der Verfasser nennt also seinen Freund einen Nach- kommen des unter Milliradates Eupator tätigen, für das ganze Alter- tum maßgebenden Rliizotoraen Krateuas. Wenn also Marcks und neuerdings Pohlenz an einen gleichnamigen Enkel des berühmten Krateuas denken, kämen wir mit der Abfassung des Briefromans auf die Zeit des Augustus ^). Aber der Ausdruck jigoTidrogog kann ja auch den Urgroß- vater, überhaupt den Stammvater des Geschlechtes bedeuten. Und i ch glaube in der Tat, daß wir noch um eine Generation herab- gehen müssen^). Im ersten Briefe wendet sich Artaxerxes an einen nicht näher charakterisirten Paitos und bittet ihn wegen der verderb- lichen Pest, die sein Heer ergriffen habe, um Hilfe. Im zweiten emp- fiehlt ihm Paitos den Hippokrates, indem er ausführlich seinen Stamm- baum von Asklepios ab mitteilt und seine Kunst anpreist. Man muß demnach annehmen, daß dieser Paitos, unter dem wir uns einen Satrapen Kleinasiens denken sollen, diese Vermittlung zwischen Kos und dem Perserkönig angebahnt habe. Warum später der Groß- könig mit Hystanes, dem vjiag)(og "ElXrjOTiovTOv , in dieser An- gelegenheit weiter verhandelt, wird nicht klar. Vermutlich soll der 1) Wäre die Annahme von Wilaniowitz, Ilias a. 0. richtig, daß vielmehr an die Zeit und die Sphäre des Poseidonios zu denken wäre, so müßte der Verf. den berühmten Rhizotomen Krateuas selbst meinen. Aber daß ein gleichnamiger Vorfahre des Krateuas gelebt, der Ruhm als Rhizotom erworben habe, ist weder bekannt noch wahrscheinlich. Der Beiname QiCoiöfiog haftet Krateuas beinahe so fest an, wie cpvatxög dem Straton. Die berühmte Wiener Dioskurideshs. s. V, die auf Phar- makopötn des 3. oder 4. Jahih. zurückgeht, nennt ihn fast regelmäßig Kgaievag giCoTo/my.ög. S. M. Wellmann, Krateuas, Abh. d Gott. Ges. phil. hist. N. F. 11 1 (Berlin 1877) S. 11 ff. 2) Wir dürfen andererseits nicht über die Mitte des 1. Jahrh. n. Chr. hinuntergehen, da der Pap. 1184 mit Dokumenten der J. "24 — 25 zusammen g(-funden wurde und die Schrift nicht wohl später als in die Mitte des 1. Jahrh. gesetzt werden kann (HuntO. P. IX 195). Das Zeug- nis des Erotian, der als ernter die Hippokratesbriefe citirt haben soll, ist sehr zweifelhaft, da er ah^irpäQf.iaHa wahrscheinlich rieht aus den Briefen, sondern aus einer verlorenen Schrift des Hippokrates entnommen hat (^vgl. Nachmanson, Erotianstudien 3l5, 1). AVie sollte man damals auch diesen Roman in Grammatikerkreisen als echt haben behandeln können! Auch würde der Glossograph z. B, aus ep. 23 mehr gegeben haben. HIPPOKRATISCHE FORSCHUNGEN V 83 Beamte, der von Hippokrales die stolze Absage erhält, nicht bloß- gestellt werden. Denn es ist ja längst vermutet worden, daß sich hinter diesem Paitos ein römischer Großer namens Paetus verbirgt, dem der Verfasser der Hippokratesbriefe durch die Nennung im ersten Briefe sein Werk gleichsam widmet. Es war nun wohl eine unrichtige Vermutung von mir, unter den wenigen Paeti, die nach ihrer Stellung in jener Zeit in Betracht kommen konnten, den P. Clodius Thrasea Paetus zu verstehen. Aber wohl kommt sein Schwiegervater Caecina Paetus in Betracht, der im J. 42 unter Claudius Selbstmord beging, nachdem ihm seine Gattin heroisch im Tode vorangeixangen war. Plinius ^) nennt ihn einen vir consu- lans. Da wir nun durch die milesische Inschrift über die Kabiren 2) erfahren, daß ein Caecina Paetus als Proconsul in Kleinasien tätig war, so läßt sich doch kaum der Annahme ausweichen, daß der koisfhe Arzt und Schriftsteller seine Schrift unter die Auspicien des dort maßgebenden höchsten Beamten hat stellen wollen, indem er die geschmacklose Namensvermummung in den beiden ersten Briefen vornahm. Ich nehme also an, daß die Entstehung der Briefe unter Tiberius oder Caligula fällt, obgleich sich das Gonsulat (consul suf- fectus) und Proconsulat dieses Caecina Paetus nicht genauer feststellen läßt. Freilich gibt es im 1. Jahrh. noch einen zweiten Paetus, der für die milesische Inschrift in Betracht kommen könnte: C. Caecina Paetus, der Consul suffectus Ende des J. 70, der entsprechend der damals üblichen Frist zwischen Gonsulat und Proconsulat dann 80—82 n. Chr. Proconsul in Asien gewesen sein müßte ^). Welche Gründe Wiegand veranlaßt haben, nur den älteren Caecina Paetus mit der milesischen Inschrift in Verbindung zu bringen (etwa Aus- sehen der Schrift?) vermag ich zur Zeit nicht festzustellen. Sicher ist, daß, wer die Beziehung zu den Hippokratischen Briefen ein- leuchtend findet, nur an den älteren denken kann. Unter den köl- schen Asklepiaden, die als Verfasser der Hippokratesbriefe zunächst in Betracht kommen könnten, dürfte man also an einen der beiden Brüder, entweder Sterlinius Corn(elia tribu) Xenophon oder dessen älteren Bruder Q. Stertinius denken, welche Herzog *) vermutungs- 1) ep. III 16, 8. 2) Wiegand, 6. Bericht über Milet, Ahh. d. Berl. Akad. 1908 S. 2G. 3) So Dessau (brieflich), der die betrelFenden Inschriften unter N. 6049 und 5929 a-b in seinen Inscr. 1. selectae II 1, 459. 483 gibt. 4) Koische Forsch. 'J18. S. Stammbaum S. 191, 6* 84 H. DIELS weise mit der Abfassung der Briefe in Verbindung gesetzt hat. Wäre etwa der berühmtere Xenophon, der Leibarzt des Claudius, der Verfasser, so würde die Abfassung noch in seine Jugend fallen und in seinen Aufenthalt in der Heimat. Natürlich sind von dem Roman die älteren, wertvollen Bestand- teile des Anhangs 25. Aoyjua'A^rjvaicov, 26. 'Emßcojuiog, 27. ügea- ßevrixog QeooaXov 'InTcoxQdjovg vlov fernzuhalten , obgleich sie als Keimzellen des Briefromans anzuerkennen sind ^). Die Briefe da- gegen selbst 1 — 24 halte ich für die einheitliche Arbeit eines Ver- fassers, da die gegenseitigen Beziehungen klar sind und die aller- dings vorhandene Stilverschiedenheit sich teils aus den Absichten der Charakteristik, teils aus den Stilvorlagen des Verfassers erklärt. Die inhaltlichen Diskrepanzen, die sich in Kleinigkeiten finden 2), dürfen dagegen nicht in Betracht kommen, zumal wir ja die beiden Fassungen nur an wenigen Stellen gegeneinander halten können. Jedenfalls geht es nicht an, die Lücke, welche ein Ast der Hand- schriftenüberlieferung gemeinsam mit den beiden Berliner Papyri zeigt (Briefe 6 — 10 fehlen), zur Scheidung einer älteren und einer jün- geren Schrift zu benutzen^). Denn die Ablehnung des Hippokrates, zum Grofäkönig zu gehen, und die stolze Antwort der Koer auf dessen Ultimatum sind der notwendige Auftakt zu der Einladung der Abderiten (Br. 10), die der Br. 11 des Hippokrates notwendig voraussetzt. Der Kernpunkt des ganzen Briefromans ist der 17., der allein ein Drittel des Ganzen ausmacht und das unauslösch- liche Lachen des Demokrit über der Welt Torheit mit mehr Be- hagen als Witz darstellt*). Es würde mir leid tun, wenn Horaz den 'lachenden' Demokrit (ep. II 1, 194) diesem liederlichen Mach- 1) Herzog a. 0. 20L 215 f. 2) Ermerins, Hippocr. III Prol. S. LXXXIfi. S. Marcks a. 0. S. 31. 3) So Herzog a. 0. 217. Dagegen Pohlenz a. 0. 4) Die Bewunderung, die Herzog a. 0. 218 dem Stil des Verf. zollt, kann ich nicht teilen. So interessant für den Forscher diese Imitation der alten las und ihre buntscheckige Mischung mit modemer Koine und rhetorischem Flitter sein mag, geschmackvoll wird man diese Epi- stolographie sowenig finden dürfen wie die übrige damals blühende Fabrikation von Pseudobriefen , welche unser Briefcorpus füllen. Ich stimme mit Ermerins a. 0. S. LXXXIII überein, der die Widersprüche dieses mediocris scriptor hervorhebt und zugesteht, daß ^)/i Mßoi, oi- voiaro uv. Freilich haben aus dem ähnlichen Motive der Glossen- jägerei heraus bereits Kallimachos und Nachahmer solche Ungeheuer in ihren Poesien angebracht*). Bemerkensu^ert ist, daß der Ver- fasser nur solange er im Bannkreis seiner ionischen Quelle ist, solche Formen verwendet. Ja er fällt sogar da, wo er offenbar einer Koinequelle folgt § 36, in die übhche Form egiov statt eXqiov zurück, ähnlich wie Erotian. 1) Berechtigt ist die Nebenform Atj/noxQizEco, die der Verf. der Briefe öfter neben Arjfioxgizov verwendet. Denn wie attisch vsavtas nach Analogie der zweiten Ueklination vsaviov bildet, so sagte man umge- kehrt ionisch statt Kqoioov, Baxzov auch Kqoioeco, Bärrsco usw., wie im Herodot häufig zu lesen ist. 2) S. oben zu § 56 öiso^/urjvov. 3) S. oben zu § 83. 4) S. 0. Schneider zu Kalüm. fr. 521. Ursache des Mißgriffs war auch hier die blmde Nachahmung verderbter Stellen der epischen Poesie. Ein scherzhaftes Beispiel, wie der Verf. die Corruptelen seiner Eippokrates -Vulgata gedankenlos herübernimmt, ist der 21. Brief {jtsqI i?J.sßoQio/^iov), wo es heißt, man dürfe die Helleboruskur nicht anwenden (S. 24, 27) /J,i] (paQixay.eveiv zovg aygöovg, zovg ßgay^codFug, zovg ojih]vcüdeag, rovg d(pai/iiovg. Littre übersetzt das letzte Wort anemiques:, aber ä(pai[j,og ist kein Griechisch. Hesych kennt freilich atpaifxoi, aber in der Bedeu- tung auoyovoi, evysvsTg. 'Anämisch' heißt griechisch ?uyä)v jiüqo^vvovxcov x6 n/.rjßog xaid xwv xdig E^ovo'iaig xal öö^aig vjxeosyövxcov, oi diaßa?d6juevoi ovoxdvxeg eyvcooav xaxaXvoai xöv dfjfiov. (2) ßaoavio'&E.vTOiv de xivatv ex xöjv ovvegyeTv öoxovvxon', oi juev älXoi (poß7]i9evx€g X7]v ex xcöv ßaodvoiv xificDQiav eavxovg ex xov C'fjv jU€xeoxi]oav, evog ö' ev xaig ßaodvoig öfxoXoyrjoavxog xal Tiioxiv Xaßovxog, 6 juev jurjvv- xrjg xQidxovxa xcöv e7iiq)aveoxdxo)v xaxY]y6oi]oev, 6 de örjinog ovx iXeyiag äxgißcög änavxag xovg öiaßX.rjdevxag ajiexxeive xal xdg ovoiag avxwv id/jjuevoev. (3) noXXöjv de xal dXX.oiv ev vnoxpiaig övxojv, xal röw drjjxayoiywv ipevöeoi diaßoXalg ovvrjyoQOVvxoov , ein xoaovxov eirjygico&r] x6 nXrj&og, Mgxe ndvxoiv xcöv xaxi]yo- Qovjuevojv övxcov juh' noXXöiv xal j.iEyaXo7iXovxoiv, xaxayvGivai ßdvaxov. avaige&evxcov de xcbv dvvaxcTw dvdocov nXeiovcov y yiXicov xal diaxooiüiv, xal xfbv d}]iuaya>ya)v avxöiv 6 drjjuog ovx ecpeiaaxo. (4) did ydo x6 jueye&og xfjg ovfiq)ooäg oi jiiev drjjua- yoyol (poßrj'&evxeg fiij xi jzagdXoyov avxoig dnavxrjorj, xfjg xaxr]- yoQiag uTieox^ioav , oi d' öyXoi do^avxeg vti' avxcbv eyy.axaXeXeTqy&ai, xal did rovxo Jiago^w&evxeg, änavxag xovg dijjuayojyovg dnexxei- vav. ovxoi fiev ovv, (bguegei xivog vejutjoavxog daijuoviov, xfjg aQjuoCovorjg xijuaygiag exvy^ov, 6 de dfj/uog Jiavodjuevog xfjg Xvxxrjg 1 i:kytaai2:mo2 95 eig Trjv JTQOVXcdQ](^ovoav eüvoiav äjioy.axEOzi]. Diodor bringt die Sache unter dem Arclion Dyskinelos (Ol. 102, 3. 370/69); richtiger wird man sagen, dafs sie im allgemeinen, im Zusammenhang mit den von ihm XV 40 fälschlich auf das J. 375/4 fixirlen i) ähnlichen Vorgängen in anderen peloponnesischen Staaten, in die Zeit nach der Schlacht von Leuktra anzusetzen ist, also schon vor Juli 370 stattgefunden haben kann ^). Was die anderen Autoren zur Ergänzung Diodors bieten, ist nicht' viel. Bei Isokrates V (Philippos, 346) §52 findet sich nur die allgemeine Anspielung, daß die Argiver in den Pausen, welche ihnen die Kriege gegen ihre Nachbarn ließen, die Evöo^oraroi xal TtXovoidixaxoL ihrer Bürger vernichteten; und ebenso knapp ist die Bemerkung bei Dionys. Hai. Ant. Fiom. VII 06, 5, dafs die Römer in ihren inneren Kämpfen sich keine so heillosen Dinge zuschulden I kommen ließen wie die Korkyraeer, Argiver, Milesier und Sikelio- Men. Eine wirkliche, wenn auch nicht bedeutende Erweiterung V unserer Kenntnis kann man in der Mitteilung Plutarchs sehen (Praec. gerend. r. p. 17, p. 814 B), daß damals 1500 Bürger zu- grunde gegangen seien und die Athener auf die Nachricht von den Ereignissen in Argos ein Sühnopfer beschlossen; beide Einzelheiten kehren bei Helladios (Photios cod. 279, S. 534 Bkk.) wieder, die erste in der Fassung oxvrahojiiöv e.xa.Xeoav, dioxi naiovxeg äXh)- Xovg avEiXov yiXiovg Hat nevxaxoolovg. Anders steht es mit der Meldung des Ael. Aristeides (Panalh. I 273, llff. 311,4/5 üdf.), daß Athen die Parteispaltung in Argos beigelegt habe^). Endlich 1) Dazu Grote, History of Greece (Newyorker Ausgabe ISöG) X jl99. 1 und besonders Busolt, Jahrb. f kl. Philol Suppl. VII 77-2fF. und Irnst V. Stern, Gesch. der sparbmischen und thebanischen Hegemonie ^om Königsfrieden bis zur Schlacht bei Mantinea (Dorpater Diss. 1884) )4ff. 99. 155,2; Ed. Meyer, Gesch. d. Altert. V ^98. 420. Den Versuch )tto Grillnbergers, Griech. Studien 143ff. , Diodors Bericht über den 'rieden von 374 zu retten — was zur Folge hätte, daß auih seine Zeit- lestimmung der oben erwähnten Ereignisse aufrechterhalten werden lüßte — , halte ich für mißlungen; vgl. zu diesjer im Buchhandel nicht irschienenen Arbeit Berl. philol. Wochenschr. 1908, 782 ff. ni 2) Bereits bemerkt von K. H. Lachmann, Gesch. Griechenlands von Hfcem Ende de.s peloponnesischen Krieges bis zu dem Regierungsantritte JAlexand.Ts d. Gr. (Leipzig 1854) I ;W7, 2 und Grote a. a. 0. X 199, der feie in die zweite Hälfte von 371 v. Chr. verlegt. 3) Zur Beurteilung derselben Eugen Beecke, Die historischen An- 96 HEINRICH SWOBODA dürfte die Stiftung eines Standbildes des Zeus Meilichios durch die Argiver, das der jüngere Polyklet anfertigte^), auf dieselbe Gelegen- heit zurückgehen^). Diodors Bericht ist sicherlich nicht in jeder Beziehung befrie- digend, speciell was den geschichtlichen Zusammenhang dieser Er- eignisse und die Veranlassung anlangt, welche zu ihnen führte^); im großen und ganzen läßt sich aber aus ihm eine Vorstellung über den Gang der Dinge gewinnen, und in dieser Beziehung ist, wie ich glaube, der größte Teil der neueren Gelehrten zu einer Auffassung gekommen, die mit Diodors Worten nicht zu verein- baren ist. Ich sehe dabei ab von denjenigen, die wie E. v. Stern (a. a. 0. 155), Holm*) und Fr. Gauer (a. a. 0.) die Sache nur strei- fen; aber auch Otfried Müller (Dorier 11^ 139 ff.) und Sievers ^) geben kaum mehr als eine Paraphrase von Diodors Erzählung, ohne darauf einzugehen, wie die Bezeichnung ^Hvraho/Liog für diese Epi- sode zu erklären sei^). Im Gegensatz dazu hat sich die herrschende Auffassung — im Altertum durch Helladios (vgl. oben) vertreten — gerade an diesen Terminus angelehnt. Zuerst findet sie sich, soviel ich sehe, bei Westermann (Paulys Real-Enc.^ VI 897) und Jakob Burckhardt (Griech. Kulturgesch. I 268), dann ausführlicher entwickelt bei Ernst Curtius (Griech. Gesch. III ^ 305 ff. 764), Gustav gaben in Aelius Aristides Panathenaikos auf ihre Quellen untersucht (Straßburg 1908) 76 ff. 1) Pausan. II 20, 1. 2, vgl. W. Klein, Gesch. der griech. Kunst II 335. So schon Otfr. Müller, Dorier II* 140; anders Beloch, Griechische Gesch. II 1 S. 260, 1. 2) Die von Aeneas Poliorket. c. 11, 7 — 9 berichteten Tatsachen hier- herzustellen, wie Fr. Cauer (Pauly-Wissowas Real-Enc. II 739) -will, geht schwerlich an; sie gehören wohl in frühere Zeit, vgl. Otfr. Müller a. a. 0. II 2 138 ff, 3) Hervorgehoben von K. F. Lachmann I 338 und Grote a. a. 0. X 199 ff. ; darüber unten. 4) Griech. Gesch. III 118 (daß zuerst eine Menge von reichen Leuten, dann auch Volksführer umgebracht wurden). Auch Lachmann a. a. 0. spricht im allgemeinen von einem 'Gemetzel* und 'Blutbad', das die Menge zuerst unter den Reichen, dann unter den Demagogen anrichtete. 5) Gesch. Griechenlands vom Ende des peloponnesischen Krieges bis zur Schlacht bei Mantinea 261 ff. 6) Otfr. Müller sagt nur (S. 140): ,Der Aufruhr im ganzen hieß HxvTaXiofiös, Stockprügelei: es war eine Zeit des Faustrechts, wie es ZKYTAAIIMOi: 97 Gilbert (Lehrbuch d. griech. Staatsaltertümer 11 80), Beloch (Griech. Gesch. II 1, 259) und Eduard Meyer (Gesch. d. Altert. V 420); sie geht dahin, daß damals der Pöbel über die Reichen herfiel und sie mit Knütteln erschlug, und dann auch die Volksführer das gleiche Los erfuhren ^). Daß mit einer solchen Deutung Diodor Gewalt angetan wird, hat allein Grole gefühlt (History of Greece X 200), dessen Dar- stellung unbedingt der Wahrheit am nächsten kommt ; es gilt eigentlich nicht viel mehr, als sie wieder in ihr Recht einzusetzen. In ihren Hauptzügen besteht sie darin, daß die dreißig zu Anfang Denuncirten von dem Volk nach einem hastigen Verhör (öfter a hasity frial) hingerichtet wurden ; daß man dann diese Hinrich- tungen fortsetzte, bis 1200 (oder 1500) der vorzüglichsten Bürger zu Tode gebracht waren. Endlich wandte sich die Wut des Volkes gegen die Demagogen und auch sie wurden hingerichtet 2). In der Tat läßt sich für die Herstellung des Tatbestandes aus Diodors Worten nichts anderes folgern. Als man der Verschwörung der Oligarchen auf die Spur kam, wurden einige von ihnen peinlich geprüft; sie endeten durch Selbstmord, mit Ausnahme eines Ein- zigen, der gegen Verbürgung der Straflosigkeit^) 30 angeblich Mitschuldige denuncirte, die man nun in Anklagezustand versetzte. Ohne genauere Untersuchung wurden sie von dem Volke zur Todes- strafe verurteilt und, was mit ihr zusammenhing, ihr Vermögen eingezogen. Aber auch andere angesehene und reiche Bürger, welche von den Demagogen angeklagt wurden, traf das gleiche Los (über ihre Zahl unten) : ttoAAcoj' öe xal äXXcov ev vjzoxpiaig övrcov, xal Tcöv SrjjLinycoycöv y^'evdeot diaßoXalg ovvi^yoQovvTCOv, im Tooovxor e^i]yQicjo'df] to nXrj&og, wgiE Jidvxeov töjv xaTi]yogov- juevco.v, övrcov juev noXXcbv xai jusyaXojiXovrcov, xarayvcovai 1) Es ist ganz interessant, an E. Curtius zu ersehen, wie sich diese Auffassung stufenweise fortgebildet hat; während er früher (Gr. Gesch. IIP 316) sagt, daß die erbitterte Menge mit Stöcken über die Verdäcli- tigen herfiel, ist dies später (III " 305 ff.) dahin erweitert, daß es an einem von den Demagogen bestimmten Tage geschah. 2) Ganz consequent verfährt freilich auch Grote nicht, wenn er zum Schlüsse seine Bemerkung, daß die Benennung 'Skytalismos' von dem Instrument herrühre, mit dem die Hinrichtungen vollzogen wurden, durch den Zusatz abschwächt, daß der Name mehr einen ungestümen Volksaufstand, als beabsichtigte Hinrichtungen anzudeuten scheine. 3) Zu moTir )Mß6vT0Q vgl. Partsch, Griech. Bürgschaftsrecht I 361. Hermes Lllt. 7 98 HEINRICH SWOBODA &6.vazov. Es handelte sich also nicht um ein planloses Hin- morden, wie die gewöhnliche Ansicht will, sondern um ein gericht- liches Vorgehen. Zur richtigen Beurteilung ist daran zu erinnern, was auch bei Diodor zum Ausdruck kommt (vgl. außer den gesperrten Worten noch § 2 d dfj/xog ovx iXey^ag dxQißcög änavxag xovg diaßXr]{^evTag äjiexTeive), daß es in Argos Volksgerichle gab^), und daß in wichtigen Fällen, zu welchen der unsere gewiß gehört haben wird, das gesamte Volk Recht sprach 2) — was mit dem attischen Eisangelieverfahren zusammenzustellen ist 3). Dann wird man aber weitergehen und annehmen dürfen, daß sich auch das von Diodor § 4 geschilderte Vorgehen gegen die Demagogen, die sich zu weiteren Anklagen nicht mehr hergeben wollten, in glei- cher Weise vollzog. Allerdings ist der Sachverhalt, wie schon in den früheren Stadien — so gleich in den Worten, mit welchen Diodor den ganzen Abschnitt einleitet — , so auch hier durch die rhetorische Art, mit der Ephoros die Ereignisse wiedergibt, ver- dunkelt worden, schimmert aber bei unbefangener Prüfung noch immer durch. Was bleibt, genügt, um die Ansicht der Neueren von einem Gemetzel oder Blutbad u. dergl. und daß sich die auf- geregte Menge mit Stöcken auf die Reichen stürzte und sie auf der Straße niedergemacht habe, als unvereinbar mit unserer Haupt- quelle erkennen zu lassen. Wenn sich also der Vorgang in der Form gerichtlichen Verfahrens abspielte, so soll damit durchaus nicht gesagt sein, daß dabei die gesetzlichen Vorschriften einge- halten wurden; daß keine ordnungsgemäße Untersuchung staltfand und den Angeklagten nicht die Möglichkeit gegeben war, sich zu verteidigen, sie vielmehr summarisch abgeurteilt wurden, bemerkt Diodor ausdrücklich für die zuerst Angeschuldigten (§2 6 de 1) Ed. Meyer, Forschungen zur alten Gesch. I 101 ff.; 0. Schultheß, Real-Enc. VII 2240. 2) So Ed. Meyer, GdA. III 320. 321; meine griech. Staatsalter- tümer 157. 3) Ob diese gerichtliche Versammlung des Volkes ebenso wie die Volksversammlung die Bezeichnung dXiaia trug, was Ed. Meyer (Forsch. I 103) und Schultheß a. a. 0. verneinen, ist dafür ohne I3edeutung; ich halte es allerdings mit Rücksicht auf die aus Schol. Eur. Orest. 871. 872 hervorgehende Identität von Fron und Haliaia für wahrscheinlich. Für die argivisclie ähaiu bedeuten die vonVollgratf, Mnemosyne N. S. XLIII 3G5ff. XLIV 64 ff. 21 9 ff herausgegebenen Urkunden eine wesentliche P'r- weiterung unserer Kenntnis. 2KYTAAIZM02 99 öfjfxog ovH IXey^ag dxgißojg), und das gleiche ist für die späteren Fälle vorauszusetzen — vielfach wird sich die Verhandlung vor dem Volke in tumultuarischer Weise vollzogen haben , wie wir dies für Athen aus dem Processe gegen die Feldherren der Arginusen- schlacht und später gegen Phokion ') kennen. Das Gräuliche in dem Vorgehen des argivischen Demos lag nicht bloß in dieser Will- kür, sondern auch in der Massenhaftigkeit der Exekutionen; wie- viele Bürger damals umkamen, läßt sich nicht mit völliger Sicher- heit feststellen: nach Diodor § 3 mehr als 1000 oder 1200 2), während bei Plutarch a. a. 0. und Helladios die Zahl auf 1500 erhöht ist; auch wenn man die niedrigere Ziffer annimmt, waren es noch immer soviel wie die Opfer der korkyraeischen Partei- kämpfe in den Jahren 427 und 425^) und die angeblich von den Athenern hingerichteten Mytilenaeer*); die höhere Zahl würde den von den Dreißig in Athen Hingerichteten entsprechen ^). Es ist daher begreiflich, daß, wie Plutarchs Meldung über Athens Haltung zeigt, der Skylalismos in der griechischen Welt großes Entsetzen hervorrief und die Argiver nach Wiederkehr der Ordnung^) es für notwendig hielten, den Zorn der Gölter durch eine Sühnewidmung zu beschwichtigen. Auch bei unserer Auffassung bleibt an dem Andenken des argivischen Demos ein arger Schandfleck, der Vor- wurf des Justizmordes haften. Der Zy.vxaXiojxog führte seinen Namen, wie Diodor c. 57, 3 sagt, dia rbv tqojiov zov -davarov, d. h. die Verurteilten wurden mit der Keule oder einem Knüttel hingerichtet, ihnen mit einem solchen Instrument der Kopf zertrümmert. Diese Art der Exeku- 1) Plut. Phoc. 34. 35; dazu Job. Gust. Droysen, Gesch. d. Hellenism. UM, 228 ff. 2) In unserem besten Codex (Patmensis) fehlt xal diay.ookov; die Handschriftenfauiilie FIKM gibt >cai i^axoaicov. 3) Die Gesamtzahl der korkyraeischen Oligarchen betrug gegen 1000 (cf. Jak. Burckhardt, Griech. Kulturgesdi. I 2ß6; Busolt, Gr. Gesch. III 2 S. 1018, 2). von welchen wenig übrig blieben (Thuc, IV 48, 5). Diodor gibt auch da die Zahl 1500 (XIII 4S, 2). 4) Thuc. III 50, 1, dazu Busolt a. a. 0. III 2, 1030f., 2. Ed. Meyer (Gd.A.. IV 347) und Beloch (Gr. Gesch. IP^ 1, 311)) halten an der überlie- ferten Zahl fest. 5) Ed. Meyer. GclA. V 38. 39. 6) Diodors Wendung 6 öe Stifiog Jiavadfisvog rfjg Xvzxrjg eig rijv jzqo- iJTidgxovaav svvoiav djioxaieozrj macht nach dem Vorangegangenen unwill- kürlich einen ironischen Eindruck. 7* 100 HEINRICH SWOBODA tion kommt auch sonst bei den Griechen vor^); der gewöhnliche Terminus dafür ist äjiorvjuTiaviojuog^). Wenn für Argos damals die an sich viel passendere Bezeichnung mit dem Werkzeug, das der Scharfrichter gebrauchte, aufkam, so ist der Grund vielleicht auch darin zu suchen, daß bei der Massenhafligkeit und Gleich- zeitigkeit der Exekutionen das rv/jjiavov, die Maschine, auf welche sonst der Verbrecher gespannt wurde, gar nicht zur Anwendung kommen konnte. Die Schwierigkeit, welche für uns darin besteht, wie der argi- vische ^Skytalismos' in den Zusammenhang der Zeitgeschichte ein- gereiht werden soll und aus welchen Ursachen es zu ihm kam, habe ich bereits betont. Die Neueren haben darüber verschiedene Ansichten aufgestellt. Lachmann vermutet (a. a. 0. I 338), daß Argos damals das Hauptquartier der aus den anderen peloponne- sischen Staaten vertriebenen Demokraten war und daß die spar- tanerfreundlichen Aristokraten dem arkadischen Synoikismos wider- 1) Vgl. Th Thalheim, Lehrbuch d. griech. Rechtsaltertümer * 141, 5; ders., Art. d7toTVfiJiavio/:i6g, Real-Enc. II 190f. In Athen fand dies sel- tener statt (Lipsius, Att. Recht I 77, 101). — Wie mich mein College M. Winternitz belehrt, dessen Bemerkungen ich im folgenden wieder- gebe, scheint das Erschlagen mit der Keule als Todesstrafe bei primi- tiven Völkern nicht vorzukommen, da grausame Todesstrafen .sich im allgemeinen nicht bei Naturvölkern, sondern bei despotisch regierten Kultur- und Halbkulturvölkern finden. In Indien war das Erschlagen mit der Keule u. dgl. wohl keine gewöhnliche Todesstrafe (am häufig- -sten das Pfählen , aber auch Verbrennen und Ertränken) ; doch findet .sich schon in den ältesten indischen Gesetzbüchern eine Form der (religiösen) Sühne, die darauf hindeutet, daß das Erschlagen mit der Keule eine sehr alte Strafsitte gewesen sein muß. Wer sich des Gold- diebstahls an einem Brahmanen schuldig gemacht hatte, wurde durch folgende Sühne von seiner Schuld gereinigt: der Dieb soll mit fliegen- dem Haar, eine Keule auf der Schulter, zum König gelaufen kom- men und ihm melden: 'Ich habe diese und diese Tat begangen' oder sagen: 'Herr, ich bin ein Dieb, strafe mich!' Wenn der König ihn mit der Keule, die ihm der Dieb überreicht, erschlägt, ist er von seiner Sünde gereinigt; aber auch wenn der König ihm verzeiht, doch fallt in letzterem Fall die Sündenschuld auf den König. Der religiöse Charakter dieser Sühneceremonie imd ihre Erwähnung in alten Rechtsbüchem (Äpa- staraba 1, 25, 4£f. ; Gautama 12, 43flf. ; Vasishta 20, 41; Baudhäyana 2, 1, 16 fi'.; Manu 8, 3l4fF.; Vishnu 52, Iflf. und Yäjnavalkya 3, 257) macht es sehr wahrscheinlich, daß man es hier mit einem sehr alten Rechts- brauch zu tun hat. 2) Vgl. H. Stephanus. Thesaurus s. v.; Thalheim a a. 0. ZKYTAAIZMOZ 101 strebten und damit Erbitterung gegen sich hervorriefen; Eduard Meyer (GdA, V 420) bringt, was gewiß richtig ist, die Bewegung in Argos in Zusammenhang mit den übrigen revolutionären Er- hebungen in der Peloponnes (Diod. XV 40, vgl. oben) und meint, daß in Argos, wo die verbannten Feinde Spartas und der Oligarchie Zuflucht gefunden hatten, aufs neue die Hoffnung erwachte, eine führende Stellung gewinnen zu können, und die Vorbereitung dazu der Skytalismos gewesen sei. Eine sichere Entscheidung zu treffen, ist schwer; vielleicht ist die Tatsache einfach auf psychologischem Wege zu erklären, derart, daß die Bewegung in der übrigen Pelo- ponnes auf Argos gewissermaßen ein geistiges Contagium ausübte und damit den Anstoß zu dem Vorgehen gegen die Oligarchen gab. Prag. HEINRICH SWOBODA. MISCELLEN. ZUM EHRENDEKRET VON LETE IN MAKEDONIEN FÜR M. ANNIUS (DITTENBERGER, SYLL.2 I 318). Die Aera, nach der das Datum exovg ■&' xal x, ITavijjuov k zu berechnen ist, beginnt 148. HoUeaux wünscht allerdings eine Nachprüfung dieser Epoche (d. Z. XLIX 1914 S. 589, 1), um vielleicht zu einer Vereinij:ung mit der von Wilhelm wahrscheinlich gemach- ten Aera des eigentlichen Griechenlands vom J. 146 zu gelangen. Doch sehe ich nicht, wodurch der von Kubitschek (Pauly-Wissowa: Aera Sp. 636 f.) begründete Ansatz, den auch Gaebler (Zeitschrift für Numismatik XXIII 165 ff.) angenommen hat, erschüttert würde. In der Annahme zweier verschiedener Aeren vermag ich nichts Bedenk- liches zu erblicken. Ich kann daher Klaffenbach nicht folgen, der ohne weiteren Beweis die makedonische Aera mit 146 beginnt und erklärt, daß der Praetor Sisenna es gewesen sei, dem der Quaestor M. Annius 117 für den gefallenen Sextus Pompeius die Provinz über- geben habe (d. Z. LI 1916 S. 475). Der Beschluß der Letaeer ist viel- mehr, da das 29. Jahr im Oktober 120 beginnt, im Juli 119 ge- faßt. Dafür sprechen die folgenden Erwägungen. Die schweren Kriegsnöte, die uns die Inschrift kennen lehrt, machen es ganz un- wahrscheinlich, daß ein Praetor die Provinz übernahm. Hier war vielmehr die rechte Stelle für ein consularisches Commando. Nur kann der Consul L. Caecilius Metellus (Dalmaticus) die Statthalter- schaft nicht schon im Frühjahr 119 angetreten haben (Gaebler a. a. 0.), sondern erst im Sommer. Denn noch im Juli stand der Quaestor an der Spitze des Heeres (Z. 40 ff. der Inschrift). Ferner: das wenige, das über die römischen Feldzüge 119/8 überliefert wird, ist nur als Fortsetzung der von den Letaeern berichteten Ereignisse ganz verständlich. Dasselbe weit entlegene Ziel hat sowohl Me- tellus wie sein College Cotta: die ZEyeoTavoi = Siscia an der Save (Appian 111. 10: eoiyMoi de y.al Heyeozavol {vnaxovaai) Aev- xlqy Koxra xai MereV.o), . . . ov nokv ((5') voteqov äjiooTijvai). Augenscheinlich haben wir hier den Gegenschlag gegen den Ein- bruch der Skordisker in Makedonien zu erkennen. Das Volk sollte in seinen eigenen Sitzen getroffen werden, die sich von Siscia zum Margus ausdehnten (Strabo VII 318). Zugleich sollte dem Cim- MISCELLEN 103 bernzuge, der die Bewegung der Donauvölker verursacht hatte (Strabo VII 293), ein Riegel vorgeschoben werden. Ob die Gon- suln gleichzeitig von verschiedenen Seilen her operirten, etwa Cotta von Aquileia, Metellus von Makedonien und Dalmatien aus, oder aber nacheinander, ist nicht auszumachen. Bei Livius epit. 62 steht der dalmatische Krieg des Metellus unter den Ereignissen von 118 (L. Cnccilius Mctel/mi Balmatas siihcgit). Bei Appian 111. 11 heißt es: KaixiXfog MExeXXog vjiarsvüjv ovdev ädixovoi loig AaX~ fjLaiaig ly.'fjfpioaxo JioXejusiv sjiid^vjuiq d-Qid^ußov, xal de^Ofievcov avTOv ixeivojv co? (piXov diexei/iaoe jiag' avjoXg ev ^aXo'yvt] TioXet, y.al ig 'P xaxiav, neQixxfj juev iodrjxi, ijjLKpieo/uevijv, dXXoxQiq) de ygcofiaxc yeyuvü}jiiev}]v, xal fj xiv)]oig avxFjg xal y o/eoig jigög xb einxEQneg STUxydevojuevi] xdig jnax^.cooaig eyxeixai oxiayQacpia yvvai^iv, sO' finden wir das Vorbild in Xen. Apomn. II 1, 22 bald heraus. Freilich muß es vorläufig dahingestellt bleiben, ob Clemens hier sehr frei, vielleicht aus dem Kopf citirt oder ein 'triviales Handbuch' (v. Wila- mowitz, Einl. in die griech. Tragödie^ S. 172) benutzt hat. Auf- fallend bleibt immer, daß die obenerwähnte andre Stelle aus der Pro- dikosfabel (Strom. II 20, 107) ziemlich genauen Anschluß an Xenophon hat, daher von Persson als einziges wirkliches Citat bezeichnet wird. Eine zweite Entlehnung aus Xenophon gewinnen wir, wenn wir gegenüberstellen Cyrop.l 2,16 aioxQov juev ydg k'xi Paed. II 7, 60 jiagaiTrjxeov de xal vvv eoxi Ilegoaig xal x6 xal xb ovvey^eg dnonxveiv üixveiv xal xb djzojuvxreo&ai xal xb ^Qe/ujixeoßat ßiaiozegov xal xb cpvoYjg fxeoxovg cpaiveo&ai, i-iydh djtojxvxxeodai naga atoxgbv de eoxi xal xb lovxa nöxov. 7101 (pavegbv yeveod'ai y xov ovgrjoai. evexa i] xal äXXov xivbg xoiovxov. Cyr. VIII 8, 8 vojuijuov ydg di] Paed. 112, 21 ol de dx/udCovxeg .. ^v avxoTg juyxe nxveiv fxrjxe äjieyeoßwv ndfxnav xov Jioxov djio/bivxxeo&ai. driXov de oxi jigbgrbdvajiiveo&aixtjv Jiegixxrjv 106 MISCELLEN Tavia oi' rov ev reo ocjojiiaTi vyQÖrtpa avröjv ävaonoyyi^ofie- vygov (peiöousvoi ivöfxioav, vrjv ^rjQocpayiq' y.al ya.Q t6 d.X?Ä ßovXojjLSVoi diä novüiv ovveyeg titvelv xal anoiivo- y.al Idgcörog lä ocojuara orege- oeod^ai xal Tiegi rag exxgi- ovodai.vvv ÖetÖ ju£v jui] Tirveiv OEig OTievöeiv axgaoiag xex- /itjöe äjiojLtvTTSo&ai exi öia- jU)]oiov ix jrjg djuergov ngoocpo- juevEi, zb <5' exTiovelv ovdajuov oäg vn£Qjieou.EV Xddga xal dyvoovoa juiysioa, slxa yvovoa ävöga iv tg> (pavEgw eo^e, xal i^ ixEivov, ngoxEgov I MISCELLEN lO? ßöekvxzov öv , Mrjdoig xal IJegoaig xaXbv xal vöjuijuov edo^e jur]TQäoi juiyvvo&ai, was wieder in einer Randbemerkung des cod. A = Ven. 450 folgendermaßen eingeschränkt wird: ort ov idg jurjregag yajuoüoiv, ä?2a raig /nrjTQvialg julyvvviai oi IJegoai ecog rov vvv, djiexovrai de xoiv yevv7]oa/U£va)v, (bg Xeyerai nagd rcöv eidoTCov rd xar' avrovg. Darnach scheint es mir wahrscheinhcher, daß Clemens die ganze Stelle Paed. I 7, 55 mit ihren Reminis- cenzen an Xen. Cyr. 12, 4 u. 8 und Xanthus' Magica aus einem wirklich recht trivialen Handbuch abgeschrieben hat. Das Vorgetragene wird genügen, um zu erkennen 1) wie kritiklos Clemens seine Quellen benutzt hat und daß es ihm gar nicht darauf ankommt, sich selbst zu widersprechen wie Paed. I 7, 55 = Strom. III 3, 11, 2) daß Clemens die Schriften Xenophons aus eigener Lektüre nicht gekannt haben kann und als Zeuge für die Neben- überlieferung ausscheiden muß. Liegnitz. ______ WILHELM GEMOLL. ZUM ATTISCHEN VOLKSBESCHLUSS ÜBER CHALKIS. Von dem wichtigen attischen Volksbeschluß über Chalkis IG I Suppl. n. 27* ist die Bestimmung über die dort wohnhaften Frem- den neuerdings wiederholt zum Gegenstand der Erörterung gemacht worden, wiewohl ihr einzig natürliches Verständnis, das ich seit Jahren in meinen Übungen vertreten habe, nach seiner Begründung durch E.Meyer, Forsch. II 146 f. für ausreichend gesichert gelten durfte. Gegen eine abweichende Deutung von W. Kolbe ind.Z. LI 1916 S. 479 f. ist es sofort von E. von Stern ebenda S. 630 f. gestützt wor- den. Schon zuvor aber hatte Lehmann-Haupt in der Behandlung des Psephisma in seiner Griech. Gesch. bei Gercke-Norden IIP 116ff. eine noch stärker abgehende Auffassung zur Geltung zu bringen versucht und hat in dessen erneuter Besprechung im vorjährigen Bande d. Z, S. 520 ff., die im übrigen nur das früher Gesagte wiederholt und weiter ausführt, seiner Erklärung der in Rede stehenden Stelle unter dem Einfluß von Kolbes Bemerkung eine veränderte Gestalt gegeben, die aber gleichfalls zu entschiedenem Widerspruch herausfordert. Die Bestimmung lautet wie folgt: rovg de ^evovg rovg ev XaXxiöi öooL oixovvreg jut] xelovoiv 'A^rjvaQe xal ei' ro) diöorai VTiö rov drjfjLov tov A^7]vaia>v dreleia, rovg de älXovg reXelv eg XaXxida xa'&dneQ ol äXXoi XaXxiöh^g. Man hat mit Recht an 108 MISCELLEN der ungeschickten Stilisirung Anstoß genomrti6n. Aber der sehr verschiedene Umfang der beiden von der Steuerpflicht in Chalkis ausgenommenen Kategorien hat die positive Fassung der zweiten Ausnahme veranlaßt und diese weiter zur Wiederaufnahme des Subjekts mit robg de allovg geführt, da das Prädikat xeXeiv ig XaXxida zu dieser Fassung nicht mehr paßte. Über den An- stoß kommt man aber auch nicht dadurch hinweg, daß man mit Kirchhoff äxEkElg elvai zu den Ausnahmebestimmungen ergänzt. Denn dessen Ellipse wird durch die vorausgehende Erwähnung der dreXeia in keiner Weise gerechtfertigt und nötigte obendrein, /uij in juh> zu corrigiren, eine Änderung, die allgemeine Ablehnung gefunden hat, ohne die aber die noch von Lehmann -Haupt fest- gehaltene Ergänzung für den ersten Satzteil sinnwidrig wird. Klar ist der Sinn des Beschlusses : die Fremden in Chalkis sind ver- pflichtet, dort zu steuern, soweit sie nicht, obgleich da wohnhaft, nach Athen steuern oder vom Volke von Athen von der Steuer befreit sind. Daß unter den Fremden in Chalkis nicht athenische Bürger verstanden sein können, nämlich solche, denen nach der Unterwerfung von Chalkis die den Hippoboten abgenommenen Län- dereien in Pacht gegeben wurden, wie Lehmann-Haupt noch 1914 verstanden hatte, erkennt er jetzt selber an. Aber an dem Zu- sammenhange der Bestimmung mit der Neubesiedlung jener Län- dereien liält er nach wie vor fest, in der Weise, daß er in den ooot jidj teIovolv 'A&^vaC£ die looreXelg sieht, die neben den atti- schen Bürgern zu ibrer Pachtung zugelassen worden seien, und er beruft sich für diese Deutung der Worte nach dem Vorgang von Kolbe auf die Erklärung des Lex. Seguer. V 267 looreXelg' fihoixoi rä fXEV ^evixä reXr] jurj reXovvxeg, ra de loa roig aozoTg relovvieg. Dabei ist jedoch dem Einwände nicht genug Rechnung getragen, den von Stern sofort gegen Kolbe erhoben hatte, daß diese Definition für das Verständnis der fraglichen Worte nichts beweisen kann, weil in ihr aller Nachdruck auf dem Objekt rä jiiev ^eviy.d zu /j,r} reXovvreg ruht im Gegensatz zu dem folgenden rä de loa roTg äoroTg reXovvreg. Lehmann -Haupt will zwar mit der Auskunft helfen, daß, wenn in dem nach deutlichen Anzeichen vorausgegan- genen Volksbeschluß über Chalkis von der Beteiligung der Isotelen an der Pachtung des Hippobotenlands die Rede war, der Ausdruck öooi jui] reXovoiv "Adrjvalie im Sinne von ol rä ^evixä jU)] re?.ovv~ reg 'Adijva^e gebraucht werden konnte, womit zugleich das Hinder- MISCELLEN 109 iiis gegen die Ergänzung von äreleig dvai beseitigt werden soll. Allein die Möglichkeit der Ellipse des für den Sinn unentbehrlichen rd ^Evixd ist auch unter jener willkürlichen Voraussetzung ent- schieden in Abrede zu stellen, und selbst wenn sie zugegeben wer- den dürfte, wäre damit noch keine correcte Bezeichnung der ioo- teXeig gegeben, da der Ausdruck auch auf die nrehTg Anwendung htte. Gerade die Zusammenstellung der Kategorie öooi /d] reXov- oiv 'Adijva^E mit den ärEXeig aber lätU die Beziehung jener auf die Isotelen unzulässig erscheinen. Nicht als ob laoTeXeia und drtX.eia nur verschiedene Benennungen derselben Sache wären, wie sonderbarerweise Francotte, Finances des cites Grecques p. 283 ff. mit ganz unzureichender Begründung behauptet hat. Aber da die eine wie die andere durch Volksbeschlufs verliehen wurde, wäre die Fas- sung der Ausnahmebestimmung statt eines einfachen oooig jutj looxeXeia rj dreXeia dedoiai vno rov dtjjuov rov 'Aßrjvaicov mehr als ungeschickt. Es muß also dabei bleiben, daß alle in Athen eingeschriebenen Metoiken, falls sie nach Chalkis übersiedelten, nach Athen weiter zu steuern hatten, in (Ihalkis aber von der Steuer- pflicht entbunden waren. Daß aber die Absicht der Maßnahme dahin gegangen wäre, Nichtbürger zur Bebauung des Hippobolen- landes heranzuziehen, um durch dessen möglichst starke Besiedlung die in Athens Interesse gelegene Erhöhung seiner dortigen Wehr- macht zu erzielen (Lehmann -Haupt S. 533), das ist dadurch aus- geschlossen, daß in diesem wie in ähnlichen Fällen die Zahl der Ansiedler im voraus festgesetzt war. Und daß man entgegen dem sonstigen Verfahren bei Aussendung von Golonien im einzelnen Falle auf die Metoiken zurückgegriffen hätte, wird, von allem andern abgesehen, um so unwahrscheinlicher, wenn man erwägt, aus wel- chen Elementen die attische Metoikenschaft sich zusammensetzte. Unter der großen Zahl von Metoiken, deren Beschäftigung für uns nachweisbar ist, begegnen nur sehr wenige Landbauer, und am wenigsten kann es ihrer unter denen gegeben haben, die das Volk durch Verleihung der Isotelie ausgezeichnet hatte. Etwas wesent- lich anderes ist es, wenn der Staat, um den Abbau der Silberberg- werke von Laureion zu steigern, den Metoiken, die sich daran be- teiligten, die Isotelie gewährte, nach Xenophon jioqoi 4, 12 mit meinen Bemerkungen bei Schubert, De proxenia Attica p, 53. Wohl aber ist es verständlich, daß man als Folge der Abwanderung von zweitausend Bürgern nach Chalkis auch die Übersiedlung einer nicht 110 MISCELLEN geringen Zahl von Metoiken erwartete, deren Steuerkraft man dem Staate nicht verlorengehen lassen wollte. Leipzig. J. H. LIPSIUS. DIE ZEIT NIKANDERS. Für den Dichter Nikander sind drei verschiedene Zeitangaben überliefert. 1. Um 275 wird er als Zeitgenosse des Arat, Theokrif, Kalli- machos, Lykophron gesetzt in den ßioi 'Agdrov 1, 2, 4 Westerm. (= Comment. in Arat. Maaß p. 78. 11; p. 323. 13, p. 326. 5, 14), Hypotlies. Theokrit I, ßioi Ävx6(pQovog p. 4. 30 Scheer, auch wohl bei Cicero de or. 116. Ebendahin setzt ihn Schol. Nikand, Ther. 3 mit der Behauptung, der hier angeredete Hermesianax sei der Dichter des Leonlion. 2. An das Ende des 111. Jahrhunderts verweist ihn die Polemik, gegen den ersten Ansatz in den citirlen Aratviten, von denen die erste ihn nach Ptolemaios V. (204 — 180) dalirt, die vierte ihn 12 Olympiaden = 48 Jahre jünger als Arat erklärt, was etwa 225 ergäbe. Da sie aber beide dieselbe Vorlage wiedergeben, ist dieser Unterschied bedeutungslos. 3. Nach Altalos 111. (138—133) datirt ihn der Verfasser des erhaltenen Commentars zu den Theriaka im yevog und zu Vers 3, ebenfalls gegen den eisten Ansatz polemisirend. Aus dieser Übersicht ergibt sich, daß die ursprüngliche Datirung Nikanders die erste auf 275 war, da gegen sie sich die Polemik richtet, die ihn jünger machen will. Worauf jener ältere Syn- chronismus des Nikander. Arat, Kalllmachos, Theokrit, Lykophron gegründet war, wissen wir nicht. Es paßt zu ihm aber vortrefflich die Widmung der Theriaka an Hermesianax, „den berühmtesten seiner vielen Verwandten", den der ältere Erklärer für den Freund des Philitas, den Dichter des Leonlion, erklärt hat (Schol. Nik. Tlier. 3), ohne dies als Beweis für die Datirung zu benutzen ; eher gilit er es als Folgerung, sofern man auf die Fassung des Scholions über- haupt etwas geben darf. Diese Identifikation, gegen die sich auch hier die Polemik des jüngeren Chronologen richtet, leuchtet außer- ordentlich ein, da jener Dichter Hermesianax in der Tat aus Kolo- phon stammte (Athen. Xlll 597 A), wirklich berühmt und älter als Nikander war, der ihn auch in seinem Werk über die kolophoni- 1 MISCELLEN 111 sehen Dichter erwähnt halle (Schoh Nik. Ther. 3). Es paßt aher auch, was wir von Nikanders Poesie wissen, vorlrefTlich in diese fi üh- hellenislisclie Zeit. Wie Herinesianax, Arat, Alexander Ailolos u.a. folgt er dem Vorbilde Hesiods, des Lieblings dieser modernen Dicblergemeinde, maclit wie Arat Lehrgedichte Theriaka, Alexi- pharniaka, Georgika, Melissurgika, und zwar ebenso wie jt-ner, in- dem er ein Handbuch des lologen ApoUodoros versificirt, dichtet wie Boio Verwandkmgssagen. Für die Diktion scidiefst er sich dem Anlimachos, seinem Landsmanne, an (Schol. Nik. Ther. 3). Auch das ist ein specifij:ch fVühhellenislisihcr Zug. Asklepiades von Samos (AP IX 63) und Poseidippos (AP XII 168) feiern Anlimachos hoch, Phililas, Hermesianax ahmen ihn nach; aber, nachdem Kalli- machos (f^% 441) die Lyde des Anlimachos ein naiv yQ6.}xiia xal ov xoQov gescholten, hat es, soweit wir wissen, lange gedauert, bis er wieder zu Ehren kam : erst bei Antipalros von Thessalonike AP VII 409 finden wir wieder sein Lob. Denn aus dem boshaften Epi- gramm des Ktales von Malios XI 218 kann man das kaum herauslesen. Dieser gut begründeten urspiünglichen Anselzung Nikanders auf 275 durch seine älleslen bekannten Behandler stehen seine Dalirungen auf 200 und 133 entgegen, von denen jene in den Aratviten, diese im Theriakacommenlar gegen die erste ausgespielt werden. Die nur für die dritte erhaltene Begründung stützt sich auf einen Hymnus an einen Pergamenerkönig Attalos in Hexa- metern, von dem fünf Verse im Wortlaut angeführt werden; weitere Beweise scheinen nicht erbracht worden zu sein , wie diese Verse ja auch so ziemlich Ausschlag zu geben geeignet sind. Denn daß ein um 275 dichtender Zeitgenosse Arats und Ka'limachos', der noch den Hetniesianax, Phililas' Freund, gekannt halte, auch nur den Altalos I. (241 — 197) besungen haben sollte, ist nicht sehr wahrscheinlich, wenn auch Kallimachos noch um 244 der Gattin des dritten Ptolemaios gehuldigt hat. Nun behauptet aber der Verfasser der Nikandervita , dieser Hymnus sei an den 3. Altalos (138 — 133) gerichlet. Wie er daraufgekommen, wissen wir nicht. Die mitgeteilten Verse geben keinen Anhalt. Denn Pasqualis (Studi Ilaliani di Hlologia cl. XX 1913 p. 68) Schluß aus dem Verse Tev&Qavidtjg, cb xXrJQOv äei naTQCotov l'oxcov , der erste Altalos könne nicht gemeint sein, weil er nicht vom Vater, sondern vom Oheim Philelaitos das Reich erobert halte, ist verfehlt. Das perga- menische Königshaus führte sich auf den Heraklessohn Telephos, den 112 MISCELLEN Erben des Teutliras zurück, und es hat, wie die von Ad. Wilhelm erkannte und erläuterte (Athen. Mitt. XXXIX 1914 S. 148) Statuen- reihe dieser mythischen Ahnen und der Attaliden in Delos, ebenso wie der von Robert gedeutete Telephosfries (Arch. Jahrb. II 1887 S. 255) zeigen, auf diese Abkunft und ihr so legitimirtes Erbrecht den giößten Wert gelegt. Wirklich ist nun aber auch dieser Hymnus wahrscheinlich auf Attalos I. bezogen. Denn so wird nicht nur der zweite Ansatz Nikanders auf 225/200 (Ptolemaios V. und 12 Olym- piaden nach Arat) verständlich, sondern es erklärt sich auch die Con- fusion bei Suidas NiyMvdgog . . . yeyovcog xard röv veov "'ArxaXov tjyovv röv teXevto.Tov, tov FaXarorixtp', ov'Pco^aToi xareXvoav. Diizu paßt nun auch das delphische Proxeniedekret Nixdvdgoo( "Ava^ayoQov Kokocpcovicoi ijiecov 7ion]räi (BCH VI 1882 p. 217 nr. 5 = Collilz-Bechtel, Gr. Dialekt-Inschr. 112653 = Dillenberger Syll. P 452), nach Pomtows Ansatz von 205, auf den er nach vorübergehen- dem Schwanken (260 — 230: bei Vollgraff, Nikander und Ovid 1909 S. 20) wieder zurückgekommen ist (Syll. a. a. 0., vgl. Realencykl. IV 2631). Bewährt sich diese Datirung, so hat es zwei Dichter Ni- kandros von Kolophon gegeben: 1. den berühmten Dichter der Georgika, Heteroiumena, Tlieriaka, Zeitgenossen des Hermesianax und Arat, Sohn des Damaios, um 275, 2. den Sohn des Anaxa- goras, der 48 Jahre jünger als Arat, auch nach Ptolemaios V. datirt (also um 225/200 anzusetzen), den Hymnus auf den Galliersieger Attalos 1. gedichtet haben wird. Sollte aber die delphische In- schrift mit ihrem Archon Nikodamos doch noch auf 266, das Jahr eines Archons gleichen Namens (Pomtow zu Diltenb. Syll. P 424), zu setzen sein, so würde sie auf 1. bezogen werden müssen. Da- maios, ein Name, der nur in Delphi vorkommt (Pomtow zu Dittenb. I ^ 452), wäre dann sein delphischer Adoptivvater. In jedem Falle bleibt der Ansatz des uns bekannten, von Aemilius Macer, .'ergil, Ovid bewunderten und benutzten Dichters Nikander auf die frühhellenistische Zeit bestehen. Denn in ihre Bestrebungen fügen sich seine Werke ein. dahin weist seine Widmung an Hermesianax und dahin ist er von der antiken Gelehrsamkeit als Zeitgenosse Arats gesetzt. Leipzig. E. BETHE. ÜACCHYLIDEA. 1. Die keische Siegerliste. Die Bedeutung der Siegerlisle von Keos für Bakchylides' Epinikien ist sogleich nach der Veröffentlichung des großen Papyrus von Wilamowitz ') und Festa^) erkannt worden, die aus ihr den von Kenyon mißverstandenen Namen des in den beiden ersten Liedern gefeierten Siegers Argeios, Pantheides' Sohn, ermittelten. Der Stein war lange Zeit nur in der Dissertation von Pridik, De Cei insulae rebus, Berlin 1892 S. 160 zugänglich ^), jetzt liegt er in besserer durch ein Faksimile unterstützter Fassung vor IG Xlf 5, 608 *). Am eingehendsten hat sich mit ihm Jebb ^') befaßt, der sich auf Angaben Bosanquets stützen konnte. Da Bosanquet eine für das Verständnis des Steins wichtige Frage anders beurteilt als Hiller v. Gaertringen im Corpus, erbat ich von diesem einen Ab- klatsch, den er mir mit gewohnter Liebenswürdigkeit und Hilfs- bereitschaft sofort zur Verfügung stellte. Eine Nachprüfung am Original im Athener Nationalmuseum ist ja leider vorläufig un- möghch. Über den äußeren Zustand bemerkt Hiller im Corpus: Stehi mar- moris albi in duas partes fracta, superne mvfila, a parte postica rudis. L. 0,30, a. max. 0,52, er. 0,09; littcrae OMS— 0,012. Darnach wäre die Stele zwar rechts und links an den Rändern bestoßen, so daß einige Anfangs- und Schlußbuchstaben verloren- 1) Götting. gel. Anz. 1898, 126, 2) Le odi e i fi-ammenti di Bacchilide, Firenze 1898, S. 2 Anui. 1. 3) Pridiks Abschrift ist wiederholt in Michels Recueil 905, der von den Beziehungen zu Bakchylides noch nichts weiß. 4) Obwohl der IG - Band 1903 erschienen ist, citirt leider auch die sechste, 1912 herausgekommene Auflage der Griechischen Literatur- geschichte von Christ-Schmid nur die veraltete Pridiksche Veröffentlichung. 5) Bacchylides, the poems and fragments, Cambridge 1905, 186 f.; Hillers Veröffentlichung ist auch Jebb unbekannt. Hermes LIII. 8 114 A. KÖRTE gingen,, aber nur oben gebrochen, die Ergänzungen der einzelnen Zeilen müßten sich also rechts auf 1 — 2 Buchstaben beschränken, und so hat Hiller sie unter Annahme zahlreicher Abkürzungen auch durchgeführt. Bosanquet bei Jebb S. 186 f. nimmt dagegen eine stärkere Abarbeitung der rechten Seite an, die anläßlich der Verbauung in eine byzantinische Kirche auf Keos vorgenommen sei, und ich muß ihm beistimmen. Der Abklatsch spricht zum mindesten nicht gegen eine solche Verstümmelung der rechten Seite, ein glatter scharfer Band ist nirgends zu erkennen, und sachliche Gründe machen es meines Erachtens sicher, daß mehr fehlt, als Hiller an- nahm. In seiner Ergänzung ist nämlich dreimal den Angaben des Namens, Vatersnamens und der Altersklasse die Kampfart bei- gefügt, z. B. Z. 13 Ko]7vig 'A^iXeco Tiaidcov 7Tay{y.odnov)^), bei den übrigen Siegern fehlt das Kampfspiel. Dies Schwanken wäre bei gleichzeitiger Eintragung der ganzen Liste ^) schwer verständlich, es widerspricht aber auch dem Zweck der Liste, denn zu wissen, in welchem Kampfspiel die einzelnen Siege errungen waren, ist doch mindestens ebenso wichtig wie, in welcher Altersklasse. Unter der Voraussetzung, daß rechts ein Stück der Stele von unbestimm- barer Breite abgehauen ist, komme ich zu folgendem Text: a]»'[^^ä>j' äyojvo. röv deiva ?y]? [0]ißQCOv{og) äv[dQcdr Ä]eo\xQ]eojv BoAeog äv\dQÖn' A]iJiaQio)v ÄiTiägov avdgc7j[v 5 A]i7iaoioji' Äi7id[Q]o[v a]vdQ[a}v Ä\eoy.Q£OJv BcoIe\o\q ävd\oö)v Aeo\ii[QE\(jov Bo'jl[e\o\g\ d.rd[Q(br Ai\7iaQuov AiTiaQov ävdQ[oJV ^]aiöi7i7Tiöi]<; AiJioLQOv d.y[EVEkor 10 a\dElcpol rfji avT)~]i fijiisQai Kif.ior/ KdjiiTiov dvdgcTjv 2!iLiiy.v?>.[iv]i]g Tiiidoyo[v dvögcor KQ]7vig 'A^ü^eo) Tzaidojv Jiay[xQdTiov IIolvq)avrog Qeo(pQd[deo\g äYEv[eicov dydira tov öeTv 15 'AgyElog nav&elQÖECo 7iaidco[v ttv^ oder TrayxQdxiov Aecov Ascüjuedovrog [xiJqv^ leerer Raum für 3 Zeilen 1) Die beiden andern Fälle sind Z. 24 und 29. 2) Wieweit diese anzunehmen ist, erörtere ich initen S. IIG. BACCHYLIDEA 115 OIÖE Nefieia evly.ojt' «7r[o Aojx[ioj]v (?) Ned[ov]xiov (?) ärdQCo[r uyibra lov dura "EnaxQog Na\y\x,vöeo(; ävd\Qwv >< >^ >> 20 \Ake^idiKog [M\eviiTog ävö[Qü)v >> »> » KoivoXemg [T/j^aaea uye\^>doiv " >> » AinaQioiv A^Ti\äoov av6Q(b\\' n ,> » Aa/i(jTQ0>i2.rjg "A^iXeco a.vdQ\a)r » <> '> Kificov KäjATioi'! uvÖQfjjv Jia\j'y.Qdziov oder 7idh]v 25 IIokv(pavTog &E[o\(pQädeog äye\yeUiL>v äyörva tov öeTva Agyslog Ilavde'idECO äyEveko[v 7iv^ oder TrayxQariov Adicov AgiOTOjuh'eog 7iaiöco[r orddiov Addern' 'Agioro/ueveog jiaidco[v orddiov Aecov Äecüjuedovrog y.fJQv^ leerer Raum In der Lesung des stark verscheuerten Steins bin ich, wie zu erwarten , über den kundigen Corpusherausgeber kaum heraus- gekommen^), nur glaube ich in Z. 17, wo Hiller nur das Vorhanden- sein unlesbarer Spuren hinter hixcov angibt, ein A, A oder A und •dann deutlicher ein P zu sehen ^), also äjio, das wäre dann eine Angabe über den Anfangstermin der nemeischen Siegerliste. Z. 15 «nd 26 habe ich nv^ oder nayxQdxiov vorgeschlagen, weil Argeios bei Bakchylides I 141 y.aQTe]Q6yeio heißt und II 4 f. von ihm ge- sagt wird öri iJ.\d'/]^ag dgaov^^eiQog Aq- y£io[g ä]Qaro v'ixav. Z. 27 und 28 ist oxdöiov sicher zu ergänzen, denn wir wissen jetzt aus der Olympionikenliste von Oxyrhynchos (0. P. II 222), daß Lachon den von Bakchylides im sechsten und siebenten Gedicht verherrlichten Sieg in der 82. Olympiade (452 v, Chr.) im Stadion- Jauf der Knaben gewann. Zwei Fragen drängen sich zunächst auf: 1. Wann ist der Stein geschrieben? 2. Ist die Niederschrift einheitlich? Da Hiller 1) Gegen &\lßQior{og) in Z. 2 l)iu ich sehr mißtrauisch, obwohl Prott ■fiN gelesen hat „N prms certum esse affirmans neque OYAWqööv legi posse'^. '2) Hiller gibt an: post hi'xcor Ol Piiclik; „in eciypo et in LoUinßü apographo, f/iiae exscripsi optirne dignosci possunt" Pridik. ABT prima littera fere certa, deinde P aiit B, postea K aut P, ante A fortasse -spatio racuo Pi-ott. Nihil cnudeo. 11(5 A. KÖRTE eine Beantwoilung der eisten Frage ablehnt, wiid sie bei unserer bisherigen Kenntnis der keischen Inschriften nicht zu geben sein^ aber so viel wird man doch Avohl sagen dürfen, die FJuchstaben- formen sehen nicht so aus, als seien sie um 450 eingehauen ^). Mit aller Vorsicht möchte ich vermuten, daß die Inschrift kaun\ wesentlich vor 400, vielleicht auch erst im Anfang des IV. Jahr- hunderts verfallt ist, also ein bis zwei Menschenalter nach Lachons- letztem Sieg. Die zweite Frage läfst sich eher entscheiden: es fallen deutlich' die Schlußzeilen beider Abteilungen aus dem Übrigen heraus, Z. 1(> .Ucov ÄEOijiiEdovTog ist größer und plumper geschrieben als die übrige Inschrift, weshalb y.fJQv^ auf dem erhaltenen Teil nicht mehr Platr fand, Z. 29 Aeoiv Äsü)f.iedovrog ü^qv^ dagegen kleiner, aber auch in dickeren, etwas tiefer eingehauenen Buchstaben. Alle anderw Eintragungen sind gleichzeitig, das zeigt sich besonders in den Fällen , wo derselbe Sieger zweimal hintereinander erscheint, wie Z. 4 und 5- AiTiuokov AiJiaQov, 27 und 28 Adyiov\AQLOxoi.i£VEog, wo die Siege also in verschiedene Jahre fallen. Das kleine Schwanken in der Schrei- l)ung KijLioiy Kdjujtov in Z. 11 gegen Ki^ucoy KduTiov in Z. 24 kann dagegen nicht ins Gewicht fallen. Im Grunde ist die Sache ja schon durch den Schriftcharakter entschieden; denn wenn die Inschrift nicht in die erste Hälfte des V. Jahrhunderts gehören kann, wäre es ja sinnlos, die vor langen Jahren errungenen Siege einzeln von ver- schiedenen Steinmetzen eintragen zu lassen. Das Ergebnis ist also r etwa um 400 schrieb man die keischen Sieger aus der nach Bak- chylides II 9 vorhandenen staatlichen Liste auf Stein ab. Zwischen den Isthmioniken und Nemeoniken ließ man zunächst 4 Zeilen für etwaige künftige Sieger frei, ebenso einen Piaum am Ende der Nemeoniken, und diesen freien Raum benutzte dann der Hi]Qvi Leon zur Eintragung seiner späteren Erfolge^). Betrachten wir zunächst, was der Stein für die Sporterfolge der Keer lehrt. Bei der festen Reihenfolge der vier großen Nationalspiele ist es voa vornherein klar und auch nie bezweifelt worden , daß den Neme- oniken die Isthmioniken vorangehen. Von ihnen sind uns noch 1) In Lübkes Zeichnung wirken sie für mein Gefühl etwas eleganter uud jünger als im Abklatsch. 2) Daß zwischen der Niederschrift uud Leons Siegen viel Zeit liegt- glaube ich nicht. BACCHYLIDEA 117 14 Eintragungen erhalten^), in den beiden ersten fehlen die Sieger- namen, wir haben also von der ganzen Liste nur grade ein Fiinftel, denn der in Z. 15 verzeichnete Sieg war nach Bakchylides v ^ — y?Mvy.öv AhcoXidog Z]^}]vbg £v K[(o)i ävdt]iu' iXaiag y.ai]ji€o ävi7i[7iog eovo' (?) h UeXoTiog (Povyiov Fr. 7 Z. 1 ist die Lesung unsicher und der Hiatus -lov äyojv\og schwerlich richtig, aber der Papyrus hat ähnhche Hiate III 64. 92. XVI 5. 20. Z. 5 schlägt Maas nov\Xvaf.mel — oder 6 7io\lvaiA7iEX — vor, aber Composita mit ttovIv kommen weder bei Bakchylides noch bei Pindar vor, auch ist die Entsprechung bei o 7iolvai.i7iel — ge- nauer. NatLU'lich mufs ein casus obliquus folgen, etwa 6 Ttokva/ti- TIeXoV JLlEÖEmv. Z. 7 ist Maas' Vorschlag iv K[ecoi schwer zu umgehen, da dem Kolon nur eine Silbe fehlt; obwohl die Synizese sonst in Keog bei Bakchylides nicht vorkommt. Z. 8 habe ich y.aijiEQ ärijuiog lovo' gewagt nach Pindar Pai. IV 27, wo der Keerchor von sich sagt ävinnog eijui. Daß sich die 8 Verstrümmer hintereinander dem Metrum von VIII ohne Zwang und ohne andre als die erlaubte Freiheit — ^ — -^ = — ^ (V. 5) fügen, kann kein Zufall sein. Ebenso läßt sich fr. 12 mit Vll 2tY. in Einklang bringen, ob- wohl hier die starke Zerstörung der Strophe ein sicheres Urteil unmöglich macht ^). Maas gewinnt also aus VII 1 — 11 -f fr- 12 ein Lied aus zwei Strophen mit zusammen 22 Kola, aus fr. 7 -,- VIII Kenyon ein zweites, wieder aus zwei Strophen mit zusammen 32 Cola bestehend. Beide Lieder sind kurz, aber selbst das kürzere MI ist immer noch zwei Verse länger als der Liederbrief IV, den Bakchylides nach Hierons pythischem Wagensieg an den Herrscher sandte. 1) Blaß' Behauptung, daß sich am Räude von Col. XVUI Vers- enden der Gegenstroplie erhalten haben müßten, wenn eine solclie zu VII Ift". existirt hätte, weist Maas mit Recht zurück; der Schreiber wird die Gegenstrophe etwas enger geschrieben, oder allmählich etwas weiter links begonnen haben. BACCHYLIDEA 123 Für das VIII. Gedicht läßt sich nun noch einiges ermitteln. Daß 7iolvdjiiJie?.og (fr. 7, 5) auf Keos weist, hat schon Blaß hervor- gehoben, äjUTieXoTQÖq^og wird die Insel VI 5 genannt, und auch Pindar läßt den keischen Chor Pai. IV 25 f. rühmen fj y.ai zt Aicovi'oov uqovqu rpegei ßiodcoQov äfiayaviag äxog. Nimmt man die zum mindesten wahrscheinliche Ergänzung in V. 7 Z\r]v6g ev K[koL und die wieder durch Pindar empfohlene in V. 8 y.ui]^7iEQ ävi7i[7iog hinzu, so glaube ich mich nicht gegen das neunte Gebot des Lehrs-Ritschlschen Philologen-Katechismus „Du sollst nicht glauben, daß zehn schlechte Gründe gleich sind einem guten" ^) zu versündigen, wenn ich sage, im VIII. Gedicht wird ein Keer gefeiert. Der Platz hinter den beiden Gedichten für den Keer Lachon paßt gut dazu, und man versteht jetzt auch besser, warum die Gedichte VI — VIII von den beiden ersten für den Keer Argeios getrennt sind. Das erste Gedicht war durch seine Länge und die keische Sage als Tijlavyeg tiooocojiov für die Epinikien des keischen Dichters wie geschaffen und bestimmte natürlich den Platz des zweiten, das ja nur sein Vorspiel ist. Nun aber sogleich weiter drei kleine Gedichte für Keer folgen zu lassen, trug der Anordner Bedenken und schob die Gruppe der Gedichte für Hieron ein, von denen III und vor allem V weit stattlicher sind. Ist aber der Sieger von VIII ein Keer, so können wir ihn auch benennen. Er muß, wie wir sahen, am Isthmos und in Nemea gesiegt haben, und das haben laut dem keischen Stein nur Argeios und Liparion, Liparos' Sohn, getan. Argeios scheidet schon nach der Stellung von VIII aus , also bleibt Liparion übrig. Und da trifft es sich dann gut, daß Liparion mit seinen drei isthmischen und einem nemeischen Sieg weitaus der erfolgreichste Keer ist, von den wir Kunde haben, die stolzen Worte des VIII. Gedichts ovrig äv&gcoTicov x[ad'' "Ella- vag ovv älixi yo6vco[i naJg ecov uv/jq ts :7[ooolv .T/£t']vag idtiaro viy.ag passen also in der Tat vorzüglich auf ihn. 1) 0. Ribbeck. Friedrich Wilhelm Ritsclil S. 4r>0. I 124 A. KÖRTE 2. Die neuen Fragmente. Unter den Oxyrh}Tichos-Pap)'ri ist schon einmal ein Rest einer Bakchylideshandschrift zutage gekommen ^) , der für die Verse XVII (XVI Bl.) 47 — 78 und 91 f. erwünschte Ergänzungen bot und vor allem durch den angehängten Sillybos Baxyv/ddov .dißvgajLißoi alle Zweifel daran beseitigte, daß wir in dem zweiten Teil des großen Londoner Papyrus wirklich die erste Hälfte des Dithyrambenbuchs besitzen. W^eit umfangreicher und interessanter sind die Pveste einer zweiten Handschrift, die Grenfell und Hunt in dem leider bisher in Deutschland nur sehr spärlich vertretenen Band XI der 0. P. Nr. 1361 unter dem Titel Bakchylides Scolia veröffentlicht haben ^j. Die sehr schöne, ich möchte sagen lapidare Schrift, die sogar vornehmer wirkt als die des Londoner Papyrus ^), wird von den kundigen Herausgebern dem 1. Jalirh. n. Chr. zuge- teilt; hervorzuheben sind die Formen des t, bei dem der Horizontal- strich nach Art der älteren Steinschrift senkrecht von der Mitte der oberen zur Mitte der unteren Querhasta geführt wird, und des i, bei dem ein kleiner Haken frei zwischen den beiden Querhasten schwebt. Die Kola sind richtig abgesetzt, es fehlen aber die Paragra- phoi zur Strophenabteilung. Die ävco oriyjurj hat, wo sie inner- halb der Zeile auftritt (fr. 1. 1 und 3, fr. 4, 2 und 7), Kommaform, am Versschluß dagegen (fr. 1, 6) Punktform, die /neo^] am Versschluß (fr. 1, 8) ebenfalls Punktform. Die ziemlich zahlreichen Accente, Spiritus, Apostrophe sind nach den Herausgebern ganz oder vor- wiegend von späteren Händen hinzugefügt, ebenso die spärlichen Schollen. Unter diesen verdient besondere Beachtung eine Notiz zu fr. 5, 13. Als Variante zu y.QaxEoäi rex' wird angemerkt IJzolie- jLioiog) xagxe[om reHJeTv. Von den zahlreichen Grammatikern dieses Namens kommen hier besonders zwei in Betracht IJToXejiiaTog 6 'Ejif&etrjg und UroÄsjualog 'Ogodvdov. Für ersteren läßt sich anführen, daß er der einzige Ptolemaios ist, der in unsern Pindar- scholien citirt wird *) : auch ist er aus der Schule Zenodols hervor- gegangen, dessen lebhaftes Interesse für die Chorlyriker durch den 1) 0. P. VIII 1091. 2) Knapp und gut liehandelt von P.Maas, Jahresber. des Beil. Philol.Ver.XLl II 1917 S. 81 if. [Jetzt auch Dielil, Suppl. lyr.^ 78ff.] 3) Proben fr. 1 und 4 auf Tafel III. 4) Schol. A in 0. V 44 ?.vdiois aTivon- : h'dioTi ijQuoainvoi:. IJto?.f- BACCHYLIDEA 125 Papyrus der Paiane Pindars neuerdings so deutlich geworden ist. Die englischen Herausgeber ziehen ihn nicht in Erwägung, sondern denken in erster Linie an den Sohn des Oroandes. Dieser wird freilich in den Pindarscholien nie genannt , aber sein Beiname Ilivöagicov ^) beweist , dafs er sich mit Pindar beschäftigt hat. Ptolemaios, Aristonikos' Sohn, der in Rom lehrte, ist kaum älter als der Papyrus, und auch Ptolemaios von Askalon-, gleichfalls in lioni tätig, scheint erst der frühen Kaiserzeit anzugehören ^). Da bisher Didymos der älteste Grammatiker war, von dem wir ein V7c6jnv)jjua Bay.yvXidov "EnivixUov kannten (Amnion, de differ. verb. p. 97 Valck.) ^), ist es immerhin ein Gewinn, hier einen Zeitgenossen oder Schüler Aristarchs mit dem Text des Bakchylides beschäftigt zu sehen. Leider ist die Erhaltung der Rolle schlecht, von den 48 Fragmenten sind nur drei von größerem Umfang (1, 4 und 5), die meisten andern ganz kleine Fetzen. Weitaus am ergiebigsten ist fr. 1, weil es sich mit dem in der Athenaios-Epitome I! 39 E erhaltenen schönen Fragment 20 (Blaß-Suelj) aufs glücklichste er- g^^nzt, 'Ale^o^^vyÖQCoi 'Ä}xvvT\a^) 'U ßuoßixe, jLUjy.en ndooaAov cfvldo\o(.ov EJitdxovov hyvQav y.aTinave yuow öevo ig ijudg xeoag' ÖQjiiaivw ri 7iE!.in\en' '/Qvoeov 2Iovoäv ^AÄe^dvögcoi 7neo6[v 5 y.al ov/A7TOo[ioi]oiv äyaXf.i[a y]eiy.dd£q[ou', eure vecov d\xaXbv ykvyeV a\vdyy.a oevojiievä}' y.[v?Jy,cov ßd?.m]]oi dvju[6v KvTiQidog T e}^ji\lg {di)aidvoo)]i (pQ£]vag, ä jueiyvvin€v[a Aiovvoioioi] dcoQoig 10 drögaoiv vi^'o[rdTco Treujist] jLieoiLiv[ag ' avT(y.[a\ Liev 7i[oluoy yodd€]jiiva A[t'£t, 7rao[i d dv&QCOTioig poraoy/)]o[£iv öoy.si, XQv[g\o)i \d' eXecpavTi ts jLiaQ^u]aig[ovoir oiy.oi 7ivQoq\6Qoi öe y.ax' aiy/idevT\a Ji6[yToi' 1) Suidas S. v. UioIeiiuio; 'AÄs^ardgev;. 2) Vgl. Susemihl, Gesch. der griech. Lit. m der Alex. Zeit II 156 f. Ol Christ - Sehmid . Griech. Litteraturgesch. " 225 läßt ihn einen Commentar zu den Dithyramben schreiben, in den älteren Auflagen des Handbuchs findet' sich, soviel ich sehe, dieser Irrtum nicht. 4> Der Adressat war links in Höhe des zweiten Verses beigeschriebeu. 126 A. KÜRTE 15 väeg ayo[i'oiv un Aiyvnxov fuyioror jiXovxov wg [mvovxog ÖQjuaivei xeuq. CO 7T\a]i jUEyak[oodEV£g evöo^oi' "Afivvja^) Der schlechte Text der Alhenaios-Epitome, der in V. 6 mit yXvxeT ävdyy.a einsetzt und bis V. 16 y.eaQ reicht, wird durch den Papyrus wesentlich verbessert ; vielfach war das Richtige schon durch moderne Gonjectur gefunden; es entstehen aber auch neue Fragen. Die Ergänzungen rühren, wo nichts anderes angegeben, von Gren- fell und Hunt her. V. 5. Ich habe Maas' Vorschlag y.Ety.ddeooiv angenommen^). Die Herausgeber schreiben äyakju' er elydöeooiv, aber dann ent- steht die schiefe Verbindung 'A?.eidvdooji y.al ov/unootoioir, wäh- rend das Lied doch Alexander für die Gelage geschickt wird. Richtig bemerkt Maas, „elyAg hat hier fast schon den Sinn von Gelage, wie später EiyAg nioTega Philodem Gadar, Anth. Pal. XI 44", vgl. auch Plut. Non posse suav. vivi 4, 8. 6. äraXov Maas unter Verweis auf Pind. N. VII 91 f. dxaXov äju(pe7iojv {)v\auv TiQoyovoyv, die Herausgeber schreiben aya'dibv. 7. Die Athenaioshandschriften geben asvojaeva G oder yevo- fieva E, oevojLiEräv hatte Blaß schon gefunden. ddl7iif[ioi steht von erster Hand im Papyrus, dann ist das Iota durch darüber ge- setzten Punkt mit Recht getilgt, die Athenaioshandschriften haben die richtige Form ddlm]Oi, vgl. Kühner-Blaß, Griech. Gramm. II 46. 8. KvjtQtdog Einig d' atd^vooei G, (5' ev&vooei E, Kvjtoidog 6' ElTilg ÖiaidvooEi Erfurdt, diaidvooi]i Blaß. Im Papyrus ist für SiaißvoG7]i kein Platz 3), es w'wd aber doch richtig sein. 9. ä jLieiyvvjLih'la ist im Papyrus durch Spiritus und Accent auf « gesichert, die Athenaioshandschriften geben drajuiyw/uiva (woraus Neue d/Lijuiyw/nEvag, Bergk äjnjuiyvvjiiEva herstellten) und im folgenden Verse statt uröodoir uvögnoi ö'. Die von Grenfell 1) Von V. 18—23 sind nur einzelne Silben erhalten deXi]ov jt[ — ^]^^7.[ — \.]g fj dvii[ ] (pQovo[ — ^] ejiegl 2) Für die Krasis vgl. Bakch. III 81 yßn, XVII 33 y.äfts, XVJII 50 XTJVTVHTOV. 3) Auch für diatoorji, woran Maas denkt, reicht die Lücke nicht aus. BACCHYLIDEA 127 und Hunt angenommene Lesung des Papyrus wird von Maas als stilistisch schwächer zugunsten von aa/^ieiyvvjueva und avÖQaoi (Y abgelehnt. Richtig ist, daß, wenn KvjiQiÖQg eXnk Subjekt des Relativsatzes li — TiEfmei ist, ihr Anteil an den hochfliegenden Ge- danken auffallend stark betont wird, das wird aber durch den Zu- satz jLiEiyvvjLih'a Aiovvoloioi öcogoig gemildert, der sonst neben ylvxeT ävdyxa oevoi-iErnv xv?uxcüv überflüssig wäre. Bei der un- zweifelhaften Überlegenheit des Papyrustextes über die Athenaios- Epitome folge ich ihm auch hier. Keinenfalls kann ich Maas zu- geben, dafs ärögaoi zu rkov in deutlichen Gegensatz trete: „den Jünglingen erhitzt der Wein die Sinne, die Männer läßt er von Macht und Reichtum träumen"; das Schlußwort 16 cog mvovrog oQjLiaivei yJag zeigt deutlich, dafs von Zechern im allgemeinen die Rede ist, ohne Unterscheidung von Altersstufen. 11. amdg /Lih E, avrij juer G, die Lesung des Papyrus hatte bereits Kaibel gefunden, avTiy' 6 jLih' Bergk. xQ)]dejuvov C E, y.g/jöefiva Erfurdt, xQuöefira Bergk; jioleon' G E, 7io)dcov Bergk. Für XvEi schrieb Blaß ^ Ivoeir, weil ihm die Länge des v bei Bakchylides verdächtig schien, dagegen vervi^eist Sueß auf Homer •^513, 1] 74. 12. Der Dativ Träai ö' dv&QcoJiorg bei juovaQyt]0£iv wird von Jebb durch das vereinzelte Vorkommen des Dativs bei uq'/eiv, Aiscli. Prom. 940 öagöv ydg ovy. uq^ei dsoig, verteidigt, näher liegt noch der Dativ bei ßaoilEVEiv Pind. P. X 3 äju(poTEQaig . . . ysvog 'Hga- y./Jog ßaoilevEi. 13. Die Buchstaben aiq in juaQjuaiQovGiv und a uio des fol- genden Verses stehen auf einem losgelösten Splitter, dessen Rück- seite etwas anders aussieht als die umgebende Partie von fr. 1, dennoch scheint mir die Einfügung sicher. 14. alyXrjEvra G E, alyXdevxa Bergk; novror fehlt in G E, war aber von Erfurdt richtig ergänzt. 15. vfJEg G E, vuEg Bergk; eji' G E, uti Musurus. 17. fiEyaX[oo'&EVEog (?) Gr. H. , ich ziehe einen zu ttol ge- hörigen Vokativ vor i). Daß dann der Vater genannt war, ist durch Txfu gesichert, wird auch durch die ganz ähnliche Anrede Pindars fr. 120, 2 Tiäi 'dQaovjutjdEg'AjLwvra bestätigt; 'Ajuvvta ist von Maas 1) Vgl. XVII (XVI Bl.) 52 f. ftsyaAoo&Evk Zsv jrärsQ. 128 A. KÖRTE also lichtig am Versende ergänzt worden. Dazwischen fehlt nur ein Beiwort zu 'Afxvvra, das des Metrums wegen auf -sog, mit Synizese zu lesen, .geendet haben muß, etwa evueveog, oder aber auf elidirtes -oio^): evöö^oi 'Ajuvvra liegt am nächsten 2). 18. Da am Anfang nur vier Buchstaben fehlen, die einen Daktylus bilden müssen, ist Maas' Ergänzung äiiXiov überaus wahr- scheinlich ^). Metrisch ist das Lied wohl das schlichteste seiner Gattung, das wir besitzen. Zwei Trimeler aus Enhoplier und Epitrit werden umrahmt von einem genau so gebauten Trimeter mit Vorschlag und einem katalektischen epitritischen Trimeter. Die 6 Verse, die der Papyrus dem bekannten Fragment hinzu- fügt, sind ein großer Gewinn. Zunächst sichern sie Blaß' scharfsinnige Zusammenfügung der Pindarfragmente 124 a und b Schroeder. (a) 'Q SgaooßovX', eouTäv o-/;)]j.i' äoidäv TOVTo [toi) jzEjiiTioj jUfTadoQTriov. ev ^vvon y.e.v el'rj ovjUTtOTaioiv re yAvy.EQov y.al Aicovvooio xagTcön xal y.v/Iy.Eooiv "Adavrdaiot xh'TQOv ' (b) äviy' är&QOJjTOJi' xajuarfoöeEg oXyovjai i.ieqi}xv(li OTi]'&eoiv e^co ' Jiskäysi ö' ev noh^yovooio nXovxov jidvreg ioov veojuev xpevdrj Ttqog äxTav ' og /jihv ä'/Qt]{.ia)v, äcpveog zöre, rol ö' av jTAovTeovxeg Dann nach einer Lücke von mindestens 2 Versen (ft>g)*) äe^ovrai cpgevag djLiTieXivoig xo^oig öajuevreg. In der Form der Einleitung, in der Schilderung des Gelages und seiner Wirkung auf die Zecher, selbst in dem Bau der knappen Strophen sind beide Lieder jetzt so ähnlich, daß eine gegenseitige Beeinflussung unzweifelhaft ist. Einen unmittelbaren Anhalt zu genauer Zeitbestimmung gibt keius der beiden Gedichte, aber beide sind verhältnismäßig wohl früh. Im Jahre 490 hatte Pindar in dem Lied auf den pyihischen Wagensieg des Xenokrates P. VI den Sohn des Siegers Thrasybulos mit einer Wärme gefeiert (besonders 1) Vgl. Bakch. V 62 fL-rAdrot' 'EyJSrag, XI (X Bl.) 120 Ugiäfioi etisi. 2) Vgl. Bakch. XIV (XIII BL) 22 Uvqqijcov r svdo^ov fjTTiövixor vim\ Find. N. VII 8 fMo'^og Icoysv}]?, P. XII 5 £v86^(p MiSai. 3) Diese Form steht bei Bakdiylides oft I ö."). V 161. XI (X Bl.) lOK n^/.toc XI (X Bl.) 22. 4) {(og) habe ich nach dem Muster \on Bakch. \. 16 hinzugefügt. BACCHYLIDEA 129 V. 44 — 54), die deutlich verrät, daß der schone Jüngling sein ent- flammbares Herz entzündet hatte, ihm, viel mehr als dem Vater, gilt das anscheinend gleich in Pytho bei der Siegesfeier gesungene Epinikion ^). Ungern wird man das fürs Gelage bestimmte Lied zeitlich weit von dem Epinikion trennen, zumal dessen Schlufs mit dem Preis des Thrasybulos als liebenswürdigen Zecligenossen 52 IT. yXvxeia ös (pQi)v xal GvjiiTTOTaiGiv oluIeIv jLisXiooäv djUEißerai xQrjröv novor bei dem Gefeierten sehr wohl den Wunsch auslösen konnte, nun auch ein sympotisches Lied von Pindar zu erhalten. Das Trink- lied macht ganz den Eindruck, als sei es noch in frischer Begeiste- rung für den schönen liebenswürdigen Jüngling verfaßt, gehöre also zu des Dichters Jugendwerken ^j. Für Bakchylides' Lied bietet die Thronbesteigung des Alexan- dros 498 einen wahrscheinlichen terminus post quem, sein Tod 454 einen sicheren terminus ante quem, aber mit einer so weiten Be- grenzung ist uns nicht gedient. Immerhin wird man sagen dürfen, ein so ausgesprochen jugendliches Trinklied paßt wohl für einen jungen Fürsten, aber nicht für einen alten König. Zeitlich stände also nichts im Wege, das Bakchylideische Gedicht frXiher anzusetzen als das Pindarische, aber schwerlich hat der stolze Thebaner eine so starke Anleihe bei dem geringgeschätzten Keer gemacht, wäh- rend dieser ja offen bekennt: fr. 5 EtSQog e| hsGov oofpog rö ts Tidkai x6 xe vvv, ovöe ycLQ oäioxov UQQrjxcov enecov nvXag E^evQexv und tatsächlich einen guten Teil seiner Wirkung der geschickten Benutzung älteren Dichterguts verdankt '^). So gut wie er V 31 ff. TCO? vvv xal ifio} uvota Txavxäi xElevdoq vjuexeqüv doExdv üjuveTv 1) Entstehimg in Delphi möchte ich mehr noch als aus den ersten Versen aus V. 15 ff. erschließen, nach denen erst das Lied dem Vater die Siegeskunde bringen wird {änayyshT). 2) Boeckh, der die Zusammensetzung mit fr. l'iib noch nicht kamite. will Explic. 614 ff. das Lied in seltsam spitzfindiger Beweisführung wegen der Hvhxsg "AßavaTai an den Isthm. II 19 erwähnten panathenäischen Wagensieg des Xenokrates anknüpfen und bis nach 472 hinabrückeii, das beruht auf einer irrigen Bewertung der attischen Becher. 3) Vgl. Hermann Büß, De Bacchylide Homeri imitatore, Gietaen 1913. Hermes LHI. J 130 A. KÖRTE aus Pindais I. IV 1 H. eoti jitoi decbv exari f.ivQia jravxäi xekevdo? . . . v/nEiigag uoerdg vjiivco( duuxeiv übernommen hat^), wird er auch liier der Nachahmer sein. Es konnte den gewandten lonier wohl reizen, Pindars Gedanken, der Zecher fühlt sich reich, in einer viel glänzenderen, lebendigeren Ausführung noch einmal vor- zutragen: schwerlich wird hier jemand den frischen, leichtbeflügel- ten Bakchylideischen Versen den Vorzug vor den schwereren, trocke- neren Pindars abstreiten. In ihrer Vereinzelung wirkten die Verse bei Athenaios wie ein echtes Trinklied, das für die Allgemeinheit der Zecher, nicht für eine bestimmte Persönlichkeit gedichtet ist und deshalb auch von jedem Teilnehmer eines Gelages einzeln oder im Chor gesungen wer- den kann, jetzt finden wir sie fest eingefügt in den Conventionellen Rahmen der Ghorlyrik. Ganz persönlich wendet sich der Dichter in den Eingangsverseu an einen der Großen dieser Erde und zu ihm kehrt er V. 17 wieder zurück — die Erhaltung von V. 17 ist deshalb besonders wertvoll. Wertvoll ist auch, daß wir Bakchylides an einem neuen Fürstenhofe als Nebenbuhler Pindars finden. Dessen Enkomion für den griechenfreundlichen König war längst bekannt (fr. 120 f. Sehr.), noch Alexanders großer Nachkomme hat sich durch Verschonung des Pindarischen Hauses bei der Zerstörmig Thebens für die dem Ahnen dargebrachte Huldigung dankbar er- wiesen ^j, aber von Beziehungen des Bakchylides zu dem makedo- nischen König wußten wir nichts. Freilich konnte man aus Solin 9, 13 Alexander Aniyntae fdhts . . . voluptati aurium indidgeu- tissime deditus: sicut plurimos qui fidibus sclebant. dum viv'tt in usmn ohlectamenti donis tenuit liberalibus, inter qiios et l'hi- darum lyricum entnehmen, daß Pindar nicht der einzige Dichter war, der sich der königlichen Gunst erfreute. Bevor ich die Frage, wie die alten Herausgeber das Lied be- nannt haben, erörtere, möchte ich auf die beiden andern größeren Fragmeute eingehen. Fr. 4 "lYooivi l2!v]ga-riüoi(oi. M//7T0J /uyvaxl^u navoco ßagfitTov " /iA,e?J.[oj yäg fjdij xQvaoJienAojv 1) Und noch einmal XIX (XVIII Bl.) 1 f. üäQsaxi fivoia yJ/.svifog d/t- ßgootcov /xsXeov; vgl. Otto Scliroeder S. 71f. der großen Ausgabe und Pren- tice, De Bacchylide Pindari artio socio et iraitatore, Halle 1900, 21. 46 f. 2) Die Pnis. II 33. 15ACCHYLIDKA 131 nvßtuor Movour 'Is\Qayv\i xXi'tuk ^avfkäaiv mTtoig 5 iulsQoev reXioag xu\l oviiJTOrrug ävÖQFooi, 7i[tn:rnv ÄT\rvav lg Evy.rtzov ' et x\(ü 7iQ\6od'ev vjLiy/joag rbv [«' Tzwkoig y.kEevrbr 7to\oai Aan/'[//]/polT]c fPeglevtxov tri' "Al- 10 (f^E\coi r\F ri\y.av ... o .... TOj^ievog eavE .[- w tuol TOTE xovga daifwvEg i^'J ooooi Aiög Jidy^Q[voov olxov 15 fioig ri&Eoav fx\^ w — -,.,.-1 y\i'vai[y.- ra7r.[ 20 OY}[ Hier hilft leider kein bekanntes Fragment die Trümmer er- gänzen, aber die ersten 10 Verse haben die englischen Herausgeber wenigstens dem Sinn nach vortrefflich hergestellt. Sicher ist vor allem die metrische Form: — 1 — ww — I ww~[~ w w Man ist zunächst versucht, dem zweiten Vers, der in den beiden ersten Strophen unvollständig ist, die Form des dritten — yj I — vjij— j w,^- ZU geben, was sich durch Ergänzung von fx^XXoi yoLQ loß).Eq)dQO)r in V, 2 und vjiivrjoag rbv deX/.odgojuar, oder ein ähnliches Epitheton, in V. 8 leicht machen ließe, aber dem widerstrebt die dritte Strophe, Daß wir keine epodische Gomposi- tion haben, ist durch die Genauigkeit, mit der die Verse 13, 15 und 18 in das Strophenschema passen und die Kürze der Verse 16 «nd 17 gesichert; also muß V. 14 für die Gestaltung des zweiten Verses der Strophe maßgebend sein^), und dann kommt man zu 1) Zweifelhaft bleibt nur, ob V. 2 katalektisch Avar; wahrscheinlich ist es mir nicht. fy.!-. 132 A. KÖRTE dem oben mitgeteilten Schema der englischen Herausgeber, deren Ergänzungen ich meist beibehalten habe. V. 1. Der Anfang mit fu'jTTOj und einem Conjunctiv des Aorists ist auffallend, aber nicht zu bezweifeln. Das von Maas vor- geschlagene jiavaoj ist besser als Grenfell und Hunts ävtjxco. 3. Vüv die Bezeichnung Hierons als y.XvTog ^dvßaioiv mnoig verweisen die Herausgeber treffend auf Pindar P. I 37 oTeipdvotof viv mTioig JE xXvidi' (Alrrav). 9 f. An der Richtigkeit von Murrays Ergänzung iji^ 'A2q>ei\(7)t t[£ vi]xav ist nicht zu zweifeln , nur war wohl ^si' 'Ak(psc7n ge- schrieben wie V 38. 181. XI (X Bl.) 26; denn am Versanfang \on 10 scheinen nur zwei Buchstaben zu fehlen. 10. Der Rest eines Scholions r[o]v? ergibt leider nichts. 11 f. Murrays, von Grenfell und Hunt nicht in den Text ge- setzter Vorschlag 7iXi]\Q\e £Qe7i\T6/Lievog [Movodv ejia?>.]£' ävde' be- friedigt inhaltlich wenig und verträgt sich weder mit den Lücken in 11 und 12 recht, noch mit den Buchstabenresten in 12. Daß aber in -ro/Mvog ein Participium steckt, wie djixojiisvog, ist un- gleich wahrscheinlicher als die Zerlegung in ro tih'og, an die Gren- fell und Hunt denken. Ich vermag den Zusammenhang des Fol- genden nicht herzustellen, vermute aber, daß Bakchylides in einer längeren Periode aus der Construction gefallen ist, daß also trotz vfxviqoag erst Th%oav in V. 15 das zu d in V. 7 gehörige verbum finitum ist, 'wenn ich auch früher schon den schnellfüßigen Phe- renikos und seinen Sieg am Alpheios besang . . . und wenn mir damals die Tochter des Zeus (?) ^) und alle Götter, die des Zeus goldreiches Haus bewohnen. Gelingen bescherten'. 13. Statt xovoa ist auch xovgm möglich; dann stand wohl ein Beiwort, das die Mädchen als Musen kennzeichnete. 14. 7idyxQ[vaov ist sichere Ergänzung der Herausgeber. Das zieht, scheint mir, in Verbindung mit ooooi Aiog die Ergänzung oixov nach sich, und dann können die öoooi doch niemand anders sein als Götter; y^gvoicov ol'xwv äva^ heißt Herakles als Gott Pind. I. IV 60; daifxoveg &' läßt sich gerade noch in der Lücke unterbringen, vgl. Bakch, XVII (XVI Bl.) 117 f. rmiaTov o,ti dai/ioveg 'äecooiv ovöh- 1) Etwa y^.avHWJTtc;] Kiiol rözs y.ovqa vgl. Pind, N. VII 96. BACCHYLIDEA 1:J3 und IX (VIII Bl.) 82 fT. to ye toi y.aXöv e'gyov yvr^oUov vfivmy xvynv vyjov TiaQU öaiiioai xeirai. Auffallend bleibt freilich, daß Alhena, oder die Musen, und alle Gütler hier als Helfer des Dichters ange- geführt werden, aber ich sehe nicht, wie man angesichts der Worte ijuol röre . . . ri'&soar um eine Beziehung der Subjekte auf die Person des Dichters herumkommt. Die Verse würden dann wieder beweisen, wieviel sich Bakchylides, nicht ohne Grund, auf sein schönes V. Gedicht zugute tat. 15. -juoiq, das von Grenfell und Hunt für möglich erklärt wird, ist mir nach der Abbildung wahrscheinlicher als das von ihnen in den Text gesetzte -/nog. 18. Eine Form von yvn'j ist sehr wahrscheinlich. Vergleichen wir dieses Fragment mit dem Gedicht an Alexan- <]er, so zeigen sich einige Verschiedenheiten, die Strophen sind länger und weniger schlicht, die Einleitung ist erheblich breiter iiusgesponnen und beschäftigt sich eingehend mit Hierons olympi- schem Sieg, aber das Gleichartige über wiegt doch. Hier wie dort wird die Leyer angerufen und der Entschluß des Dichters, dem Gönner ein Lied zu senden, so stark hervorgehoben, daß man sieht, beide Gedichte sind nicht bestellt, sondern freie Gaben des Dich- ters, beide sind vor allem fürs Gelage bestimmt, Gi\u7iooioioiv uyakjua y.eiy.uöeooiv heißt es fr. 1, 'Itgojvi . , . xal ovjujiorats nvÖQEOoi wird fr. 4 gesendet; es leuchtet also sehr wohl ein, wes- halb der alexandrinische Herausgeber beide demselben Buch zuwies. Die Berufung auf das Lied für den olympischen Sieg des Phe- renikos sichert die Entstehung nach 476, die Nichterwähnung des höher bewerteten pythischen Siegs mit dem Viergespann rückt das Gedicht vor 470, es fällt also zwischen die erhaltenen Epinikien V und IV. Bakchylides ist damals nicht in Sicilien und nimmt nach V. 7 an, daß Hieron in dem neugegründeten Aitna seinen Wohn- sitz hat. Diese Annahme ist kaum zutrelTend, denn wir wissen aus >;chol. Pind. N. IX inscr. , daß Hieron nach der feierlichen ^ durch Aischylos' Tragoedie Ahvat verherrlichten Gründung zunächst seinen Schwager Chromios zum ejTtTQortog der neuen Stach liestelltc, «md aus Pind. P. I 58 ff. mit Schoben, daß im Jahr 470 Hierons Sohn Deinomenes dort im Auftrag des Vaters herrschte; Hicron selbst hat seine Residenz in Syrakus behalten. Die Unsicherheit über den Wolmsitz des Königs spricht dafür, daß Bakchylides da- mals überhaupt noch nicht selbst in Sicilien gewesen ist, und emp- 134 A. KÖRTE liehlt es, das Lied nicht allzuweit von V zu trennen. Es wirti etwa gleichzeitig mit Pindars P. II um 475|4 entstanden sein und stellt einen zweiten Versuch des gewandten Keers dar, am syra- kusanischen Hofe festen Fuß zu fassen, dann folgt das briefartige Epinikion IV im Jahr 470, und so erreicht es der Dichter endlich,, daß 468 das Preislied für Hierons heißersehnten Wagensieg in Olympia (III) ihm, nicht Pindar übertragen Avird. r In einem sehr üblen Zustand befindet sich Fragment 5. Er- halten sind Reste von 25 Versen , von den 8 ersten Stücke aus dem Versinnern, von den andern die Schlüsse ^), außerdem die ersten Buchstaben von 15 Versen der folgenden Golumne; es ist aber leider nicht möglich, aus den 16 Versschlüssen eine strophische Gliederung zu gewinnen; es muß wohl triadische Gliederung vor- liegen und Teile von Gegenstrophe und Epode, oder Epode und Strophe erhalten sein, denn eine Strophe von mehr als 16 Kola ist bei Bakchyhdes kaum anzunehmen, zumal in diesem Buch,, dessen kenntliche Strophen so einfach sind^). Der Wert des Frag- ments liegt hauptsächlich darin, daß es aus einer ausführlichen Mythenerzählung stammt, während die Anfänge der Gedichte an Alexander und Hieron keinen Mythus enthalten. Daß in den ver- lorenen Teilen dieser Gedichte Mythen folgten, ist sehr wohl mög- lich, sogar wahrscheinlich, jedenfalls darf man das Fehlen von Mythen nicht für ein charakteristisches Merkmal dieses Buchs der Bakchylideischen Werke nehmen. \xEvei de >caju[ ]oviag Td?Mi[v ] jrsQov viv TeX[ ] ]. ag xal xaiaoazl i 5 ]i' evdov exq[ ] j_ ,— ^„^^^, hiSov h/o^,ev,,t ]t ö' iv [x\erpak\äi y.eioovro r\Qr/£g' [ '/Q\vooX6(pov Tia . \ ] [ ]. yaly.eoiJiizoav [ ] .[ ]«v 6[ ]oio y.6Qi]g -^ ^^"^ •'- 10 Iß'oaoh'xetoa y.al juial[(p6vo\f 1) V. 23 war so kurz, daß er gar nicht erhalten ist. 2) Unter den Dithyramben hat allerdings XVII (XVI Bl.) 23 Kola in der Strophe, 20 in der Epode, XIX (XVIII Bl.) 18 und 15, unter deu Epinikien hat V mit 15 in der Strophe, 10 in der Epode die längst«« Ver.sreihen. BACCHYLIDEA 135 xöo]i]g y.aXvxcoTiiöog j.TaTt'o' l'fiiiEv^ ' äXhiL i\tv y\o6v(K \e[[%'\\ tigarsgäl xtx fTroÄieixmo?) xagtslgni Tf;y:]ETv \dovT' ävdyy.ai ' 15 a]fA<0)' ]£)' Ilooeiöaoviag Jets" eXav- ]vTO? öXßiov rePiOs \e y.6oi]v ^q- 20 TtaoE jgav fjgog ]tov y.\aXXty.oi]dt\uvov ßeäg , } / (b]xvg uyyeXog xlcilV.iarpvoav 25 \av Evr l'fioXev. Aus diesem Trümmerhaufen eine genügende Zahl von Steinen zu einem sicliern Wiederaufbau des Mythus herauszufinden, hat mir nicht gehngen wollen. Grenfell und Hunt denken wegen V. 6 ev y.EfpaXäi und rgr^Eg an Pterelaos, Nisos oder eine ähnliche Sage^). Mir scheint das lange Scholion, das zwischen V. 5 und 6 beginnt und dann noch wiev Zeilen am rechten Rande einnahm, bis die Paragraphos seinen Abschluß anzeigt, einen andern Weg zu weisen. Da es mit t'.To Tiargog beginnt, kann es sich nicht um eine Tat der Tochter gegen das Haupt des Vaters handeln, wie in den Mythen von Pterelaos und Nisos, sondern die Tochter erleidet etwas von dem Vater. Hält man nun evöov e^o in V. 5 und vnd nargög EV im Scholion zusammen, so ergibt sich dessen Ergänzung vnd jiaToog Ei']öoi> E'/of(EVi]i als sehr wahrscheinlich. Daraufhin habe ich V. 6 versucht avT)j]i oder y.oo)'i]i (Y ev '[>c\E(paX\f2f. y.EiQovro r\QiyEg', xeioovto paßt in die Lücke sehr gut und ergibt ein mög- liches Metrum. Wir hätten es dann mit einem grausamen Vater zu tun, der den Fehltritt seiner Tochter, die wohl von Poseidon geschwängert isl^), entdeckt, sie einsperrt und ihr die Haare ab- 1) Das Beiwort /Qvoolötpov V. 7 darf man nicht etwa für Ptei'elaos oder Nisos verwerten, bei beiden handelt es sich nicht wxn einen Haar- schopf, sondern um ein einzelnps goldenfts (Apollod. bibl. 11 60) oder pur- purnes (ebenda III 211) Haar: xü^'^^ö^-oipoc heißt mit ^-oltlenpm Helmbusch, wie Athena bei Aristophanes Lys. 344. 2) Vgl. V. 16 und vieUeicht V. 2. 136 A. KÖRTE siclmeidet. Nun gibt es in der Tat eine Poseidongeliebte, für die das Abschneiden des Haars bezeugt ist, Tyro, die Tochter des Sal- moneus. Auf dem von Robert, d. Z. LI 1916 S. 274 Abb. 1 ver- öffentUchten Tonrehef hat sie das Haar geschoren, und in der Sophokleischen Tyro sagt die Heldin selbst (fr. 598 N.): y.ofdj:: dk jih'doQ Äay/ui'OJ -tojAov Öih)]v, iJTig ouragjiaoßeioo. ßovy.ÖAcov vjzo judvdoaig h' (TTjreiaioir äygiai ytol d^HQog dEoiodrji $avddv air/Evcov utjo. Aber hier fällt die Beraubung des Haars in eine ganz andre Zeit; als die Söhne Neleus und Pehas bereits herangewachsen sind, finden sie die Mutter von ihrer bösen Stiefmutter Sidero so zuge- richtet. Immerhin haben wir eine Überlieferung, nach der Tyro viel früher vom Vater eingesperrt und von der Stiefmutter miß- handelt wurde: Anth. Pal. III 0 heißt es in der prosaischen Ein- leitung zu dem Epigramm auf die 9. kyzikenische Säulenbasis : tr Tcbi d TIeliag xal Nfjhvg Elle?M^evvTm oi ITootiöcovog jtaiÖEc:, EH ÖEOjiUOV rip' EaVXOV liUjTEQa QVÖ^lEVOl, fjv TXQCOtp' 6 JiartjQ JLIEV SaXfioyvEvg öid zijr (pdoQav Edy^OEV' y Öe jLiijroviä avrfjg ^idi]Q(o Tag ßuodrovg uvrTji ejieteivev. Ilobert^) versagt der Para- l)hrase den Glauben, weil die Motivirung überflüssig und darum unkünstlerisch sei. „Das Motiv des Hasses der Stiefmutter gegen die schöne Stieftochter genügte vollkommen und war für sich allein viel wirksamer. '• Das trifft gewiß für Sophokles' Tragoedie durch- aus zu, aber an sich ist dieser Haß der Sidero viel begreiflicher zu einer Zeit, wo Tyro eben noch jung und schön war, also vor der Geburt ihrer Söhne, als nach deren Heranwachsen. Gerade weil die Angabe der Paraphrase, Tyro sei öiä r/yr (pdoQav eingesperrt und mißhandelt worden, zu der im Epigramm vorausgesetzten Situa- tion nicht recht paßt, möchte ich vermuten, daß sie einer anderen, älteren Version der Sage entstammt. Leider bleibt die Beziehung des Fragments auf Tyro, zu der die Bezeichnung des Vaters als doaovyEio y.ai /^(luk/ ovog V. 10 gut stimmen würde, doch sehr unsicher, weil Tyro Zwillinge ge- biert, in V. 1(S aber nur von einem öXßior TEXog die Piede isl. Ausgeschlossen wird sie freilich auch hierdurch nicht; denn es könnten in V. 14 die Zwillinge erwähnt, im folgenden aber nur von einem von ihnen weitere Erlebnisse erzählt sein. Ahnlich bc- 1) A. a. 0. 283. HACCHYLIDEA 137 richtet Pindar 0. VI als Einleitung zu der lamos-Sage das Schicksal seiner CJroßmuller Pilane und seiner Mutter Euadne. Leider gehen auch die Versreste 19 f. y.oQ^r iiQ\jiar)i- und -^av fJQwg keinen Aufschluf-i, denn eine Vcrhindung des Pelias oder Neleus mit einer auf -QU endigenden Heroine ist nicht bezeugt^). Die englischen Herausgeber erwägen die Möglichkeit, data in V. 14 -/te]dorr äväyy.ai der Name des Sohnes und damit der Schlüssel des Piätsels stecke, aber das kann auch Dativ sein evqv- juedovTi d. h. Poseidon; Elision von Iota hat Bakchylides nicht nur in den dorischen Formen der dritten Person Pluralis von Verben ccojiuov. Fest Averden die Namen erst durch die alexandrinischen Ausgaben ; es ist also das einzig Naturgemäße, das neue Buch des Bakchylides so zu be- nennen, wie die Alexandriner es benannt haben. In der maß- gebenden alexandrinischen Pindarausgabe gab es aber kein Buch Skolien, das sollte doch nicht mehr bezweifelt werden, seit uns Hillers schöner Aufsatz (d. Z. XXI 1886 S. 357 ff.) von der Mißgeburt der Suidasliste befreit hat. Pindarische Skolien werden nur ge- nannt von voralexandrinischen Autoren ^), oder in Citalen, die auf sie zurückgehen 2). Schon Boeckh hat (II 2, 605) das dem Bakchylideischen entsprechende Lied Pindars für Alexander von Makedonien unter die Enkomien gesetzt unter Verweis auf Dio von Prusa Or. II 33, wo der Anfang des Gedichts mit den Worten ein- geleitet wird eTit'jvEoev 'Ake^fxvÖQOv top ^iXelXrjva ETiixhi&h'ru Tioii'joag eig avTov. ^'OXßio^v öju(6vvf.ie Aaoöavidäv^ fr. 120 Sehr. Ausdrücklich als Enkomion citirt wird von Pindar ja nur das Lied an Theron (fr. 118 Sehr.) im schol. A zu 0. II 39 to ydg rov f))]Q(jovog yh'og iv&h'de (von den Kadmostöchtern) y.ardyeo&at (f)]oiv 6 JlivdaQog h> iyxcojuicoi ov äg^^] ' „BovXojuai naideooir 'EXXdvcov^ vmd schol. A zu 0. II 70 javra (die Abstammung The- 1) Chamaileon Athen. XIII -573 F, iVristoxenos Athen. XIV 635 B, Theophrast Athen. X 427 D. 2) Dazu wird man meines Erachtens doch die Notiz bei Suidas (s. v, ^A&tjvat'ag) y.ul UirSagog ty o/o rechnen müssen. Hiller a. a. 0. 368 sagt : ,Ich sehe nicht ein, weshalb ö;i;5 hier nicht dasselbe bedeuten könne wie an andern Stellen des Suidas (vgl. s. v. Bh]yco%'ia, dvoogyo;, ';«««) und sonst. Mit der Randbemerkung iv ayoUon wollte meiner Meinung nach Suidas oder seine Vorlage oder ein Leser an irgendein jetzt wohl nicht mehr zu ermittelndes Scholion ähnlichen Inhalts erinnern."' Er über- sieht, daß an den angeführten Suidasstellen nicht wie hier Ir a/ö, son- dern o/o oder oyöha steht, und dann wirklich ein Scholion zu der citirten Dichterstelle folgt. Dazu kommt, daß das fr. 124 a, auf das die Notiz anspielt, von Leuten wie Chamaileon, Aristoxenos, Theophrast sehr wohl oy.öXiny prenaunt werden konnte. 1 BACCHYLIDEA 139 rons von Kadmos) iotoqeT ev syxo)f.do)i ou f] ägyri xre. Dies Gitat ist insofern für das Bakchylideische Buch wichtig, als es zeigt, daß in Pindars Enkomien auch Mythenerzählungen vorkamen. Schroeder rechnet mit vollem Recht die von Boeckh und Bergk als Skolien geführten Gedichte an Xenophon von Korinlh, Theoxenos von Te- nedos, Thrasybulos von Akragas, Hieron, Agalhon (fr. 122 — 128 Sehr.) unter die Enkomien. Von diesen aber stimmt, wie wir oben S. 129 f. sahen, das Lied an Thrasybulos so auffallend in Ton, Form und Inhalt mit Bakchylides' Lied an Amynlas überein, daß es wirk- lich unbegreiflich wäre, wenn die Alexandriner es anders benannt hätten als das Pindarische. Ganz offensichtlich ist der literarische Nachlaß des Bakchylides nach dem Muster des Pindarischen ge- ordnet, außer den Epinikien und Dithyramben finden wir von ihm citirt v.uvoi (fr. 2 und 3 Blaß-Sueß), nmäveg (fr. 4—6), jiQooodia (fr, 11 — 13), jiagdh'sia (Plut. de.mus. 17, 2 p. 1137 A), vTioQ'/y- juaza (fr. 14 — 15); es kommen also alle Arten des echten Pinda- rischen Schriftenverzeichnisses vor mit Ausnahme der ßofjroi und iyy.Mfda. Dafür finden wir bei Athenaios XV 667 C citirt Bay.yv- kidt]g iv EQOixixoTg, und ich glaube nicht, daß dieser Titel zu be- urteilen ist wie die Pindarischen oxoXia. Abgesehen davon, daß er durch Apuleius apol. 8 fecere tarnen et alii talki (sc. uniatonos versus) . . . opud Graecos Teius quidam et Lacedaemonius et Chis ^) cum aliis inmimeris gestützt wird, läßt sich das eine erhaltene Fragment (17 Bl.-S.) evxe xijv dji' uyxvXi^g h]oi TÖiods ToTg vtavlaig levxov ävjeivaoa ttTj/vv in der Tat schwer in einer der übrigen Dichlungsarteu uul er- bringen, und noch mehr gilt das von den beiden Versen, die Hephaistion ohne Buchnennung ITeol :TOt)]jn. 7, 3 als Beispiele der tTiKpdey f^mrixa anführt fr. 18 ij xaXbg SeöxQixog ' ob jnövog dv&Q(6.T(')v ooäig und fr. 19 ^ «• 5 ov o ev '/^iTCovi uovvfo Tiaqu x)]v rpfhjv yvvaiy.a ipevyeig. Ein Pindarisches Gedicht mit solchen Refrains, die fast nach Gassen- ^'^ hauern klingen, wäre undenkbar. Es scheint also, daß die Alexan- 1) Überliefert civix, von Bosscha schlagend verbessert. 140 -A. KÖRTE tirilier im Nachlaß des Bakcliylides Gediclile von ziemlich vulgärem Ton und starker Sinnlichkeit fanden, zu denen Pindar keine Seiten- stücke bot, und die sie deshalb in einem besonderen Buch igoj- Tixd zusammenfaßten. Man könnte ja nun vorsucht sein, das neue Buch aus Oxyrhyn- [J)K.\ 141 von Christ-Schmid lesen wii I 221: ,Bakcliylidcs (um 505 — 450 oder später), der jüngste der drei großen Dieliter der chorisclien Lyrik", Schmid scheint also gegen eine Ausdeliniing des Lebens bis in die Zeil des pelopoiinosisclien Kriegs doch Bedenken zu haben. Alle diese Ansätze stützen sicli aul antike Angaben, und es gilt zu untersuchen, wie diese zustande gekommen sind. Da ist z.unächst die niemals angezweifelte Xaclirichl der Pindarvita des Eiistathios y.al ^iiKovldov ijhovo^:, i'eoneQog uev txeivov MV, TTQeGßvreQOi; de BnxyvUöov ^). Daß Pindar jünger war als Simonides, läßt sich unsch\ver aus den Werken feststellen, daß er aber älter sei als Bakchylides, entnahm Eustathios' Ge- währsmann doch wohl einfach der für beide festgestellten Akme. Pindars Akme war angesetzt y.ara rd ITegGixd 480/79 ■^), Bakchy- lides' auf Hierons olymi)ischen Wagensieg 468-'), also mußte Bakchylides jünger sein, und wenn Pindar 518 geboren war*), gewinnt man für den Rivalen, der 12 Jahre spater seine Akme erreicht, das Jahr 506 als Geburtsjahr. Das ist eine sehr einfache Rechnung, aber man sollte sie niclit als für uns verbindlich an- sehen. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, daß der Altersunter- schied" beider Dichter mehr als zwei oder drei Jahre betrug — falls ein solcher überhaupt bestand''). Bedenklich macht mich vor allem die bestbezeugte Tatsache aus Bakchylides' Privatleben, das Ver- wandtschaftsverhältnis zu Simonides. Er war nach Strabo X 486 Simonides' Neffe, und zwar der Sohn einer Sclivvester, da Simo- nides' Vater Leoprepes hieß, Bakchylides' väterlicher Großvater aber 1) Das fJHovoE ist uatürlicli ein töricliter Ausdruck für die Tat- sache, dali Pindar von Simonides viel gelernt liat. Den übrigen Teil des Satzes wiederholt fast wörtlich die vita des Thomas Magister vso)- tsong iih' )]v S11.UOV1Ö0V TTOEoßüiSQog dk Baxyv).t<^oi\ 2) So schon Diodor XI 2G, 8. a) Eusebios Ol. 78. Natürlich ist der Auftrag des Epinikions für Hierons Wagensieg, nicht dessen Tod Anlats zur Bestimmung der Akme. 4) An diesem Jahr halte ich mit Wilamowitz, Aristoteles und Athen II oOl Anm. 20 fest. 5) Es verdient immerhin Beachtung, daß tjei Suidas s. v. Acayöga; Pindar und Bakchylides einfach als gleichzeitig behandelt und in die 78. Olympiade gesetzt werden, roTg ygörois mv ytaxa TIir?to.QOv xal Bax^i- ?Jö)]i; ]\Ie)mvi71.-ii§ov öe jiQEoßvTsoog. )'j>{na^e toivvv o)/ 6?.vii:zidöi (468 — 465). 142 A. KÖRTE denselben Namen trug wie der Dichter. Simonides war nacli seinem eigenen Zeugnis 556;5 geboren (fr. 147 Bergk), und es ist in jener Zeit der nicht sehr kinderreichen Ehen schon ein starker Abstand, wenn wir annehmen, daß Bakchylides' Mutter 10 Jahre jünger war als ihr Bruder. Dann war sie im Jahre 530 bereits heiratsfähig und die Geburt eines Sohnes erheblich nach 516 ist wenig wahrschein- lich ; im Jahre 50 G war sie nach südländischen Begriffen bereits eine Matrone. Natürlich müßten wir solche Unwahrscheinlichkeiten hin- nehmen, wenn eine gute Überlieferung uns dazu nötigte: aber die fehlt durchaus, und ich kann nicht finden, daß in den Gedichten irgend etwas für einen jüngeren Ansatz der Geburt des Dichters spricht als etwa 516. Das älteste ziemlich genau datirbare Gedicht ist das XIII. (XII Bl.) Epinikion auf den nemeischen Sieg des Aigineten Pytheas. den Pindar im V. nemeischen Gedicht verherrlicht. Den Sieg des Pytheas hat Wilamowitz, Sitzungsber. d. Berl. Akad. 1909, 811 ff. überzeugend auf 485 oder 483 datirt. Da tritt Bakchylides als Rivale Pindars mit einem langen anspruchsvollen Gedicht auf; es war mit seinen 231 Versen, von denen uns freilich viele ver- loren sind, das längste aller seiner Epinikien ^), mehr denn doppelt so lang als Pindars Concurrenzgedicht, ja länger als alle erhaltenen Gedichte Pindars mit Ausnahme des lY. Pyth i sehen ^j. und nun höre man den Schluß 221 fT.: 220 e/^iöi dvjito)' iai}'[e( ' xui y.at iyo) 7itov)'o[g (potriy.oy.oaöejLivoig \rs Movoaig vjuvmv Tiva jdvde v\e67iXoy.ov dooiv qiaivoi, ^eviav te [(püd- 225 y/Mov yggaigco, räv Euol, Adfijion', \ov ve/ucov ydoiv ov ßX)y/Qäv eTiado/joaiq T[ey.v(or rdv uy. f.TV/iojg qga Kkeico 7ravßa?Jjg iuäig eveoTa$[sr (fQüotv, 230 regipiEJieTg vir \äo\ißal 1) Jetzt ist Y mit 200 Yersen das längste. 2} Zählt man auch bei Pindar nach Kola , wie man für den Yer- gleich muß, so hat N. Y nicht ganz 100 Yerse; über 200 nur P. III (205) nnd P. IX (220). P. lY freilich 533. 3} Ich folge in der Ergänzung der .schwierigen Stelle im wesent- BACCHYLIÜEA 148 ,Mit Hodiumg wäriiil [ein jeder | sein Hei/. Im Veitrauen auf sie und die Musen im purpurnen Sclileier lasse aucli ich diese friscli- geflochtene Liedergahe sehen und ehre die glanzUebende Gastfreund- schaft, die du, Lampon, mir erweist. Mögest du das (lesc.henk fin- den Sohn nicht als gering betrachten : wenn es wirklich die Idüheiule Klio meinem Sinn einflößte, werden die holdklingenden Lieder ihn allem Volk verkünden." Ist das wirklich die Sprache eines be- scheidenen Anfängers^)? Der Wunsch, Lampon möge die Gabe für den Sohn niclit als gering ansehen, ist doch nur eine Höf- lichkeitsformel des glatten loniers; er ist durchaus davon durch- drungen, daß sein Lied ein echtes Geschenk der Klio, also vor- Uefflich ist und der weiten Welt Larapons Kulnn eindringlicli künden wird. Auch die Tatsache, daß er Ijcreits die Gastfreund- schaft des vornehmen Aigineten genießt und als Dankes/.oll für sie sein Lied darbringt, beweist seine anerkannte Stellung in den Kreisen des vornehmen sporl treibenden Adels. Meines Erachtens fühlt sich Bakchylides hier schon genau so jedem Nebenbuliler ge- wachsen wie im Eingang von V, wo die getlissenlliche Herausforde- rung von Hierons Urteil docii nur der Ausfluß starken Selbstver- trauens ist, und der Dichter sich selbst V. 13 als yQvodnnvKOQ Ovguviag xketvög dsQdjicov bezeichnet. Daß dies große Gedicht auf Pytheas für uns zufällig das älteste datirbare ist, gibt uns durchaus kein Recht, es für eine Jugendarbeit zu halten. Seinen Stil beherrscht der Dichter hier bereits vollkommen, und wenn dieser Stil in allen erhaltenen Ge- dichten ziemlich der gleiche ist, so erklärt sich das leicht aus der Tatsache, daß seine Persönlichkeit weniger tief und deshalb weniger entwicklungsfähig war als die seines großen Püvalen, der Zeit seines Lebens mit Gedanken und Form immer von neuem ringt. liehen Ed. Schwartz, dessen vorzügliche Behandlung (d.Z. XXXIX t*Jii4 S. 638 f.) Suets mehr liätte berücksichtigen sollen. Vor allem ist L-radfjr'i- oa.ig, da Bakchylides keine aiolisclien Particiiiien hat, als Optativ zu lassen, dann braucht man ein or , und xehi-oh in 227 ist nötig, um einen Anschluß für das viv in 230 zu gewinnen, das doch nur auf Pjthea« gehen kann. Sueß' Textgestaltung bekenne ich übei-haupt nicht verstehen zu können. Abweichend von Schwartz habe ich nur 223 Jebbs vtörtXoyMv S6oi7- {r£OjTh>?<(jor döaiv Blaß, vmr rrkexior '/a €)Qdiy.iji negl tijv Zxa7ix}]v vh]v ' Eevo- fpoiv ir ZxdXovvTi rfjg 'H?,eiag' 0ihoTog iv 'HjieiQcoi' Tl/naiog 6 TavQOjuevmjg iv 'Adrjvaig' ^Arögorimv 'Adipdlog iv Meydgoig' Bay.xv)udi]g u 7Toi7]X)jg iv neXoJiovvt]acoi. Jtdvzeg ovroi xal nXei- oveg aXXoi tmv jinxQidoyv ixneoovxEg, ovh äjiEyvojoav, ovo' eqqi- ijfav eavxovg, d//.' iyo/joavxo xaJg evcpviaig, icpödiov Tiagd xrjg Tvyi]g xtjv cpvyi]v Xaßövzsg, Öi ijv Tiavxayov y.al xedv7]x6x€g fJ-Vi]- /.lovevovxai. Plutarch nimmt seinen paraenetisclien Zwecken ent- sprechend den Mund reichlich voll, und Bakchylides erscheint bei ihm als letzter in einer langen Liste von Verbannten, für welche die Behauptung, sie hätten xd xdlhoxa xcöv ovvxayjudxcov xal öoxijucoxaxa in der Verbannung geschrieben, nicht gleichmäßig zu- trifft. Man wird also als gesichert für Bakchylides nichts weiter ansehen dürfen, als daß er eine Zeitlang im Peloponnes in der Verbannung lebte. Die Zeit, in welche diese Verbannung fallen kann, wird immer mehr eingeschränkt, je mehr feste Daten wir für die Gedichte gewinnen. Zur Zeit seines ersten Liedes an Hicron (V) 476 war der Dichter sicher in Keos, auch 468 würde er sich schwerlich am Schluß von III 98 so emphatisch als Ktfia ärjöcov bezeichnen, wenn er aus der Heimat verbannt wäre. Die beiden Gedichte für Argeios, deren erstes die ausführliche Darstellung der mythischen Geschichte von Keos enthält, während das zweite die ^i'jfia auffordert, die Siegeskunde vom Isthmos nach der Insel zu bringen, kann er auch nicht wohl als Verbannter geschrieben haben, und diese Lieder haben wir oben (S. 118 f.) zwischen 464 und 454 datirt, eine noch genauere Datirung wird sich gleich ergeben. Die Lieder VI und VII endlich vom Jahre 452 schließen, falls VI 14 jT.Qodojuoig doidaig richtig überliefert ist, was ich glaube^), eben- falls eine Verbannung in dieser Zeit aus. Der einzige wirkliche Anhalt, den wir für die Zeitbestimmung der Verbannung haben, ist die Tatsache, daß sich die Keer einmal einen Paian bei Pindar bestellt haben, den IV. des Oxyrhynchos- papyrus. Seine Datirung hängt ab von der des I. isthmischen Ge- dichts, in dessen Eingang Pindar die Keer um Entschuldigung bittet, wenn er das für den Vortrag des keischen Chors in Dclos bestimmte Lied zugunsten des Epinikions für den Landsmann He- 1) Freilich sind die dot()al jigoSo/xot, eiu Ständchen vor dem Haus des Siegers, zugleich tiqoöqo^ioi Vorläufer des feierlicheren Gedichts VIT. BACCHYLiDEA 147 rodotos einstweilen zurückstelle. Der Dissensche, auch von Gliiisl und andern angenommene Ansatz des I, islhmischen Liedes auf 458 hat neuerdings eine starke Stütze durch Caspars') Hinweis erhalten, daß nach Herodot IX 69 Asopodoros, des Siegers Vater, der Führer «ines letzten glücklichen ReiterangrifTs der Thebancr gegen Megarer und Phliasier in der Schlacht von Plataiai war. Ein Mann, der sich auf persischer Seite so hervorgetan hatte, konnte nacli V^crtreibung der Perser nicht wohl in die Heimat zurückkehren, was also V. 34 ff. über Asopodoros' einstiges Verbanntenleben in Orchomcnos gesagt wird, paßt auf die Jahre 479 IT. ebenso vorzüglich wie die auffällig «nge Verknüpfung der Taten des Kastor und lolaos V. 16 ff. auf die Zeit der thebanisch-lakedämonischen Waffenbrüderschaft, die im nächsten Jahre zur Schlacht von Tanagra führte. Wenn sich die auf Sieger und Dichter ihrer Insel so stolzen Keer im Jahr 458 einen Paian von dem Hauptrivalen der keischen Dichter anfertigen lassen, dann muß das besondere Gründe gehabt haben. Simonides war damals tot und Bakchylides offenbar ver- bannt 2). Daraus ergibt sich dann weiter, daß das Jahr 458 für Argeios' Sieg und die Lieder I und II des Bakchylides nicht in Betracht kommt, wir sie also auf 460 oder 462 zurückschieben müssen, über 464 kann man schwerlich mit ihnen hinaufgehen ^). Somit gewinnen wir als äußerste Grenzen der Verbannung des Bakchy- lides die Jahre 464 — 452, sehr wohl kann sie aber auch nur einen Teil dieses Zeitraums umfaßt haben. Leipzig. ALFRED KÖRTE. 1) Essai de Chronologie Pindarique 150 ff. 2) So auch Schmid, Grieeh. Liter.-Gesch.« I 222 Amn. 2. 3) S. 0. S. 119. Die Möglichkeit, Argeios' Sieg auf 456 oder 454 herabzurüuken und die Verbannung zwischen 468 nnd 454 unterzubrin- gen, besteht freilich auch, aber sie hat nach dem oben Ausgeführten geringere Wahrscheinlichkeit. 10' EIN NEUES BRUCHSTÜCK AUS DEN AITIA DES KALLIMACHOS. Der neue Fund aus den Aitia des Kallimachos ^) hat trotz der im Kriege geringen Verbreitung des Oxyrhynchusbandes '^) rasch die Auf- merksamkeit auf sich gezogen, vornehmhch allerdings um der heor- fologischen Angaben willen und der Gonsequenzcn. die sich aus ihnen zu ergeben schienen^); seine Bedeutung ist aber für den Dichter und die Gomposition seiner Aitia grofä genug, der poetische Reiz des Bruchstücks ein so hoher, dafs eine Sonderbehandlung des Textes und eine genauere Einordnung des Fundes innerhalb seiner Lite- raturgattung gerechtfertigt erscheinen. Col. I. t]chg ovde Txi^oiylg iMv&avev ord' ort dov/.oig ^jLiaQ 'Ogtorsioi Xevy.bv äyovoi yjhg, 'Ixagiov xal ncuöbg äyon> eTteieiov äyioxvv, 'Ar&ioiv otxxioTij, aov cpdog, "Hgiyovt], 5 eg daixip' exdXeooev ojutjd^eag, iv de vv töioi ^eTvov og A[i]yv7irq) y.aivög äveoigecpero IxejjißXcoy.ibg Xdiov ri xaxd XQSog ' rjv dk yeved^krjv "Ixiog, cd ^vvYjv el^ov eyöj xKiohp ovx EHird^, dXX' alvog 'Ojurjoixog, aiev ö/noiov 10 (bg 'deög, ov ipevdijg, ig röv öjuotoy äyei,. xal ydg 6 0Qi]ixit]v juev änioxvye '/[avbov niivoxiv oivonoxuv, öh'yco d^ fjÖExo xioavßico. 1) Oxyi-hyiichus Papyri XI 1915, 13G2, von Grenfell und Hunt muster- gültig bearbeitet; der Text oben in ihrer Fassung. 2) Ich danke der Güte von H. Diels die Benutzung seines Hand- exemplars. 3) M. P. Nilsson, Die Anthesterien und die Aiora, Eranos XV 191(>, 181—200. Ä. Körte, Zu attischen Dionysosfesten, Rhein. Mus. LXXI 1916, 575 — 578. Mit Rücksicht auf diese Arbeiten sind die religionsgeschiclit- lichen Fragen hier kürzer behandelt als geplant. AUS DEN AlTIA DES KALLIMACUOS 1 19 To> jiiev iyo) rdd' eke^a JieQioreixot'TO^ uXeioov To TQiTOv, evT sddijv ovvo/iia xal yei'hjv, 15 77 juuX' ejiog röd' äX)]dEg, ot' ov fiovor vSazo:: alonv, uXX ETI y.al ?Joy)]g oJvog e'xf-'ti' tdeXti ' T)]v fjimg, ovx h y[a\o ägvonjosGoi cpoQETxai oi'ÖE jitiv Eig dz[. . . .]. ofpQvag oivoyjHor atxt]aEtQ öq6(o[v] or' elEV&EQog nr/ueva oaivti, 20 ßd/J.co/iiev yaksTiO) cpagfianov ev no/iaii, ßEvyEveg, öoo[a] d' ejlieTo gIejOev ndga d^j/xög dy.ovacK lyaivEi, xdÖE juot k[E]^ov [dveiQOjLiEv]cp' MvQ/tidovojv tooijya r[i ndrqiov v],ujM OEßeoßni IlrjUa, xwg "I>c(p ^vv[ ];<«, 25 TEv <5' EVEHEv yt]T£tov tö[. .]vr\ . . . a]orov Eyovoa Col. II. fJQOJog Ha[&]ödov jza[7g eldoxEg (hg eve71ov{oi XEIVY}V Tj TlEQl GYjV [ OV&' EXEQijV eyvojxa ' x\ ovuxa /wÜEToßai ßo.[ x[aux] £juE^%v kE^avxo[g x[gio]judxaQ, y Tiavooiv ö[Xßi6g egoi fiiExa, [vavxi\Xh]g ei viiiv EiyEig ßi'ov ' dXX' Ijudg aldiv \y.vf-iaoiv ai\)9vh]g jiiä[?dov Eowxioaxo „. . . auch nicht ging der Tag der Faßüffnung ungefeiert vor- beii, auch nicht, wenn das Kannenfest (das seinen Ursprung von Orestes herleitet) den Sklaven einen Freudentag bringt; und wie er die; Jahresfeier der Ikariostochter beging, deinen Tag, Erigone, die ^u den attischen Frauen Jammer brachtest, da lud er zum Mahl CJesinnungsgenossen, und unter ihnen einen Gastfreund, der neuer- dings in Ägypten weilte, wohin er um persönlicher Geschäfte willen gekommen war, einen Ikier von Herkunft." * t)er Anfang des Bruchstücks ist verloren, damit auch der Name der Person, die die verschiedenen Feste begeht. Genannt wird sie von Athenaeus XI 477 G gelegentlich einer Diskussion über verschiedene Becherformen : XJ.yojv im xov 'Ixiov ^) ^ivov xov Tiaod 1) Überliefert oly.elov; auf Grand des Papyrus vou Grenfoll und Hunt entscheidend gebessert. - v . U' 150 L. MALTEN T(p 'A-ßi^vaicp IlöXhdi ovveonaa&Evrog avtat. Daß Pollis Athener sei, war von Meineke^) angezweifelt worden, der ihn durch Conjectur zu einem Keer machen wollte. Da jedoch die von Pollis gefeierten Feste speciell altisch sind, stützt der Papyrus die Angabe bei Athe- naeus; auch liefert die attische Prosopographie 2) eine, wenn auch be- schränkte Zahl attischer Träger dieses Namens : hinzu tritt der zur Zeit des schwarzfigurigen Stiles lebende Künstler Pollis, den jüngst G. Robert der Vergessenheit entzogen hat ^). Der Name ist also in Athen aus älterer Zeit gesichert. Der Pollis unseres Gedichtes, der in den verlorenen Anfangsversen genannt war*), war, wie Z. 6- lehrt, aus Athen nach Ägypten übergesiedelt, bewahrte aber seinem Vaterlande die Anhänglichkeit, indem er jährlich die heimischen Feste beging, so Avie Themislokles die Choen nach Magnesia mit^ nahm •'). Unter den attischen Festen, die Kallimachos ihn feiern läßt, sind sofort kenntlich Pithoigien und Choen, die beiden ersten Tage der Anthesterien. Vorn überschießend bleibt rjo'jg. Der erste Gedanke ist, daß darin ein besonderes, den folgenden nebengeord- netes Fest stecke, von dem Genaueres im vorhergehenden verlore- nen Verse gesagt war. Daneben bleibt denkbar, daß rjcog mit inver- lirtem ovös (ähnlich wie xai in Z. 3) zu jic&otyig gehört. Bildungen wie nidoiyig neben dem üblichen jii&oiyia können gewiß substan- tivisch gebraucht sein, wie änoixig neben aTioixia, yXavig neben X^aiva, e?M'i'g neben iXaia, sind aber, wie die Composita vom Bildungs- typus y.ovooTQÖ(pog, von Haus aus eher Adjektiva. ijcog 7ii{}oiyic wäre allerdings schwerlich der 'Morgen der Faßöffnung' : den Wein wird man im Laufe des Abends geöffnet haben, um sogleich das Festtrinken anzuschließen. Vergleicht man aber die folgenden Aus- drücke levxov fj/Liag (Z. 2) und cpaog (Z. 4), so wird deutlich, da& Kallimachos in dieser Partie Worte von ursprünglich stark sinnlicher Bedeutung häuft, ohne daß diese Bedeutung den Worten in unserem Zusammenhang noch innewohnt. Xevxbv fjfiaQ brauchen noch die 1) Bei Schneider, Callimachea fr. 109. 2) Job. Kirchner, Prosopographia Attica 11 898tF. führt aus IG I. II 2. 113. ]] 5 je einen Träger des Namens an. Vom gleichen Wortstamn» abgeleitet i.st /7o;./(W IG 1 Suppl. 180, 373"; 180,37a" aus dem Perser- schutt. 3) Aich. Jahrb. XXX 1915, 241 f. 4) Nicht notwendig im Accusativ, da i/.drdarsv eines persönlichen Objekts nicht unbedingt bedarf. 5) Possis bei Athen. XII 533 D.E. AUS DEN AITIA DES KALLIMACHOS 151 Tragiker in voller sinnlicher Anschaulichkeit, verbunden mit cpdog^ jbteya, und contrastiren es der Nacht ^) ; bei Kallimachos ist es nichts als 'Freudentag', wie ^evxi] fj/itegu übrigens noch lieute ge- braucht wird'''), (pdog ^Hqiyöv}]? ist bei Kallimachos nur 'Tag der Erigone'; gerade er verwendet das Wort auch sonst in dieser ab- geblaßten Bedeutung ^). Der Weg führte hier von der Urbedeutung über Formeln wie h cpdei eJvai oder tpdog ßlmEiv 'leben* ^) und eig (pdog iXßeTv 'geboren werden'. Entsprechend dehnt nun schon die Uias rjcog über den ganzen Tag aus ; in späterer Poesie wird tjcßg in ibrcirten Ausdrücken ganz synonym mit yjaega gebraucht ^). So würde neben q)dog 'Hgiyovijg auch tjcog Tndor/lg nicht mehr als 'Tag der Fafsöffnung' zu bedeuten brauchen"). Entscheidung könnte nur der verlorene Vers vorher bringen. Auf die Pithoigien folgen die Choen, die 'Ogeoretoi genannt werden und ein Freudentag für die Sklaven ; über ihre Verbindung mit Orestes und über die Beteiligung der Sklaven an beiden Fest- tagen ist das Material von Nilsson'^) und A. Körte zusammengestellt worden. Die Anthesterien treten damit dem Kreise von Sklaven- festen bei, an denen die Herren entweder mit den Sklaven feierten oder selbst ihre Sklaven bedienten. Zu den Kronien^) und den thessalischen Pelorien^), die Nilsson vergleicht, treten eine Reihe ähn- licher Begehungen in Kreta ^*'), Sparta ^^), Arkadien ^^), speciell Phi- 1) Aeschyl. Pers. 300f. Sophokl. Aias 708fi:, ähnlich auch Horaz Od. I 3(3, 10 cresxa ne careat puJchra dies nuta. 2) VVie mir C. Kappus mitteilt. 3) Hymn. III 182. VI ^2 d 8e ivvm (päsa y.Enai von Erysichthon, Dem Kallimachos folgend nennt Agathias (Anth. Palat. XI 362) ffdeo. ^toloifta, was die Ärzte mit xQiaiiiog ijuem bezeichnen. 4) Ciosiv y.al oQäv (fäo; ijE?.ioio verbindet 8 .'"i40. 5) Musaeus Hero und Leand. HO y.artjiFv sig övoir'Hcog. Orph. Argon. 652 fiecdirj rjojg. 6j Auf die Möglichkeit, so zu deuten, macht mich W. Kranz auf- merksam. 7) A. a. 0. 184 und Arch. Jahrb. XXXI 1916, 830, 2. 8) Athen. XIV Ö39 B u. ö. 9) Baten von Sinope bei Athen. XIV 639 E = FHG IV 349. 10) Karystios h laiootxoTg vnoiivr}^iaotv Athen. XIV 639 B = FHG IV 358. 11) Anläßlich der Hyakinthien Polykrates ir xoig Aaacony.oTg Athen. IV 139D — F = FHG IV 480. 12) Theopomp iv rf] exit] y.al Tsoaaoayootfj lojr ^H/.t7i:T(Hä>v Athen. IV 149D = FHG I 319. 152 I, MALTEN galeia ^), Troizen ^) ; auch für Babylon wird der Brauch des uq- yeodai rohg deoTzorag vjcd rcov oixeTÖJV berichtet ^). Den Anthesterien reiht Kalh'machos die ijTereiog ayiorvg der Erigone an. Das Substantivum ist neu, die Bildung aber hat ge- rade bei Kallimachos reichliche Parallelen, zum wesentlichen Teil Neubildungen des Dichters selbst: ye?Moivg (Hymn. IV 324). öi(x>- viTvg (III 194), jxaoxvg und a.h]Tvg (fr. 277), äojiaoxvg (fr. 427), nXayy,Tvg (Pap. Rylands 13, 12), äcpQaoxvg (fr. anon. 9), uyvvg (fr. anon. 79). Begangen wird das Erigonefest, die Aiora, zur Ent- sühnung der attischen Frauen, unter denen nach der Selbsterhän- gung der Erigone eine Selbstmordepidemie ausgebrochen war; flarum nennt Kallimachos die Erigone 'Arßtoiv otxxioi)], die olxrog liringende (wie schon X 76)*). Den Charakter des Aiorafestes hat Nilsson ausführlich behandelt; seine Zeit bleibt auch jetzt im un- gewissen. So weit wird man sich von Kallimachos leiten lassen ilUrfen, daß das Fest den Choen zeitlich naheliegt, nicht um ein Iialbes Jahr von ihnen getrennt ist. Darauf führen auch die inner- lichen Zusammenhänge, die Nilsson in dem gemeinsamen Orestes- aition und auch wohl dem gemeinsamen Brauche des Askoliasmos aufgedeckt hat. Sein Schluß aber, Anthesterien und Aiora seien die städtische und ländliche Form eines und desselben Festes, bleibt liypothetisch ; Pollis würde sie dann kaum beide gefeiert haben; durch den Papyrus nicht neu gestützt wird auch die von Hauser ^) aufgestellte, von A. Körte acceptirte, von Nilsson abgelehnte An- nahme, daß die Aiora eine feierliche Begebenheit am Choentage selber seien. Die verbindende Partikel, etwa de, die Körte zwischen Erwähnung von Choen und Aiora vermißt, liegt meines Erachtens in yMi hinreichend vor; Körtes. Interpretation, die im Papyrus für die Aiorafeier im Hause des Pollis v. 18 und 19 vorausgesetzte Situation entspreche der Sklavenfeier an den Choen, und dem darauf gebauten Schlüsse auf die Identität von Choen und Aiora muß ich unten (S. 164) entgegentreten,^ , , , 1) Hamiodios von Lepreai iv tw ^soi t&v xarä ^lyäleiar routficor Athen. IV 1 48 P- 1496 = FHG IV 411. 2) Karystios a. a. 0. Athen. XIV 639C. 3) Ktesias iv ösviego} neQoty.wv und Berossos iv noo'jTO) Baßilcovia- y.my . (Athen. X l V 639 C = FHG : 11 498). - r 4^ Anders Apollon. Argon. II 783 oiy.xioxoi^ ileyoiai. 5) Häuser bei Furtwüngler-Reichhold, Giiech. Vasenmal. zu Taf. 125 S, 29. Körte a. a. 0. S. 578. Nils.sou a. a. 0. S. 195. AUS DEN AITIA DES KALLIMACHOS 158 Der Gastfreund des Pollis, der Kaufherr, den Gescbtifle nacli Ägypten geführt^), stammt von Ikos, einer der magnesischen Inseln. Die kleine, unbedeutende Insel , deren Name in unserer Überlieferung öfters durch den Namen des gröfiercn Kos verdrängt worden ist, ist recht eigentlich entdeckt durch U. v. Wilamowitz ^), dem auch die Lesung des Wortes in unserem Papyrus Z. 8 und 24 und damit das Verständnis des ganzen Zusammenhanges verdankt wird ; Hunt hatte Iiuog entziifert. Kallimachos gebraucht den Namen mit langem Iota, Antipatros von Sidon Anth. Palat. VII 2, 10 (xEV&ei xal Ohtdog yajiierrjv fj ßgayvßcoXoq "Ixog) mit kurzem; daraus folgt, dafs man schon in alexandrinischer Zeit sich über Quantität und Bedeutung des Namens unschlüssig war; nicht zu verwundern, da der Name der Insel wie der des benachbarten Pe- parethos in karische Zeit zurückreichen wird 3). „Mit ihm hatte ich ein gemeinsames Polster, nicht auf An- ordnung (des Wirtes), sondern wahr ist der Spruch bei Homer, daß immer die Gottheit gleich zu gleich gesellt. Haßte doch auch er, nach Thrakerart ohne Absetzen gierig den Wein zu trinken, und hatte seine Freude am kleinen Becher. Dem sagte ich, als der Becher zum drittenmal umging, wie ich seinen Namen und seine Herkunft erfahren ..." Die Verse 11—14 stellen ein textkritisches Problem von nicht geringem Interesse für die Geschichte des Kallimachosfextes. Unser Papyrus liefert v. 11 f. in folgender Fassung: xal ydg 6 ßQr]ixii]i> fiEv ajiEorvy E '/^avdov af^ivoTLv oivojiot ei v usw. Citirt werden in sonstiger Literatur: 1) V. 11-14 (bis To TQiTov) von Athen. XI 477 C (s. ob. S. 149f.) = Schneid, fr. 109 mit den beiden Lesungen äjii^raro und Qodqo^ JlOTEir. 2) v. 11 — 12 von Athen. X 442F anläßlich der Sitte des thra- ^iischen d/uvorl mveiv mit dn^ozvyE und oivotzoteiv. 3) Noch unerkannt eine Umschreibung der Verse bei Athen. XI 781 D (III p. 17 K.j, wo es nach einem Gitat des Bathykles- bechers, den Kallimachos, wie wir jetzt wissen, in seinen lamben i) itisßß^.wxcög auch Hekale fr. 137 Kapp. 2) In d. Z. XLIV 1909 S. 474f. 3) So auch Fick, Vorgriech. Ortsnara. 67 und Fredrich, IG XII 8 S. 166. 154 I- MALTEN behandelte^), lieifst: elevOeQiov de, g und die attischen Texte des Plato und Aristoteles sich stützen, so daß die Handschriften - klasse der Odyssee, die eg bietet, zusammen mit dem Kallimachos- papyrus für das Epos das Echte bewahrt haben-). Der Gott hat die beiden recht geführt, denn (Z. 11), als das Gelage begonnen, stellt sich zunächst heraus, daß sie beide den Thrakercomment , aus großen Humpen ohne Absetzen und Aufr atmen zu trinken, verabscheuen. Als thrakisch finden wir die Sitte des äjuvoTi (oder äjivevorl) mveiv öfters belegt: dem Thraker Rhesos wirft Hektor sie vor (Rhes. v. 419. 438), Horaz (Od. I 36, 14) bildet Threicia vincat amystide; die Grammatikerüber- lieferung bei Pollux VI 25 bestätigt. Substanlivirt heißt dann der Comment selbst äfj.vorig^)', so schon bei Anakreon 64 cpeg' tjfuv xf2eß't]v, ÖTccog afivoxvv jT.Qo:i:ko oder bei Kratinos fr. 291 äXX' ovv '&ecp aneioavT äjuvonv dei jiieXv; in diese Reihe gehört auch Epicharms Wort (34) äjuvoziv ojoneQ xvXixa mvei rov ßi'ov 'er schlürft das Leben in einem Zuge, wie er einen Becher in einem Zuge leert^*). Daneben nun steht eine Grammatiker- Iradilion, vertreten durch Photius, Suidas, Etym. Magn. s. v. äjiwotl hielr, Pollux VI 97, Schol. Aristoph. Acharn. 1229, Schol. Rhes. 419, Athen. XI 783 D. E, mit der Behauptung, äuvorig habe auch eine Becherart bezeichnet. Einen bestimmten Beleg bringt nur das Rhesosscholion aus einer anonymen Auge (FTG ^ p. 437), aber ersichtlich mit falscher Interpretation: ovv reo ßa&eiag xat Tivy.rag elxovoi Tag ajuvoridag ; wo wir das Verbum E'kxeiv 1) Jomn. of Philol. XVII 1888 S. 113. 2) Bekker, Hom. Blätter I 191, 13 'tws für .-roög bei Pei^onen, ge- wöhnlich im Attischen, ist, außer dieser Stelle, tmerhört im Homer* Also wird, trotz Apollonius dem Sophisten p. 170, 15, ig zu lesen sein asw.' Nachfolge scheint Bekker nicht gefunden zu haben. _,;,^ i: 3) Timarchos bei Hesjcli s. v. äfivoug. . fOtcMfi» öi ; 8;. 4) Vgl-, auch Aristoph. Acharn. 1228, Euripides Kykk"4KRK ;:i?Jcjq;iJ AUS DEN AITIA DES KALLl MACHOS 157 fiiulen, ist immer der Tiiiikcommenl j^eineint (Eurip. Kykl. 417'. Antiphanes bei x\theii. X 459 U. Anacrconlea 9, 2. Clemens Alex'-. Paed. II p. 175 St.). Es bleibt nur ein Fragment des Ameipsias^), das für diese Grammatikerangaben zu zeugen scheint, xal {ov) Ttjy äjuvonv Xd/jßave. Uns Avird dies nicht genügen, bei Kalli- machos die Bedeutung „Becher" einzusetzen, trotzdem das folgende xtoGvßiov dazu verleiten könnte, zumal auch die Construclion um vieles flüssiger wird, wenn '^ar(>dv olvojiorsTv als Inhaltsangabe explicativ zu uj^ivaiiv im Sinn von 'Thrakercomment' tritt. So hat auch der Paraphrast bei Athen. 3) oben S. 153 f. verstanden, wenn er die Umschreibung gibt: fi}]öl- ßgayuro vojiup ajiivGTir olvojrornr. Der Ikier wie auch der Dichter haben ihre Freude am kleinen Becher. So war es alte hellenische Sitte: xovt' mß\ ögag, 'Ek- h']riy.b'; jr/nog, f(f.rQioiai /jjo/uvovg :roTr]Qioig XuXdv xi xat h^QHv irgog avxovg yöecog (Alexis bei Athen. X 431 E), ebenso be- richtet für die Zeit des Alkaios Dikaiarch (bei Athen. XI 461 A) das •/Qiiodai liixQoTg ey.Trwjnaoi. Man glaubte zu beobachten, daß bei einzelnen Stämmen, wie den Attikern'^), die alte Sitte geblieben sei, während man z. B. in Thessalien , Chios und Thasos aus großen Bechern zechte (Krilias bei Athen. XI 463 E). Das Abgehen von dem alten Brauch schreibt Ghamaeleon in jieoi iie&tjg (bei Athen. XI 461 B) dem Eindringen barbarischer Einflüsse zu: ov /a^ 7ia- laiov ovds xovxo ye eoxt Txaoo- xoTg "EXXrjoiv, aX)A vecoaxl evQS'&r} jteiKp'ßev ix Twv ßnoßdocov; dabei werden w'iv in erster Linie an die Thraker denken. Dann war es beim Symposion Brauch ge- worden, von kleineren Bechern zu größeren überzugehen-''). Zur Auswahl für die Gäste standen xvXixeg Jiavrotai bereit *) ; da mochte jeder wählen. So zechen am Schluß des platonischen Symposions Sokrates, Agathon und Aristophanes ix (pidXt]g fzsyd- Itjg (223 G), in Xenophons Gastmahl fordert Philippos einen größe- ren Becher (II 23), auf der luxuriösen Hochzeit des Karanos wirrt y^Qvcddoiv Jidvv iieydXcoi' getrunken (Ath. IV 129 D), bei Horaz 1) Bei Athen. XI 783 D. E, bei Crönert unter äfivoiis nachzutragen. 2) So fordert Sokrates in Xenophons Symposion (!I 26) zu trinken /ity.oaTg y.vh^i. 3) Diog. Laert. I 104. Cicero in Verr. II 1, 66 nennt das mos Graecus. 4) Lukian Kronosoion c. 18 p. 400. Philo de vita contemplat. ed. Cohn-Reiter VI p. 59 c. G. ) 158 L. MALTEN (Satir. II 8,35), Petron (c. 65 p. 44 BücL.*), Lukian^), Athenaios (XI 501^ B) werden iiei^ova JioTtjoia gefordert, zuweilen kommt es gar zum Streit, wer den gröfsten Becher erhält-). Stand es so in jedes Gastes Belieben, den Becher zu bestim- men, den er vor sich stehen haben wollte, so war jeder gebunden, wenn der Trunk zum Zutrinken circulirte; den galt es zu leeren; dann ward er vom nai^ neu gefüllt und emde^ia dem Nachbar gereicht. So geht bei Kallimachos das äkeioov um, das zwei- henkelige Trinkgefäß. Das Weitergeben und Kreisen des Bechers wird sonst durch Tiegiayeiv ^), TiEQiEXavvEiv jrjv y.vXixa *), Jiegioo- ßsTv^) ausgedrückt; dem Kallimacheischen Tiegioxely^eiv besonders nahe kommt das Euripideische y.v?uy.og eojiovotjg y.vxXq) ^). Beim Weitergeben an den Nachbar trank man ihm zu, die jigoTiooig oder (pdoii]Oia; dabei nannte man zum Gruß den Namen des Ge- ehrten. Ausdrücklich bezeugt das Kritias (bei Athen. X 432 D. E), in Sparta sei es nicht Sitte ujiodiooeiodai TiQonooeig övojuaoTi Xeyovxa, nicht ngonooeig ögeyeiv Inide^ia xai jiQoy.aXeTo'ßai i^o- vojuaxlijöijv, (o TTooTTidv idehi . . Auch Athenaios in seinem Symposion (XI 498 D) sagt von den Zechgenossen nh^QOvvxeg yaQ jTQoemvov üLX)J]Xoig iterä TrgooayoQevoecog, und Lukian (de merced. conduct. 16 p. 672) läßt den reichen Gastgeber dem armen Ge- lehrten zutrinken , indem er ihn dabei mit seinem Titel anredet {tiqovjiie ooi TM diöaoy.dXq) fj öxidrjnore txqooeijKOv). So begreift es sich, daß Kallimachos bei dieser Scene der (pdoTi]oia die Worte setzt evx' iödrjv ovvojua xal yEvhp: vorher, beim ersten Trinken und Plaudern, hatten die beiden Namen und Stand noch nicht ge- kannt, wie das bei uns ja auch oft genug der Fall ist. Das Um- trinken geschieht öfters: bei Menander ex 0EO(poQovju€vt]g (Athen. XI 504 A — fr. 224) tö jioöjxoi' JiEgiEooßEi noxrjQiov avrdig dKodxou: bei dieser ersten Gelegenheit werden der Dichter und der Kaufherr sich bekannt gemacht haben. Beim dritten Male — xö xQixov fjvi/i EjTivE seufzt auch der ^Evog im Epigr. 43, 8 — sagt der Dichter zu dem neuen Freunde folgende Worte: 1) de merced. conduct. 16 p. 672. 2) Galen. i>sQaji. ns^od. I Vol. X p. 3K. 3) Diog. Laert. II 139. 4) Xenopli. Sympos. II 27. Pollux VI 30. 5) Lukian Sympos. 15 p.428. Athen. XI 504 A. Alkiphr. Epist. III 5.\6. 6) er KQfjooaig fr. 468 N.^ AUS DEN AITIA DKS KALLl MACHOS 159 „Fürwahr, zutreffend ist das Wort, dafs der Wein nicht nur sein Quantum an Wasser, sondern auch an Gonversation benötigt. Die laf? uns selber als Linderungsmittel in den (uns) lästigen Trank tun — denn nicht wird sie in Schöpflöffeln servirt und nicht wirst du sie fordern wollen, wenn du auf die äx ocpQvag der Weinjungen blickst, jetzt, wo der Freie den Sklaven anschmeichelt — , was aber, Theugenes, mein Sinn von dir zu er- fahren begehrt, die Frage beantworte mir." V. 15 und 16 werden bei Athen. I 32 B anonym cilirt mit an- schließendem Simonidescitat, das schon Schweighäuser, ohne Bergk zu überzeugen, von dem jetzt als Kallimacheisch erkannten Gut ab- sonderte. Die Textschwankungen sind hier nur Schreibvarianten: fj yäg .... oxi ov .... äXXa ri .... y.al kevyrjg. Zu Xev^^ijg citirt Kaibel keine Variante, Bergk Simon, fr. 88 aus L /.eox'i]g, was seiner Conjectur -^ksut]? gegenüber das Richtige wäre; der Kallimachosparaphrast bei Athenaios (oben S. 153 f) umschreibt XEoyi} mit Xoyog. Kallimachos selbst braucht Xeoyj] im Sinne von Plau- derei auch Epigr. 2 oooaxig äjuxporegoi yjXiov iv Xeo^tj xaredvoa- jjFv ^), Phalaikos (A. P. XIII 6) verbindet ev je Xioxf] ev t' oTvrp. Daß Gonversation die Würze des Mahles sei, ist ein aller Topos ^), seit Xenophanes^) her, bei dem der xgaxrjQ jusoxög evrpQoovvf^g von den Zechenden gepriesen wird. Theognis 563 ff. wünscht y.exXrjo&ai d' lg öatxa, naQE^EO&ai ök naq' loßXöv ävöqa ^qecov, oocphp> Jiäoav ETrioxujuevov ' 1) Anders fr 98^ keoxaivEiv. 2) Für die Symposienliteratur sind neben den Handbüchern von I.Müller, Gi-iech. Privataltert. S. 264 ff. Hermanu-Blümner, Privataltert.* 1382, 247 f. Marquardt, Privatleben der Kömer I^ 147. 313. c5o2 zu ver- gleichen: Müller, Die griechischen Symposien, Zerbst l8ö8. Maltos, tisqI z(ov avfiJTooiwv xwv nalaiMv 'E).h)v(or. Hirzel, Der Dialog I 31. 155. .'559 ff. Mau. P.-W. IV GlOff. 1205, vor allem Ullrich, Entstehung und Ent- wicklung der Litteraturgattung des Symposion; zwei Programme des Gymnasiums zu Würzburg 19U8. 1909. Für die bildlichen Darstellungen: Daremberg-Saglio, Diction. I 2, 1269 ff. IV 3, 1579. Jacubsthal, Abhandl. Götting. Ges. der Wiss. 1912, Anhang über Sv^uioaiaHÖ.. Studniczka, Das Gastmahl Ptolemaios' IL, Abhandl. der säuhs. Ges. der Wiss. XXX 2, 1914. F. Caspari, Das Nilschiff Ptolemaios' IV , Arch. Jalirb. XXXI 1916, Iff. A.Frickenhaus, Griechische Bauketthäuser, Arch. Jahrb. XXXII 1917, 114ff. 3) Diels, Vorsokr.3 1 55, 2. 160 L- MALTEN zov avvieiv, onözav tl Myt] ooq)6v^ öcpga ötday^&fjg y.al rovT sig olxov y.eodog e'ycov änii^g^). So wünscht es sich Kallimachos auch. Bei Piaton im Symposion tritt das eigenthche Gelage den Gesprächen gegenüber auf lange Strecken ganz zurück; im Protag. 34 7 C ff. formulirt er den Wert des Symposions dahin, daß es der Sinnenreize nicht bedürfe, durch Heden und Hören würden die Gvi^imnai avrol avroTg Ixavoi; ähn- lich Xenophon in seinem Symposion 2). Von Interesse, da kurz vor der alexandrinischen Zeit liegend, ist die Elegie des Berliner Papyrus 3); wie schal und platt mit ihren moralisirenden Empfeh- lungen gegenüber dem neuen Kallimachos ! Sehr häufig begegnen die alten Gedanken vom Werte der Itoyj] noch einmal bei Plu- tarch'*), vor allem in den Tischgesprächen, wo für die Mehr- zahl der Prooemia der einzelnen Bücher^) dieser jönog den Stoff abgibt. Hübsch ist die Wendung im Gastmahl der sieben Weisen (p. 156 D), es hätten die Musen den löyog y.rx^amQ xQazPJQa vrj- fpdXiov in die Mitte der Trinkenden gesetzt, in dem Vergnügen, Ernst und Scherz sich befänden ; an anderer Stelle ®) werden die koyoi enieixeig y.ai TToeTtovreg, der KÖyog y.aioöv eyrnv gepriesen. Mit Berufung auf die alte gute Zeit beklagt Galen'') das Schwinden der reizvollen Gespräche bei Tisch, an Stelle deren Völlerei und Händelsucht getreten seien. Speciell der Wert einer gelehrten Unterhaltung^), wie sie Kal- limachos mit Theugenes zu führen wünscht, wird öfters, zumal von Plutarch, betont: raXg d' ■ ioroQixaig y.al Tiotrjny.aTg ^t^rrjoeat dia- Toißäg ovx d);^ä;g eviot öevregag rgane^ag dvögaot (piXoXöyoig y.al (f'dojiiovooig ttoooeXttov (de tuend, san. praec. 133 E), andern- 1) Vgl. 493 ft: 1047. 2) c. 3, 2; vgl. auch Cicero Cat. ruai. 45 f. 8) Berlin. Klassikertexte V 2, 1907, 56. 62 f. 4) Conviv. sept. sapient. p. 147 F. 5) Quaest. conviv. I p. 614 B. C. III p. 645 C. IV p. 660 C. V p. 673 A. VI p. 686 C. VII p. 697 D. VIII p. 716 D. E. 6) Quaest. conviv. I p. 614 B. 7) esoarTEVx. ,uedo8. I ed. Kühn X p. 3 ... df./.' oids /.öywv iivwv ava- xoivovuh'ojy, ol'ovg iv toi; avuaooioig avveyQaiiiay ^,uTv oi :jaXatol yivofxi- rovg . . . d?J.a TtooTrivorziov fisv dU^^.oig, dful?M^€vo}v ds :t€oI i^eye&ovs ix- ao)fiäro)v ... 8) Unberücksichtigt dürfen hier bleiben Fachgespräche, etymolo- gische Spiele, Rätsel u. ä. AUS DEN AlTIA DES KALLIMACHOS 161 orts nennt er solche Erörterungen (pdöXoya ^rjxiq fjLaxa (Quaest. conv. 737 D); auch Horaz' quantum distct ah Inaclio (Od. III 19) setzt solche gelehrten Tischgespräche voraus, die zumal in alexan- drinischer Zeit an der Mode waren ^) ; an Fiktionen, wie das Gast- mahl des Athenaios, wo die Gelehrsamkeit einen künstlich um- gelegten Rahmen sprengt, braucht dabei noch nicht gedacht zu werden. Die Mox^l, fährt Kallimachos fort, wollen wir selbst als (pag- juaxov in das ^aXeTidv nojua werfen. yaXe::i6v heißt der Wein nicht, weil er zu *^ schwer'^) ist; auch beim schönsten Gespräch würde er nicht ' leichter \ Es ist den beiden 'lästig', trinken zu sollen; die Xeoyj] ist ihnen das (pdQjiiaxov, das ihnen das Viel- und Raschtrinken ersparen soll. Das fördert ihr 'Wohlbefinden': so deutet es nicht übel der Paraphrast des Kallimachos bei Athenaios (oben S. 154), wenn er (paQjiiaxov vyeiag umschreibt^). Den Einfall hat Kallimachos aus der Odyssee genommen (d 220 ff.), wo Helena dem Telemachos ein cpaQjxaxov in den Becher tut, um die Traurigkeit zu beheben. Aber geistreich gibt der Alexandriner dem alten Motiv seine neue Wendung. Und seltsam ist die Coincidenz, die doch wohl nicht dazu führen darf, Abhängigkeit anzunehmen, wenn Plutarch in den Tischgesprächen (614 G. D) mit direktem Verweise auf Homer ebenfalls an das (paQjuaxov der Helena erinnert und dies, ähnlich Kallimachos, aus einem echten Zauberkraute zu einem ?i6yog ovjli- TTorixog umdeutet: ol juev ovv tu ßovyXcoooa xarajjLsiyvvvxeg slg röv oJvor . . . änojLujuovjuevoi t}]v ^0/ut]Qix)]v 'Elevrp v7to(paQ- juaTTOvoar rov äxQarov, ov ovvoQCoaiv, öxi xäxeivog 6 juvSog sxjtsQisX'&djv an Alyvixxov i.iaxQäv ödov elg Xoyovg IjxieixEig xal JiQETZovxag exsXevx')]oev xovxo yäg ijv xö rnjTiev&kg q)dQ- 1) Lehrs, De Aristarchi stud. Homer.* 212—215. 2) Qualitätsausdrücke für Wein sind äxQarog oder axXrjQÖg (Athen. I 30 C) oder ■&EQf^iög xal ^coQoreQo; (Athen. IV 129D) oder^f.Trös xal 8oi/iivg (Lukian de merc. conduct. 18 p. 673). 3) Die Wortverbindung cpäg^axor vysiag findet sich, auf die Olive bezogen, wieder bei Aristides "J&fjvä II tom. I p. 16 Dind. Kaibels Ver- mutung, vysiag bei Athenaios wäre corrupt, ist also abzuweisen ; sein Vorschlag vßgEcog würde nach falscher Richtung führen. Bei Plato, Ge- setze 666 B ist der Wein selbst ein q?(XQfiaxor xfjg zov yt'jgcog avazrjQÖTrjzog, bei Xenopb. Sympos. II 24 erquickt der Wein die Seele, wie das Zauber- kraut Mandragoras. Vorangegangen ist Alkaios (fr. 35 Bergk'): gegen Sorgen ist (päg^iaxor ägiazor der Wein. Hermes LUX. 11 162 L- MALTEN iiay.ov, Xoyog ei^ov xaigöv aQjuo^ovra roTg vjioxeijUEvoig nd'&eai y.al TtQayjuaoiv. Selbst wollen die beiden die Moyi] dem Weine beifügen, „denn die wird nicht mit Schöpflöffeln servirt und du wirst sie nicht fordern wollen, wenn du die äz öcpQvag der Be- dienung beobachtest". Mittelst des ägvonjo ^) wird vom Sklaven der Wein aus dem allgemeinen xQaxrjQ zum Einzelbecher getragen, der vor dem Gast steht; so wird der folgende Gedanke vorbereitet, der von den olvoyöoi handelt. Deren Benehmen muß etwas haben, das die beiden zurückstößt. In welcher Richtung dies liegt, deuten die Worte an ot' eXevd^eqog ärjueva^) oaivei: die Herren bemühen sich um die Gunst der Bedienung. Öfters in der antiken Sympo- sienliteratur begegnet das Motiv, daß die Schmausenden und Trin- kenden sich eifrig an die Bedienung halten; dabei entwickelt sich auch eine Art von Xeoyj]. Leider liegt uns diese Literatur zwischen Plato - Xenophon und Lukian nur in Bruchstücken vor, so daß wir nur hie und da einen Einblick tun. Bezeichnendes Material liefern dagegen die Dialoge Lukians, vornehmhch das 'Symposion', der 'Kronosoion', die 'Epistulae Saturnales' und das 'Los von Gelehrten in Privathäusern', die uns Reflexe aus menippeischer Darstellungs- art ^) erhallen haben; Athenaios und luvenal treten bestätigend hinzu. Im Kronosoion sowie in den Epist. Saturn.*) werden die Forderungen erhoben, daß die Sklaven nicht an einzelnen Gästen A'orbeilaufen und die Schüsseln bloß zeigen sollen, der Mundschenk solle nicht warten, bis einer erst siebenmal zu trinken gefordert [tiqoeitieTv de xdlg oivoyooig /li] Jiegijueveiv, eor äv ijirdxig uhiqor] melv rj/ucöv exaozog . . .), sondern solle hei einmaligem Verlangen gleich einschenken; die didxovoi sollten nicht dem einen ein großes Stück, dem anderen kleine vorsetzen, sondern Gleich- heit solle herrschen; der Mundschenk solle scharf blicken und auf jeden sehen und hören, man solle allen die gleiche Sorte Wein serviren. Über ungleiche Behandlung der Gäste hält sich, gleichen Traditionen folgend , auch luvenal (Sat. V 24 ff.) auf; nach Athe- 1) Mit oivoyöt], y.va&og identificirt bei Pollux VI 19. X 75. 2) ar(.ir]v, in fr. b2>% auch dz/neviog. Beide Formen auch sonst be- legt (Et. Magn.. Hesych.). Für die Behandlung von fr. 538 vgl. H. Diels, d. Z. XXIII 1888, 286 f. 3) Helm, Lukian und Menipp 1906, 218f. 254 ff. 4) c. 17 und 18 p. 399 f. Epist. Saturn. 22 p. 404 f. 32 p. 412. AUS DEN AlTIA DES KALLIMACHOS 1Ö8 naios (V 192 F) zieht die Bedienung die evrijuoi gegenüber den an- deren Gästen vor. In der Schrift de mercede conductis wird dem Hausphilosophen empfohlen, sich mit dem Vorleger {diave/ucov) gut zu stellen (26 p. 684): es passirt ihm, daß er immer wieder ver- gebens um einen Trunk bittet , aber 6 jiaig 'ovo' atovxi eoixev' (p. 685). Bei Tisch fixirt die Bedienung den Gast {r'} rs oixe- TEia sk OS anoßXenEi 15 p. 670), wovon er so befangen wird, daß er nicht wagt, Wein zu fordern (^>;r£ dupäyvTa üxisTv atzeiv roXjLiäv p. 671). Wie halten es nun die Sklaven des Pollis? Der Gast nach Art des Kallimachos und Theugenes wird es verschmähen, sich an die JiaTösg zu wenden ogocov eig är ocpQvag oivoxoojv. Für die Lücke schlagen Grenfell-Hunt vor ärsveTg, dxQS/Adg, ärgö- ixovg, äjQOTiovg, ohne sich zu entscheiden. Die letzten drei sind metrisch zwar möglich: t^ längt bei Kallimachos, wenn die vor- hergehende Silbe in der Hebung steht (in Hymnen und Epigram- men etwa zwanzigmal), steht sie in der Senkung, so wird sie nicht gelängt, weder wenn es sich um die erste (III 176) noch wenn um die zweite Senkung handelt (III 57). Aber sachlich scheiden sie aus : wir erwarten für das Verhalten der Sklaven einen positiven Aus- druck. Um so treffender ist ajevElg. Vom Auge braucht es, um nur wenige Beispiele herauszuheben, Aristoteles bist. anim. I 10 äxEvelg öcp&aXjnoi. Polybius XVIII 36, 9 dreveg ßXsjieiv eig xiva. Lukian dial. deor. 6, 2 äxevsg dtpecoga eg jue, Icarom. 12 xijv öxpiv eg xb äxevhg änegeideod^ai. Dionys von Halikarnaß Ant. Rom, V 8, 6 x6 äxEvkg xfjg öipecog, daneben äxeviQEiv und dxEviojuog. Das Adjektivum paßt nun mit seinem copulativen a trefflich zu öcpgvg. Pollux II 50 gibt eine Zusammenstellung der verschiedenen Be- wegungen, die man mit den öcpQvg vornimmt, um seelische Regun- gen damit zum Ausdruck zu bringen, so ävaonäv, ovonäv u. a. Meist sind es Hoffart, Hochmut, Dünkel, die das Ziehen der Augen- brauen kennzeichnet, grande supercilium gerere. So sind die ocpQvovxEg' vjiEQYjcpavoi (Hes.), bcpov6op.ai sich stolz und hoch- mütig gebärden. In diesem Sinne sagt Lukilhos Anth. Pal. X 122 noXkd xb dnijuoviov övvaxm, xäv fj Tiagdöo^a, xovg juixQovg dvdyEi, xovg juEydXovg xaxdyEi. xal oov xrjv bq)Qvv xal xbv xvcpov xaxajiavoEi und Straton Anth. Pal. XII 186 redet von einer vjiegojixog bcpQvg. Die gegenteilige Bewegung, die Augenbrauen zu lockern, bezeichnet 11* 164 L- MALTEN eine Geste, die zum Ausdruck bringt, daß die Gebärde des Hoch- muts schwindet. Genau im Gegensinne zu Kalhmachos tröstet Dioskurides Anth. Pal. XII 42 den Liebhaber, mit Geld werde er den Hochmut des 7ieQi(poirog EQWjuevog schon locker machen: xal orvyvip' öq^Qvcov Xvoeig rdoiv. Dieses rdoig kann die Ergänzung äxEveig bei Kalhmachos zur Sicherheit erheben. Damit ist die Situation ins klare gestellt: die Gäste des Pollis trinken aus grofsen Humpen nach thrakischem Comment; ist der Becher leer, will jeder ihn zuerst wieder gefüllt haben ; dazu buhlt der Herr in unwürdig schmeichelnder ?,8Gyji um geneigte Bedienung; mit zusammengezogenen Brauen aber und fixirendem Blick steht der TxaTg und fühlt sich. Dies oaivuv um die Gunst der Domestiken machen Kalhmachos und Theugenes nicht mit. Weit ist diese Situation entfernt von einem Sklavenfest, das A. Körte in den Versen findet. „Dreist, frech und unbeküm- mert" sind die Bhcke der Sklaven nicht; das wäre tra/,J dle-^to. 11 p. 718 und die unten citirten Stellen. 166 L- MALTEN stöhlen die Hand; in de mercede conductis (16 p. 671) lächelt die Menge junger, hübscher Knaben, die bei der Tafel aufwarten, den Gast anmutig an {rä jueigdixia (bgaia diaxovovjueva aal fjQejua jTQoojueidicovTo.), im Symposion (15 p. 428 f.) endet das Cokettiren damit, daß der entzückte Philosoph dem lächelnden cbgaTog Geld in die Hand zu schieben versucht. Oder de Anknüpfung wird durch Zunicken versucht, wie in der Movo ■: sraidiy./j bei Straten (Anth. Pal. XII 184) i) fU] oJievorjg Mevedi]/j.ov eXeiv dolo) d.lX' imvevoov dq)Qvoi, xal q^avegcög avxbg eoel, T.Qoaye. Stellen wir uns auf diesen Boden, so würde Kallimachos ein solches 'Schwänzeln und Scharwenzeln'' um die Gunst der jiaideg mit den Worten ot' eXev'&EQog äxfXEva oaivei zur Andeutung gebracht haben. Und wenigstens einen unzweideutigen Beleg für die Ver- wendung von oaiveiv in erotischem Sinne bin ich in der Lage nachzuweisen: Theogn. v. 132 7 f. c5 JiaT, eojg äv eyjfg Xsh]v yevvv, ovnore oaivcor navGOfxai, ovo' sl' jLioi jLiögoi/.iöv eoxi '&aveiv. Freilich begegnet nun die Ergänzung der Lücke größeren Schwie- rigkeiten. Man denkt zuerst an einen Ausdruck, der auch die jiaiösg an dem erotischen Spiele irgendwie beteiligt sein heße. etwa wie Lukian sie lächeln läßt. Aber ein passender Ausdruck, der mit dz . . begänne, ist nicht recht zu finden; äraXovg wäre neben öcpgvag unmöglich; draPiCov würde öcpQvag des erwünschten Beiworts berauben und einen Vers schaffen, der bei Ovid tadellos wäre, während Kallimachos diese Art der Wortverteilung im Penta- meter kennt, im Hexameter meidet. Zudem würde öqjgvag, das mehr ist als öq^ßaX/uovg, seinem Charakter nach in eine erotische Scene nicht gut passen. Gegen äjiaXcöv sprechen die letztangeführten Gründe, äjiaXovg ist unmöglich, da aTiakog sich immer auf Reize bezieht, die von Fleisch teilen ausgehen (äjiaXMygcog) , nie vom Blicke, dyavög führt trotz der Wortverbindung dym'ä öcpqvi bei Pindar (Pyth. IX 38) nach ganz verkehrter Richtung. Bleibt es bei urevEig ocpQvg, das mir als die einzig mögliche Ergänzung erscheint, so könnte Lukian deor. dial. 6, 2 p. 217 einen Weg weisen. Hera beklagt sich bei Zeus, Ixion habe beim Symposion eine erotische Annäherung versucht. Zum Beweis führt sie an drevkg dcpecbga 1) Vgl. auch Straten ebd. XII 199. AUS DEN AITIA DES KALLIMACHOS 167 ig ejbie und av&ig acpeojQa. Aber wieder führt bei Kallimachos öcpQvag vom erotisch ansaugenden BHck ab; halten wir uns an die 'zu- sammengezogenen Brauen', so würden wir für Kalhmachos eine Scene gewinnen, wie sie ähnhch Dioskorides malt (Anth. Palat. XII 42) BXexpov eg 'Egjuoyevrjv JihJQSi xegi, xal rdya jiQrj^eig naidoxöga^, ä'v ooi dvf.ibg öveiQOJcohj, y.al OTvyrijv öq?Qvcov Xvoeig rdoiv . . . oder wie sie Straten andeutet (Anth. Palat. XII 186) äXQi Tivog TavTijv Ti]v öcpgva t)jv vneQOTixoy MevxoQ, Ti]Q)]08ig . . . Noch machen die Jungen hochmütig abweisende Mienen, wo die Herren um ihre Gunst buhlen ; das Symposion ist ja noch nicht weit vorgeschritten; später werden einige Münzen nachhelfen, den Stolz zu dämpfen. Das Ende wäre dann, wie auch sonst: wer am höchsten bietet, des wird Flötenspielerin wie jiaig. Eine Scene, wie Corssen sie vermutet, würde also in die antike Symposienliteratur vorzüglich hineinpassen. Eine andere Frage ist. ob in den Vorstellungskreis, in den Kallimachos hineinführen will. Und da muß ich nach immer wiederholter Überlegung nein sagen. Höchstens in dem oalveiv konnte das erotische Motiv fühlbar er- scheinen, ohne daß auch hier eine Nötigung vorliegt. Man muß viel hineinhören in die Worte des Dichters, wenn man im oaiveir der 'Herren' und in den dr^vag oqjQveg der Knaben das erotische Widerspiel erraten will. Die Darstellung wäre von einer Diskretion, die an Dunkelheit grenzt; die neue und überraschende erotische Note am Schluß der ganzen Scene klänge in dieser versteckten Form gar zu matt an. Bei der oben vertretenen Deutung bleibt die Situation gewahrt; vorher wird vom Trinken gesprochen, dann von den Schöpflöffeln, mit denen die Sklaven zu serviren pflegen, und damit in enger Verbindung von der Art, in der sie ihre Be- dienung ausüben. Das oben für gewisse Unsitten antiker Dienst- boten beigebrachte Material scheint mir dem Wortlaut und Ideen- kreis bei Kallimachos weit besser zu entsprechen und eine Scene aus einem Guß zu schaffen. Kallimachos ist kein Spielverderber beim Weine; wünscht er doch, daß auf seinem Grabstein ihm anerkannt werde ev /.ihv äoidip' sldörog, ev d' o/Voj xaiQia ovyyeXdom (Epigr. XXXV). Hier, wo 168 L. MALTEN er der gelehrte Dichter der Aitien ist, packt er den xaiQÖg, um den raren Gastfreund nach seiner rareren Heimat und ihren Bräu- chen zu befragen. dveiQOjuevco haben Grenfell-Hunt sicher nach KaUimachos' Worten oooa d' dveiQojLiEi'co (frjoE, rdö' i^Eoeco^) er- gänzt. Zu der Form lyaivo) ist zu bemerken, daß der Kalhmachos- papyrus uns befreit von dem alten Fehler schlechter Homerhand- schriften, die neben dem richtig überlieferten r/avaco eine Form hxavdco bringen; die Form ohne o bezeugt auch ausdrücklich Steph. Byz. s. v. "lyava . . . tyaväv dk xo ejii'&vjlieTv. Das längere r/aivü), das KaUimachos verwendet, steht zu r/avuco Avie oofiaivoj zu ÖQjudoj. Drei Fragen richtet der Dichter an den neuen Freund, die auf den Kult des Peleus in Ikos und die Beziehungen dieser Insel zu Thessalien zielen. Darin ist t[i txuxqiov vjjupi nach Hymn. II 71 Ejuol TiaxQcöiov oüxfjü von den Herausgebern ergänzt; sehr schön ist ^vv[d xd f)£ooa?u]y.d von Wilamowitz und Lobel gefunden; ^vvog liebt KaUimachos; &Eooa}ux6g hat er auch Epigr. XXX. MvQfxidovcov ioorjva, ohne Nennung des Peleus, war für KaUi- machos bereits durch Herodian gesichert (Schneider fr. 508), jedoch hatte seine Citirweise olov ooj/.i]v ioorjv 6 oiyAOxijg, MvQ^utdövojv Eoo^va Ka?2ijuayog Schneider in die Irre geführt und an Aiakos denken lassen; aber neben MvQjutdovcov ist oixiox/jg unmöglich, wer auch gemeint ist. Herodians oixiox/jg geht vielmehr zurück auf antike Versuche, das Wort iooijv zu etymologisiren, die Etym. Magn. s. v. zusammenstellt: eooi]v d ßaoiAevg y.axd "EqjEoiovg (das controlliren wir an Paus. VIII 13, 1) a) djio fXExacpogäg xov /xeIioocöv ßaoilECog, og E}'oi]xai iooi'jv, djib xov EOü) ivECEG&ai: dies Spiel schon bei Aeschylus Suppl. 223 f. EojLiög cog nEXeiddojv X'QEod^ai und 684 EoijLog . . . iloi, b) T] Eoorjv 6 OEVCOv . . . xä xfjg nolEog, c) ■i]^;6 oixioxrjg nagd xö Eooai y.ui lögvoat. Erkennt man Herodians auf Etymologie ausgehende Quelle, so wird das Kallimachoscitat von dem olxioxijg frei und stellt sich zum Hymn. I 66, wo Zeus ^Jewv eooyjv heißt. Für die Beziehungen des Peleus zu Ikos treten drei Zeugnisse ein, das erste lautend auf den Namen des KaUimachos selber 2): 1) Sitz. Berl. Akad. 1914, 224. ) Sc hol. Find. Pyth. III 167 = Schneider fr. :j72. AUS DEN AITIA DES KALLIMACHOS 169 IlrjXEvg ev "ly.o) ^) t/) v/jöoj äTv^ijoag xbv ßiov oixiQibg y.a'i eno)- dvvcog äne&avev. Wir werden annehmen dürfen, daß die Erzäh- lung aus unserem Aitiengedichte und zwar aus der Antwort des Theugenes entstammt ^). Auf unser Gedicht zurückgehend ist wohl auch, trotz der verschiedenen Messung des Namens Ikos, die kurze Anspielung bei Antipater von Sidon Anth. Pal. VII 2, 9 f. y.evdei xal 0hidog yaiih)p> i) ßQa/vßcoXog "Ixog. Etwas weiter ausgesponnen wird die ikische Peleussage im Schol. Eurip. Troer. 1128 6 fxhv EvQinldrjg vno 'AxdoTov versucht, selbst einen von Kroton unabhängigen Staat zu gründen (Diod. XI 90, 3, wonach XII 10,2 zu interpretiren ist), und schon zur Zeit Hierons hören wir (Diod, XI 48, 4) von einer Belagerung der Sybariten durch die Krotoniaten. Man könnte ja noch allen- falls daran denken, daß es sich um die nach Herod. VI 21 nach Laos und Skidros oder in andere Städte der Gegend geflüchteten Reste bzw. ihre Nachkommen handelt. Aber es hieße doch den Quellen Gewalt antun , wenn man eine Belagerung der Sybariten deuten wollte als Belagerung einer Stadt, in der neben den Bürgern auch viele sybaritische Familien (und dann doch als Metoiken) wohnen ^). Vollends wäre gar nicht zu verstehen , wie dann die Sybariten als solche sich an Hieron um Hilfe wenden und später mit dem Demos von Athen in internationale Verhandlungen ein- treten sollten (Diod. XII 10, 3 f.). Dazu kommt eine andere, grund- sätzliche Erwägung: Wenn die Sybariten wirklich sich um 510 alle zerstreut haben, nirgends mehr geschlossen sitzen, und mit der Belagerung von „Sybaris" eine solche z. B. von Laos gemeint ist, sollen sie da noch nach zwei Menschenaltern ein so starkes Zusammengehörigkeitsgefühl haben, daß das zu einer praktischen, von ihnen durchgeführten Politik die Grundlage abgibt? Die Juden haben es dank ihrer sie isolirenden und aufeinander anweisenden Religion auch in der Diaspora behalten, aber ein entsprechendes Bindeglied fehlte bei den Sybariten durchaus. Die Aigineten, die von den Athenern verjagt und durch Sparta, also in einer Hand vereinigt, im wesentlichen (Thuk. II 27, 2) geschlossen angesiedelt werden, können nach einem Menschenalter wieder geschlossen in ihre alte Heimat überführt werden, aber von den Einwohnern von Skyros, denen es 475 so geht, wie es vorher den Sybariten ge- 1) 397 belagern die Peloponnesier Atarneus. Ihr Angriff gilt vor allem den demokratischen Chiem, die vor ein paar Jahren dort Auf- nahme gefunden haben; trotzdem wird kein Mensch den Vorgang eine Belagerung der Chier nennen. GROSSGRIPXHENLAND IM 5. JAIIRH. 183 gangen sein soll, ist 404, also auch nach zwei Menschenaltern, keine Spur mehr vorhanden. Sie sind von ihren neuen Heimats- orten aufgesogen, Sparta findet keine Skyrier mehr vor, die es auf ihre hisel zurückführen könnte. Es liegt meines Erachtens auf der Hand, dai:-. es die ganze Zeit ühcr ein kleines, wohl unbefestigtes und zu Kroton gehöriges Sybaris gegeben hat, und daß die „Ansiedlungsversuche'' irn 5, Jahr- hundert nur Versuche sind, sich unabhängig zu machen, die Belage- rung von Sybaris zur Zeit des Hieron die Niederwerfung einer solchen Erhebung darstellt. Und zu diesem Sybaris gehören dann natürlich die auf den engen Zusammenhang mit Kroton weisenden Münzen ^^i. Die Prägung wird dann, da sie noch der älteren inkusen Münz- prägung angehört, die bis in die Zeiten der Perserkriege hinab- reicht, um 500 bis 480 anzusetzen sein, d. h. sie geht chronolo- gisch ungefähr zusammen mit den Prägvmgen Kroton-Temesa und Kroton -Kaulonia, die etwa um 480 beginnen, und gehurt in die gleiche Zeit wie die von Kroton-Pandosia, die man aur-h nicht allzu- lange vor 480 ansetzen darf^). Auf noch sichererem Boden für die Clironologie stehen wir bei den Münzen Kroton-Zankle (Hill, Coins of Sicily 70 f.). Ihre Zeit ist dadurch bestimmt, daß Messene nur vor ca. 493 und nach dem Sturz der Anaxilaiden ca. 460 noch einmal vorübergehend Zankle hieß. Die erstere Zeit scheidet durch den Stil der Münzen aus (Babelon a. a. 0.). Allzulange nach 460 werden wir aber auch nicht herabgehen dürfen, denn das Kroton, das Thurioi und, wie wir sehen werden, Kaulonia nicht zu behaupten vermag, wird nicht bis Sicilien ausgreifen, Hill erklärt die recht seltenen Münzen so, daß bei den Wirren in der Meerengenstadt nach dem Sturze der Tyrannen eine Partei sich Kroton in die Arme warf: und das Avird richtig sein. Dann ist eben auch Zankle, wenn auch nur ganz vorübergehend, im Machtgebiet von Kroton aufgegangen, ein bei dem vulkanischen Charakter der sicilischen Geschichte ganz glaub- licher Vorgang, wo ganze Städte mit einer Leichtigkeit ihre poli- 1) Die Sybariten, die Herodot (V 44) ah seine Quelle anführt, sind wohl die Leute von Sybaris am Traeis (Diod. XII 22, 1), man kann aber auch hier an die Sybariten der krotouiatischen Zeit denken, von denen er als Colonist in Thurioi viele kennengelernt haben wird. 2) Siehe das Material bei Head, H. N.^95; die Prägung Krotoii- Temesa reicht vielleicht durch beide Perioden, vor 480 und nach 48'J. 184 U. KAHRSTEDT tische Existenz verlieieu oder gewinnen, die im Mutterlande uner- liört wäre; man denke an Gela, Katana, Leontinoi usw. Aufser den besprochenen Münzen begegnet uns Kroton gepaart mit Städten, die folgende Abkürzungen haben: ME, IM, 9, lA, YAI, OP (Babelon a. a. 0.). Von diesen ist nach dem bisher über die Ausdehnung von Krotons Macht Gesagten Ms[djiia] sofort klar, OP wird der später von Plinius n. h. III 73 genannte Ort Portus Orestis südlich von Medma sein; die übrigen Namen bleiben unklar. Es müssen Orte im Reich von Kroton gewesen sein ; daß die Literatur von ihnen schweigt, braucht nicht wunderzunehmen: von Con- sentia wüßten wir auch nichts, wenn nicht gerade die bruttische Jlegierung sich dort niedergelassen und den Angriff Alexanders des Molossers dort abgewehrt hätte. Die Zeit der Begründung des Reiches läßt sich noch ungefUhr angeben. Der Fall von Sybaris gehört um 510, die Stadt Kaulonia prägt eigene Münzen ohne Nennung Krotons während der ersten Periode der unteritalischen Münzgeschichte (Head, H. N.'-^ 92), also auch bis um die Jahrhundertwende; auch die Gewinnung von Temesa gehört nach den Münzen in diese Zeit, zumal eine Verdrängung Lokrois aus dieser Gegend, die nach Strabo VI 1, 5 angenommen werden muß, erst am Ende des 6. Jahrhunderts möglich war, in dessen Ver- lauf Lokroi durchaus der mächtigere Staat gewesen ist (Schlacht am Sagras). Die Gründung von Terina ([Skyl.] 306 u. ö.) wird damit gleichzeitig, die Gewinnung von Medma bald darauf erfolgt sein*). Wir beobachten also eine Abhängigkeit oder Zugehörigkeit aller großitalischen Städte südlich von Metapont und Velia, ausgenommen Rhegion, Lokroi, Laos und Skidros, zeitweilig auch von Zankle, zu Kroton, die in die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts gehört. Der Höhepunkt der Entwicklung lag, wie die Münzen von Kroton-Zankle gelehrt haben, in den Jahren bald nach 460. Und zwar hat es sich dabei um eine Ausdehnung der nöXtg Kroton gehandeil, nicht um eine lockere Symmachie. Das erhellt daraus, daß alle Städte gleichmäßig ebenso wie Sybaris behandelt werden, das nach 510 unmöglich so zu Kroton gestanden haben kann, wie etwa Chios zu Athen oder Tegea zu Sparta. 1) Daß vriv keine Belege für die Zugehörigkeit von Hipponiou zu Kroton haben, wo alle seine Nacbbani, Terina, Kaulonia und Medma, ihre Unabhängigkeit verloren haben, ist sicherlich Zufall. Wir werden uns diese Stadt auch von Kroton abhängig denken dürfen. GROSSGRIECHENLAND IM ;'),.! AHRU. 185 Der Zusammenbruch des Reiches, wie wir es mil guleni Ge- wissen nennen können, ist sehr rasch erfolgt. Um 453 können sich die Sybariten von Kroton lossagen und 5 Jahre unabhängig behaupten; in den 40er Jahren muß Kroton die Gründung von Thurioi und bald darauf die eines neuen Sybaris mit ansehen (Diod. XII 22, 1). Die Münzen lehren, daß in Pandosia eben um 450 die selbständige Prügung beginnt; und daß sogar die krotonialische Golonie Terina zur Zeit der Gründung von Thurioi unabhängig ist, lernen wir aus Polyain. il 10. wozu die Münzen auf das beste stim- men. Auch Kaulonia hat einen Münztyp, der bis 388 benutzt worden ist und ziemlich lange im Gebrauch war; es liegt nahe, die Unabhängigkeit auch dieser Stadt in dieselbe Zeit zurückzudatiren. Oßenbar ist damals das krotonialische Reich in seine Bestandteile auseinandergefallen. Denn wenn selbst die unmittelbaren Nachbarorte auf eigenen Füßen stehen, wird Kroton nicht mehr imstande gewesen sein, etwa Medma zu behaupten, von Zankle ganz zu schweigen. Man hat schon früher (vgl. Beloch, Gr. Gesch. 11 1 2, 199) den Versuch, Sybaris unabhängig zu machen, mit dem Sturz der Pytha- goreer in Verbindung gebracht. Und daß damals Kroton auf das äußerste zerrüttet und geschwächt wurde, ist nach dem reicheren, hier vorgelegten Material ganz offenkundig. Die nackten Daten zeigen uns, daß die Errichtung des Reiches und sein Zusammenbruch ein Widerschein der Geschichte der Pythagoreer sind. Man versteht nun auch, was es heißt, wenn überliefert wird, daß diese Sekte viele Städte in Unteritalicn beherrscht habe. Das wäre eine merkwürdige Sache, wenn all die Staaten unabhängig nebeneinander stünden. Dann müßte man es sich so vorstellen, daß in jeder einzelnen Stadt die gleiche Entwicklung durchlaufen wird und eine analoge Hetairie die Macht gewinnt. Jede einzelne dieser Regierungen aber stünde für sich, hätte doch nur die lokale Politik ihrer Heimatstadt treiben können, und die Behauptung, „die Pythagoreer" als solche hätten die groß- griechischen Städte beherrscht, wäre ebenso verkehrt wie etwa: adie Tyrannen" beherrschen um 550 die griechischen Staaten. Vor allem aber wäre unklar, wie ein Schlag die ganze Herrlichkeit zu Boden werfen konnte. Ganz anders, wenn man sich vorstellt, daß die Pythagoreer nur in Kroton, das ja auch immer als ihr Sitz schlechthin erscheint, zur Macht gelangt sind, und daß das durch sie organisirte und disciphnirte Kroton mächtig ausgreift, ähnlich wie in weit größerem 186 U. KAHRSTEDT Maßstabe der Getenstaat des Burebista oder das Medina Mohammeds nach einer ähnlichen reh'giösen Reform getan haben. Und die Möglichkeit ihres Sturzes durch einen Staatsstreich wird auch deut- licher: in der Republik Kroton ist eben eine Revolution ausgebro- chen, die im ganzen Umfang des betroffenen Staates neue Macht- haber ans Ruder brachte. Durch das Gesagte können wir nun die Pythagoreerkatastrophe genauer datiren, als es bisher möglich war. Daß sie vor den Aus- einanderbruch des Reiches, der um 453 fühlbar wird, gehört, ist immer anerkannt worden; jetzt sehen wir, daß zur Zeit des Sturzes der Tyrannen von Rhegion Kroton erst auf den Gipfel seiner Macht gelangte (ca. 460). Die Zeit für die Katastrophe der Sekte schrumpft also auf die Jahre 459 bis 454 zusammen. Es ist nicht unmög- lich, daß die Überspannung des Rogens, die in dem Hinübergreifen bis Sicilien liegt, und der darauf folgende Rückschlag wenigstens einen der Anlässe zu der demokratischen Reaktion in Kroton darstellen. Wichtiger aber noch ist, daß wir nunmehr die politische Be- deutung dieser Revolution klar erfassen können. Ihre Folge war ebenso wie die der Vertreibung der Tyrannen in Sicilien im glei- chen Menschenalter: die mühsam zusammengebrachten größeren Staatengebilde fielen sofort wieder in ihre alten Restandteile aus- einander. Wie der Sturz der Deinomeuideu und die folgenden Wirren Gela, Kamarina, Katana, Leontinoi usw. wieder von Syrakus trenn- ten, so treten neben Kroton wieder Sybaris am Traeis (Diod. XII 22, 1), Thurioi, Kaulonia, Terina, Temesa, Pandosia, Medma, Hip- ponion, vielleicht auch Petelia. Wir haben also jetzt 9 — 10 Klein- staaten statt einer Großmacht. Vermutlich ist auch ein Zusammen- hang zwischen diesen Vorgängen und dem erwachenden Angriffs- geist der Stämme des Hinterlandes in der 2. Hälfte des 5. Jahrhundert^^ zu constatiren. Die Widerstandskraft des unteritalischen Griechen- tums muß durch die Revolution in Kroton ebenso schwer gelitten haben wie durch den Fall von Siris und Sybaris. Denn eine Großmacht im Sinne des 5. Jahrhunderts war das ])ythagoreische Kroton sicher. Das durch die Münzen als krotoniatisch erwiesene Gebiet zwischen Metapont, Laos und Skidros einerseits. Lokroi und Rhegion andrerseits hat mit Zankle ungefähr 9000 qkni umfaßt, viermal soviel M"ie Attika, ebensoviel wie Lakonion mit Mes- senien und kaum weniger als Thessalien und seine Nebenländer. Die partiknlaristische Bewegung hat sich im 5. Jahrhundert voll GROSSGRIECHENLAND IM 5. JAHRH. 187 ausgewirkt. Auch Lokioi ist nicht imstande gewesen, die vor 7,wei bis drei Menschenallern an Kroton verlorenen Gebiete zurückzuge- winnen: Thuk. V 5, 3 hegt es mit Ilipponion und Medma im Kampfe; es ist offenbar, daß die Gegend von Temesa erst recht nicht in seine Hand zurückgelangt ist. Auf der bruttischen Halbinsel gibt es also um 460 fünf Staaten, im Jahre 440 mindestens vierzehn. Neben den Münzen Krotons haben wir noch (Head, H. N.^ 85) Münzen von Poseidonia und Sybaris aus der Mitte des 5. Jahr- hunderts. Sie bezeichnen eine Abhängigkeit der Sybariten von Poseidonia, nicht umgekehrt, wie erstens die ganzen Zeitumstände dartun und zweitens die Währung lehrt, die beweist, daß die Stücke in Sybaris und nicht in Poseidonia umlaufen sollten, also über die Rechtsstellung von Sybaris, nicht von Poseidonia Auskunft geben können. Es handelt sich bei diesem Sybaris ejitweder um die dritte Stadt dieses Namens, die am Traeis, am Südrande des alten Staats- gebietes, gegründet wurde, als die Sybariten aus dem zweiten Sybaris (Thurioi) von den andern Colonisten verjagt wurden, oder um den bei dem Aufstand von 453 vorübergehend wieder belebten Staat, aber nicht um Thurioi, das niemals von Poseidonia abhängig oder gar ihm zugehörig gewesen sein kann. Das junge, schwache Sy- baris hat sich dann, um gegen Kroton oder Kroton und Thurioi bestehen zu können, einmal Poseidonia in die Arme geworfen, der mächtigsten unter den Pfianzslädten des alten großen Sybaris. Auch dieser Umstand ist für die oben S. 182 behandelte Frage von Bedeutung, ob die Sybariten von 476 und 453 die nach Laos und Skidros geflüchteten Familien darstellen. Wären nämlich diese beiden Städte wirklich die Basis für den Versuch der Wiederher- stellung von Sybaris gewesen, so wären sie die gegebenen Schutz- mächte, nicht das ferne Poseidonia, — sie werden sich eben ge- hütet haben, zu einem Anschlag auf den Staatsbestand des sie übermächtig umklammernden Kroton die Hand zu bieten. Die bisher nicht berührten Münzen von Siris mit Pyxüs sind klar und haben nie zu Schwierigkeiten Anlaß gegeben. Wir werden nach dem Gesagten nur constatiren dürfen, daß Pyxüs vor dem Fall von Siris unmittelbar zum Gebiet seiner Mutterstadt gehört hat, nicht sein Bundesgenosse im Sinne der Symmachien Spartas oder Athens war. Berlin -Steglitz. ULRICH KAHRSTEDT. ÜBER DIE ABFASSUNGSZEIT EINIGER SCHRIFTEN SENECAS. I. Senecas Schrift de hrevitnte vifae (X in der Sammlung der Dialogi) ist einem gewissen Paulinus gewidmet, der zur Zeit der Ab- fassung der Schrift ein hohes, mühe- und verantwortungsvolles Amt zu allgemeiner Zufriedenheit^) bekleidete, von dem ihm aber nichts- destoweniger Seneca dringend rät zurückzutreten, damit er von nun an ganz sich selbst und den Wissenschaften lebe (c. 18, 1 in tran- quüliorem porhmi reccdc; aliquid temporis tui sume etiam tibi usw.) ; Paulinus sei zu Besserem berufen (c. 18, 4 maius quiddam et altins de te promiseras). Jenes Amt war, wie zuerst Hirschfeld ^) ausgesprochen hat, die Praefectura annonae, die die Fürsorge für den Gelreidebedarf der Bevölkerung der Hauptstadt in sich schloß (c. 18,5 cum venire tibi Inimano negotium est; c. 18,4 ut tibi nmlfa milia frumenti comniitterentur, usw.) Praefectus annonae war während eines großen Teils von Senecas Lebenszeit, nämlich zum mindesten von August 14 (Tac. a. I 7) bis Oktober 48 n. Chr. (Tac. a. XI 31) oder gar noch länger, aber gewiß nicht viel länger, C. Turranius ; von 55 bis 62 war es Faenius Rufus ; dessen nächsten Nachfolger kennen wir nicht. Wir haben also die Wahl, die Ab- fassung der an den Praefectus annonae Paulinus gerichteten Schrift in die Zeit zwischen Ende 48, in der Annahme, daß Turranius noch in diesem Jahre einen Nachfolger erhalten hat, und 55, oder aber in die letzten Lebensjahre Senecas (62 — 65) zu setzen. Man setzt nun gewöhnlich die Schrift ganz in den Anfang des ersten der beiden genannten Zeiträume, in das Jahr 49 (oder Schluß 48), wegen einer eigentümlichen Erwähnung eines der sieben Hügel Roms, des Mons Aventinus, c. 13, 8. Dort wird nämlich anscheinend vorausgesetzt, 1) In CO officio amorcm consequeris, in quo odiiiin vitare difficik est, c. 18, 3. 2) Philologus XXIX 1870 S. 95 = Kl. Schriften S. 966. ABFASSUNGSZEIT EINIGER SCHRIFTEN SENECA8 189 dieser Hügel liege außerhalb des sogenannten Pomeriums, der sakra- len Grenze des Weichbildes der Stadt Rom; nun ist aber, nach einer bei Gellius XIII 14, 7 erhaltenen Notiz der Aventin unter Claudius in das Ponierium einbezogen worden, und zwar muß dies im Jahre 49 geschehen sein, da in dieses Jahr die auch sonst bezeugte Erweite- rung des Pomeriums durch Claudius gehört^). Also ist die Schrift Anfangs 49 (oder in den letzten Tagen des Jahres 48), als eben Paulinus Nachfolger des Turranius geworden war, abgefaßt. Im Jahre 49 ist Seneca auf Agrippinas Verwendung aus der Verbannung, in der er eine Reihe von Jahren gelebt hatte, zurückberufen und zur Prätur befördert und zugleich zum Erzieher ihres Sohnes, dos spä- teren Kaisers Nero, bestimmt worden (Tac, ann. XII 8). Im Munde eines Mannes, der eben erst wieder ein Amt und die Last des fort- währenden Verkehrs mit den Großen auf sich genommen hatte, klingen die an einen verdienten Beamten gerichteten Mahnungen zurückzutreten, die Lobpreisungen eines sich selbst genügenden Lebens, die Warnung vor dem ingratus superionun cidtus (c. 2, 1), gar sonderbar. Gercke^) ist deshalb der Meinung, die Schrift gehöre in die kurze Zeit, in der, wie er meint, Seneca zwar zurückberufen, aber noch nicht in nahe Verbindung zu Agrippina getreten war und noch nicht die Erziehung Neros übernommen hatte ; er soll in der Tat nach seiner Rückberufung zunächst daran gedacht haben, nach Athen zu gehen (schol. luvenal. 5, 109). Münzer (Beitr. zur Quellen- kritik des Plinius S. 370) ist der Meinung, die Schrift sei in der Verbannung •') begonnen und unmittelbar nach der Rückkehr abge- 1) Tac. auu. XII 23: pomerium urbis auocit Caesar unter dem Jahre 49. Auf dasselbe Jahr führen die Inschriften der von Claudius gesetzten Demarkationssteine (Inscr. Lat. sei. 213, mit Add. et Corr. p. CLXX). Die 9. tribunicische Gewalt des Claudius reicht zwar bis 24. Januar 50, aber die 16, imperatorische Akklamation scheint noch innerhalb des Jahres 49 durch die 17. und 18. ersetzt worden zu sein (Groag, Real- Encycl. 111 2808). 2) Gereke, Senecastudien (Jahrb. f. klass. Phil. Suppl.-Bd. XXI 1 1895) S. 289. 291 vgl. S. 283. 3) Die Abfassung der Schrift direkt in die Zeit der Verbannung zu setzen hat man sich im allgemeinen wohl gescheut wegen des Mangels jeglicher Bezugnahme auf die Verbannung, zu der genug Gelegenheit ge- wesen wäre (vgl. Birt, N. Jahrb. für das kl. Altertum XXVII 1911 S. 855 A. 1> Es kämen übrigens nur die allerletzten Monate des Exils in Betracht. da Seuecas Rückberufung, mit der Agrippina sich als Kaiserin gut ein- 190 B.DESSAU schlössen und herausgegeben worden. Originell ist die Meinung von Waltz ^), Senecas Aufforderungen an Paulinus seien nicht ernst zu nehmen — womit er wohl recht haben wird — , Seneca habe auf diese Weise seiner Gönnerin Agrippina zu verstehen geben wollen, ein wie großes Opfer er ihr bringe, wenn er in ihren Kreis trete. Ich möchte es nicht von vornherein für unmöglich erklären, dafs ein Mann wie Seneca ganz ohne Rücksicht auf sein eigenes Tun und Treiben eine Schrift zur Empfehlung des Lebens in der Zurückgezogenheil — das ist im wesentlichen der Inhalt von de hrevitate vitae — geschrieben habe ; aber daß er sie einem rührigen Beamten gewidmet, der eben erst sein Amt angetreten hatte, und diesen nachdrücklich zum Rücktritt aufgefordert haben sollte, das scheint auch mir sonderbar. Schwerverständlich bei Annahme der Abfassung im Jahre 49 (oder Ende 48) ist aber auch die Art der Erwähnung des Amtsvorgängers des Paulinus, des Turra- nius, im Schlußkapitel der Schrift. Es wird da (c. 20, 3) als ein bemerkenswertes Beispiel des nach Senecas Meinung tadelnswerten Ausharrens im Amte, das ihm gerade eingefallen war {pracferire quod mihi occurrit exemplum non j^ossum), der Fall des Tuira- nius erwähnt, der trotz seiner neunzig Jahre und trotz seiner von C. Caesar (Galigula, 37 — 41) verfügten Entlassung, sich von seinem Verwaltungsposten {procuratio) nicht habe trennen wollen und es schließlich durchgesetzt habe, sein Amt wieder übernehmen zu dürfen; ohne daß gesagt wird, daß Turranius wunderbarerweise noch zum mindesten weitere 8 Jahre im Amte ausgeharrt hat, und ohne daß auch nm- mit einem Worte angedeutet wird, daß Turranius der Amtsvorgänger des Paulinus, daß er eben in diesem Moment erst durch Paulinus ersetzt worden war. Auf eine Schwierigkeit andrer Art hat Hirschfeld hingewiesen. Der Abschnitt, in dem die oben behandelte Erwähnung des Mons Aventinus sich findet, ist ganz und gar eine Verspottung der Altertumsforschung oder doch der Art, wie sie bei den Römern damals betrieben wurde (c. 13, 3: Bomanos quoque invasit inane Studium super vacua discendi: 13, 8 in eadcm materia supcrvaciiam quorinndnm diJigentiam); insbesondere wird gegen Schluß es nicht nur mit Nachdruck für gleicligültig erklärt, was der eigentliche Grund der alten Ausschließung des Aventinus führen wollte, anscbeinead iu eleu Anfang des Jahres 49 gehört (Tac. a. XII 8 zu Anfang des Jahresberichts'. 1) Vie de Seueque S. 145. 146. ABFASSUNGSZEIT EINIGER SCHRIFTEN SENECAS 191 aus dem Pomerium gewesen sei, sondern auch die ganze Argumen- tation darüber ziemlich unzweideutig als schwindelhaft verdächtigt, (c. 13, 9 n(im ut conceclas omnia cos bona fidc dicerc). Kaiser Claudius war bekanntlich andrer Ansiclit ; er hat einen großen Teil seines Lebens antiquarischen Forschungen gewidmet und ihnen als Kaiser einigen Einfluß auf seine Staatsverwaltung gegönnt ; und die Frage nach der Sonderstellung des Aventinus kann ihm nicht gleich- gültig gewesen sein, da er, wie bereits gesagt, es für richtig ge- halten hat, diese Sonderstellung im Jahre 49 durch einen Regie- rungsact aufzuheben. Jeder, der unter oder bald nach Claudius diese Stelle las, muß die Verspottung des Kaisers gefühlt haben. Und das sollte Seneca unter Claudius gewagt haben, sofort nach seiner Zurückberut'ung aus dem Exil oder auch kurz vorher, er, der vom Exil aus in der Trostschrift an den Freigelassenen P0I3'- bius dem Claudius die unglaublichsten Schmeicheleien widmete und iu den unter Nero herausgegebenen Schriften es an Verbeugungen auch vor den Privathebhabereien des Kaisers nicht fehlen läßt^)? Direkt gegen die Pomeriums-Erweiterung des Claudius mußte jedem Leser, der etwas von ihr wußte, folgende Bemerkung Senecas ge- richtet scheinen (c. 13, 8): Sullani ultimum Ptomanorum protidisse Imperium, qiiod nnmquam provincinJi sed Ilalico agro adquisito proferre moris apud antiquos fuit. Die Erweiterung des städtischen Pomeriums galt als ein Pieservatrecht der Feldherren, die das Reich erweitert hatten. Pomerium urbis auxit Caesar (Claudius), sagt Tacitus ann. XII 23, more prisco^ quo iis, qui p>rottdere imperium, etiam termiuos urbis pro/mgecrc dafür, die Eroberung Britanniens hatte Claudius den Rechtstitel zur Erweiterung des Pomeriums ge- geben 2): auctis populi Romani finibus pomerium ampliavit. sagt er von sich selbst auf den von ihm gesetzten Circumvallationssteinen (Inscr. Lat. sei. 213). Und nun behauptet Seneca, wir wissen nicht mit welchem Recht oder nach welchem Gewährsmann, nur der Ge- winn von italischem, nicht der von Provinzialboden berechtige zur Erweiterung des Pomeriums (womit natürlich in der Kaiserzeit eine solche überhaupt unmöglich geworden wäre). Es wäre also Seneca das Mißgeschick zugestoßen, kurz vor der Pomeriums-Erweiterung 1) z, B. natur. quaest. I 5, 6; apocol. 4 v. 23. 2) Anders Detlefsen in d. Z. XXI 1886 S. 502 ff. 544. 561, dessen An- sicht wohl nirgends Beifall gefunden hat und von Mommsen, Staatsr. III S. 785 A. 1 zurückgewiesen worden ist. 192 H- DESSAU des Claudius diese kaiserliche Handlung für unrechtmäßig oder doch für der Tradition zuwiderlaufend zu erklären^). Im Hinblick auf die spöttischen, offenbar gegen Claudius gerichteten Ausführungen Senecas über antiquarische Spielereien meinte schon Hirschfeld, es sei fraglich, ob die Schrift zur sofortigen Veröffentlichung bestimmt Avar. Also soll sie Seneca beiseitegelegt, sie für später, etwa für die Zeit nacli dem Ableben des Claudius aufgespart haben? Ich möchte glauben, daß die .Schrift überhaupt erst nach dem Tode des Claudius geschrieben ist: sie ist nicht, sondern gibt sich nur ge- richtet an den ebenfalls verstorbenen oder doch zurückgetretenen Paulinus. So erklärt sich, daß Seneca von dem alten Turranius spricht, ohne sich zu erinnern, daß er der Amtsvorgänger des Pau- linus war — der eben erst verstorbene Amtsvorgänger, wenn die Schrift wirklich im Jahre 49 abgefaßt wäre. Zur Rechtfertigung einer Fiktion dieser Art, wenn sie einer Rechtfertigung bedürfte^), mag man, wenn man Avill, annehmen, daß Seneca tatsächhch in früheren Jahren Paulinus, dem er sehr nah gestanden haben dürfte — es scheint sein Schwiegervater gewesen zu sein — , zum Rück- tritt geraten hat, aber nicht öffentlich, sondern vertraulich, und auch nicht mit so starker Betonung von Allgemeinheiten, wie sie die Schrift enthält, sondern mit Rücksicht auf seine persönlichen Ver- hältnisse, und wohl auch kaum in den ersten Jahren seiner Amts- führung. Die Schrift, geschrieben in den späteren Jahren Senecas, als er seinen Entschluß, sich zurückzuziehen, immer wieder an- kündigte (Tac. ann. XIV 53 ff. XV 45), und vermutlich gleich zur Aufnahme in das Corpus der Dialogi •^) bestimmt, ist dann ein 1) Mommsen (Rom. Staatsrecht II S. 1025 A. 1 der 2., etwas anders II S. 1072 A. 4 der 3. Aufl.) glaubte in der Tat, daß Seneca mit jenen Worten eine von Claudius beabsichtigte Maßregel hiibe tadeln odor an- fechten v?ollen. 2) Daß sie uns nicht einwandfrei erscheint, kommt daher, daß sie keinen künstlerischen Zwecken dient. 3) Dieser anspruchsvolle Titel für Schriften, von denen kaum eine ein Dialog in dem üblichen Sinne des Wortes ist — anspruchsvoll des- halb, weil er die Schriften dem Gebiete der Philosophie, dem alten Reiche des Dialogs (Lucian Piscator 20, Bis accus. 33) zuweisen soll — . geht gewiß auf Seneca zurück, denn wie hätte er sonst in das alte In- haltsverzeichnis der alten Mailänder Handschrift geraten sollen, wer hätte außer Seneca oder nach Seneca, im Altertum oder in der Über- gangszeit gewagt, jenen Schriften den ihnen eigentlich nicht zukommen- den Titel zu geben V Ge\viß bättc Seneca mit demselben Recht auch ABFASSUNGSZEIT EINIGER SCHRIFTEN SENECAS 193 schönes Denkmal seiner herzlichen Beziehungen zu Paulinus, und empfahl sich nebenbei durch eine Anzahl noch immer gern auf- genommener Sticheleien gegen Claudius ^). II. Drei der im Corpus der Dialogi vereinten Schriften (II. VIII. IX) sind einem gewissen Serenus gewidmet, demselben Serenus, dessen frühen Tod Seneca ep. 63, 14. 15 mit ungewöhnlicher und anscheinend aufrichtiger Herzlichkeit beklagt; es ist dies sicherlich Annaeus Serenus, der als Freund Senecas von Tacitus ann, Xlll 13 genannt und mit gewissen Vorgängen am Hofe Neros aus dem Jahre 55 in Verbindung gebracht wird; später erhielt er das wichtige Amt eines Praefectus vigilum ; er starb in diesem Amte unter eigentüm- lichen Umständen an einer Vergiftung, Plin. h. n. XXII 96. Daß er erheblich jünger war als Seneca, sagt dieser selbst a. a. 0. In einer jener drei Schriften, de constantia sapientis (Dial. II) sucht Seneca den Freund dem Stoicismus zu gewinnen ^), in einer andern, de iranquillitate animi (Dial. IX), ihn bei ihm festzuhalten ^) ; in einer dritten, nur unvollständig erhaltenen, de o^20 (Dial. VIII), scheint der Freund schon so weit zu sein, daß er Seneca vom Standpunkt des Stoicismus aus Einwendungen machen kann (de otio 1, 4). Es ist begreiflich, daß man sich die drei Schriften in der angegebenen Reihenfolge entstanden denkt *). Nach einer Meinung soll de consf. andre seiner Schriften Dialoge nennen können (0. Rofsbacli in d. Z. XVII 1882 S. 368); er hat sie aber jedenfalls nicht in die. uns vorliegende Sammlung der Dialoge aufgenommen, teils weil sie zu groß waren (de beneficiis), oder weil ihnen eine Sonderstellung gewahrt bleiben sollte (der dem Kaiser gewidmeten Schrift de dementia), oder weil sie noch nicht fertig waren (natur. quaest.), oder aus irgendwelchen andern Gründen. 1) Die Schrift des Cornelius Valerianus, auf die Münzer, Beitr. zur Quellenkunde des Plinius S. 371 ff. c. 13 von Senecas Schrift zurück- führt, braucht dann nicht 47/8, sondern mag unter Nero geschrieben sein. 2) Der Freund ist noch nicht Stoiker, ja verhält sich zunächst durch- aus ablehnend (3, 1: haec srmt qiiae aitctorüatem vestris praeceptis detrahant ; 3, 2 si negas . . ., omnibus relictis negotiis Stoicns fio). 8) Hier sucht der Freund schon bei den Klassikern der Stoa, wenn auch zunächst vergeblich, Trost und Stärkung fde tranq. an. 1, 10). 4) S. besonders Gercke, Senecastudien S. 283. Fr. Jonas, De ordine libror. Senecae (diss. Berol. 1870) S. 45 läßt allerdings (mit H. Lehmann Philolog. VIII 1853 S. 316) die Reihenfolge der beiden ersten Schriften Hermes LIII. 13 194 H. DESSAU saj). im Anfang der Regierungszeit Neros ^), de tranq. animi etwa im Jahre 59 '), nach fast allgemeiner Ansicht de otio im Jahre 62 entstanden sein. Man hat auch wohl einen leisen Wechsel der Anschauungen Senecas in den Schriften zu finden geglaubt ^) und ihn mit des Verfassers Erlebnissen in Zusammenhang gebracht, meiner Meinung nach mit Unrecht; man tritt wohl Seneca nicht zu nahe, wenn man annimmt, daß er zu ein und derselben Zeit verschiedene Schattierungen des Stoicismus in seinen Schriften hat zum Ausdruck bringen können, je nach dem Gegenstand und der Gelegenheit, oder auch der augenblicklichen Lektüre. Unter Nero, auf dessen Zeit die sonstigen Erwähnungen des Serenus führen, setzt man die Schriften fast allgemein*). Groß ist, wenigstens in den beiden ersten jener Schriften, Serenus' Unselbständigkeit seinem Meister gegenüber. In de tranq. animi muß er Seneca sein Innerstes aufrollen, seine Unbeständigkeit, sein fortwährendes Schwanken eingestehen ; Seneca gibt sich nicht die Mühe, im ein- zelnen auf seine Regungen einzugehen, sondern nach einem Wort des Trostes predigt er dem Freunde nach alten und neuen, oder vielleicht auch nur nach einem neuen Autor die Tugend der evßvixia. In de const. sap. zeigt sich die Überlegenheit des Älteren dem Jüngeren gegenüber noch entschiedener; Seneca beginnt mit der Erklärung, daß die Stoa den übrigen Systemen so überlegen sei wie das männliche Geschlecht dem weiblichen, und sucht den jungen Freund, dessen graden Sinn er anerkennt, mit Gatos Schicksal aus- unentschieden. Dagegen Hense, Seneca u. Athenodorus (Freiburger Progr. 1893) S. 6ff. 1) Gercke S. 295; daß die Worte 14,5: at sapiens cokipJiis percussus quid faciet? qnod (ein wohl unfreiwilliger Hexameter) Cato usw. in irgend- welchem Zusammenbang mit den von Nero im Jahre 55 erhaltenen Prügeln stehen, kann ich allerdings nicht glauben. 2) Hense S. 58. Gercke (S. 295. 316) rückt die Schrift um einige Jahre herunter. 3) Hense S. 13 ff. findet einen Widerspruch darin, daß Seneca de const. sap. 2, l das stoische Ideal des Weisen in Cato verkörpert sieht und de tranq. animi 7, 4 das Vorkommen des Weisen in der Wirklichkeit leugnet. Des Verfassers Idealismus soll inzwischen einer anderen Stim- mung gewichen sein (S. 17). 4) Ganz allein steht wohl Waltz, Vie de Seneque S. 7, der die Schrift de const. sap. in den Anfang der Regierung des Claudius setzt und damit die Widmungen des berühmten Schriftstellers an den jungen Freund sich über einen Zeitraum von zwanzig Jahren erstrecken läßt. ABFASSUNGSZEIT EINIGER SCHRIFTEN SENECAS 195 zusölinen, nicht so sehr mit dem heldenhaften Untergang des Re- pubhkaners als mit einem Mißgeschick, das ihn früher betroffen hatte: er soll einmal auf dem römischen Forum Prügel erhalten haben und sogar angespien worden sein ; die Erinnerung an dieses Vorkommnis hatte, wenn wir Seneca glauben, den jungen Serenus tief im Innersten erregt (c. 1, 3. 3, 1: videor mihi intueri animum kmm incensum et effervescentem). Nun finden wir diesen em- pfänglichen Jüngling im Jahre 55 am Kaiserhofe sich in eigentüm- licher Weise betätigen; er hat sich, im Einverständnis oder auf Veran- lassung Senecas, dazu hergegeben, das beginnende Liebesverhältnis des jungen Kaisers zu der Freigelassenen Acte vor der Öffentlichkeit oder vor dem Hofe (vermutlich hauptsächlich vor der eifersüchtigen Mutter des Kaisers, Agrippina) zu verschleiern, indem er sich selbst in Acte verliebt stellte (Tac. ann. XllI 13). Das Merkwürdige ist nicht, daß ein der Hofgesellschaft angehöriger junger Mann, der sich zur Stoa bekannte oder im Begriff war, sich der Stoa anzuschließen, seinem kaiserlichen Freunde, der übrigens ein Bursche von eben 17 Jahren war, einen Liebesdienst der genannten Art hat leisten können, — warum auch nicht? — , sondern daß Seneca gerade diesen jungen Mann der Hofgesellschaft zum Adressaten mehrerer populär-philosophi- scher Schriften gewählt und ihn als einen gelehrigen und vertrauens- vollen Schüler hingestellt hat^). Warum gerade diesem jungen Mann auseinandersetzen, daß es für den Weisen weder Mißhandlungen noch Beleidigungen gebe und daß auch der gewöhnliche Sterbliche danach streben müsse, sich auf diesen Standpunkt zu erheben (de const. sap. 19): daß es Wahnsinn sei, zu glauben, ein Mann könne von einem Weibe beleidigt werden (c. 14); daß Gato, Regulus, Hercules auf dem Holzstoß die unübertrefflichen Vorbilder der Tugend seien 1) In eiuer Gießener Dissertation vom Jahre 1909 I (W. Friedrich, De Seneeae libro qui inscribitur de const. sap.) wird freilich be- wiesen, daß die Schrift de const. sap. hervorgerufen ist durch Beleidi- gungen, die sich Serenus hatte gefallen lassen müssen und die er nicht gutwillig ertragen wollte; Seneca weise ihn deshalb zurecht, und ermahne ihn, nur weiter kinderlosen Reichen den Hof zu machen (S. 13. 93); daß die Schrift einem persönlichen Mißgeschick des Serenus ihre Entstehung verdanke, hat auch Hense S. 11 vermutet. Ich kann mir nicht denken, daß Seneca, wenn er den jungen Freund über ein ihm am Hofe wider- fahrenes Mißgeschick hat trösten wollen, dies durch Paradoxa Stoicorum getan hat; und gewiß nicht vor der Öffentlichkeit, in einer zur Veröffent- lichung bestimmten Schrift. 13* 196 H. DESSAU. SCHEIFTEN SENECAS (de tranq. 16, 4, de const. sap. 2, 1. 14, 3). Man sollte meinen, daß es für Serenus selbst, so schmeichelhaft ihm die Dedikationen des gefeierten Schriftstellers ohne Zweifel sein mußten, doch nicht unbedingt angenehm gewesen sein kann, sich immer wieder auf den Stoicismus festlegen und sich einen Tugendspiegel vorhalten und in wiederholten Schriften seine Abhängigkeit von dem berühmten Freunde und seine eigene Lenksamkeit feststellen zu lassen. Er hatte noch nicht, wie dieser, die Höhe des Lebens überschritten und dachte nicht daran, sich von der Welt oder auch nur vom Hofe zurück- zuziehen; er verstand seine Beziehungen zu Nero auszunutzen, wie seine Beförderung zur Praefectura vigilum, einer der wichtigsten Stellen im Mittelpunkt des Regierungsbetriebs jener Zeit ^), zeigt. Einen andern jüngeren Freund, den er reichlich mit Widmungen und Ermahnungen bedacht hat, Lucilius, hat Seneca niemals auch nur annähernd so schwach und unselbständig hingestellt wie Serenus in den Schriften de const. sap. und de tranq. animi^); und Lu- cilius lebte fern von Rom, in der bescheidenen Stellung (procura- tnmcula, ep. 31, 9) eines Finanzverwalters von Sicilien, in der ihn schriftliche Erziehungsversuche und Zurechtweisungen, vielfach aus- geglichen durch Selbstbekenntnisse des Schreibers ^), nicht sehr stören konnten. Ich möchte die Vermutung wagen, daß die sämtlichen Serenus gewidmeten Schriften erst nach seinem Tode geschrieben sind ; sie stellen mit Absicht Serenus auf drei Stufen seiner Entwick- lung dar; dem Leser war es unbenommen, sie in die frühe Jugend- zeit des Serenus zu versetzen, in ein Lebensalter, dem Abhängig- keit von einem Alteren wohl ansteht; zusammengenommen sind sie, ähnlich wie die Schrift de hrevitate vitae. ein Ehrendenkmal der Freundschaft für einen Verstorbenen. Gharlottenburg. H. DESSAU. 1) Der Praefectus vigilum war nicht nur Chef der Sicherheitspolizei der Stadt Rom, sondern hatte auch mancherlei Verwaltungs- und richter- liche Befugnisse (Hirschfeld, Verwaltungsbeamte ^ S. 256). Die Truppe, die er befehligte, gab den Prätorianercohorten an Stärke nicht sehr viel nach und konnte zur Not gegen diese verwandt werden. Auf den Prae- fectus vigilum hat sich mitunter der Kaiser gegen den Praefectus prae- torio gestützt. 2) Auch nicht ep. 34, ?,. 3) z. B. ep. 50, 2. ÜBER EINE APORIE IN DER LEHRE VON DEN AGGREGATZUSTÄNDEN BEI LUKREZ (II 444-477). Die Verse II 444 — 477 im Lukrez gehören zu den verzwei- feltsten Stellen des Werkes. Man hat auf verschiedenste Weise die vermuteten Schäden zu heilen gesucht (vgl. die Anmerkungen in Merrills Ausgabe). Am unzuverlässigsten und zweifelhaftesten ist Briegers und Giussanis Um stell verfahren. Aber auch das Ansetzen von Lücken hat seine Bedenken, da hierdurch leicht ein falsches Bild der Überlieferung entsteht. Am glücklichsten ist Bailey ge- wesen, weil er sich darauf beschränkt, in V. 462 das sicher Fehler- hafte durch Kreuze anzumerken. Lukrez hat in den Versen 408 — 425 davon gesprochen, welche Atomformen dazu nötig sind, den Eindruck des Angenehmen und Unangenehmen für die Sinne hervorzurufen {bona sensihns et mala V. 408 1)), Levor ist Bedingung des Angenehmen; auch das Rund- sein gehört nach V. 402 dazu. Squalor ruft die Empfindung des Unangenehmen hervor. Darauf gibt Lukrez noch eine Anmerkung darüber, wie die Atome derjenigen Dinge beschaffen sein müssen, die titillare magis sensus quam laedere possint (V. 429). Dann wird schließlich mit denique (V. 431) zur Ergänzung noch die Bemerkung angehängt, daß die Sinne, insbesondere der tactiis, die Kenntnis von diesen verschiedenen Atomformen vermitteln. In V. 444 setzt der Dichter mit einem ganz anderen Gesichts- 1) In V. 408 ist tactu nicht allein auf mala zu beziehen, so daß unterschieden würden bona sensibus und inala tactu. Durch tactu ist vielmehr das Kriterium angedeutet, durch das beides gleichermaßen, das bona sensibus und mala sensibus, überhaupt erst unterschieden wird (vgl. V. 429 — 443). Überdies: wollte man wirklich bona sensibus und mala tactu unterscheiden, so ergäbe sich die schon der Form nach wenig wahrscheinliche Fassung, daß zu mala nur ein besonderer Sinn genannt und zu bona das in beiden Fällen zu erwartende allgemeine sensibus gesetzt wäre. 198 J. MUSSEHL punkt ein. Vorher hat er davon gesprochen, wie die verschiedenen Arten der Atom formen die Verschiedenheit der Sinneseindrücke bestimmen. Jetzt beginnt er auszuführen, daß es auch darauf an- kommt, auf welche Art in dem wirkenden Dinge die Atome mit- einander verbunden sind und welcherart die atomistische Zu- sammensetzung des wirkenden Dinges ist. Da ergibt sich zunächst, daß alles Harte (Fels, Kiesel, Eisen, Erz) durch hakige Stofie erzeugt wird, die fest aneinander durch Verschränkung hangen {alte compacfa teneri V. 446). Dann bespricht Lukrez den zweiten Aggregatzustand. Die Handschriften bieten: 451 lila quidem dehent ex levihus afque rutundis esse magis, fluvido quae corpore liquida consfant. namquc papaveris haustus itemst facilis quasi ^) aqiiarum. nee retinentur enim inter se glonieramina quaeque 455 et perculsus item proclive volubilis extat. Die Verse sind in ihrem Sinn klar, und ihre Anordnung bietet keinerlei Anstoß. Lukrez vergleicht das Wasser oder besser die Wasserteilchen (daher der Plural) — und dies ist auch nur das nächstliegende Beispiel für alles Flüssige — mit der in einem Mohn- kopf enthaltenen Menge Mohnkörner (so ist papaveris zu verstehen) : „Es ist mit dem Wasser ebenso wie mit dem Inhalt eines Mohn- kopfes. Wenn du einen Mohnkopf austrinkst 2) (haustus), so rollen dir die kleinen glatten und runden Mohnkörner auf dem abschüs- sigen Wege entgegen, da sie nicht fest aneinander haften, sondern nur lose zu einer Masse verbunden sind. So auch beim Flüssigen überhaupt. Es besteht mehr 3) aus runden und glatten Teilchen, 1) Diese Vermutung von Moriz Haupt für das handschriftliclie qmd erscheint gesichert. 2) Wer einmal den Inhalt eines Mohnkopfs genossen hat, weiß, daß man ihn „trinkt", und daß zu dem Bilde die Vorstellung des percellere (V. 455) vorzüglich paßt. Denn man bricht die trockene Rosette ab, lehnt den Kopf zurück und läßt die Mohnkörner in den Mund rinnen. Um das „Fließen" der Mohnkörner zu bewirken und zu fördern, klopft man beim „Austrinken" des Mohns leicht an die Wandung des Mohn- kopfs. Papaveris haustus ist also nicht notwendig metonymisch zu fassen nach dem Vorbild von Ovid Met. XIII 526, sondern durchaus anschau- lich, aktivistisch. Facüis hat auch nicht eine so zugespitzte Bedeutung, wie Men-ill will („easily moved'^), sondern bedeutet, wie gewöhnlich, „leicht zu bewerkstelligen" (nämlich haurire). 3) Daß magis nicht anders als mit dem Verbum verbunden werden DIE AGGREGATZÜSTÄNDE BEI LUKREZ 199 die sich ihrer Natur gemäß nicht fest aneinanderschheßen können — denn sie sind ja nicht hamatae — , und hat darum die Fähigkeit des Fhefsens, d. h. des leichteren Auseinandergehens. " So der Sinn. Es ist richtig, Lukrez bietet diesen Vergleich nicht mit einem bequemen iit — sie dar, aber vorhanden ist er wirklich, nur durch das doppelte item (V. 453 und 455) angedeutet. Man muß nur nicht die dichterische Form mit logischen Gesetzen meistern wollen. Oben hatte Lukrez gesagt: das Feste entsteht dadurch, daß hakige Teilchen da sind und sich eng verschränken. Er fährt zunächst fort: alles Flüssige entsteht mehr aus runden und glatten Atomen (denn wenn sie alle rund und glatt wären, könnte überhaupt kein Zusammenhang sein; das gilt nicht einmal von den Dingen des dritten Aggregatzustandes, V. 458). Hier nun müßte, wenn Lukrez schematisch verführe, sofort folgen: diese können sich nicht so fest verschränken, gewähren dadurch also ein leichteres Auseinander- gehen (Fließen). Der Dichter tut das aber nicht, sondern setzt un- vermittelt mit einem Gleichnis ein: „[Alles Flüssige besteht mehr aus runden und glatten Atomen.] Hier ein Beispiel: Du machst die Beobachtung, daß, wenn du einen Molmkopf austrinken willst, dir sein Inhalt, d. h. die Summe seiner Teilchen — hierin liegt der zweite Vergleichungspunkt — , wenn du sie in Bewegung setzst, ebensoleicht entgegenfließen wie Wasser. Dies liegt daran:** Was nun folgt, bezieht sich alles auf den Vorgang beim Leeren eines Mohnkopfes: „Diese Mohnkügelchen {(ilomeramina), die du mit Augen verfolgen kannst und nach deren Beispiel du dir die un- sichtbaren Atome denken mußt, hängen nicht fest zusammen {non retinentur inter se), sondern sind nur lose zusammengefügt (da- von kannst du dich leicht durch Augenschein überzeugen). Wenn kann, in V. 451 f. also nicht von der Gestalt der Atome geredet wird, ob sie mehr oder minder glatt sind, sondern von dem Verhältnis der Mischung verschieden geformter Grundstoffe in dem Dinge der Wahr- nehmung, lehrt die Stellung von magis im Satz und lehren die Verse 586—5^8. Es ergibt sich also für ein flüssiges Ding dem Lukrez fol- gendes Bild : in der Hauptsache sind runde und glatte Atome vorhanden (damit das Flüssigsein bewirkt werde); in den Rest der im Dinge vor- handenen Grundstoffe teilen sich diejenigen, welche bestimmte, auf die Sinne wirkende Eigenschaften erzeugen, und die, welche noch für eini- gen Zusammenhalt sorgen. Dabei ist die Möglichkeit nicht ausge- schlossen, daß die Form dieser restbleibenden Atome sie befähigt, beide Aufgaben zu gleicher Zeit zu erfüllen. $00 J- MUSSEHL du diese Teilchen in geeigneter Weise in Bewegung setzst — für den Mohnkopf, von dem die Rede ist, ist das die Bewegung des Klopfens ^), für Flüssigkeiten zunächst das Schräghalten des Ge- fäßes, aber auch die Erschütterung 2) — , so streben alle Teilchen prodive." Dies alles bezieht sich aber zugleich stillschweigend auch auf die Atome, welche das Flüssigsein erzeugen, und der Hauptton hegt auf V. 454: nee retinentur eniin infcr se glomeramina quaeque. Man hat diese dichterische Absicht vielfach mißverstanden und zur Bequemlichkeit V. 454 vor 453 gestellt. Mit Unrecht. Denn die Umstellung ist nicht nötig und übt am Wort glomeramina nur Gewalt. Glomcramen ist nämlich an den wenigen Stellen, wo es im Lukrez oder sonst vorkommt, stets die aus vielen Teilen zu- sammengeballte, kugelige Masse. Man hat daher bei dem Plural eher an einzelne Kügelchen zu denken, wie es beispielsweise die Mohnkörner sind, als zu einer übertragenen Bedeutung wie atomiis rotunda zu greifen. Dies wird aber bei Umstellung der Verse nötig ^). 1) Ob man das perculsus in V. 455 als Substantiv auffassen will (einzig wiederkehrend bei Tertullian De anima 52) oder als Particip auf 2)apaver bezüglich, ist für die Auffassung des Inhalts gleichgültig. Beides ist möglich. Denn pa^iaver als Masculinum läßt sich, da sein Genus in Lukrezens Gebrauch nicht ersichtlich ist (es begegnet nur noch einmal, III 196), ohne Bedenken aus Priscian Instit. V 44 = Gr. L. II 170, 13 K. entnehmen. Perculsus als Substantiv ergibt zwar die Metonymie: , das Klopfen bewegt sich" = , das Geklopfte bewegt sich". Solche Ausdrucksweise ist aber Lukrez nicht fremd. Vgl. VGOOf.: et sie coniectus eoriim confliiit, ut . . .; voluhilis extat für vohibilis est ist für Lukrez nicht verwunderlich. Übrigens vertritt vohibilis est hier das Verbum volvi, daher es das Adverbium prodire bei sich haben kann. 2) Wie etwa Schaukeln oder Schlenkern einer Schale oder eines Henkelgefäßes. Lachmanns Bedenken, denen der mittlere Ausdruck ^^ro- cursus seine Entstehung verdankt, gehen zu weit. Wenn überdies die Vorstellung des percellere für Flüssigkeiten weniger passend erscheint, so liegt das daran, daß der Vergleich mit dem Mohn nicht voll durch- geführt, sondern nur einseitig gehalten ist. Gewiß, perculsus müßte für papaver und aquae strenggenommen gleich passende Bedeutung haben. Aber Lukrez will den Eindruck erwecken, als handele er nur über die Mohnkügelchen, und überläßt die genaue Durchführung der Nutzanwen- dung auf die Atome dem Leser. 3) Die neueste Auflage des Wörterbuchs von Georges (1913) s. v. glomeramen macht mit der Buchung der angeblich einmal zu beobach- tenden übertragenen Bedeutung glomeramina = runde Atome Lucr. II 454 den Fehler der üblichen Lukrezauslegung mit. DIE AGGREGATZUSTÄNDE BEI LUKREZ 201 Mit postremo (V. 456) wird als dritte Erscheinung der Aggre- gatzustand angeknüpft, den wir den gasförmigen nennen, zu dem nach Lukrezens Anschauung der Rauch, der Nebel und das Feuer gehören (V. 457). Von diesen zeigt die Sinneswahrnehmung, daß sie puncto fewporis diffiigiunt (V. 456 f.). Also dürfen ihre Par- tikelchen nur ganz lose zusammenhängen. Wenn es aber schon vom Flüssigen galt, daß es magis aus levihus atque rutundis besteht, so gilt dies vom Luftförmigen noch mehr. Ein Mindestmaß von Zusammenhalt muß aber gewahrt bleiben. Daher die Einschrän- kung in den Versen 458 und 459^): „Die Teilchen des Luftförmi- gen dürfen nicht alle völlig rund und glatt sein, sondern müssen, zu einem ganz geringen Bruchteil wenigstens, eine nicht näher be- zeichnete, wenn auch noch so geringe Fähigkeit besitzen, einen Zusammenhang herzustellen. Hauptsache ist — wieder liegt der Hauptton auf dem Verse, der von der Atom Verbindung handelt, V. 459 — , daß sie nicht fest aneinandergehakt sind wie beim Eisen usw. , auch nicht so wie beim Flüssigen : sie dürfen nicht impedita sein und nicht aneinander haften bleiben (V. 461)." Auf diese W^eise nur wird der Beobachtung in puncto temporis diffu- gere ihr Recht. Den Übergang von V. 459 zu 460 aber, der sich dem soeben von Lukrez Ausgeführten nicht recht anzuschließen scheint, hat Brieger (Jahrb. f. Philol. CXI 1875 S. 620) vorzüglich gekennzeich- net. Als nämlich der Dichter die drei Beispiele für luftförmige Körper: Rauch, Nebel, Feuer anführte, war er sich darüber klar, daß sie auf verschiedene Weise auf die Sinne einwirken; Nebel nicht gerade angenehm, Rauch und Feuer schmerzhaft. Jetzt war er aber gezwungen, um der Verbindung der Atome willen der weit überwiegenden Anzahl der Stoffteilchen von Rauch und Feuer die Gestalt des leve und rotundum zu geben. Da fiel ihm ein, daß dies von ihm selbst bereits als Kennzeichen des Angenehmen bezeichnet worden war. Das war ein Widerspruch. Darum kam es 1) Man wird sich bei Merrills Auffassung von omnia = in all respects beruhigen dürfen. Den genauen Beweis für den adverbialen Gebrauch von omnia = omnino erbringt W. A. Bährens, Glotta V 1913 S. 85 f. Brieger (Jahrb. f. Philol. CXI 1875 S. 619) hat nur zum Teil das Richtige gesehen. Vor allem hat er den Gegensatz der Verse 444 — 477, die sich mit der Verbindung der Atome beschäftigen, zu dem vorher- gehenden Teil (Verse 381 — 443) nicht klar erkannt. Das lehrt auch seine Annahme einer Lücke nach V. 880. 202 J. MUSSEHL ihm gelegen, daß er die Bestimmung, die in dem Gegensatz der Verse 458 und 459 verborgen liegt: „das Luftförmige muß, wenn es auch weit überwiegend aus levibus et rotnndis besteht, doch irgend etwas in sich führen, das sie für ein punctum t empor is zu- sammenhalten kann" nach der Seite der Qualität hin umbiegen konnte: „damit es die Sinne (corpus) verletzen und Felsen durch- dringen könne" ^). Welcherart dieses Etwas sei, wird zunächst noch nicht gesagt, sondern der Dichter verwischt seine augenblick- liche Abschweifung auf das bereits vorher behandelte Gebiet und nimmt mit nee tarnen hacrere inter se den Gedanken des V. 459 wieder auf. Doch das Verlangen, zu hören, wodurch das Luft- förmige zugleich auch die Fähigkeit des compimgere sensus haben möchte, bleibt bestehen. Mit den Versen 464 — 477 räumt sich Lukrez eine Schwierig- keit aus dem Wege. Darauf deutet sed. Er hatte gesagt, daß das Flüssige mehr aus glatten und runden Atomen bestehe, weiter oben, daß das Bittere (Unangenehme) von squalida"^) herstamme. 1) Pungere und compungere steht in V. 432 zwar anceps, ist aber in V. 420 deutlich in malam partem gewendet Saxa ist gleichfalls von Brieger mit Erfolg verteidigt worden. Brieger übersetzt in V. 460 gleichfalls corpus als „organischen (empfindenden) Körper". Denn wenn corpus dies hier nicht heißt, kann von einer Umbiegung nach der Seite der Qualität, d. h. der sinnlichen Wahrnehmung, hin nicht die Rede sein. Nun könnte eingewendet werden, wegen des danebenstehenden saxa liege es näher, an Körper in allgemeinem physikalischen Sinne zu denken. Darüber kann nur eine Untersuchung des Wortes corpus bei Lukrez entscheiden. In großen Zügen ergibt sich das Bild, daß der Dichter den Plural corpora in erster Linie für physische Körper (Dinge) im allgemeinen, insbesondere für die Atome (primordia, corpora prima) gebraucht, corpus überwiegend im Sinne des einzelnen organischen, emp- findenden oder nach menschlichem Muster gedachten Körpers. Das geht im groben schon aus dem Löwenanteil hervor, den Buch III am Sin- gular corpus hat. Gerade hier ist die Rede von dem beseelten und emp- findenden Körper. Den Plural weisen die über Physik und Cosmologie handelnden Bücher bei weitem mehr auf. Wer rechnerische Vorführun- gen liebt, wird in folgenden Zahlen die Bestätigung finden: corpus 122 (Buch III): 242 (die übrigen Bücher), Durchschnitt 61; corpora 15:170, Durchschnitt 31. Wenn man sich also an das Gewöhnliche hält, ist in V. 460 die Übersetzung corpus = Sinne, empfindender Körper berech- tigt. Eine genaue Untersuchung des Gebrauchs von corpora und corpus bei Lukrez muß hier unterbleiben. Sie würde auch das Bild nur im einzelnen ausführen, nicht aber die großen Grundlinien ändern. 2) Squalidum ist bloßes Negativ zu Jevor und nur allgemein zu DIE AGGREGATZÜSTÄNDE BEI LUKREZ 203 Nun lehrt aber die Erfahrung, daß es bittere Flüssigkeiten gibt. Wie diese Aporie lösen? Die Talsache erklärt sich aus der Zu- sammensetzung der betreffenden Flüssigkeiten. Daher fügt sich dieser Teil so gut hier ein. Es sind eben solche Teilchen darin gemischt, welche allein das provolvi erzeugen {levia et roinnda: diese sind in der Überzahl), und solche, die den dolor hervorrufen. Diese müssen zwar sqiialida sein, aber nicht so, daß sie hamata sind (sich verschränken können); sondern, um mitfließen zu können, wenn sie nicht durch besondere Vorrichtung aufgehalten werden (Filtri- rung), haben sie eine der Rundgestalt angenäherte Form {cilohosa). Die Vorstellung ist schwer zu vollziehen, aber die Verse 468 — 470 lassen keine andere Deutung zu. Als treffendes Beispiel wird das Meerwasser angeführt, an dem man beobachten könne, wie durch Filtrirung sich die beiden Bestandteile deutlich voneinander scheiden. Textkritisch ist der Abschnitt V. 464 — 477 völlig in Ordnung mit Ausnahme von V. 467, der allerdings durch den Eindringling aus V. 466 arg entstellt ist. Die Verbesserung ist der Sache nach durchaus gesichert. Die am treusten das übrige Überlieferte be- wahrt, ist vorzuziehen: est, et {squalida sunt Ulis) admixta doloris Corpora (Bernays). Weiter: Sich um die Richtigstellung der Worte minime mirahilc dehet zu streiten, hat sachlich nicht viel Zweck. Man mag das dehet für verderbt halten und hahefo (Munro und Bailey) oder anderes vermuten oder den Satz etwa so zu Ende führen wollen : {esse) tihi videri . . . Die Hauptsache ist, daß für das Fehlende nicht dem Dichter schuld gegeben werden kann, der mit seinem Werke nicht fertig geworden sei. Darüber täuschen aber Lückenzeichen ohne nähere Erklärung nur zu leicht hinweg. Mehr als ein Vers wird überhaupt nicht ausgefallen sein, und dies nur durch die Schuld eines Abschreibers ^). fassen als „Unregelmäßiges, von der Rundform Abweichendes ". Wie Angenehmes und Unangenehmes sich im Bewußtsein gegenüberstehen, so gibt es in der Atomenwelt folgende Gegensätze: lere et rotundum-and squalor, der sich äußert in acutum (V. 463) oder in dentatis formis, die je nach der Schärfe des unangenehmen Eindrucks gegeneinander abge- stuft sind (vgl. V. 427 — 429). Haben solche Atome mucrones oder sind sie dentatae, so können sie sich auch verschränken und dadurch, wenn sie in die Sinnesorgane eindringen, außer der Wirkung ihrer natürlichen Unregel- mäßigkeit — um grob zu reden — ein größeres Loch reißen. Nur bei dieser Auffassung streiten die Verse 404—407 und 424 f nicht mehr miteinander. 1) In meiner Erstlingsarbeit (De Lucretiani libri primi condicione 204 J. MUSSEHL Wenn nun Lukrez in V. 464 ganz kurz mit sed die Aporie einleitet, so muß er unmittelbar vorher etwas niedergeschrieben haben, das ihn dazu veranlaßt hat, die Frage aufzuwerfen. Ande- renfalls würde er eher mit einer in solchen Fällen beliebten Wen- dung (wie II 225; V 1091 oder I 370; 1052; VI 1056 u. ö.) die Aporie zunächst genauer angekündigt haben. Da der Teil V. 444 bis 477 von den Arten der Zusammensetzung der Atome han- delt, also auch vom Flüssigen (V. 451 — 455), so ist mit größter Sicherheit zu vermuten, daß die Nennung der mit den levia et rotunda (aus diesen besteht ja vorzugsweise das Flüssige) in Wider- spruch stehenden Atomformen des Unangenehmen den Dichter un- mittelbar zu der Auseinandersetzung der Verse 464 — 477 ge- drängt habe. Mit derselben Erwartung hatte aber Lukrez den Leser bei den Worten haerere inter sc (V. 461) entlassen. Die Worte 461 quodctimqiie videmus sensihiis sedatum facile ut cognoscere possis non e perplexis sed acutis esse elcmcntis müssen also die Umschreibung von unangenehm wirkenden Atom- formen enthalten. Daß dies wirklich der Fall ist, dazu weist V. 463 den Weg. Das, was den Sinnen unangenehm ist, besteht — so- viel darf man zunächst aus dem Verse entnehmen — aus spitzigen Atomen {acutis). Daher auch der Ausdruck conipimgere. Sie dürfen nicht perplexa sein. Denn, zu einer Masse geformt — so ac retractatione, Diss. Greifswald 1912) habe ich auf mehrere solche Fälle hingewiesen. Die Feststellung der verschiedenen Arten von Lücken ist sehr wichtig für die Überlieferungsgeschichte des Lukrez und die Frage nach der Herausgabe des Werks von der Hand des Marcus Cicero. Im übrigen halte ich für diese Lukrezstelle gegen Munro und Bailey einen Ausfall für das Wahrscheinlichste. Die auffallende Ähnlichkeit des Vers- ausganges V 666 bestimmt diese Ansicht. Man könnte sich den ausge- fallenen Vers mit einem esse wie V 667 beginnend denken. Er kann auch nur einen nebensächlichen Gedanken enthalten haben. Etwa: „(das darf dir nicht wunderbar) sein, wenn du nach dem Vorhergehen- den die Sache recht erwägst". Denn die mit nmyi beginnende Lösung der Aporie ist vollständig erhalten. Minime mirahilc debet aber unter Annahme einer , Ellipse" von esse für abgeschlossen anzusehen, verbietet der Sprachgebrauch bei Lukrez. Gewiß sind manche sprachliche Härten bei Lukrez zu finden, doch verbindet er debere stets unmittelbar mit einem Infinitiv oder rückt es wenigstens in so große Nähe eines Infinitivs, daß die -Ergänzung" selbstverständlich ist. Beides liegt in V. 465 nicht vor. DIE AGGREGATZUSTÄNDE BEI LUKREZ 205 muß sich Lukrez die in iioii perplexa steckende Bedingung aus- denken — , verlieren sie die Fähigkeit des compuncfcre. Auch kommen sie ja im Luftförmigen vor, wie die Erfahrung lehrt (Rauch), und dies darf überhaupt nicht perpJexiim sein. In dem quodaimque videmus sensibus scäatuui ist also die Umschreibung eines oumia, quae aniara sunt oder, wenn möglich, eines noch allgemeineren Ausdrucks enthalten. Die Überlieferung ist auf keinen Fall richtig, und Munros Versuch, sie zu halten, muß als mißglückt gelten. Denn selbst wenn man davon absieht, daß scdatum in Verbindung mit sensibus, mag man jenem noch seine Verbalbcdeu- tung unterlegen oder es als Adjektiv fassen, schwerlich verstanden werden kann, führt der Begriff sedare auf das ausgesprochene Gegenteil von dem, was die Umgebung von dem Verse verlangt. Lachmann hat das Richtige empfunden, als er venenumst für vide- mus einsetzte, doch hat er an falscher Stelle geändert, da gegen videmus an sich nichts einzuwenden ist. Wenn man sich ent- schließt, in sedatum ein esse datum zu sehen, wie Bernays, Brieger und Merrill es tun, ist der Weg zu dem nicht weit, was mit einiger paläographischen Wahrscheinlichkeit V. 408 (vgl. dazu S. 197 A. 1) nach Lukrezens Sprachgebrauch ohne weiteres an die Hand gibt : sensibus esse maluni. Nimmt man dies als brauchbar hin, so erhebt sich sofort die Frage, wie das zusammenhängende Satzgebilde V. 456 — 463 aufzufassen sei. Gewiß, die vorgeschlagene Verbesserung macht das Satzgebilde kühn, aber nicht unmöglich. Der Satz gliedert sich äußerlich so: oninia (sc. quae aeris similia sunt) necesscst non pcrplcxis indupcdita esse neque haerere intcr sc, {ita) ut cognoscere jJossis, quodcuni- que sensibus mahnn esse videmus, noti e perplexis scd acutis esse elementis. Auffallend ist, daß der durch den relativischen Ausdruck etwas ausgedehnte Subjektsbegriff dem cognoscere ut possis voran- geht, während man von einem consecutiven ut erwartet, daß es sich möglichst eng an den Satz anlehne, aus dem es die Folgerung zieht. Doch eine kurze Betrachtung des Gebrauches der Redeweise cognoscere (oder eines ähnlichen Verbums) ut j^ossis bei Lukrez lehrt, daß es sich hierbei um eine Formel handelt, die größeren Satzgebilden ganz frei angehängt wird. Vgl. 1 751 (davor 5 Verse), II 121 (davor 7 Verse), III 124 (davor 7 Verse). Hauptsächlich kommt III 588 in Betracht. Hier gehen gar mehr als 8 Verse, die in Frageform gehalten sind, voraus, und man hat die Folgerung 206 J- MUSSEHL mit ut noscere possis für so frei angesehen (durchaus gleich einem griechischen mote), daß man gegen die Forderung der Satzghede- rung bereits hinter foramina (V. 588) das Fragezeichen gesetzt hat, das strenggenommen erst hinter aiiras (V. 591) zu erwarten wäre. Ebenso darf man sich in II 461 helfen, etwa durch einen Doppel- punkt vor quodcumque, imd wenn man die freie Verwendung der Formel cognoscere ut possis anerkennt, verliert die Voransetzung des langen Subjektsbegriffs, die zunächst als kühne Verschränkung erscheinen möchte, immerhin ihr erstaunliches Ansehen. Doch selbst wenn man diesen Weg nicht einschlägt: es fehlt im Lukrez nicht an Beispielen solcher Verschränkungen, die in kleinerem Rahmen meist dem Versbedürfnis entsprungen sind. Vgl. III 117 und 418; IV 157 und 642 ;V 1185. Auch III 180 f. gehört hierher. Denn es mu& im Gegensatz zu III 46 (vgl. Heinze zu III 180) so construirt werden: ita esse ut pcrnoscere possis, liinc licet animadvertas animnni. Ist aber auch nach Annahme der vorgeschlagenen Verbesserung das Satzgebilde seiner Form nach nicht anstößig, so muß doch über den Gedankenfortschritt nach den Worten haerere intcr se noch ein Wort gesagt werden. Es stehen sich im Verhältnis von Grund und Folge die Sätze gegenüber: „Das Luflförmige darf nicht ausschließ- lich aus glatten und runden Atomen bestehen. Bedingung ist nur, daß es nicht durch sich ineinanderhakende Atome verhindert werde (d. h. an dem diffug er e puncto temjjoris)" und: „Du siehst also, daß das, was den Sinnen unangenehm ist, nicht aus solchen Atomen besteht» die die Fähigkeit haben, sich zu verwickeln, sondern aus spitzigen"^). 1) Schwieriglieit macht der allgemeine Ausdruck qtiodeumque. Ist es denn wahr, daß alles, was den Sinnen unangenehm ist, aus non per- plexa und acuta besteht? Nach den vorhergehenden Abschnitten des zweiten Buchs muß das verneint werden. Zunächst ist sicher, daß für die luftförmigen Körper nur solche Schmerzerreger passen, welche sich nicht verhaken können, d. h. acuta, die man sich in Lancettform denken mag- Über die Atomforraen, die beim Flüssigen den unangenehmen Ein- druck hervorrufen, ist oben S. 202f. gehandelt. Bei festen Körpern können die Schmerzerreger durchaus hamata sein, da sie damit nicht die Zu- sammensetzung der betreflfenden Dinggattung stören. Es ergibt sich also für die Schmerzerreger von den flüssigen bis zu den festen Körpern eine durchgehende Abfolge von Formen (vgl. S. 202 A. 2), worauf auch V. 405 deutet, in dem rnagis wohl zu hainatis zu ziehen ist. Luftförmige Körper müssen aus den angedeuteten Gründen (vgl. S. 204) eine besondere Atom- form für die Erzeugung des unangenehmen Gefühls aufweisen. Sie bot sich in den acuta, die die Forderung des compungere erfüllten, aber wohl DIE AGGREGATZUSTÄNDE BEI LUKREZ 207 Wie die Bestimmung des V. 460 in die Auseinandersetzung über die Arten von Atom verbin dun gen hineingeraten ist, hat, wie oben ausgeführt, Brieger gesehen. Nur muß noch vor einem Ein- gritr gewarnt werden, der nahehegen könnte, nämhch V. 460 vor 459 zu setzen, um eine vermeinthch richtige Folgerung zu erzielen. Denn diese Gedankenfolge könnte berechtigt erscheinen: ,Das Luft- förmige besteht nicht ausschliefslich aus runden und glatten Atomen; denn es muß, wie z. B. der Rauch, die Sinne verletzen können; sondern Bedingung ist nur, daß es nicht aus fest sich ineinander- hakenden Stoffen besteht." Vielmehr geht der Gedankengang wie der ganze Abschnitt V. 444 — 477 von den Atom v er bin dun gen aus: „Das Luflförmige darf nicht völlig aus glatten und runden Grundstoffen bestehen (vielmehr muß ein Mindestmaß von Zusam- menhalt gewährleistet sein); Bedingung ist nur, daß es nicht aus fest ineinander sich hakenden Teilchen besteht." Die Bestimmung nun, die erst durch die Gegenüberstellung von si minus — at tarnen erreicht wird, daß nämlich Grundstoffe irgendwelcher Art da sein müssen, die jenes „Mindestmaß" er- zeugen — für ihre Ausdenkung bietet die bloß negative Bestim- mung des V. 459 Raum — , wird umgebogen nach der Seite der Qualität hin, um die durch die Erinnerung an die Qualität der so- eben als Beispiele gewählten Dinge entstandene Schwierigkeit unter- zubringen. Die Aussage quodcumque videimis sensibiis esse niahiin, non e perplexis sed acidis esse eJementis folgt aber, wie die Gleich- heit der Worte schon ergibt, nur mJt ihrem negativen Teil aus dem Vorhergehenden: „Das Luftförmige, von dem manches (wie du aus den Beispielen ersiehst) die Sinne verletzt, stellt die Bedingung, daß die Teilchen (die nicht rund und glatt sind; denn von denen braucht nicht weiter geredet zu werden), von welcherlei Form sie auch sein mögen, nicht fest zusammenhängen. Du siehst also", so wird richtig geschlossen, „daß das, was den unangenehmen Eindruck (wohlver- standen: bei dem Luftförmigen) hervorruft, nicht perplcxum ist und auch nicht sein kann." Denn wenn es vächi non perplexum \vdiXQ, könnte es keine luftförmigen Körper geben, die die Sinne verletzen, im Durchschnitt als rund und an der Oberfläche als ein wenig gerauht zu denken sind (um das verlangte Mindestmaß von Zusammenhalt zu gewährleisten). Hieraus ergibt sich, daß der Ausdruck quodcumque sen- sihiis esse malum vi(kmus nicht absolut allgemein zu verstehen ist, son- dern nur auf das Luftförmige abzielt, so daß es gleich ist einem quod- cumque in hoc rerum (sc. aeris simüium) genere sensibus esse malum videmus. 208 J- MUSSEHL was wider die Erfahrung ist. Der Dichter beruhigt sich aber nicht bei der negativen Feststellung, sondern sowohl aus sprachlichem Ebenmäßigkeitsgefühl, als auch weil bei dem Leser das natürliche Verlangen vorhanden ist zu hören, wie geformt wohl die im Luft- förmigen unangenehm wirkenden Teilchen sein möchten, läßt er auf die negative Bestimmung mit den Worten scd actitis esse ele- mentis die positive Erklärung folgen ^). Diese ergibt sich gewiß nicht als logisch strenge Folgerung, aber Lukrez wirft damit das Wort in die Auseinandersetzung, an das er mit sed (V. 464) un- mittelbar die oben bezeichnete Aporie anknüpfen kann. Es ist darum eine arge Zerstörung des Zusammenhanges, wenn man, wie Brieger und Giussani, nur darum, weil die Verse 464 — 477 von bestimmtem Flüssigen handeln, die Aporie an V. 455 anknüpft. Vielmehr ist der Übergang so: „Für das Luftförmige, das weit überwiegend aus levia et rotimda besteht, erhebt sich sehr bald die Frage, wie in ihm die schmerzerregenden Teilchen wohl be- schaffen sein mögen. Aber auch beim Flüssigen, das in der Mehr- zahl glatte und runde Teilchen aufweisen muß, zum Teil aber als amariim bekannt ist, liegt dieselbe Schwierigkeit vor, die in ihrer Art gelöst werden muß." Man mag eine solche über das logisch Zulässige hinaus- gehende Schlußfolgerung, wie sie in dem sed acnfis clementis liegt, in strenger philosophischer Prosa tadeln; dem Dichter muß man diese Freiheit hingehen lassen^), zumal deutlich zu erkennen ist, durch welche inneren Gründe sie hervorgerufen ist. Das sprach- hche Ebenmäßigkeitsgefühl ist dabei nicht einmal das Unwichtigste. Auch daß Lukrez mit V. 460 eine Umbiegung begeht, die von dem Leitgedanken der Verse 444 — 477 abschweift, kann ertragen wer- den, zumal ihm dies Verfahren die Brücke zu der Aporie in V. 464 bis 477 bilden muß. Solch ein Durcheinandergehen zweier Beweisreihen ist überdies 1) Daß der Dichter gerade hier im Vorübergehen diese Bemerkung eingefügt hat und darauf verzichtet, einer Darlegung der verschiedenen unangenehm wirkenden Atomformen einen besonderen Teil des Buches einzuräumen, muß hingenommen werden. Man darf nicht in den Fehler von Brieger und Giussani verfallen, mit dem Dichter rechten zu wollen. Selbst dann würde ein solches Verfahren unberechtigt sein, wenn die Vorlage des Lukrez in genauem Wortlaut bekannt wäre. 2) Es liegt hier ein ähnlicher Überschuß vor, wie ich ihn in der S. 203 A. 1 genannten Schrift S. 60f. für 1250-264 festgestellt habe. DIE AGGREGATZUSTÄNDE BEI LUKREZ 209 im Lukrez auch an ganz untadligen Stellen seines Werkes nicht ohne Beispiel. Ein Fall liegt gleich in den ersten Abschnitten des zweiten Buches (V. 62 — 141) vor^). Mit den Versen 62 — 66 ver- spricht Lukrez, daß er erklären wolle, (juo atomorum motu res variae gignantur et qua vi (= quibiis de cansis) motum facere cogantiir primordia, d. h. er will beweisen, daß es aus diesen oder jenen Gründen eine Bewegung der Atome überhaupt gibt. Er fängt auch positiv an zu beweisen, daß aus der durch Erfahrung bewiesenen Veränderung der Dinge geschlossen werden müsse, daß die Atome eine Bewegung hätten (V. 67—79). Dann geht er zu einem Beweis e contrario über und kündigt an: si imtas cessarc posse afomos, erras. Diesen Beweis führt er aber nicht rein durch, sondern ihm kommt in den Sinn, daß er auch über die verschie- denen Arten der Bewegung sprechen müsse: aiit gravitate sua ferri primordia rerum aut ictu forte aUerius (V. 84 f.). Er ver- mischt dadurch zwei Reihen von Darlegungen, die getrennt so aus- gesehen haben würden: 1. Beweis dafür, daß es eine Bewegung der Atome gibt: a) positiver Schluß: aus den sichtbar sich verändernden Dingen, b) negativer Schluß: aus der Tatsache des Fallens und dem Wesen des unendlichen Raumes; c) Beispiel: die Sonnenstäubchen. 2. Die zwei Arten von Atombewegung: a) Bewegung aus eigener Schwerkraft (primäre Bewegung), b) Bewegung durch Stoß anderer Atome (sekundäre Bewegung). Die Sachlage wird aber überdies dadurch noch verwickelter, daß Lukrez aus der Darlegung 2 schon einige praktische Folgerungen zieht: solche Atome nämlich, die aneinanderprallen , erzeugen die Dinge, seien es harte, wie Felsen und Eisen, oder dünne (weiche), wie Luft und Licht (V. 98 — 108); solche aber, bei denen es zu gar keinem Zusammenprall mit anderen Atomen kommt, (c/ravitate sua) per inane vagantur (V. 109). Daß die beiden angedeuteten Reihen durcheinandergehen, ist am klarsten aus dem Beweis 1 b zu ersehen. Dort zieht der Dichter zunächst weiter keinen Schluß als quod quoniam constat, nimi- rum nulla quies est reddita corporihus primis (V. 95 f.), d. h. es 1) Hierüber habe ich in meiner S. 203 A. 1 genannten Schrift S. 17 f. bereits gehandelt, setze aber dieses vielsagende Beispiel in vollem Umfange noch einmal hierher. Hermes LIII. 14 210 J. MUSSEHL, DIE AGGREGATZUSTÄNDE BEI LUKREZ gibt eine stete Atombewegung; dann aber zieht er, bewogen durch die Ankündigung der Verse 84 f. die soeben dargelegten praktischen Folgerungen. Darauf will er an einem Beispiel die Art von Atomen klarmachen, welche conciliis rerum reiecta sunt (V. 110) und zu welchen ihn der einmal eingeschlagene Seitenweg, wenn man über- haupt so reden darf, geführt hat. Dazu erscheinen ihm die Sonnen- stäubchen sehr geeignet, und in diesem Sinne beweist oder viel- mehr vergleicht er auch in den Versen 112 — 124. Dann aber kommt ihm der Gedanke zurück, daß er das Vorhandensein einer Atombewegung zuallererst zu beweisen unternommen habe. Darum biegt er dasselbe Beispiel der Sonnenstäubchen allein im Sinne dieses Existenzbeweises um. Vgl. V. 127 f.: quod tales turbae motus qtioque materiai significant clandestinos caecosque suhesse und V. 132: scüicet hie a principiis est omnibus error. Man wird dies vom Standpunkt des Philosophen unklar oder gar verworren nennen und sich bemühen dürfen, die Scheidung der Beweise wieder vorzunehmen. Aber Lukrez ist Dichter, und als solchem darf ihm daraus kein Vorwurf gemacht oder gar die ganze Darlegung für unzulänglich und unfertig gehalten werden. Sie ist vielmehr völlig in Ordnung, und die Verschlingung der beiden Beweisreihen, in erster Linie die doppelte Wendung desselben Bei- spiels, ist so geschickt und künstlerisch durchgeführt, daß man sich wird hüten müssen, über die bloße Feststellung der Tatsache hinaus- zugehen. Auf Grund dieser Vergleichung wird man endlich auch für die Verse 444 — 477 zu keinem wesenthch anderen Urteil gelangen. Es muß für die Arbeit am Lukrez Grundsatz bleiben, daß das, was sprachlich richtig ist und sachlich ausreichend erklärt werden kann, für abgeschlossen angesehen wird. Urteile, die da besagen, der Dichter hätte geschickter so oder so schreiben müssen, sind wertlos. Wie, wenn Lukrez aufstünde und erklärte, er würde trotz der zusammengedrängten Darstellung in den Versen 444 — 477, trotz aller Schwierigkeiten ihrer Erklärung, sie so belassen haben, wie sie jetzt in den Handschriften stehen? Sein ästhetisches Urteil mag (im Lukrez wenigstens) jeder für sich haben, aber allein hiernach irgend etwas philologisch entscheiden zu wollen, ist Überhebung. Berlin -Tempelhof. JOACHIM MUSSEHL. DIE GRABSCHRIFT DES PHILOSOPHEN lULIANUS. Im Jahre 1861 kam bei Eisenbahnbauarbeiten an der Via Latina, etwa 600 m vom Tore, ein Inschriftcippus zutage, der, einem Philo- sophen luHus luhanus gesetzt, in historischer Beziehung ein nicht gewöhnhches Interesse beanspruchen darf. Der Stein ist von Kieß- ling, der ihn kurz nach der Auffindung gesehen, im Bull. d. Inst, arch. 1862 S. 7 (nach seiner Abschrift dann CIL VI n. 9783; wiederholt von Bücheier, Carm. epigr. n. 1342 und Dessau, Inscr. sei. n. 7778) pubhcirt worden. Seitdem schien er verschollen. Ich habe ihn im Frühjahr 1913 im Thermenmuseum (im Garten links vom Eingang zu den Verwaltungsräumen) wiedergefunden und copirt. Die Inschrift ist eingehauen mit guten Buchstaben des aus- gehenden zweiten oder beginnenden dritten Jahrhunderts n. Chr., ein chronologisches Kriterium, das für die Beurteilung des Inhalts ausschlaggebend sein muß. Ich setze den Text nach meiner Ab- schrift noch einmal her: . D • M • S . IVLIO I VLI AN 0 VIRO • MAGNO • PHI urceus L 0 S 0 P 0 • P R I M 0 9^ ^,^,, 5 HIC- CVM-LAVRV-FE RET . ROMANIS • lAM RELEVATIS-RECLV SVS'-CASTRIS-INPI A . MORTE • PERIT- Von sprachlichen Erscheinungen weist die Schreibung pMlo- S02)0 (nicht filosofo) und ebenso die nichtassimilirte Form in2)ia ebenfalls auf eine Zeit, die jedenfalls vor der Mitte des dritten Jahrhunderts liegt. Dies ist der äußerste terminus ante quem; einen späteren Zeitansatz schließen Schriftcharakter und Orthographie gleichermaßen aus. Das Fehlen des Praenomens widerspricht dieser chronologischen Fixirung der Inschrift nicht; von den solennen tria noynina, wie sie zur regulären Namensbezeichnung des er- 14* 212 M. BANG wachsenen römischen Bürgers seit dem Beginn der Kaiserzeit gehören, bleibt gelegenthch einmal schon im ersten Jahrhundert i), ziemlich häufig dann seit der Mitte des zweiten 2), auch auf Grab- inschriften^), der Vorname weg. Z. 5 — 9 bilden ein Distichon, das freilich nichts weniger als formvollendet ist. Lai(rii(m) fer(r)et und inpiä mortc sind böse Schnitzer, aber bei dieser Art von Poesie nicht eben verwunderlich. Z. 7 sind die ersten drei Buch- staben getilgt (aus welchem Grunde, ist nicht ersichtlich), aber noch gut lesbar. Eine Erklärung der Inschrift hat Mommsen in einer längeren Anmerkung zum Corpustexte zu geben versucht. Er denkt an eine Befreiung Roms von einem feindlichen Angriff, bei welcher Gelegen- heit unser lulianus sich, um Lorbeer zur Siegesfeier zu holen, zu weit aus der Stadt gewagt habe und in die Hände der Feinde gefallen sei, die ihn dann in ihr Lager geschleppt und dort getötet hätten. Zugetragen habe sich dieser Vorfall vielleicht im Jahre 307, gelegentlich einer der beiden damals gegen Maxentius, zuerst von Severus, dann von Galerius unternommenen Expeditionen, die beide erfolglos verliefen ; zumal zu der zweiten passe nach dem, was die 1) Beispiele bieten u. a. die Akten der Säkularspiele des Augustus (Z. 107 Asinius Gallus; derselbe Z. 151 C. Asinius) und die Arvalakten der Jahre 57 — 60 (Sulpicius Camerinus) und 72. 2) S. z. B. die Listen der equites singulares CIL VI 31150 (J. 142) u. 225 (J. 200), das Dekurionenverzeichnis der fabri tiffnuarii VI 33856 V. J. 154 und die Arvalakten von 119. 155. 183. 186. 193; femer die Weihinscbriften VI 791 (J. 11.5). 404 (1. Drittel). 1009 (J. 140). 31148 (desgl.). 631 "(J. 177). 861 (J. 181). Belege aus dem 3. Jahrb. anzuführen erübrigt sich. 3) Von kaiserlichen Freigelassenen, die ihr Praenomen weglassen, finde ich mehrere FlarAi (CIL VI 8610. 8971. 18185. 18395. 35310), Ulpü (VI 8512. 8762. 8891. 8979. 29226. 29294), Aelii (VI 2997. 5308. 9008. 10718. 10853. 15983. 27099), zahlreiche Aurelii (VI 5339. 8511. 8697. 8745. 9057. 9087. 10209. 10840. 12989. 12994. 13060. 1.3084. 13181. 13221. 13256. 15860. 17920. 23272. 28283 u.a.m.), endlich einen Seinimius (VI 9028; Frei- gelassene des Severus begegnen überhaupt verhältnismäßig selten). Seit dem Ende der Severischen Epoche wird diese Form der Nomenklatur die Regel, so daß die zweistelligen Namen (Nomen und Cognomen) im allgemeinen ein Charakteristikum der Spätzeit bilden. Aber, wie gesagt, ein unbedingt sicheres Kennzeichen dafür sind sie an sich nicht. Da eine systematische Behandlung dieser nicht unwichtigen Frage meines "Wissens noch aussteht, schien es mir nicht überflüssig, wenigstens mit ein paar kurzen Worten darauf einzugehen. GRABSCHRIFT DES PHILOSOPHEN lULIANUS 213 Schriftsteller darüber erzählten, die in dem Epigramm sich wider- spiegelnde politische Situation. Dieser Deutung hat sich Dessau angeschlossen, während Bücheier die Inschrift zeitlich noch um ein volles Jahrhundert hinabrücken und auf die Vergewaltigung Roms durch Alarich beziehen möchte. Demgegenüber ist zunächst zu bemerken, daß, wie eingangs hervorgehoben , der Stein dem Buchstabencharakter nach , der mangels sonstiger genauerer chronologischer Indicien für die zeit- liche Bestimmung in erster Linie maßgebend sein muß, nicht ins vierte oder gar fünfte Jahrhundert, sondern spätestens in den Anfang des dritten gehört. Alle Versuche, zwischen dem Epigramm und den politischen Verhältnissen der Spätzeit eine Beziehung herzu- stellen, sind somit gegenstandslos. Aber auch davon abgesehen, fordert die Mommsensche Inter- pretation zum Widerspruch heraus. Cum laurii{m) fer{r)et kann unmöglich bedeuten 'cum extra urhem processisset ad petendam laurum victoriae cclebrandae causa", sondern nur 'als er sich mit dem festliclien Lorbeer geschmückt hatte' und ist, wie mir scheint, in dem Sinne zu verstehen, daß lulianus, vom Taumel der all- gemeinen Festesstimmung, die ob der 'Erleichterung' der Be- völkerung Roms sich bemächtigt hatte, ergriffen, sich lebhaft an den Freudenkundgebungen der Menge beteiligt habe. Worin diese 'Erleichterung' aber bestanden, kann meines Bedünkens nicht zweifelhaft sein. Belevari heißt 'von einer Last, einem Druck befreit werden', und wenn die Römer hier als relcvati bezeichnet werden, so wird man dem Wortsinne gemäß eher an eine Befreiung vom Tyrannenjoche als an die Vertreibung eines vor die Stadt gerückten Feindes zu denken haben. Es ist das erleichterte Auf- atmen eines von Despotismus niedergedrückten und gequälten Volkes, das hier in diesem Worte zum Ausdruck kommt. Was sodann die castra anlangt, in denen der Philosoph sein Leben ließ, so kann bei dem Fehlen jeglichen Determinativs nur an ein als allgemein bekannt vorausgesetztes Lager gedacht werden, nämUch eine Kaserne der hauptstädtischen Garnison, und dazu stimmt der Ausdruck reclusus, der entschieden eine reguläre Ver- haftung und Einsperrung besagen will^). Daß in der Kaiserzeit 1) Wie bei lustin XXVI 1, 7 : {conmges liberique exulum Eleorum) in carcerem reduduntur; vgl. auch TertuU. de idol. 17 a. E. : neminem vinciat, neminem rcchidat mit torqueat. 214 M. BANG im öffentlichen Sicherheitsdienst neben der bürgerlichen Haft, für die bei schwereren Kriminalfällen in Rom vorzugsweise das Staats- gefängnis am Markt in Frage kam, die militärische eine wesent- Hche, wenn nicht die Hauptrolle gespielt hat, ist bekannt^), und es liegt auf der Hand, daß die stadtrömischen Mihtärgefängnisse in den Standlagern der Garnison zu suchen sind. So steht die Verwendung der auf dem Caelius gelegenen castra peregrina für die Inhaftirung festgenommener Civilpersonen außer Zweifel 2), wie denn die hier in Quartier liegende Truppe, die frumentarii, die Ausübung polizeilicher Funktionen zu ihren wesentlichsten Aufgaben zählte^). Auch die Chefs der Municipalgarde und der Feuerwehr, der Stadtpräfekt und der praefedus vigilum, haben wie mit der Sicherheitspolizei so auch mit dem Gefängniswesen erwiesenermaßen zu tun gehabt*), und Internirung von Häfthngen im Prätorianerlager ist zum mindesten wahrscheinlich, wenngleich sich direkte Belege dafür nicht beibringen lassen^). Welche von den in Betracht kommenden Kasernen der hauptstädtischen Truppen- körper — außer den genannten hatten auch noch die equites singulares ihre eigenen castra — in unserer Inschrift gemeint ist, läßt sich mit Sicherheit nicht entscheiden. Am nächsten liegt es, an das große Prätorianerlager zu denken, das, weil es an Alter und Bedeutung alle anderen überragt, oft schlechthin castra heißt •'j. 1) Hirschfeld, Sitzungsber. d. Berl. Akad. 1891 S. 858f. (Kl. Sehr. S. 590f.); Mommsen, Strafrecht S. 315fi'. 2) Mommsen, Sitzungsber. d. Berl. Akad. 1895 S. 501 (Ges. Sehr. VI S. 552 f.), Strafr. S. 316. 3) Henzen, Bull. d. Inst. arch. 1884 S. 24 ff.; Hirschfeld a. a. 0. S. 856 (Kl. Sehr. S. 588). Über die eigentliche und ursprüngliche Aufgabe der frumentarii äußert eine andere Auffassung Paribeni, Rom. Mitt. XX (1905) S. 313ff. 4) Mommsen, Strafr. S. 316; v. Domaszewski, Rangordnung d. röm. Heeres S. 18 (Nr. 16). 12 (Nr. 21). 14 (Nr. 30); vgl. Hirschfeld a. a. 0. S. 848 ff. (KI. Sehr. S. 579 ff). 5) Die Charge des OjJtio carceris begegnet jedenfalls auch bei den Prätorianern (v. Domaszewski a. a. 0. S. 24 Nr. 29). Über die ebenfalls bei der Garde sich findende dienstliche Funktion a commentariis custo- diarum s. Hirschfeld, Kl. Sehr. S. 591 A. 2; v. Domaszewski a.a. O. S. 21. 76. 6) So ganz allgemein bei den Schriftstellern, namentlich bei Tacitus ; castra Av(j{usti) nennt es die Inschrift des Bronzegewichts Dessau n. 8639. Zu vergleichen ist der nur von Centurionen des Prätoriums geführte Rangtitel j^trinceps castrorum (so [seit Hadrian?] im Gegensatz zum GRABSCHRIFT DES PHILOSOPHEN lULIANUS 215 Man vergegenwärtige sich also die Situation : Rom ist von einem Alp befreit. Freudig erregt und demonstrirend zieht die Menge durch die Straßen. Auch unser Philosoph wird von der allgemeinen Begeisterung erfaßt und manifestirt mit. Es kommt zu einem Zusammenstoß mit der bewaffneten Macht. Die Haupt- schreier werden festgenommen, unter ihnen lulianus. Er wird ins Gefängnis gesteckt und läßt hier, ohne förmliches Verfahren und ohne Richterspruch — das ist inpia morte — unter Soldatenhänden sein Leben. Wenn man nun die Zeit der Inschrift bedenkt, so ergibt sich meines Erachtens unschwer die historische Beziehung für den in ihr geschilderten Vorgang, Am 3L December des Jahres 192 fiel Commodus von Mörderhand. Hoch und niedrig atmete auf, und das allgemeine Gefühl der Erleichterung brach sich mit elementarer Kraft Bahn. Wenn je etwas, so bedeutete sein Tod eine relevatio für die Römer und ward damals von jedermann als solche empfun- den^). Das Volk zog jauchzend und lorbeergeschmückt durch die Straßen 2) und feierte mehr noch als den neuen Herrscher den Tod des alten. Der Senat sprach den feierlichen Fluch über das An- denken des 'Tyrannen' aus 3); er ließ Münzen mit der Aufschrift Uheratis civibus schlagen *) und eine Bildsäule der Freiheitsgöttin aufstellen ^). Allein das Militär, insbesondere die Prätorianer , ver- hielt sich reservirt, ja feindselig. Ihm gefiel die Neuordnung der Dinge nicht, und wenn sie sich auch äußerlich fügten, so machten die Gardisten aus ihrem Bedauern über den Sturz des Commodus kein Hehl^). Mit Not und Mühe wurden blutige Zusammenstöße mit der Bevölkerung vermieden''), und es läßt sich sehr wohl pi'inceps castrorum peregrinorum)'^ s. Mommsen, Eph. epigr. IV S. 241f. (Ges. Sehr. VIII S. 378f.; vgl. ebd. S. 427 A. 1 u. Bd. VI S. 551 A. 2); V. Domaszewski a. a. 0. S. 101 f. 1) S. die Schilderung Dios LXXIII 2, 1 — 4 und die ganz ähnlich lautende Herodians II 2, 3—4 (vgl. dazu Baaz, De Herodiani fontibus, Diss. Berl. 1909 S. 27ff.). 2) 'Er&ovGiojvTi ioixMg ißaxx^vEto (Herod. II 2, 3) — dacpvrjcpoQovvxes (ebd. 2, 10). 3) Die LXXIII 2, 1; vita Comm. 17, 6; 18-20. 4) Cohen III 2 S. 393 Nr. 28. 29. 5) Herod. I 14, 9. 6) Die LXXIII 1, 3; Herod. II 2, 9; 4, 4; vita Pert. 6, 3. 7) Herod. II 2, 4-5. 9. 216 M. BAKG, GRABSCHRIFT DES PHILOS. lULIANUS denken , daß die Soldaten , wo sie nur konnten , ihr Mütchen an den anders gesinnten Bürgern gekühlt haben; zumal die mit poli- zeilichen Befugnissen ausgestatteten werden ihrem Unmut über den plötzlichen Wechsel durch zahlreiche Übergriffe und Verhaftungen Luft gemacht haben. So wird auch unser lulianus ein Opfer der Übellaune und Rachsucht des Militärs geworden sein^). Über die Persönlichkeit und Bedeutung dieses 'Philosophen ersten Ranges' sonst etwas zu ermitteln, ist mir nicht gelungen 2). Er scheint wie alle die anderen römischen Berufsgenossen, von denen die Steine uns Kunde geben ^), kaum mehr als ein mittel- mäßiger Durchschnittsvertreter seines Faches, ein Schulprofessor, wie sie zu Hunderten in der Hauptstadt lehrten, gewesen zu sein. Was ihn für uns über dieses Niveau hinaushebt und interessant macht ist lediglich sein tragisches Ende. Berlin. M. BANG. 1) Man könnte auch an die gleichartigen Zustände in Rom nach der Ermordung des Caracalla (vgl. Die LXXVIII 9; Herod. V 2, 1-2) oder des ersten Maximinus (Herod. VH! 6, 7 — 8; Schiller, Kaiserzeit I, 2 S. 795f.) denken; aber die Beziehung auf Commodus' Tod paßt, wie mir scheint, weit besser, und auch aus den oben S. 211 f. angegebenen äußeren Gründen möchte ich an dem vorgeschlagenen Zeitansatz festhalten. 2) Der Name ist laut Ausweis der Inschriften so häufig in Rom, daß sich aus ihm nichts entnehmen läßt. 3) CIL. VI 9784. 9785 (zwei philosophi Stoici). 37813 (pMlosophus Epicureus); IG. XIV 1088 {[(pd]6ao(pog .-Tegi:iau]T[iy.6g]). 1149,1. 1589(9). 1887. MISCELLEN. DRUSUS GASTOR. In dem Berichte, den Gassius Dio in zeitlicher Folge über die Geschehnisse unter Tiberius geben zu wollen erklärt (LVII 14, 1), werden auch über Drusus, den Sohn des Tiberius, einige für sein ärgerniserregendes Wesen bezeichnende Züge erzählt, die in das Jahr seines ersten Gonsulates (15 n. Chr.) fallen. Da heißt es unter anderm (14, 9) rfj /uevroi ögyf] ovto) yaleTifi ixgfjro coore xal jiXvjyäg innei enicpavei dovvai y.al diä lovio xal KdoTCog jcagco- vvfjiiov laßsiv. Es handelt sich also um einen Spottnamen, der dem jähzornigen Prinzen dafür beigelegt wurde, daß er sich von seiner Leidenschaft so weit hinreißen ließ, einen vornehmen römischen Ritter^) zu prügeln. Warum wurde er gerade Gastor genannt? Ich finde bei den neueren Gommentatoren keine befriedigende Er- klärung dieses Beinamens. Boissevain gibt zur Erläuterung die Randnotiz „c/'. Hör. ep. 1,18,19'^. Wer nun die Horazstelle nach- schlägt, findet sich enttäuscht. Horaz richtet in dieser Epistel eine Mahnung an seinen jungen Freund Lollius (Maximus), sich im Verkehre mit hohen Herren eine gewisse Zurückhaltung aufzuerlegen und z. B. Meinungsverschiedenheiten in geringfügigen Dingen nicht auf rechthaberische Weise auszutragen: ambigitiir quid enim? Castor sciat an Docilis 2^^'^s? So wählt also der Dichter als Beispiel für einen solchen Gegenstand des zu vermeidenden Streites die Frage, ob Gastor den Docilis an Können übertrifft oder um- gekehrt. Die Genannten sind wohl Künstler, sei es Schauspieler oder Pantomimen oder Gladiatoren. Was Porphyrio z. St. bemerkt, 1) Der Ausdruck iTiJievg Imq^avrjg ist Übersetzung der gebräuchlichen Bezeichnung eques ülustris. An Seian ist hier natürlich nicht zu denken, von dem Tac. ann. IV 3 berichtet, er sei von Drusus geohrfeigt worden ; denn dies geschah erst im J. 23, und dieser Vorfall wird ja auch von Dio (Xiphil.) LVII 22, 1 erwähnt, aber so, daß Drusus der leidende Teil gewesen sei. 218 MISCELLEN Castor aufem et Docilis ut alii dicunt histriones tunc temporis, ut alii gladiatores fuerimt, hilft selbstverständlich nicht weiter, da alles dies nur aus der Auffassung des Textes abgeleitet ist^). Man könnte ja auch an Grammatiker oder andere Gelehrte denken, weil in diesem Fall der Streit noch schwieriger zu entscheiden, also noch müßiger gewesen wäre als bei Artisten, die ihre Leistungen in öffentlicher Darbietung zeigen ^). Daß aber nun Drusus von diesem Castor seinen Beinamen wegen einer Gewalttätigkeit be- kommen haben soll, ließe sich zur Not bloß dann erklären, wenn wir bestimmt wüßten, daß Gastor eben Gladiator war und noch dazu ein so berühmter, daß sein Andenken, obwohl er schon in der ersten Zeit des Augustus soviel von sich reden machte, noch unter Tiberius lebendig gewesen wäre. Man sieht, diese Erklärung ruht auf sehr schwachen Füßen und ist auch recht weit hergeholt. Vor allem würde die Hauptpointe fehlen, daß Drusus den Spott- namen erhalten hat, weil er einen angesehenen Ritter schlug. Bei näherem Zusehen stellt sich übrigens Boissevains Glosse als stark verkürzte Wiedergabe einer Anmerkung des Reimarus heraus. Dieser hält (in seiner Dioausgabe z. St. II S. 860) Gastor ohne weiteres Bedenken für einen berühmten Gladiator und beruft sich dafür auf den Scholiasten zu Horaz. Er macht auch geltend, daß bei Homer Castor und Pollux als tiv^ äyadoi bezeichnet werden. In Wahrheit gilt dies nur von Pollux, II. F 237. Od. 1 300: KdoTOQO. ^' innodafiov xal tiv^ äyadbv IJoXvöevxea. Daß aber Castor von Gladiatoren etwa als Künstlername angenommen zu werden pflegte, wie dies sonst üblich war, dafür besitzen wir kein Beispiel, während uns eine ganze Anzahl anderer Künstlernamen von Gladiatoren, Schauspielern, Musikern usw. bekannt sind^). Kann also diese Erklärung der Dioherausgeber nicht zufrieden- stellen, so tut dies noch weniger eine andere, die Rümelin in der alten Paulyschen Realencykl. II (1842), 1274 gibt: „Das Volk hieß ihn (Drusus) Castor, weil er gleich einem Ritter dieses Namens 1) Vgl. auch Pseudacr. zu v. 19 scilicet de gladiatoribus et pantomimis und famosi ülius temporis gladiatores. 2) Der Ausdruck sciat ist allerdings nicht als Beweis dafür anzu- führen, denn z. B. Seneca de benef. VII 1, 4 gebraucht dieses Verbum sogar für die Leistungen eines luctator. Ebensowenig besagt der Name Docilis (oder Dolichus), s. Pollack bei Pauly-Wissowa V 1295. 3) Vgl. Friedländer, Sittengesch. II » 634—641. MISCELLEN 219 allzeit fertig war, Ohrfeigen und Schläge auszuteilen." Hier liegt offenbar ein arges Mißverständnis des Diotextes zugrunde, ganz ab- gesehen davon, daß in dieser sowie in der andern Erklärung die Ausstattung des Drusus mit jenem Spitznamen ein ganz saft- und kraftloser Spott wäre, der jeglichen Witzes ermangeln würde. Und doch scheint mir dabei der Volkshumor in köstlicher Weise schafi'end tätig gewesen zu sein. In dem Beinamen Castor, der dem Prinzen Drusus für die Mißhandlung eines angesehenen Ritters gegeben wurde, liegt eine ergötzliche Pointe, wenn man sich daran erinnert, daß die Dioskuren als die Schutzherren der Ritterschaft verehrt wurden ^). Daß Pollux hinter seinem Zwillings- bruder immer mehr zurücktreten mußte, ist bekannt^), und so gilt denn Gastor als eigentlicher Schützer der römischen Ritter. Der Hohn, den für Drusus nach jenem Vorfall das Beiwort Castor birgt, liegt also klar zutage, wenn dieser Name des Patrons der Ritter- schaft auf jemanden angewendet wird, der die hervorragende Stellung der equites Romani equo publico so weit mißachtet, daß er einen seiner angesehensten Vertreter durch Schläge demütigt. Es ist bezeichnend, daß der in dieser Verspottung hegende Witz als Lustspielmotiv in der neueren deutschen Dichtung für eine ähnhche Situation angewendet worden ist. Anzengruber ^) läßt im , Pfarrer von Kirchfeld" (IV. Act, 4. Scene) den Wurzelsepp, der den Schulmeister scheinbar gegen die auf diesen Eindringenden deckt und ihm dabei heimhch Püffe erteilt, sagen: „Halt, laßts 'n gehn, er steht unter mein' Schutz!" Man könnte noch einen Umstand zugunsten unserer Erklärung anführen. Wenn man schon zu der unwahrscheinlichen Annahme greifen wollte, daß der Name eines in der frühaugustischen Zeit 1) Ich kann füi' die nähere Begründung auf Heibig in d. Z. XL (1905) 101—115 verweisen. 2) Wissowa, Relig. u. Kultus d. Römer- 269. K. Meister, Lat.-gr. Eigennamen I (1916) 113 — 127. 3) In dankenswerter Weise macht mich Siegfried Reiter auf diese bemerkenswerte Übereinstimmung aufmerksam. Derselbe Gelehrte hatte einen Augenblick auch daran gedacht , daß Castor eine Abkürzung von castigator sein könnte. Freilich hätte der griechische Autor dann kaum einen Hinweis darauf unterlassen, daß dies nur im Lateinischen ein Wort- spiel ergibt, aber es wäre auch denkbar, daß ihm selbst dieser Anklang entgangen ist, der neben der Hauptpointe immerhin hätte beabsichtigt sein können. 220 MISCELLEN populären Gladiators auch noch ein Menschenalter später im Volks- munde geläufig war, so ist doch völlig undenkbar, daß ein solcher Name auch noch in der severischen Zeit fortlebte, so daß Dio kein Wort der Erklärung für nötig erachtet hätte. Daß hingegen jeder seiner Zeitgenossen bei der Nennung des Namens Castor an den Schutzpatron der Ritterschaft dachte und daher jedem das Witzwort ohne Commentar sogleich verständlich war, finden wir begreifhch, wenn, wie wir wissen, auch noch in dieser Zeit ^) die alljährlich in Rom an den Iden des Juli stattfindende Ritterparade (die trans- vectio equitum) und die damit verbundene Opferhandlung imCastoren- terapel die Bedeutung Castors für den Ritterstand jedermann sinn- fällig zum Ausdruck brachte. Prag. ARTHUR STEIN. EIN SOLONGITAT BEI LYSIAS. F. Blaß sagt Att. Beredsamkeit I ^ S. 435 Anm. 2 zu folgenden Worten der bei Dionysios Hai. de Lysia c. 30 citirten Stelle aus dem köyog 'OXvjuTtiaxög (or. 83 bei Scheibe) : d-av/udCco de Aaxe- Sai/bioviovg nävTOiv jLid?dOTa, rivi tiote yvcüfj.)] /ocojuevoi y.aiofxe- vi]V TTjv'EXXdda neoioo&oiv ijyejuoveg ovzeg jcbv 'EXh]V(ov xtX.: '§ 7 xaiofXEV7]v Tfjv 'EXXdda jisqioqcooi. möchte verderbt sein, da auch bei andern Schriftstellern sich diese Metapher nirgends findet; Dobree xa>covjuev)]v. Usener und Radermacher lassen y.aio/uevTjv in ihrem Text stehen, notiren aber auch Dobrees Vermutung in der adnotatio. Ich möchte glauben, daß hier ein Soloncitat vor- liegt, und zwar handelt es sich um den Anfang der von Aristoteles 'Aßijv. jcoXiz. c. 5 citirten berühmten Elegie: yivmaxo), y.ui juoi (pQevbg svdoßsv äXysa y.sTxai, JiQEoßvTdT7]v egoQÖJv yaTav 'laov lag y.Xivojuevijv. Es muß also xXivojuevtjv bei Lysias wiederhergestellt werden. In der Lesung y.Xtvouevrjv bei Solon (und danach jetzt bei Lysias) folge ich dem scharfen Auge von Ulrich Wilcken in der dritten Auflage der 'Aßrjvaiwv jioXizeia von Wilamowitz und Kaibel, wozu Kenyon, Suppl. Aristotel. III 2 p. 6, 6 allerdings be- 1) Bis ins 4. nachcbristliche Jahrhundert läßt sich dieser Reiter- aufzug nachweisen, s. Mommsen St. R. III 495. MISCELLEN 221 merkt: xaivojuevijv] ita Icijit I]l(af>sius), rede tit vidctur- xXivo- /biEvrjv Wn., quod verum esse potest, sed littcra altera a potius quam l esse vidctur. Jedesfalls bleibt auch bei der Blassischen Lesung das Soloncitat bei Lysias bestehen. Nach der Überlieferung xaiofxevtp bei Dionysios aber das Solonfragment bei Aristoteles zu ändern, wird sich schon deshalb nicht empfehlen, weil yMvo/j,evt]v bzw. yaivo/iiEvrjv die ältere Überlieferung ist. Halle a. S. 0. KERN. DAS ALTER DER RÖMISCHEN MUNIGIPALBEAMTEN (Nachtrag zu Bd. LI 1916 S. 65.) In Bd. LI dieser Zeitschrift habe ich die Vermutung aus- gesprochen und zu begründen versucht, daß der Verfasser einer uns erhaltenen Biographie Gyprians, den man gewöhnlich, dem Hieronymus folgend, Pontius nennt, ein und dieselbe Person sei mit einem gewissen Helvius Honoratus mit Beinamen Pontius aus Curubis bei Karthago, den seine Mitbürger, nachdem er alle ordent- lichen und ein außerordentliches Amt bei ihnen bekleidet und sich dabei sehr freigebig gezeigt hatte, durch die Inschrift CIL VIII 980 (auch in meinen Inscr. select. n. 6817) geehrt haben. Gegen diese Vermutung hat P. Corssen (in der Zeitschrift für neutestamentliche Wissenschaft XVIII 1917 S. 118ff.) einige Einwendungen erhoben, deren Berechtigung ich nicht anerkennen kann. Richtig ist, daß Pontius von Gurubis, wenn er wirklich der Verehrer Gyprians ist, der in der erhaltenen Biographie zu uns spricht, seine curubitanische W^irksamkeit hinter sich gehabt haben muß , als er in Karthago in den Kreis Gyprians trat, richtig auch, daß der Verfasser der Biographie anscheinend ein junger Mann war, wenn mir auch Corssens Gründe dafür nicht alle einleuchten ^) ; aber im Irrtum ist Corssen, wenn er meint, der Gurubitaner Pontius habe frühe- stens im mittleren Lebensalter mit der Ämterlaufbahn seiner Vaterstadt fertig sein können, und müsse deshalb verschieden sein von dem, wie gesagt, in jüngerem Lebensalter schreibenden Ver- fasser der Vita. Man konnte in der Kaiserzeit die Gemeindeämter schon in recht jungen Jahren bekleiden. In den Gemeindestatuten 1) Die cura alimentorum des Pontius io das J. 252 zu versetzen, in dem in Karthago die Pest wütete, liegt kein Grund vor. 222 MISCELLEN der republikanischen Zeit war allerdings das 30. Lebensjahr für Bekleidung der Gemeindeämter verlangt worden^); aber das hatte sich offenbar als unzweckmäßig herausgestellt. Die Gemeindeämter waren zwar eine Ehre, aber auch eine Last, zu der wohlhabende Bürger lieber früher als später herangezogen werden sollten. Und so hat z. B. für die Provinz Bith}T]ien Augustus das durch eine Lex Pompeia vorgeschriebene Mindestalter von 30 Jahren auf 22 herabgesetzt^). Aber das war wohl eine Ausnahme. Im allge- meinen verlangte man in der Kaiserzeit von den Bewerbern um die Gemeindeämter ein Alter von mindestens 25 Jahren ^), wobei aber mindestens seit Hadrian das begonnene 25. Jahr als voll ge- rechnet wurde*). Daran wurde in den größeren Gemeinden, in denen kein Mangel an leistungsfähigen Bürgern war, gewiß meist festgehalten. Bemerkenswert ist der Fall eines im Alter von 23 Jahren 9 Monaten verstorbenen Mailänders, der schon eine ganze Anzahl Reisen im Dienste seiner Vaterstadt gemacht und ver- schiedene Priestertümer, aber noch kein eigentliches Gemeindeamt übernommen hatte ^). In kleinen Gemeinden aber hat man offenbar nicht ganz selten , sei es unter Dispens durch die Oberbehörde, sei es rein willkürlich, ganz jugendliche Personen mit den Gemeinde- ämtern beehrt. So finden wir in Antinum im Marserlande einen Dreiundzwanzigjährigen, der sämtliche Ämter seiner Stadt ^), in Aeclanum, bei Benevent, einen Zwanzigjährigen, der die Quästur und das höchste Gemeindeamt (das eines duovir quinquennalis) dort bekleidet hatte''); so in Lanuvium einen siebzehnjährigen Aedilen (CIL XIV 2122). Es war eben in kleinen Orten nicht durchzuführen, die Jugendlichen ein für allemal von der Übernahme der Ämter zu 1) Municipalgesetz der Tafel von Heraklea, trotz aller Einwendungen siclier aus caesarischer Zeit (Inscr. sei. 6085) v. 89. Plinius ep. ad Tra- ian. 79, 1 ; Cic. Verr. 11 122 bezieht sieb auf die Aufnahme in den Gemeinderat. 2) Plin. ep. ad Trai. T9, 2; 80. Eine Ausnahme liefs übrigens auch schon das caesarische Municipalgesetz zu, nämlich für diejenigen, die den alten Bestimmungen gemäß ihrer Dienstpflicht im Heere genügt hatten, eine Ausnahme, die von Beginn der Kaiserzeit ab keine prak- tische Bedeutung mehr hatte. 3) Dig. L 4, 8. Stadtrecht von Malaca (Inscr. sei. 6089) cap. LIllL 4) Dig. XXXVl 1, 76, 1; L 4,8. 5) CIL V 5894 = Inscr. sei. 6732. 6) CIL IX 3839 = Inscr. sei. 6534. 7) CIL IX 1156 = Inscr. sei. 5878. MISCELLEN 223 befreien. Die Gesetzgebung nahm schließlich auf diese Verhältnisse Rücksicht; nur Knaben (inipuhcrcs) sollten unter keinen Umständen, quamvis oiecessifas penuriae Iwminum cogat, Beamte werden, erklärte Hadrian (Dig. L 6, 3) ^). Aber mag man sich in Gurubis auch genau an alle Vorschriften gehalten haben: immer kann Pontius, wenn er im begonnenen 25. Lebensjahre Adil wurde, als beginnender Dreißiger alles hinter sich gehabt haben, was die In- schrift von Gurubis von ihm rühmt 2), und, der Ehrenpflichten gegen seine Heimatstadt ledig, sich nach Karthago begeben haben, wo sich ihm bald eine andre Welt eröffnete ^). 1) Auch Ulpian Dig. L 5, 2 pr. sagt deutlicli, daß in nicht wenigen Gemeinden der Gebrauch bestand und von der Behörde anerkannt wurde, sich an die iusta aetas von 25 Jahren nicht zu kehren. Man hat sogar in dem caesarischen Municipalgesetz eine besondere Berücksichtigung der kleinen Gemeinden finden wollen. Daraus, daß in diesem Gesetz bei den Vorschriften für die Wählbarkeit der Beamten (Z. 89 f. 98) nur die Municipien, Colonien und Präfecturen, nicht, wie sonst meist, auch die Fora und Conciliabula genannt werden, hat Kiene, Der röm. Bundes- genossenkrieg (1845) S. 109 schließen wollen, für diese beiden Arten gälten die Bestimmungen nicht, der Gesetzgeber habe ihnen größere Freiheit lassen wollen, damit die Wählbarkeit nicht auf eine zu kleine Zeit beschränkt werde (es ist Gradenwitz, Sitzungsber. der Heidelberger Akademie 1916, Abh. 14 S. 6 A. 1, der diese alte, scharfsinnige, aber schwerlich richtige Vermutung aufgestöbert hat. Jene Auslassung hat eine andre — das ist Gradenwitz' Meinung — oder aber auch gar keine, ich meine eine gleichgültige (für uns nicht erkennbare) Ursache. 2) Die Amterreihe ohne Unterbrechung zu durchlaufen war wohl auch in größeren Gemeinden üblich, s. z. B. Inscr. sei. 6146 (aus Ostia). Ein Verbot scheint nicht bestanden zu haben; es könnte sonst kaum in dem oben angeführten Abschnitt des caesarischen Municipalgesetzes (Z. 89fi'.~) und in Kap. LV der lex Malacitana fehlen. Nur für die mehr- malige Übernahme des höchsten, des Bürgermeisteramtes war in Malaca eine Pause, und zwar von 5 Jahren, vorgeschrieben; später genügte, ne quis continuet Iwnorem (Dig. L 1, 18). Daß große Verschiedenheiten auf diesem Gebiete bestanden, den Gemeinden also alle mögliche Freiheit gelassen war, wird Dig. LI, 17, 3 angedeutet. 3) Ebenso wird Caecilius Natalis aus Cirta erst nach Erfüllung seiner städtischen Pflichten nach Rom gegangen sein, wo er Christ wurde und sich den Theodotianem anschloß; denn an seine Identität mit dem von Eusebius, Kircheng. V 28, 8 erwähnten Natalis sowie mit dem gleichnamigen Freunde des Minucius Felix glaube ich jetzt noch fester als früher (d. Z. Bd. XL 1905 S. 879), nachdem ich Heinzes Aus- führungen über die Beseitigung der Logoslehre im 'Octavius' (Berichte der Sachs. Ges. d. Wiss. 1910 S, 389) gelesen habe. 224 MISCELLEN Daß die Wärme, mit der der Biograph von Curubis spricht, auch ohne die Annahme seines Ursprungs von dort erklärt werden kann — einfach durch die Erinnerung an die dort mit Cyprian verbrachte Zeit — , gebe ich zu; aber daß er, nicht zufrieden mit dem Verdienst, das sich Curubis durch Hebenswürdiges Benehmen gegen den Verbannten erworben hatte {civium caritatem, giiae repraesentabat omnia, quihus videhatur esse fraudatus c. 12), für die Stadt geradezu gewaltsam ein Anrecht auf den Märtyrer Cyprian construirt ^) , das möchte ich jetzt noch bestimmter als früher für ein Zeichen von Lokalpatriotismus, für einen Beweis von des Verfassers Herkunft von dort erklären. Charlottenburg. H. DESSAU. NYSIUS? Dieses seltsame Ethnicon führt bei Hygin fab. 71 Tlesimenes {Thesimenes Fris.; verb. von Jacobi nach Paus. III 12, 9) Par- thenopaei filkis ex Clymene nymplm. Was hat aber Parthenopaios oder sein Sohn mit dem Märchenland des Dionysos zu tun? Nun erzählt aber derselbe Hygin fab. 100, bekannthch nach Sophokles^), daß der Sohn der Atalante den Telephos nach Mysien begleitet habe. Dort wird sich die Nymphe Klymene in ihn verliebt haben, und Tlesimenes ist kein Nysius, sondern ein 3Iysius. Halle (Saale). C. ROBERT. 1) non praeteribo, . . . at imminentis martyrii pleniore fiducia non exulem tanUimmodo Curubis sed et martyrem possideret. Vgl. d. Z. Bd. LI S. 69. 2) Arch. Jahrb. II 1887 S. 246 f. III 1888 S. 53. ZUM AOYKIO:^ // ONO^. I. Die Geschichte von dem Menschen, der in einen Esel ver- wandelt wird und als solcher die wunderlichsten Abenteuer erlebt, bis er endlich seine menschliche Gestalt wiedererlangt, hat nach einer bekannten Notiz des Photios im Altertum eine dreifache Be- arbeitung gefunden. Davon sind uns wenigstens zwei erhalten, eine griechische, die unter dem Verfassernamen Lukians bekannt ist, und eine lateinische, die uns bei Apuleius vorliegt. Die dritte Fassung dagegen kennen wir nur durch die dürftige Charakteristik des Photios. Es ist verständlich, daß dieser Tatbestand der Forschung mancherlei Fragen aufgab, deren wichtigste vielleicht die nach der gegenseitigen Abhängigkeit der drei Versionen war. Und als man diesem Problem erst einmal näher getreten war, wollte sich, weit entfernt von einer Lösung, vielmehr eine immer größer wer- dende Zahl neuer Unsicherheiten und Fragen zeigen, da nicht ein- mal mehr die Angaben des Photios unzweifelhaft bestehen blieben und Lukian als Verfasser der erhaltenen griechischen Fassung im Lauf der Diskussion in Zweifel gezogen werden mußte. Inzwischen hatte sich aber doch eine Methode herangebildet, mit deren Hilfe man die Schwierigkeiten lösen zu können hoffte. Sie bestand in einer möglichst genauen logischen Interpretation und in gegenseitiger Kritik des Inhalts der beiden erhaltenen Bear- beitungen. Insbesondere suchte man durch dieses Vorgehen zum Verständnis des griechischen Textes durchzudringen. Aber, wenn diese Methode der Untersuchung auch eine ganze Beihe schätzens- werter Ergebnisse zeitigte, so versank sie doch schließlich in öder Hin- und Hererklärung der einmal aufgestellten Gesichtspunkte, ohne neues Material zur Beurteilung herbeizuschaffen. Und auf diesem toten Punkte angelangt, ließ sie eine endgültige und um- fassende Lösung vermissen. Deshalb wandte sich W. Schmid ener- gisch von der Methode der logischen Inhaltsvergleichung ab und Hermes LIII. 15 226 H.WERNER setzte seine Hoffnung auf eine „feinere sprachliche Untersuchung", von der allein er die Lösung der Frage nach dem Verfasser des „lukianischen" "Orog und damit natürlich einer Reihe damit ver- knüpfter Probleme erwartete (Griech. Lit. -Geschichte^ 11 2 S. 575). Er hat denn auch selbst einen seiner Schüler zu dieser Untersu- chung veranlaßt. Sie liegt uns seit 1914 vor in der Dissertation von V. Neukamm, De Luciano Asini auctore ^). Allein das erhoffte Ergebnis ist ausgeblieben, wenn auch der Verfasser selbst sich und uns glauben machen will , er habe die Autorschaft Lukians sicher festgestellt. Das Unternehmen scheiterte daran, daß die Aufgabe rein objektiv unlösbar und die Zuversicht W, Schmids eine trü- gerische war. Das hätte auch Neukamm klar werden müssen, wenn er das Problem in seiner ganzen Schärfe erfaßt hätte: ent- weder ist Lukian der Verfasser, der in diesem Fall nicht einmal seinen ihm eigentümlichen Stil entfalten konnte, weil er ja auch im Stil seinen Vorgänger durch Nachahmung verspotten wollte: oder aber die Schrift ist ein sozusagen wörtlicher Auszug aus je- nem Vorgänger selbst, aus Lukios von Patrai, der ein ungefährer Zeitgenosse Lukians gewesen sein muß und von dessen Stil wir uns nur nach einem Zeugnis des Patriarchen Photios (bibl. cod. 129) eine ungefähre Vorstellung machen können. Zum Überfluß war dem Photios offenbar selbst die Ähnlichkeit des Lukios von Patrai — den er äV.og Aovyuavög nennt — mit Lukian aufgefallen und er schilderte daher den Stil jenes Lukios von Patrai als rr/v (podoiv oafpYjg T€ xal y.a'&agög y.al cpilog ylvxvTfjxog , d. h. in einer Weise, wie wir selbst etwa, so solches von uns gefordert würde, den Stil des Lukian, den allein wir ja aus seinen W^erken beur- teilen können , in milder Weise charakterisiren möchten. So be- schaffen war das zu lösende Problem. Und da leuchtet es ohne weiteres ein, daß unsere Kenntnis der Sprache längst nicht hin- reicht, um die Zuweisung der Schrift an einen dieser Schriftsteller zu rechtfertigen, die sich stilistisch scheinbar so sehr nahe standen, ganz abgesehen davon, daß die Komplexität der Probleme des Lukiosromans eine Behandlung auf ausschließlich grammatischer Grundlage unter Beiseitelassung der übrigen Argumente, wie es Neukamm versuchte, überhaupt nicht verträgt. Nachträglich finde ich noch, daß bereits Rohde zum vorn- herein alle Folgerungen aus einer grammatischen Untersuchung 1) Vgl. meine Rec. in Berl. ph. Wochenschr. 1916 Sp. 1516 ff. ZUM AOYKIO:S H 0^01' 227 des "Grog auf dessen Verfasser abgelehnt hat, und ich setze seine Worte gerne hierher. Sie stehen in der Jugendarbeit über Lukians Schrift Aovxiog y övog, S. 40: „Selbst im günstigsten Fall würde daraus (aus den Spracheigentümlichkeiten, die dem Verfasser des "Ovog mit Lukian gemeinschaftlich sind) denn doch nichts weiter folgen, als daß in diesen Ausdrücken und Wendungen der Ver- fasser des "Ovog von Lukian nicht abweiche. Was will aber dieser negative Beweis sagen gegenüber dem sicherstehenden Faktum, daß in dieser Erzählung eine beträchtliche Anzahl nicht nur von Lukians sonstiger Schreibweise, sondern von jedem correcten Aus- druck abweichender Wörter und Gonslructionen sich finde?" Die Hoffnung, dem Problem durch eine grammatische Unter- suchung beizukommen, hat sich also ein für allemal als trügerisch erwiesen. Daher wird es unabweislich sein , wenn wir im Ver- ständnis des „lukianischen" "Ovog und damit der Eselerzählung überhaupt vorwärts kommen wollen, zur alten Methode zurückzu- kehren und eine Lösung der Fragen durch Betrachtung des Inhalts und der dichterischen Technik zu erstreben. Vielleicht daß es uns gelingt, dabei außerhalb der ausgetretenen Bahnen zu bleiben und einige neue Gesichtspunkte aufzustellen. Doch vorerst seien die Hauptpunkte zusammengefaßt, die schon jetzt als gesicherte Erkenntnis betrachtet werden dürfen. So steht fest, daß der verlorene Roman des Lukios von Patrai die gemein- same Quelle der beiden unter dem Namen des Lukian und des Apuleius erhaltenen Fassungen ist. Hinter diesem einen gesicher- ten Resultat^) stehen freilich unmittelbar eine Reihe neuer, unge- 1) Freilich auch dieser Punkt wird wieder angefochten in dem 1915 erschienenen, sehr weitschweifigen Buche von Enrico Cocchia, Ro- manze e Realtä nella vita e nell' attivitä letteraria di Lucio Apuleio, das mir erst nach Abschluß meiner Arbeit in die Hände gelangt ist. Ich kann mich deshalb nicht damit abgeben, die Ansichten des Ver- fassers besonders zu widerlegen, wenn eine solche Widerlegung nicht auch olme direkte Beziehung auf das Buch von Cocchia in der Auf- fassung meiner Arbeit gefunden wird. Immerhin will ich die neuen An- schauungen, die Cocchia glaubt gefunden zu haben, z. T. in der Über- setzung seiner eigenen Worte, wiedergeben: Die verlorenen Metamor- phosen des , Lukios von Patrai" waren nichts anderes als die erste Fassung des Lucius Apuleius (also die Hypothese Diltheys aus der Göt- tinger akad. Festrede 1879 neu aufgeputzt), welche dieser, Äovxiog Aovxiov UaroEcog und Urenkel des Plutarch, nach seiner Gewohnheit zunächst in der ihm geläufigeren Sprache auf griechisch verfaßte. Femer zeigt 15* 228 H.WERNER löster Fragen, die alle miteinander verknüpft sind und etwa fol- gende Hauptpunkte umfassen. Welchen Charakter trug das Werk dieses Lukios von Patrai? In welcher Weise haben die erhaltenen, abgeleiteten Versionen dieses Urbild benutzt und ist insbesondere der „lukianische" "Ovog eine bloß handwerksmäßige Epitome des umfangreicheren Lukios von Patrai, oder hat der Verfasser der Epi- tome bei seiner Arbeit in irgendwelcher literarischen Absicht den Charakter seiner Vorlage umgestaltete Die Lösung dieser letzten Frage entscheidet gleichzeitig, ob Lukian der Verfasser der Epitome, die ihm von der Überlieferung zugeschrieben wird, sein kann ; denn nach allgemeinem Urteil darf dem Lukian eine rein mit der Schere vorgenommene Verkürzung eines vorhandenen Werkes nicht wohl zugetraut werden. Die einzige Möglichkeit, in dem ,lukianischen" "Ovog gegenüber Lukios von Patrai einen literarischen Eigenwert zu finden^), hat Rohde in seiner bereits citirten Jugendschrift (S. 10 f.) gezeigt, in- dem er sich von einer Bemerkung des Photios (bibl. cod. 129) leiten ließ: yeuei de 6 exazegov Aoyog nkaofiaxeov fxkv juvd'ixcov, sich, daß Apuleius im Puclentilla-Proceß von dei- Anklage auf Zauberei nicht freigesprochen, sondern einfach mangels Beweisen entlassen wurde. Da die Metamorphosen nun einen merklichen Fortschritt zeigen gegen- über dem rhetorischen Stil der Apologie, sind sie erst nach dieser verfaßt und müssen als ein persönlicher Roman des Apuleius angesehen werden, in dem dieser ein Menge von Anspielungen auf seinen eigenen Lebens- lauf gibt, um diesen darzustellen als y,viaggio d' espiaümic" , wodurch er den schlechten Ruf bei der Nachwelt zu vernichten hoift. der seit dem Zauberei-Proceß auf seinem Namen lastet. Soweit über die Con- structionen von Cocchia , bei denen alles wie in einem Rechenexempel aufs schönste aufgeht und die höchstens den Vorwurf allzugroßer Har- monie gegen sich haben. Wer sich für den „simbolismo allegorico delle metamorfosi'^ interessirt, mag das in dem 396 Seiten umfassenden Buch selber nachlesen. Hier genügt es, zu bemerken, daß Cocchia mit seiner symbolischen Ausdeutung der Eselsfigur schließlich bei dem palatinischen Spottkrucifix und bei der „fite de Z'dwe" landet. 1) V. Arnims Versuch (Wien. Stud. XXII 1901 S. 168flf.), die litera- i-ische Absicht des "Ovog in einer Übung zu suchen, die Philostrat (vir. soph. I 20 p. 27 Eayser) als ßgayjcog sgimjVEveiv bezeichnet, hat Bürger in einem Blankenburger Programm (Studien zur Geschichte des grie- chischen Romans, 1902, S. 13 f.) mit Recht zurückgewiesen. Die Technik des ßgayiojg EQ/irjvsvsiv ist eine ganz andere als die , welche unser Epi- tomator anwendet, indem er , große Stücke wegläßt und dann wieder andere einfach wörtlich herübernimmt ', ZUM A0YKI02 H 0N02 229 aQQrjTOTiouag de aioy^gäg' 7iXi]v 6 jutv Äovxtavög oxcojitov xai öiaovQOJv T)]v 'EkXrjviy.rjv dsioiöaijLioviav, coonsQ xäv zoTg äkXoig, xal tovtov ovvhanev, 6 ök Aovxiog ottovÖuQcov rs xal nioxäg vofu^ojv rag e^ uvdQomcov elg (VJJjkovg ^exafxoQfpcboeig .... nageöidov javra xal avvvcpaivEv. Mit klaren Worten drückt Photios aus, daß er „Lukians" "Ovog für eine Satire hält. Doch stellen wir nun die Frage: eine Satire worauf? Da gibt Photios die Antwort, sie ziele auf die ÖEioidaijuovia der Griechen. Davon können wir beim besten Willen auch nicht die geringste Spur finden, weshalb auch heute niemand mehr ernsthaft an dieser Mei- nung des Photios festhält. Rohde stellte darum, nur den ersten Teil von Photios Behauptung annehmend, die Hypothese auf, die Parodie liege darin, daß der Verfasser des erhaltenen "Grog die Schrift des Lukios von Patrai , die ja ernsthaften Charakter trug, imitirend verhöhnt habe. Auf Photios darf sich Rohde aber dabei gar nicht mehr be- rufen, denn wenn einmal festgestellt ist, daß Photios nicht wußte, gegen wen die Satire sich richtete, müssen wir auch seiner An- gabe mißtrauen, daß die Schrift überhaupt eine Satire sei. Darum soll Rohdes Hypothese hier nochmals geprüft werden, und zwar im Anschluß an jenen vielbesprochenen cod. 129 der Bibliothek des Photios, von dem Rohde ausgegangen ist und von dem immer ausgegangen werden muß. Dort müssen auch zunächst alle die Angaben, welche dokumentarischen Wert haben, von denen geschieden werden, die Photios vermutlich durch eigene Gombina- tionen gefunden hat. Wenn ich hier eine allgemeine Bemerkung vorausschicken darf, so scheint mir, daß des Photios Glaubwürdigkeit vielfach überschätzt wird. Eine zusammenfassende Arbeit über diesen Punkt würde sicherlich zeigen , daß der gelehrte Patriarch zwar keine bewußt unwahren Angaben macht, daß er sich aber weit häufiger, als er dies selbst zugibt, auf seinen Spürsinn und seine Gombinationsgabe verläßt und bloße Rückschlüsse aus dem ihm vorliegenden, oft be- reits lückenhaften Material als überlieferte Tatsachen auftischt, ohne durch eine warnende Bemerkung den Leser darauf aufmerksam zu machen, daß kritische Überprüfung nötig ist. Daß, wer zu lesen versteht, den hypothetischen Charakter mancher Notiz trotzdem er- kennt, ist nicht dem Photios zu danken. Auf welchem Wege gerade in unserm Fall Photios dazu kam. 230 H.WERNER den „lukianischen" "Ovog eine Parodie zu nennen, sah bereits Bürger in seiner Dissertation De Lucio Patrensi (p. 8). Schon zu Photios' Zeit stand das Werk im Corpus der lukianischen Schriften. Zu- gleich kannte der belesene Mann eine ausführlichere Darstellung des gleichen Stoffes, weiterhin aber besaß er keinerlei Nachrichten über die Zeit und das gegenseitige Verbältnis der beiden Werke. Dies gesteht Photios selbst ein (r/g ydo XQOvco TiQeoßvzeQog ovtzco e^ojLiEV yvcovai). Daher muß von seinen Angaben einzig und allein das für uns maßgebend sein, was er über Stil und Inhalt der beiden Schriften sagt, ebenso, daß die Epitome den Inhalt der beiden ersten Bücher des Lukios von Patrai ungefähr wiedergab^), d. h. alles, was ein aufmerksamer Leser der beiden Werke aus diesen selbst ohne Zuhilfenahme eigener Combination feststellen konnte. Alles übrige hat Photios durch logische Schlüsse gewonnen, die ihm selbst zwingend erscheinen mochten. Zunächst bekennt er selbst, nicht zu wissen, ob die Schrift des Lukios oder die des „Lukian" die ältere sei, entscheidet sich aber zuletzt dafür, daß nLukian" eine Satire zu Lukios, folglich jünger sei. Wir vermögen nun ganz genau zu verfolgen, auf Grund welcher Ideen Photios zu diesem Ergebnis gelangte. Die in dem S. 228 f. wiedergegebenen Photioscitat durch gesperrten Druck hervorgehobenen Worte geben uns einen nicht mißzuverstehenden Fingerzeig. Es ist die all- gemeine Anschauung, die Photios von der Schriftstellerei des Lukian hatte, welche ihm seinen Schluß sozusagen aufzwang. Die Behauptung, daß Lukian den Byzantinern, die seine Schriften ja aufs eifrigste lasen 2), vor allem als ewiger Spötter und Verächter 1) Cocchia a. a. 0. p, 138 sucht das Wort /növov ov in der fraglichen Photiosstelle auf eine neue Weise zu erklären, indem er es in Gegen- satz stellt zu den einige Zeilen später folgenden Worten: elg sva rä loina ovvaQj.t6aag löyov. Nach seiner Meinung beweist za loinä, daß liövov ov hier nicht, wie allgemein angenommen wird, heißen kann: lantum non = ungefähr, beinahe, sondern dafs der Satz bedeuten muß: ^Luciano omise di Iradurre rteW Asino soltanto i primi due libri e compendib i rimanenti (rä Xoi:^d) in un lihro solo."' Und doch ist es eine taube Nuß, die Cocchia hier gefunden hat. Wie die Betrachtung des Zusammenhangs zeigt, steht rot loijiä so weit von /.lövov ov ab, daß es niemals dazu in Gegensatz gestellt werden darf. Vielmehr steht es den Teilen gegenüber, die durch Betrachtung des oty.sTog oy.onög gänzlich ausgeschaltet werden. So steht auch in der Übersetzung der Photios- stelle von Carlo Giussani zu lesen, die Cocchia selbst (p. 120) anführt. 2) Ein Zeugnis aus der Hadesfahrt des Mazaris (verfaßt um 1415), ZUM AOYKIOS II ONOl' 231 alles Positiven galt, braucht wohl nicht besonders belegt zu werden. Von dieser Auffassung Lukians und seiner Schriften ausgehend, gab es jedoch für Photios nur eine einzige Möglichkeit, wie er in Lukian den Verfasser des "Ovog sehen konnte: diese Schrift mußte eine Satire sein, und die Satire mußte sich gegen die deioiöaijuovia der Griechen gerichtet haben; denn auch dies galt als Privilegium Lukians 1). Wenn wir dergestalt einsehen müssen, daß die Auf- fassung, die Photios vom „lukianischen" "Ovog als einer Satire hatte, durch bloßen Rückschluß erworben ist, verliert strenggenommen auch die Charakteristik, die er von den Metamorphosen des Lukios von Patrai gibt, ihren dokumentarischen Wert. Denn die Behaup- tung, daß jene mit gläubigem Ernst vorgetragene thotol . . . juera- jJLogqxboEig waren, ist offenbar entstanden als Folie zu der satiri- schen Auffassung des „lukianischen" "Ovog. Wenn wir trotzdem daran festhalten, daß die Metamorphosen des Lukios von Patrai im ganzen mit gläubigem Gesicht vorgetragen waren, so tun wir das auf eigene Gefahr, und Photios kann uns nicht als Stütze dienen. Rohdes Annahme, daß der „lukianische" "Ovog eine Satire sei, darf sich nach den vorstehenden Ausführungen nicht mehr auf das Zeugnis des Photios berufen, und wir werden uns zu seiner Ansicht nur dann bequemen, wenn es ihm selbst gelungen ist, in dem erhaltenen "Ovog unzweifelhafte Spuren von Satire oder Parodie die selbst eine Nachahmung Lukians ist, fiel mir neulich bei der Lektüre auf und ist meines Wissens in der Lukianliteratur noch nicht verwertet. Es mag beweisen , wie beliebt selbst im 15. Jahrb. unser Eselroman noch war. Cap. 12 p. 214,11 Ellissen wird eine Reihe von Hofschranzen aufgezählt und mit bissigem Hohn charakterisirt. Einer, der offenbar Äovxiog hieß, muß es sich gefallen lassen als Aovxios i) ovog citirt zu werden, eine Anspielung, die doch nur dann ihre volle Wirkung hat, weun die Kenntnis der Eselgeschiclite vorausgesetzt werden konnte. 1) Es ist vielleicht interessant zu beobachten, wie in einer Dupli- cität der Fälle der erste Übersetzer des "Ovog ins Lateinische, Poggio, offenbar aus genau denselben Erwägungen heraus zu dem gleichen Resultat gelangte, wie Photios fast 600 Jahre vor ihm. Er schreibt in der Praefatio seiner Übersetzung, der er den Titel „Lucii philosophi Syri comoedia quae asinus intitulatur" gibt, folgendes an Cosimo de' Medici: laborern mihi dcsumpsi, tit eum facerem latinum .... ut ostenclereiii hanc veterem et ab Apuleio veluli innovutam comoediam nequaquam ef^se pro vero accipiendam; sed existimabam potius ab Lucio introductam studio artes ehidendi magicas, p^rout suus 7nos est non tantuin homines, sed et deos irridendi. 232 H. WERNER nachzuweisen. Denn ein satirisches Werk mufa bei genauem Zu- sehen auch dann noch als solches erkennbar sein, wenn das Urbild, das zu der Verspottung Anlaß gab, verschwunden und unbekannt ist. Schreiten wir also zu einer Prüfung der Gründe, die Rohde und seine Anhänger veranlaßt haben, im ,lukianischen" "Ovog eine satirische Tendenz zu suchen. Da reducirt sich die ganze vor- gebliche Verhöhnung darauf, daß der Verspottete von sich selbst in der ersten Person allerlei groteske, manchmal auch obscöne Abenteuer erzählt. Und den Glanzpunkt der Satire sehen die genannten Gelehrten darin, daß das Opfer sich zum Schluß durch Nennung seines Namens und Standes samt seiner Familie selbst an den Pranger stellen muß. Andere Spuren der Satire sind weder von Rohde noch von seinen Anhängern geltend gemacht worden; denn wenn Rohde zur Stützung seiner These aus den Worten des Photios: xal yag cog anb Tildrovg TÖiv Aovxiov Xöycov 6 Aov- xiavbg änolemvvag xal neQieXcöv , ooa /ni] Idoxei avtco TZQÖg zöv oixeTov ygrjoiua oxotcov schließt, Lukian habe „im wesent- lichen den Gang der Erzählung beibehalten", aber „wie ein geschickter Zeichner mit kleinen scharfen Strichen die Physio- gnomie des Ganzen aus einer ernsthaft feierlichen in eine schel- misch lächelnde verwandelt" (a. a. 0. S. 11), so steht davon auch nicht ein Wort bei Photios zu lesen. Rohde hätte vielmehr gerade dieses beweisen und mit Einzelstellen aus dem „lukianischen" "Ovog belegen müssen. Für Photios bestand der oixeiog oxonog lediglich darin, daß die Erzählung kürzer sein und durch kein Beiwerk ge- stört werden sollte, während im ganzen viele Wendungen und Sätze herübergenommen waren. Dies beweist sein Satz: amaig xe keieoi y.al owrä^eai aig k'va rd koind ovvaQj.i6oag Xoyov. In einer dergestaltigen Satire, der als einziges Vehikel der Verhöhnung die Icherzählung und die Namensnennung am Schluß des Ganzen genügt, kann ich keine Spur einer geistreichen Ver- höhnung durch den „verwegenen Spötter" sehen, von der Rohde schrieb. Sie würde mir vielmehr recht grob vorkommen und höchstens eines gemeinen Erpressers würdig scheinen. Und es gibt noch weitere Anzeichen, die uns gegen Rohdes Annahme einer Satire mißtrauisch stimmen müssen, indem gerade jene Gelehrten, die seiner These teilweise zustimmten, andere Teile der Hypothese zu entkräften suchten. Wie bei Photios geht der Streit um die Frage, wer denn eigentlich der Verspottete sei und ZUM A0YK102 H ONOS 233 in welcher der drei Fassungen die Parodie zuerst angewandt wurde. Das Resultat der Diskussion, die ich in einer Anmerkung kurz zu- sammenfassen möchte^), ist, daß jeder, der sich in der Frage äußerte, das Ziel der Satire an einem andern Ort suchte und die Vermutungen der übrigen zu widerlegen strebte, so daß keine ein- zige der aufgestellten Thesen ohne Verdachtgründe geblieben ist. Dieser Tatbestand muß das Bedenken erregen, ob überhaupt jene Behauptung richtig ist, welche die Icherzählung und die Namensnennung im 55. Capitel des „lukianischen" "Ovog als ein Anzeichen der Satire auffaßt. Wir werden uns also zu einer Prüfung der zwei in Frage stehenden Punkte verstehen müssen, um zu erkennen, ob sie eine polemische Absicht enthalten oder nicht. Diese Frage ist, wie bereits v. Arnim (Wien. Stud. XXII 1901 S. 172) schrieb, „identisch mit der Frage, ob man, ohne eine solche Absicht anzunehmen, die Schrift befriedigend erklären kann". In der folgenden Untersuchung holTe ich zeigen zu können, daß jene beiden von uns herausgegriffenen Punkte, mit welchen die Annahme einer Satire bisher gerechtfertigt wurde, in der Tat sich ohne dieses Hilfsmittel erklären lassen. Diesen Nachweis glaube ich zu leisten durch die Untersuchung und Zusammen- stellung einiger tojtoi, die sich bei einer Gruppe von Erzählungen 1) Zuerst äußerte sich Rohde in seiner bereits genannten Abhand- lung, Über Lucians Schrift .iovy.tog y ovog S. 11 f. in dem Sinne, der „luki- anische" "Ovog sei eine Parodie auf die Metamorphosen des Lukios von Patrai. Diese Ansicht wiederholte er 1885 in einem Aufsatz „Zu Apu- leius" (Rhein. Mus. XL S. 66ff. = Kl. Sehr. JI 70ff.). Aber kurz hernach traten ihm zwei Dissertationen entgegen: Bürger, De Lucio Patrensi 1887, p. 57f. und Rothstein, Quaestiones Lucianeae 1888, p. 137f. Durch die Art des Abhängigkeitsverhältnisses, das von den beiden Gelehrten zwischen „Lukian" und Lukios festgestellt wurde, ergab sich deutlich die Unannehmbarkeit von Rohdes Hypothese. Trotzdem wurde sie später — allerdings mit einigen Modifikationen — durch v. Arnim (Wien. Stud. XXIl 1901 S. 171 ff.) wieder aufgenommen. Aber schon 1902 folgte eine treffende "Widerlegung durch Bürger in der erwähnten Programm- abhandlung von Blankenburg. Bürger gibt hier seine frühere Auffassung, nach der er den Urheber der Satire in dem Verfasser der von Photios ge- schilderten Meiafiogcpcoaeig gesucht und einen von diesem verschiedenen Lukios von Patrai als ihren Gegenstand angesehen hatte, auf und nimmt den Gedanken Rothsteins an, die Namensnennung in cap. 55 des ,luki- anischen" "Ovog habe keinen satirischen, sondern ernsthaften Charakter. Den Beweis für die Möglichkeit einer derartigen ernsthaften Auffassung bleibt er allerdings schuldig. 234 H. WERNER ausgebildet haben, zu denen nach meiner Ansicht auch der „luki- anische" "Ovog und sein Vorbild, die Metamorphosen des Lukios von Patrai, gerechnet werden müssen ^). II. Wenn der naive Mensch irgendeine Erzäfilung hört oder liest, wird er nur selten zu fragen unterlassen, ob das Erzählte wirklich geschehen und „wahr" sei. Und ein Nachlassen seines Interesses wird in jedem Falle zu beobachten sein, wenn ihm auf seine Frage mit Nein geantwortet wird. Infolgedessen muß eine ganze Gruppe von Literaturerzeugnissen, zumal solchen, die auf die Masse der Halb- und Ungebildeten zu wirken bestimmt sind, eines ihrer vor- züglichsten Ziele darin suchen, dem Hörer oder Leser die „Wahr- heit" und Realität des Erzählten glaubhaft zu machen. Nur dann wird der Zweck, die iinixaycoyia, ganz erreicht werden, wenn es gelingt, den Leser — zum mindesten während der Lektüre — so zu stimmen, daß ihm an der Wirklichkeit des Gelesenen kein Zweifel aufsteigt. Besonders schwierig ist diese Aufgabe natürlich für einen Schriftsteller, der von Dingen berichtet, deren ganzer Charakter dem gewöhnlichen Menschenverstand und den allerplattesten Er- fahrungen des täglichen Lebens widerspricht. Nun gibt es aber gerade eine Gattung von Geschichten, die sich mit voller Absicht zu diesen Erfahrungen in Gegensatz stellt. Es ist die große Masse der Wunder-, Zauber-, Spuk- und Gespenstergeschichten, die sich beim Volk zu allen Zeiten der größten Beliebtheit erfreuen und die in den Niederungen literarischer Produktion einen bedeutenden Raum einnehmen, manchmal sogar, wie von einer unsichtbaren Strömung emporgetragen, in den oberen Schichten der eigentlichen Literatur auftauchen. Doch sind gerade sie nicht von jener Be- dingung befreit, daß der Leser an sie glauben will und muß — wenn dies natürlich auch nur der Fall wäre, solange die Lektüre dauert und der unmittelbare Bann anhält. Von innen, aus dem Inhalt heraus ist hier allerdings Glaubwürdigkeit nicht zu erreichen. Also muß auf äußere Mittel zur Erreichung des Zwecks gesonnen werden, und so hat sich um die Wundergeschichte herum all- 1) Wie sehr der folgende Abschnitt von R. Reitzensteins Buch über die ^Hellenistisclien Wundererzähhingen", dessen Wert zu rühmen mir nicht ansteht, beeinflußt ist, wird dem Kundigen nicht entgehen. Immerhin sei es hier ausdrücklich gesagt. ZUM AOYKIO^ 11 ONOI 235 mählich ein ganzer Kreis feststehender xünot, gebildet, welche alle der Aufgabe dienen wollen, die „Wahrheit" des Wunders, Zaubers oder Spuks zu bekräftigen. Zweierlei können die Wundergeschichten bezwecken. Entweder sollen sie lediglich der Ergötzung des Lesers dienen, oder aber sie verfolgen daneben noch eine Tendenz, nämlich durch Erzählen wunderbarer Taten das Wesen irgendeines Wundertäters — ob dieser eine heidnische Gottheit, ein Philosoph oder ein christlicher Wundermann sei, macht hier nichts aus — als heilig und mit geheimnisvollen Kräften begabt hinzustellen. Die Wundererzählungen können also entweder der reinen Unterhaltungsliteratur angehören, oder aber sie können auch den Charakter religiöser Werbe- und Erbauungsschriften besitzen. Einer Einteilung der Wundergeschichten — denn es scheint mir, daß nur solche gemeint sind, trotzdem der ausdrückliche Hinweis fehlt — nach diesem Princip begegnen wir bei Palladios im Anfang des Prologs zum Aavoiaxöv (p. 9,1 ff. Butler) : IlolXöyv nollä xal noixiXa xazd diacpoQOvg xaiQOvg avyyQd/xixaxa reo ßico xaxaXeXoinoxoiv , rcöv juev ei ejimvotag Tfjg ävw&EV idgiTog deodoxov elg oiKodojur]v xal äocpdXEiav xö)v nioxfj jTQo&eoei ejiojuevo)v xdig doyjuaot xov oa>x)]Oog, xow de e^ dvdQCO- Tzaqeoxov xal öieq)&aQfxevr]g jiQodeoewg vXojuav}]odvxa)v eig Jiaoa- juv&iav rcöv xEvodo^iav xioacovrcov, exeqwv 6e ex xivog juaviag xal EVEQyEiag xov jiiiooxdXov daijuovog xvcpco xal jLir]vidi im Xv/ufj xojv xov(poyvajju6vcov äv&Qcojtwv xal oniXq) xfjg uy^Qdvxov xal xa'&oXixijg ExxXrjoiag EneioqpQrjodvxan' xalg öiavoiaig xcbv ävoTjxcov im iyxoxco xi]g OEtivfjg noXixEiag, eÖo^e . . . Eine Besonderheit enthält diese Einteilung des Palladios allerdings. Sie besteht darin, daß er die religiöse Wundergeschichte von seinem christlichen Standpunkt aus in zwei Gruppen teilt, deren eine durch Gottes Gnaden eingegeben zur Erbauung und Festigung im Glauben für die Christen dient, während die andere vom Teufel veranlaßt zu Schimpf und Schande für die leichtgläubige Menschheit und als Stein des Anstoßes für die unbefleckte und eine Kirche erfunden ist. Ob Palladios sich bewußt war, daß eine Reihe christlicher Legenden und Martyrien heidnischen Quellen entnommen war, und ob er sich mit dieser Unterscheidung selbst beruhigen und sein Herz erleichtern will, wage ich nicht zu entscheiden, doch scheint es mir wahrscheinlich. Die Erklärung hätte dann diesen Weg zu gehen: Palladios setzt die beiden Gruppen der religiösen Wunder- 236 H. WERNER erzählung, die heidnische und die chrisüiche, in Gegensatz zuein- ander. Zwischen beide stellt er, offenbar vom Standpunkt der Gerährlichkeit für die Kirche, diejenige Wundererzählung, die ledig- lich der Unterhaltung dienen will, ohne sich um religiöse Tendenzen zu kümmern, und die darum mit einer weniger scharf verurteilen- den Bemerkung des Palladios davonkommt. Für uns , die wir wissen, daß von der heidnischen zur christlichen Wundergeschichte eine continuirliche Entwicklung geht, hat jene Einteilung in die von Gott und vom Teufel eingegebenen Wunder keine Bedeutung mehr, wohl aber darf uns interessiren , daß auch Palladios eine außerreligiöse, rein unterhaltende Wundergeschichte kannte. Reitzenstein (Hell. Wundererz. S. 8 ff.) faßt die beiden Zweige der Wundergeschichte , den religiösen und den weltlichen, in eins zusammen mit dem Nachweis, daß auch die antike Theorie beide unter dem gemeinsamen Namen äoeia/.oyfa vereinigt habe. Das ist ohne weiteres zuzugeben. Ich glaube sogar an einem Beispiel, das von Reitzenstein nicht erwähnt wird, nachweisen zu können, wie nicht bloß in der Theorie, sondern auch in der Praxis die Grenzen zwischen rein unterhaltender („weltlicher") und religiöser „Areta- logie" so sehr fließend wurden, daß eine Umpfropfung von dem einen auf den andern Zweig ohne große Veränderung möglich wurde. Ovid berichtet in den Metamorphosen (VI 313 ff.) von der Verwandlung lykischer Bauern in Frösche. Diese Geschichte, die so- wohl in ihrem Inhalt einen gewissen Gontrast zu den übrigen Erzäh- lungen der Metamorphosen bildet als auch in Stil und Gomposition .seltsame Eigentümlichkeiten aufweist, war ursprünglich, wie ich glaube, eine bloß unterhaltsame Zaubergeschichte, die von Ovid in eine Gotteraretalogie umgewandelt wurde, weil er sie nur in diesem Gewand in sein Werk aufnehmen konnte. Der Inhalt der bekannten Geschichte sei kurz wiedergegeben: Latona gelangt auf ihrer Flucht vor Inno mit ihren zwei Kindern bis nach Lykien. An einem kleinen See wünscht sie von Durst gequält zu trinken, aber einige Bauern, die in der Nähe mit Feldarbeit beschäftigt sind, verunreinigen boshafterweise das Wasser des Sees und ver- weigern der Göttin höhnisch das erhoffte Labsal. Erbittert über die ruchlose Grausamkeit verflucht sie deshalb die Bauern, und auf ewige Zeiten müssen diese nun im Teich weiterleben als — Frösche. Das ist offenbar eine agsTtj der Göttin, und daß Ovid hier mit Ab- sicht zum ageTa?.6yog geworden ist, hoffe ich sogleich zu zeigen. ZUM AOYKIOI H ONOS 237 Zunächst fällt auf, dafs die Geschichte als Gonlrast zu der vorhergehenden, der hohen Mythologie entnommenen Niobesage den Metamorphosen einverleibt und demgemäfa aus dem Schatz volkstümlicher Motive entnommen ist. Das deutet Ovid selbst mit seiner Entschuldigung an (v. 319f.): res obscura quidem est igno- hilitate virorum, mira tarnen. Dieses Eingeständnis läßt uns vermuten , daß das Motiv ursprünglich gar nicht an die Person der Göttin geknüpft war, sondern erst von Ovid mit Latona ver- bunden wurde. In der Tat finden wir eine geradezu verblüffende Parallele in den Metamorphosen I 9 (p. 8, 24 f. Helm) des Apuleius : eaitponem quoqtie vkinum afqur ob kl aemuhini deformacit [seil. Meroc anus'] in ranam et nunc senex illc dolio innatans r^ini sui advcntores pristinos in faece snbmissus officiosis roncis raucus appcllat. Hier ist die Geschichte von der alten Hexe Meroe erzählt, und so mag sie auch im Volk verbreitet gewesen sein. Ovid aber machte, als er das Motiv übernahm, aus einer humoristisch -gruseligen Spinnstuhengeschichte, in der von religiöser Tendenz auch nicht die geringste Spur vorhanden war, eine humo- ristisch-erbauliche Götteraretalogie, deren Zweck offen zutage tritt, für die Macht der Gottheit Zeugnis abzulegen. Diese Umsetzung muß der Dichter als ganz geringfügig empfunden haben, denn wenn er etwas änderte, so tat er es nur dem Gharakter der Metamorphosen zuliebe, insofern er das Ganze aus dem niedrigen Volkston in seine literarische Sprache umsetzte. Daneben aber behielt er, so gut es gehen mochte, die Icherzählung der ursprünglichen Fassung bei, die, wie ich später zeigen werde, ein roTcog der Wundergeschichte war, und die ihm eine dokumentarische Beglaubigung seiner Erzählung mög- lich machte. Der Umstand aber, daß Ovid eine solche Beglaubi- gung durch einen Augenzeugen^) bietet, zeigt deutlich, daß er als Quelle eine Wundererzählung benützte; denn dort gehört auch die ausdrückliche Bezeugung der Wahrheit zum festen Stil. Anders verfährt Ovid in den Stoffen, die er aus der eigentlichen Mythologie nimmt. Diese gehören nach einer Theorie, die von Aristoteles (Poetik c. 9 p. 1451 b 15 ff.) ausgeht und der auch Ovid zu folgen scheint, zum historisch Gegebenen , an dessen Tatsächlichkeit — 1) Beim Vorgang selbst kann der Erzähler natürlich nicht dabei gewesen sein, also muß er wenigstens den Ort und die erhaltenen Spuren des Wunders gesehen haben, vgl. v. 320 ff. Ganz ähnlich ist übrigens die Topik in Met. VIII 618 ff. 238 H.WERNER wenigstens insofern es Stoff zu Tragödien bietet — nicht gezweifelt werden darf. Bei diesem Motiv braucht also Ovid den äußerlichen Beglaubigungsapparat niemals, wohl aber muß in unserer Geschichte derjenige, der das Ganze — und zwar soweit möglich als Ich- erzählung — berichtet, zur Beglaubigung für seine Zuhörer den Ort des Wunders und den offenbar infolgedessen erbauten Altar mit eigenen Augen gesehen haben. Im Schlußteil der Geschichte ist trotz der großen Kürze des Apuleius am besten zu erkennen, wie eng sich Ovid an sein volks- tümliches Vorbild angeschlossen hat. Nicht einmal die Idee des berühmten Verses (376) qnamvis s'mt sub aqua, sub aqua male- dicere temptant mit seiner Lautmalerei scheint Ovids Eigentum zu sein, sondern schon aus der Volkserzählung zu stammen, wenn wenigstens die ganz entsprechenden Worte des Apuleius {officiosis roncis raucus appellat) als Beweis gelten dürfen. Apuleius wie Ovid, beide malen mit größtem Behagen die Art und Weise aus, wie die Verwandelten später weiter vegeliren, der eigentliche Act der Verwandlung ist nur angetönt. Das also hat Ovid offenbar ebenfalls seiner Vorlage entnommen. Dagegen mag es ein Witz aus seinem. Kopfe sein , daß erst mit dem allerletzten Wort ranne die Gestalt der Verwandelten ganz deutlich gemacht wird. Dieses Beispiel soll nur bestätigen, was Reitzenstein nach- gewiesen hat, daß die Gattung der „ Aretalogie " wirklich einen doppelten Charakter, einen religiösen und einen rein unterhaltenden, besaß. Ebenso richtig ist wohl, was jener (a. a. 0. S. 12) ausein- andersetzt, daß der Titel ägexaloyta nur vom religiösen aufs welt- liche Gebiet und nicht umgekehrt übertragen sein kann. Das geht aus der Bedeutungsentwicklung des Wortes d.QExrj ^) direkt hervor. Eine völlig unbewiesene Behauptung scheint es mir jedoch zu sein, wenn Reitzenstein weiterhin schließt (S. 34 u. sonst), er könne sich diesen Bedeutungswandel nur erklären unter der An- nahme, daß die religiöse Wundererzählung sich allmählich ins rein Unterhaltende umbildete. Am Anfang, so nimmt Reitzenstein offenbar an, existirte eine religiöse Wundererzählung, aus der die profane Wundergeschichte ohne erbauliche Tendenz sich erst ent- wickelte, indem sie zugleich auch den Namen von jener adoptirte. Ich glaube nicht, daß diese Erklärung alle Eigentümhchkeiten, welche sowohl die profane wie die religiöse Wundergeschichte 1) Vgl. V. Wilamowitz, Gott. Gel. Nachr. 1898 S. 214 flf. ZUM A0YKI02 H 0N02 239 l)esitzt, zu deuten vermag, und möchte daher den Gang der Ent- wicklung anders erklären. Ich nehme an, daß anfänglich sowohl eine religiöse wie eine rein unterhaltende Wundererzählung bestand, also keine aus der andern sich entwickelte. Ich hfire den Einwand: wie war es denn möglich, dafs die Bezeichnung aQETaXoyia beide Arten von Erzählungen umfaßte, wenn diese doch ihrem Ursprung nach nicht verwandt sind? Die Lösung dieses Einwandes ist gegeben, sobald es gelingt, einen einzigen Berührungs- punkt nachzuweisen, den die beiden Erzählungsgruppen gemeinsam haben, wenn es außerdem möglich ist zu zeigen, daß die Über- tragung der Bezeichnung ägeraloyla tatsächlich von diesem Be- rührungspunkt ausgegangen ist. Schon aus den Darlegungen Reitzensteins (a. a. 0. S. 8 ff.) geht hervor, daß beide Gattungen, religiöse und profane Wunder- geschichte, Dinge erzählten, die von einem gewissen Standpunkt aus als if>8vöog zu bezeichnen sind. Daher heißt der arctnlogus in der luvenalglosse fnlsidicus, niendax, artificiosus. Aber der Aretaloge wird auch noch anders Charakter isirt. Bei Acron zu Hör. sat. I 1, 120 heißt er loquacissiniits, und Porphyrio sagt zur gleichen Stelle: Crispinus . . . carmina scripsit, secl tmii. iHirrtile, nt arefah'ius diceretur. Fragen wir nun, woher der Vorwurf der (jarridifas und Joquacitas kommen mag, so scheint mir die Erklärung am nächsten zu liegen , daß man auf die wirk- lich manchmal recht mühsame Beglaubigungs- und Dokumentirungs- lopik hinweist, welche der religiösen und der profanen Wunder- geschichte von Anfang an eigen war und die ich im folgenden in ihren Einzelerscheinungen zu verfolgen haben werde. Hierin liegt die garriditas des Aretalogen. Doch ich stelle zunächst fest. An diesem gemeinsamen Punkte, daß profane und religiöse Wundergeschichte ein yjevdog erzählten, dieses ipevdog aber in vollkommen identischer Weise durch eine weitschweifige Beglaubigungstopik zu verhüllen suchten, fand die antike Theorie den Anhaltspunkt, um beide Gattungen, die einander ursprünglich nicht gleich waren , zu vermengen und mit dem gemeinsamen Namen der uQExaXoyia zu belegen. Ganz außer acht gelassen wurde dabei der für uns wenigstens grundlegende Unterschied, der von Anfang an und immer bestand, daß die unterhaltende und die religiös erbauliche Wundergeschichte ganz verschiedene Zwecke verfolgten. So konnte es kommen, daß das 240 H.WERNER historische VerhäUnis der beiden Gattungen als ein Werden der einen aus der andern angesehen wurde, während sie doch nur. von Anfang an nebeneinander bestehend, schheßhch fast willkürlich in eins zusammengeworfen wurden und einander auch in der Praxis stark beeinflußten, so daß die Grenzen sich immer mehr, auch für unser Auge, verwischten. Auf diese Weise glaube ich den manchmal humoristischen * ) Stil der religiösen Wundererzählung viel besser erklären zu können, als dies Reitzenstein gelingt. In der volkstümlich profanen Er- zählung war er von jeher zu Hause und störte das Empfinden von niemandem. Von da aus erst ist er aber in die religiöse Aretalogie eingedrungen und hat die „erbaulich-obscöne" Aretalogie erzeugt, deren Existenz nachgewiesen zu haben das Verdienst Reitzensteins -) ist. Durch diesen Nachweis werden wir uns freilich nicht zwingen lassen — und damit kehre ich zum Ausgangspunkt meiner Er- örterungen zurück — auch den Eselroman des Lukios von Patrai in die Kategorie der ,, erbaulich -obscönen" Aretalogien einzureihen, wie Reitzenstein tut. Er glaubt diese Einordnung stützen zu können durch den gewifs berechtigten und kritisch sehr fruchtbaren Hinweis (a. a. 0. S. 34), daß die Erklärung des romanhaften Teils der Esel- geschichte in einer Weise zu geschehen habe, aus der begreiflich wird, wieso Apuleius diesen Teil mit dem von ihm hinzugefügten rein erbaulichen Abschlufs „als hterarisch gleichartig empfinden konnte". Dies vermag unsere obige Erklärung des Verhältnisses der er- baulichen zur unterhaltenden Wundergeschichte sehr wohl zu leisten : denn nach jenen Ausführungen hat die Übertragung der Rezeichnung aQExakoyia gar keine Rücksicht genommen auf den erbauhchen oder weltlichen Charakter der Wundergeschichten. Die Aretalogie 1) Das Volk empfand den fi'aglichen Stil in sehr vielen Fällen gar nicht als „humoristisch"; nur uns, die wir von der gemessen sich aus- drückenden Literatur herkommen, erscheint er so. In Wirklichkeit war die Absicht nur eine drastisch derbe, wie sie das Volk liebt. Es ist darum immer mißlich, bei solchen Geschichten aus dem Volke in einzelnen Ausdrücken Satire und ähnliche Nebenabsichten zu suchen. Wir ver- gessen dabei, daß in verschiedenen Gesellschaftsschichten die gleichen Ausdrücke eine andere Wirkung haben. Bei Petron besteht eine großer Teil des Witzes in der Ausbeutung dieser Tatsache. 2) Hell. Wundererzähl. S. 32, 2. Parallelen zu der dort angeführten Episode gibt Rabbow (Wien. Stud. XVII 1896 S. 253) aus der Legende des Martinian. ZUM ÄOYKIOy H ONOE 241 im weitein Sinn umfaßte vielmehr beide verschiedenen Gruppen von Erzählungen, erbauliche und rein unterhaltende. Ihr gemeinsames Merkmal, das sie als Einheit erscheinen ließ, lag darin, daß beide eine Darstellung wunderbarer Vorgänge ohne kunstmäßig dramatische Disposition des Stoffes (s. Reitzenstein a. a. 0. S. 8411'.), aber mit Zu- hilfenahme gemeinsamer xonoi zur Bekräftigung der Wahrheit des Erzählten geben wollen. Wenn nun Lukios von Patrai eine solche Verwandlung in einen Esel in rein unterhaltender Absicht geschrieben hat — und der „lukianische" Aus/.ug läßt kaum einen andern Schluß zu — und wenn dann Apuleius einen frommen Schluß daran knüpfte, so sehe ich nichts, was ihn hätte hindern können, die beiden Teile, die uns so gar nicht zusammen zu passen scheinen, als literarisch gleichartig zu empfinden und zu einen Ganzen zu vereinigen. Was die starken Obscönitäten im Eselroman anbetrifft, so haben wir nun auch nicht mehr nötig, die erbaulich-obscöne Aretalogie als Erklärung zu Hilfe zu rufen. Viel einfacher ist es, wenn wir an- nehmen, daß diese Obscönitäten zu den Beiträgen gehören, welche die unterhaltende volkstümliche Erzählung bei der Synthese ge- liefert hat; denn dort waren saftige Situationen von jeher beliebt und von dort sind sie vom religiösen Wundererzähler übernommen wor- den, als einmal die volkstümliche Wundergeschichte und die erbau- liche unter der oben gegebenen Definition in eins geflossen waren. Auf die Einreihung der Eselgeschichte wird später noch zurückzukommen sein. Zunächst schulde ich noch die Betrachtung der Stilmittel und jonoi im einzelnen, von denen oben behauptet worden ist, daß sie beiden Arten von Wundergeschichten gemeinsam gewesen seien und so ihr Zusammenfließen verursacht hätten. Daß alle diese tÖjioi darauf ausgehen, die „Wahrheit" des Erzählten zu bekräftigen, ist bereits gesagt. Rohde (Griech. Roman S. 272 f.) hat zunächst den rönog be- handelt, der ein altes Buch oder eine Inschrift als Wahrheitszeugen anruft. Die Fiktion ist meistens die, daß irgendeine weise Persönlich- keit in uralter Zeit die Ereignisse aufgeschrieben haben soll. Das Schriftstück, in dauerhaftestem Material niedergelegt, blieb dann nach der Fiktion lange Zeit verborgen, wurde aber schließlich auf- gefunden. Und die Erzählung verspricht dann wahrheitsgetreu den Inhalt des Dokumentes wiederzugeben. Aber dieser coTiog hat in unserer Gattung von Geschichten eigentlich nicht gewirkt, sondern Hermes LIII. 16 242 H. WERNER nur in der als Roman bezeichneten Literaturgatlung beliebte Anwen- dung gefunden. Darum soll auf ihn nicht weiter eingegangen werden ^). Dagegen interessirt uns die Form des ronog, bei welchem die Autorität irgendeines Menschen zur Bekräftigung der Wahrheit in die Wagschale gelegt wird. Das kann in verschiedener Weise geschehen. Der Erzähler kann für irgendein Ereignis, das ihm selbst zugestoßen sein soll, sich auf die Bekräftigung seiner Aussage durch Augenzeugen berufen, wie z. B. bei Lukian (Philops. c. 25) der Philosoph Kleodem seinen Hausarzt Antigonos als Zeugen für seine schwere Erkrankung anbietet oder Hieronymus (vita Hilarionis c. 39) sich auf eine ganze zuschauende Menge beruft: cuncfa spectante piche immnneitt hestiam coucremavit^). Am allerverbreitetsten aber und für die Wundergeschichten recht eigentlich charakteristisch ist eine weitere Variation des rojiog geworden. Statt sich auf irgendeinen beliebigen Gewährsmann zu berufen, von dem er die Geschichte, welche er erzählt, gehört haben will, tritt der Erzähler oder Verfasser der Wundergeschichte mit seinem eigenen Namen für ihre Wahrheit ein. Er behauptet, den Vorgang selbst miterlebt zu haben, und gibt daher das Ganze als Icherzählung in der ersten Person. An geeigneter Stelle nennt er dann auch gelegentlich seinen — wirklichen oder wohl meist fingirten — Namen und manchmal sogar die bürgerliche Stellung, um seinem persönlichen Zeugnis mehr Nachdruck zu verleihen ^). 1) Einige Nachträge zu Rolides Darstellung gibt Reitzenstein a. a. 0. S. 17 f. Zu vergleichen ist ferner Scliissel von Fieschenberg in d. Z. XLV 1910 S. 27ff. 2) Um die Beisjsiele, die im folgenden noch vermehrt werden, nicht zu häufen, sei eine parallele Stelle aus der um 1150 verfaßten Visio Tnugdali, die das Fortwirken des röjiog im Mittelalter beweist, in die Anmerkung verwiesen, vgl. S. 7, 7 Wagner: tiavi, nt plnrimi Corcagcnsis civitatis testanttir incolae, qni ei lunc aderant, iier trium diernm et iwctinm spatitim iacuit morttiKS. 3) Selbst in die Geschichtschreibung ist der zö.-tog eingedrungen. Dies beweist Lukian hist. conscr. c. 29: ä^J.og . . . ovök töv e'teqov nöda EX Koolvdov jTQoßsßrjxojg .... oj8e tjg^aro ' ^sfivrj/iai yög ' mra o(p&a?.fiä>r UTiiorÖTEoa' ygäfpoi zoi'vvv a eidov ovy^ a t'jy.ovoa. Auch eine Novelle, die gar nichts Wunderbares enthält, beginnt Die von Prusa mit der Ver- sicherung (Euboikos c. 1): x68e fiijv avrog iSojv ov trag' eieqojv dxovoag öiijyijooiLiai. Durch Verkehrung ins Gegenteil beabsichtigt Lukian hist. ver. I 4 eine Verspottung: yQdqpco toc'vvv negi fioadfir]r, el darsTov i)v öohov i^iri&ivai ovy/od/nuari. ZUM AOYKIOi: II 0x02: 245 Zauber jämmerlich sein Theben verliert. Die verschiedenen xonoi, nach denen wir suchen, finden sich geradezu gehäuft in dieser so eigentümlich anmutenden Geschichte, die den Ton des Volkes, das über Gespenster bald spottet und lacht, bald aber doch wieder ein heimliches Gruseln spürt, gar nicht schlecht trifft. Sie ist als Ich- erzählung einem Bekannten des Behexten in den Mund gelegt. Dieser halte den Unglücklichen zu retten versucht und war dadurcli Zeuge unheimlicher Zaubereien geworden, die er uns schildert, nach- dem er die übliche Wahrheitsversicherung gegeben hat: äeierabo solem istam otnnividcnfon deum me vera ac comperta memorare, nee vos idterins dtihitahitis, si Thessaliani proximam civitatem pervenerifis, quod ibidem pmsim per ora popidi sermo iactef, quae pnlani gesta stint^). Es folgt ein weiterer rojiog, indem der Berichterstatter über sein Herkommen und seinen Beruf Auskunft gibt: sed id prius noriiis, cuiatis sim: Äegiensis, audite et quo quaestu me feneam: melle vcl caseo et liuiuscemodi cauponarum mercihus per Thessaliani, Aefoliam, Boeotiam idtro citro dis- currens. Dafs nur Stand und Herkunft, nicht aber der Name ge- nannt wird, darf an dieser Stelle nicht befremden; denn Lukios, dem der Hausirer seine Geschichte erzählte, mußte doch wenigstens die Namen seiner Reisegefährten kennen ; diese also dem xojiog zu- liebe nochmals wiederholen zu lassen, wäre sehr gekünstelt gewesen. 1) Es knüpft sich an diese Stelle eine kleine Controverse, die für unsere Untersuchung niclit ganz ohne Interesse ist, indem Bürger in seiner bereits mehrfach citirten Dissertation De Lucio Patrensi p. 28 be- hauptete, die Worte stünden in Widerspruch mit der ganzen folgenden Erzählung. Der Berichterstatter sei ja der einzige Überlebende, der jenen nächtlichen Spuk gesehen habe, und er werde sich wohl gehütet haben, den Stadtbewohnern etwas von seinem Abenteuer zu erzählen (vgl. Apul. Met. I 14 p. 13, 10 Helm u. I 19 p. 18, 11 H.). Es sei demnach unwahr- scheinlich, daß die ganze Stadt davon reden könne. Falls wir dieses Bedenken Bürgers annehmen wollten, hätten wir ein Beispiel dafür, daß der uns bereits bekannte xöjiog (vgl. S. 242 und Hieronymus vita Hilarion. c. 2: hoc Epidaurus et omnis illa regio usqtie liodie jjvaedicut matresque docent liberos suos ad memorium in posteros transmittendam) unbewußt einmal an unpassender Stelle verwendet wäre. Doch halte ich diese Annahme für unnötig. Die richtige Lösung scheint der von Bürger nicht beachtete Zusatz: quae palam gesta sunt zu bieten. Aristomenes meint damit die früheren Taten der Hexe, von denen er ja auch erzählt. Für sie allein liegt die Beglaubigung in den Erzählungen des Volkes. Für die nächtlichen Zaubereien steht Aristomenes mit seinem eigenen Namen ein. 246 H.WEBNER Eine Untersuchung der übrigen Wundergeschichten bei Apuleius würde zeigen, daß auch dort eine analoge Topik durchgeführt ist. Ich brauche daher nur kurz darauf hinzuweisen, welche Stücke über- haupt in Betracht kommen. Vor allem ist es die „gefährliche Totenwacht" (II 21 ff.), dann gehören hierher die mit der Hauptfabel verflochtenen Schwanke von dem wahrsagenden Chaldäer (II 13) und von dem nächtlichen Kampf mit den Ziegenschläuchen (II 32 ff.) und endlich die absonderliche Compilation von Wundern in IX 33 ff. Mit Absicht habe ich die Geschichten, welche Lukian seine philosophisch gebildeten fPiAo\pEv6eig ^) erzählen läßt, bisher beiseite gelassen. Denn die von uns gesuchten tojioi liegen zwar in dieser Schrift in den mannigfaltigsten Variationen vor und sehr oft mit einer Deutlichkeit wie nirgends sonst, aber gerade hier ist ein Mißdeuten derselben außerordentlich naheliegend. Lukian beginnt seinen Dialog mit dem Ausdruck der Verwunderung darüber, daß ernsthafte Männer nicht allein Wundergeschichten erzählen und daran glauben, sondern sogar ihr Ehrenwort darüber abzugeben wagen, daß das Wunder wirklich geschehen und von ihnen selbst miterlebt worden sei c. 5: ov yäq dlod^a . . . oTa [xev elnev, ojicog de amä eniaTCooaro, (bg de xal ejtcajuvvto xoTg nXeioxoig, jiaoaoT}]odjuevog rd naidia ^). Wer daraufhin die einzelnen Er- zählungen der Philosophen durchgeht, bemerkt in der Tat, daß jeder das Wunder, das er vorträgt, selbst erlebt haben will und demnach in der Ichform schildert und mit allen Mitteln zu be- teuern sucht. An und für sich betrachtet liegt es sehr nahe, diese Form dem Lukian auf die Rechnung zu schreiben und so zu er- klären, als habe er die Ichform und die eidlichen Bezeugungen aus seinem eigenen Geiste erfunden und verwendet, um die Philosophen, die schon lächerlich genug sind, weil sie überhaupt an solche Ammenmärchen glauben, dadurch doppelt dem Hohne preiszugeben, daß sie mit so heiligem Ernste bezeugen, selbst solche Dinge erlebt 1) Die Verteidigung, die Reitzenstein a. a. 0. S. 2 implicite der Titelform ^ü.oif'ev8)]g angedeihen läßt, scheint mir unhaltbar gegenüber den Gründen, die Rothstein (Quaestiones Lucianeae, Diss. Berlin 1888 p. 6) zugunsten der Form ^doipsväsTg vorbringt ; denn daß der Dichter wirklich sich selbst und seine Darstellung als (pO.oipevdrjg, mendax habe hinstellen wollen, erscheint kaum denkbar. Die Lügeufreunde sind wirk- lich die von Lukian verhöhnten Philosophen. 2) Über die Bedeutung dieser Wendung vgl. Dikaiomata, heraus- gegeben von der Graeca Halensis S. 121. ZUM AOYKIOI II OKOI 247 zu haben. Dafs dieses let/lere der Zweck Lukians war, ist gewiß, und doch muß unsere Beurteilung der Icherzählung und der Be- glaubigungstopik eine andere sein. Schon die Leute, welche vor Lukian im Ernst Wundergeschichlen erzählten, hatten jene Topik ausgebildet. Sie stammten aber meist aus den untern Volksschichten, wo die ganze Gattung der Wundergeschichte ihre Wurzeln besitzt. Der Spott Lukians besteht also darin, daß er seine gebildet sein wollenden Philosophen nicht blofs die Stoffe zu ihren Geschichten aus jenen Volksschichten entnehmen läßt, sondern zugleich auch die ganze Art und den Stil der Darstellung. Mit der Anwendung der Icherzählung und der Bezeugungstopik aber sagt Lukian nicht mehr und nicht weniger, als daß die Philosophen in seinen Augen auf der gleichen Stufe stehen, wie der letzte Lastträger, der die- selben Geschichten mit genau der gleichen Technik erzählen würde und schon oft erzählt hat. Auf eine weitere Gruppe von Wundergeschichten, bei denen dem Verfasser die bloße Ichform nicht mehr genügte und er daher nach einer Verstärkung der Topik suchte, möchte ich zum Schluß dieses Abschnittes noch kurz eingehen. Ich meine die drei ersten, litera- risch ausgebildeten Kapitel von Phlegons Mirabiliensammlung. Von diesen hat Rohde^) nachgewiesen, daß sie von der gleichen Hand nach einem einheitlichen Plane gestaltet worden sind und zwar durch Umgestaltung des StofTes in Briefform. Für die beiden ersten Kapitel ist diese Einkleidung durch die Überlieferung direkt bezeugt, während für die dritte Geschichte eine Bestätigung vielleicht nur durch Zufall verlorengegangen ist. Was bezweckte der Verfasser mit seiner Einkleidung in die Form des Briefes? Aus der Art, wie er die Briefform benützt, geht deutlich hervor, daß nichts anderes als eine Verstärkung der Beglaubigungstopik sein Ziel war ; denn die Einkleidung erlaubte ihm, vornehme und berühmte Namen zu Zeugen seiner Geschichte zu machen und überhaupt der ganzen Topik einen gewissen juristischen Charakter zu geben. So ist das erste Mirakel in seinem ganzen Verlauf von einer Reihe amt- licher Feststellungen begleitet. Zum Schluß erbietet sich der Schreiber des Briefes, der wohl als Vorsteher der Stadt gedacht ist, eidliche Zeugen zum König zu schicken, falls das Ereignis für wichtig genug angesehen werde, um zu seinen Ohren zu gelangen 2). 1) Kl. Schriften II S.lTÖfif., vgl. Wendland, De fabellis antiquis p.öff. 2) Einige Bemerkungen zum verlorenen Anfang von Phlegon 248 H. WERNER Kurz, mau sieht auf Schritt und Tritt das Bestreben des Schrift- stellers, jeglichen Skepticismus mit einer Flut amtlicher, beglau- bigter Feststellungen förmlich zu ersäufen. Es ist eine höchste Steigerung, zugleich aber auch eine starke Veräußerlichung unserer Beglaubigungstopik , die wohl deshalb eintrat, weil, wie auch bei Lukian festzustellen ist, die Anwendung der Ichform und die mehr private Beglaubigung durch einen Schwur des Erzählers anfing so abgegriffen zu werden, daß man sie leicht lächerlich machen konnte. Mirab. 1 mögen hier Platz finden. Die wiedergefundene Epitume unserer Erzählung bei Proklos im Commentar zu Piatons Staat (IIS. IKj Kroll) erlaubt bekanntlich verschiedene Einzelheiten des Anfangs der Ge- schichte, der bei Phlegon selbst zusammen mit den Blättern der Heidel- berger Hs. zugi'unde gegangen ist, mit Sicherheit zu ergänzen. Aber ein Punkt wird auch durch Proklos nicht aufgehellt: Warum kam Phi- linnion überhaupt zu Machates in die Kammer V Rohde (und nach ihm Wendland a.a.O. u. 5 p.l) hat die Frage zu lösen versucht, indem er Kl. Schriften II S. 177 schrieb: „Hatte sie ihn etwa bereits im Leben geliebt und war wider Willen mit Krateros vermählt worden? Vermutlich würde uns hierüber, wäre er erhalten, der Eingang der Erzählung des Phlegon aufklären." Ich kann weder jene Vermutung noch diese Hoffnung teilen. Gegen jene nämlich erheben sich sachliche Bedenken aus dem Text des Phlegon selbst. Wie kann Machates später wieder als Gast in das Haus der Eltern gelangen, die ihn als Bräutigam ihrer Tochter abgewiesen haben? Noch weiter geht die Bedeutung des folgenden Argumentes, daß Machates, wie aus den Worten (p. 52, 9 Keller) : f.i6hg Se tioxe SiEod- cpfjoev ort ^lUvviov sit] hervorgeht, das Mädchen früher gar nicht kannte, geschweige denn umworben hatte. Ähnliche Bedenken mögen Hausrath und Marx, Griechische Märchen S. 188 ff. bewogen haben, die von Rohde vorgeschlagene Lösung in ihrer Übersetzung zu verwerfen und dafür eine andere einzusetzen, zu der sie ohne Zweifel durch das Motiv des Liebes- anfangs im Epyllion von Hero und Leandros angeregt wurden. Aber auch dieser Ausweg vermag die genannten Schwierigkeiten nicht zu beseitigen. Ich selbst dachte eine Zeitlang daran, die Begründung der Liebe der Philin- nion könnte durch ein Traummotiv gegeben gewesen sein, wie es in der Ge- schichte von Odatis und Zariadres (Athen.XlII p. 575) wiederkehrt. Doch auch dies befriedigt nicht. Es bleibt darum wohl nichts andres übrig, als anzunehmen, die Liebe der Philinnion sei bei Phlegon gar nicht weiter begründet gewesen, und den Worten des Proklos, Philinnion sei zu Machates gekommen dtä rov .toö? avröv e'gcoza, habe auch in der ausführlichen Fassung keine weitere Motivirung gegenübergestanden. Die Geschichte paßt dann in ihrem Mangel an psychologischer Feinheit auch viel besser zu den beiden andern Briefen des Phlegon in cap. 2 und 3, die ja auch nur kruden Aberglauben in tollem Wirrwarr geben. Die -Braut von Korinth" steht auch so noch weit über ihnen. ZUM AOYKIOS H ONOS 249 Darum mufste der Tonog eine neue Wendung bekommen und wo- möglich verstärkt werden. Dies erreichte der Redaktor der phle- gontisehen Briefe, indem er seinen Beglaubigungen einen gewissen amtlich-juristischen Anstrich gab. III. Nachdem wir in den vorstehenden allgemeinen Ausfiilu'ungen einen Überblick über die Beglaubigungstopik der Wunder- und Zaubergeschichte gewonnen haben, wird es an der Zeit sein, zum Ausgangspunkt der Untersuchung, d.h. zu der Erzählung von dem verzauberten Eselmenschen, zurückzukehren und die gewonnene Ein- sicht auf sie anzuwenden. Die ganze Erzählung ist voll von Zaubereien und geheimnis- vollen, unglaublichen Abenteuern, bedarf also vom Standpunkt des naiven Lesers aus unbedingt äußerer Beglaubigung. Ganz in her- gebrachter Weise bekommt daher das Ganze die Form der Ich- erzählung, und daran schließt sich als ebenso üblicher ronog die Namensnennung dessen, der für die Wahrheit seiner Erzählung bürgt. Sie braucht darum noch nicht den wirklichen Namen des Helden und damit des Erzählers zu geben, weil ihr literarischer Zweck darin besteht, die erzählten Abenteuer als tatsächlich geschehen zu dokumentiren ^). Bereits v. Arnim (Wiener Studien XXII 173) streifte ganz kurz die Möglichkeit, „daß solche genauen Angaben trüge- rischer Art von dem Schriftsteller gemacht werden, um einen grö- ßeren Schein oberflächlicher Glaubwürdigkeit hervorzurufen". Doch weist er den Gedanken sofort ohne weitere Argumente zurück. Sein Fehler besteht darin, daß er die topische Bedeutung der Stelle nicht erkannte und diese isolirt betrachtete, statt sie mit analogen Stellen anderer verwandter Geschichten in Beziehung zu bringen. Bedenken gegen unsere Erklärung des fraglichen Abschnittes im 55. Kapitel des „lukianischen" "Orog könnte immerliin noch die 1) Es soll wenigstens erwähnt werden, daß vielleicht durch eine bloße Zufälligkeit der Epitomirung im „lukianisclien" "Ot'og der Name des Helden vor jenem 55. Kaj^itel gar nicht genannt ist und infolge- dessen dort als überraschender Schlag wirkt. Apuleius wenigstens bietet den Namen bereits früher im Verlauf der Geschichte zu wiederholten Malen. War das schon in den Metamorphosen des Patrensers so? Dann liegt die Idee einer Satire natürlich ganz fernab. Oder hat Apuleius auch diesen Witz (der dann immerhin in dem röjiog liegt) wie so manchen andern des griechischen Originals verdorben? 250 H.WERNER krause Form erregen, in der die Namensnennung dort gegeben ist und die eine Auffassung als Satire zu rechtfertigen scheint. Aber zunächst ist uns ja die Beurteilung der Stelle durch ihre verderbte und verstümmelte Überlieferung sehr erschwert, und außerdem ist die zugegebenermaßen etwas bombastische Form durchaus kein Grund, die ganze Stelle kurzweg als Parodie zu erklären '). Viel- mehr gehört eine etwas schwülstige Ausdrucksweise auch hier zum Stil des TOJiog. Ich verweise als Parallele nur auf die Art, w^ie bei Phlegon Mirab. 1 der Priester Hyllos auch gleichsam zur Be- glaubigung eingeführt vi^ird: ovdevög dvvajLievov xgTvai rä ngay- juara, ngcorog "YXkog, ö vojui^ojuevog Ttag' fj/iuv ov juovov [idvTig ägioTog, ä?dd xal olcovooxonog xo/iiyog elvai, rd re akXa ovv- ecogatiCbg ev Ttj re^vt] jTSQnzcög, dvaordg sxskevev .... Diese Stelle muß uns um so mehr interessiren, als wir hier zugleich einen Beleg haben für den Ausdruck judviig äyaß^og^), der in jenem 55. Kapitel des "Ovog so viel Anstoß erregte und mit dem man hauptsächlich auch die ironische Auffassung der Namens- nennung vor dem Prätor rechtfertigen zu können meinte. Ganz besonders wichtig wird aber die Phlegonstelle für uns, weil man auch dort eine ironische Absicht des Autors hat herauslesen wollen, wobei freilich von vornherein zugegeben werden mußte, daß ein Beweis für die Behauptung fehle ^). An beiden Stellen hat Un- kenntnis der besonderen Topik den Irrtum herbeigeführt. Wir werden also berechtigt sein, an unserer Erklärung fest- zuhalten, daß Icherzählung und Namenstopos durchaus keine paro- distische Absicht enthalten, sondern durch das literarische yevog bestimmt sind, dem die Geschichte vom Eselmenschen angehört. Es war außerdem oben (S. 243) zu sehen, in welcher Weise die Topik wirkt, wenn die Erzählung von andern Autoren weitererzählt 1) Auch der Umstand mnfs gegen die Annalmie einer Parodie be- denklich stimmen, daß, falls eine Verhölmung in der Stelle liegen soll, der im Grund unbeteiligte Bruder des Lukios als 7rot»;r>)? eleyekov xal /lävng aya-Oog viel schlechter wegkommt als Lukios selbst, der außer- ordentlich gelinde als lorogiür aal äXXcov ovyyQacpsvg bezeichnet wird. 2) Reitzenstein a. a. 0. S. 33 A. 2 verweist als Parallele auf die be- kannte Charakteristik des Ampliiaraos, womit nicht viel gewonnen scheint. 3) Wendland, Festschr. d. Schles. Ges. f. Volkskunde, Breslau 1911, .S. 33. Er wiederholte seine Ansicht De fabellis antiquis p. 8 n. 3: quani- quam fateor rem comprohari non posse, taincn ironiaui qitandam odorari viüii videor, qua prüca fabula utehutur in describendo vate. ZUM AOYKIOI II 0X0^ 251 wird. Jeder übernimmt die totzoi niclit einfacli unverändert, sondern bezieht sie auf seine eigene Zeit.und Person, frischt also den Wahr- heitsbeweis immer wieder neu auf. Für die Eselgeschichle ist es uns nun möghch, die Probe aufs Exempel zu machen, da Nach- ahmungen und Übersetzungen aufgewiesen werden können, welclio sich der Topik genau in der angegebenen Weise bedienen. Von Agnolo Firenzuola, der die erste Übersetzung von Apuleius' Meta- morpliosen ins Ilahenische verfaßte (L'asino d'oro, Venezia 1550). erklärt Lorenzo Scala in der Dedikation des Werkes, der Übersetzer habe in seiner Übertragung etwas getan, was sonst nicht üblich sei, nämlich far memoria della vita sud. In der Tat zeigt eine Betrachtung der „Übersetzung", daß Firenzuola mit seinem Original sehr frei umgesprungen ist. Nicht genug daran, daß er die Ein- führung, die Apuleius zu Beginn seines Werkes über seine eigeno Person gibt, auf sich selbst bezieht und Daten aus seinem Leben statt der apuleianischen einsetzt: Firenzuola verlegt auch den Schau- platz der ganzen Abenteuer in seine eigene Zeit und nach Italien. Er selbst will die ganze Geschichte erlebt haben, erzählt also in erster Person und in Anführung seiner Lebensumstände. Das doch wohl nicht, w^eil er sich selbst an den Pranger stellen wollte, son- dern weil er instinktiv die Macht des xonog erkannt hatte ^). Vielleicht nicht ganz soviel Beweiskraft wird man einem zweiten Fall zuschreiben wollen, doch ist er immerhin typisch genug, um erwähnt zu werden. Bei Martin Zeiller ist der Inhalt des Aovxioq zum Erlebnis eines „ Kriegsbediensteten " geworden, das dem Be- richterstatter von einem „Herrn Obristen" erzählt wurde, der im 30 jährigen Kriege gedient hatte. Praetorius (Newe Weltbeschrei- bung, anderer Theil, Magdeburg 16(57, S. 452 ff.) verbreitet die Geschichte nach der Darstellung Zeillers weiter, indem er Aus- schmückungen anbringt. Er bezeugt aber, das Ganze von „unter- schiedlichen glaubwürdigen Leuten" gehört zu haben 2). Auch in diesem ganzen Vorgang wird man unsere Topik wiedererkennen. 1) Misch (Geschichte der Autobiographie I 224) zeigt, wie es auch im sophistischen Liebesroman möglich war, daß der Verfasser seine eigene Lebensgeschiebte in den Roman einfügte, an dem Beispiel von Jamblich (Photios Bibl. cod. 94 p. 329 D Migne). Halbwegs vergleichbar findet er die von Cervantes in den Don Quijote eingeschobene Erzählung von seiner Gefangenschaft in Afrika. 2) Die beiden Texte des Zeiller und Praetorius waren mir nicht zugänglich. Ich kann daher nur die Angaben Rohdes (Kl. Schriften 11 201) reproduciren. 252 H. WERNER Doch nunmehr sollen die Folgerungen, die wir zu ziehen be- rechtigt sind, zusammengestellt werden. Der Gedanke, daß die Icherzählung und die Namensnennung im Eselroman parodistisch gemeint seien, muß endgültig fallen. Weil außer diesen keinerlei Anzeichen für eine satirische Absicht geltend gemacht werden können, darf nicht mehr zweifelhaft sein, daß auch die „lukia- nische" Fassung des "Ovog ernsthaft und „gläubig" vorgetragen ist. Damit wird der ganze unfruchtbare Streit wesenlos, wo die parodistische Absicht zuerst auftrete und wer ihr Opfer sei. Andrerseits gewinnt eine bereits citirte Feststellung Bürgers über die Art und Weise der Epitomirung (vgl. S. 228 A. 1) erhöhte Bedeutung. Der unter Lukians Namen erhaltene "Ovog wird zu einem bloßen handwerksmäßigen Auszug aus den umfangreichen Metamorphosen des Lukios von Patrai, und Lukian kann nach dem allgemeinen Urteil der Verfertiger eines solchen Auszuges nicht sein. Sinkt so der griechische pseudolukianische AovyAog r) ovog in unserer Wertschätzung als selbständiges literarisches Produkt be- denklich herab, so kann er uns andrerseits um so wertvollere Dienste leisten zur Beconstruction und Beurteilung jener Metamor- jihosen des Lukios von Patrai, denen eine besser fixirte Stellung innerhalb der Literargeschichte anzuweisen, als sie bisher inne- hatten, nun vielleicht gelingt. Als man von dem Begriff des antiken Romans erst vage An- schauungen besaß, war es vielfach üblich, auch den Lukios „roman" dieser Gattung zuzuzählen. Dies ist wohl nicht mehr haltbar, seit- dem W. Schmid (N. Jahrb. f. klass. Altert. XIII 1904 S. 470 ff.) Klar- heit über die Gattung geschaffen hat, indem er den ernsthaften antiken Roman definirte als fiktive Prosaerzählung von dem unab- änderlichen Schema, daß ein liebendes Paar nach wohlbestandenen Prüfungen glücklich vereint wird. Davon ist in unserer Erzählung keine Rede. Bürger allerdings (Progr. Blankenburg 1902 S. 21 f.) läßt es sich viel Mühe kosten, ähnlich wie Heinze in einem be- kannten Aufsatz es für Petron versucht hat, dieses Schema im Lukios aufzudecken und einzelne Stellen als Parodie auf jene ernst- haften Liebesromane zu deuten. Dadurch glaubt er überhaupt die Lukiosabenteuer mit Petron auf eine Linie stellen zu können. Wenn aber schon Heinze mit seiner These über Petrons Werk fast allgemein auf Ablehnung gestoßen ist, so sind bei den Lukios- abenteuern die Beziehungen zum ernsten Roman erst recht lose, ZUM AOYKro:S II ONOI 253 so daß Bürgers Versucli unbedingt als mißglückt betrachtet werden muß. Wieweit trotzdem eine Beeinflussung wenigstens eines Ab- schnittes der Eselsabenteuer durch den ernsthaften Roman — aller- dings in anderer Weise als Bürger annimmt — anzunehmen ist. wird noch besprochen werden müssen. Auf einen weitern Versuch, die Eselsabenteuer literarisch ein- zuordnen, den Reitzenstein (a.a.O. S. 32f.) unternommen hatte, wurde bereits (S. 240) hingewiesen. Es ist dabei besonders die Folgerung zu bekämpfen, als habe Lukios von Patrai seine Meta- morphosen „mit vollem Ernst, also zu religiösen Zwecken** verfaßt. Mit vollem Ernst, gewiß, das scheint richtig. Aber des- halb zu religiösen Zwecken? Solange Reitzenstein keine weiteren Gründe beibringt, die ihn berechtigen, in den Lukiosabenteuern eine „erbaulich-obscöne" Aretalogie zu sehen, müssen wir seine Annahme als bloßen Notbehelf betrachten; denn was vielleicht für die Meta- morphosen des Apuleius zugestanden werden darf, findet durchaus keine Stütze in der pseudolukianischen Fassung und ist somit nach unsern Feststellungen auch für die Metamorphosen des Lukios von Patrai durchaus von der Hand zu weisen. Ausführliche Besprechung erfordert noch eine weitere Beob- achtung, die ebenfalls Reitzenstein gemacht und neuerdings (Das Märchen von Amor und Psyche 1912) vorgelegt hat. Da sie ihn zu den weitgehendsten Hypothesen angeregt hat, darf sie in diesem Zusammenhang nicht unwidersprochen bleiben. Reitzensteins Ab- sicht läuft auf nichts anderes hinaus, als uns neben den drei antiken Fassungen der Eselsabenteuer, die wir kennen, noch eine vierte zu schenken, die in den Milesiaca des Aristeides, jenem in seiner Eigenart heute noch unfaßbaren Werk, enthalten gewesen sein soll. Den Ausgangspunkt von Reitzensteins außerordentlich fesselnden Deduktionen bildet die Übereinstimmung der Worte: neQißdViETai fie xal aqaoa et'ooj öXov nagede^azo im 51. Kapitel des pseudolukianischen "Ovog mit dem 10. Fragment der Milesiaca des Sisenna : ut cum {ut eum Bücheier, totum Reitzenstein) penitus utero suo recepit^). Aber Reitzenstein geht im Suchen nach Über- 1) Es täuschen sich übrigens Reitzenstein so gut wie Weinreich (Trug des Nektanebos S. 37 A. 1), wenn sie behaupten, die Verwandtschaft der beiden Stellen sei bisher literarisch nicht vorgebracht. Ein aller- dings sehr vorsichtig gehaltener Hinweis steht bereits bei Bürger (d. Z. XXVII 1892 S. 355 A. 1). 254 H.WERNER einslimmungen noch weiter. Er findet, daß auch fr. 4 des Sisenna, wo von einem Tier die Rede ist, das nicht vorwärts gehen will, sondern sich hin und her dreht und an der Stalltüre scheuert, in die Erzählung von dem Esel trefflich passen würde. Schließlich ordnet er noch das einzig erhaltene Fragment aus den Milesiaca des Aristeides (Harpokration s. v. öeQßr]OT)'jg) in das 25. Kapitel von Pseudolukian ein. Dadurch gelangt er zu dem Schluß (S. 61): „Ich kann die seltsame Tatsache, daß sich von elf kurzen Frag- menten des Sisenna und Aristeides drei so wunderbar gut in die Erzählung des Esels einfügen, nicht dem Zufall zuschreiben." Die Folgerung also ist die, daß die Geschichte von dem Eselmenschen längst vor Lukios von Patrai bereits durch Aristeides und Sisenna in den Milesiaca behandelt worden ist. Es liegt mir durchaus fern, zu leugnen, daß in fr. 10 des Sisenna wahrscheinlich eine ähnliche wüste Scene geschildert war, wie bei Pseudolukian ''Ovo? 51. Auch verkenne ich durchaus nicht den Wert der von Reitzenstein gegebenen Nachweise über stilistische Ähnlichkeiten zwischen Sisenna und Apuleius, die wohl sicher zeigen, daß Apuleius dem Sisenna in dieser Reziehung sehr viel zu ver- danken hat. Aber woher wissen wir, daß in fr. 10 des Sisenna ein Esel die Hauptrolle spielte, wer sagt uns, daß in fr. 4 von einem störrischen Esel die Rede war? Das Wichtigste, eben die Erwäh- nung dieses Tieres, fehlt in allen Fragmenten. Erst sie würde aus dem geistreichen Versuch mehr als einen phantasievollen Einfall machen. Es muß also trotz Reitzenstein dabei bleiben, daß wir über den Inhalt der Milesiaca im einzelnen nichts wissen und daß insbe- sondere das Vorkommen der Eselsabenteuer darin ganz unerwiesen ist. Eine wirkliche Einreihung der Lukiosabenteuer in die Literatur- geschichte wird aber nur geben können, wer die einzelnen Mo- tive, die das Ganze ausmachen, auf ihre Herkunft und Zugehörig- keit prüft. Es gilt also zunächst nicht eine Einreihung des Werkes in seiner Gesamtheit, sondern der einzelnen Abenteuer. Denn dieses scheint unzweifelhaft, daß in der Lukioserzählung Elemente aus ver- schiedenen Literaturgattungen zusammengeschweißt, manchmal auch nur ganz äußerlich aufgelötet sind. Vor allem aber ist das Gesamt- werk etwas ganz anderes geworden, als die einzelnen Restandteile ursprünglich waren. Weitaus den Löwenanteil an den Motiven, welche die Ge- schichte vom Eselmenschen ausmachen, beanspruchen Volkserzäh- ZUM AOYA'IOS II OXOi: 255 Jungen und kurze Anekdoten, die, bevor sie durch den Redaktor in eins getragen wurden, ihr selbständiges, zum Teil heute noch nach- weisbares Einzelleben l'ülirten. Eine ganze Reihe derartiger Motive, die in den Fabelsammlungen als Organismen mit eigenem Leben wiederkehren, notirte bereits Crusius in einer Miscelle des Philo- Jogus (N.F. I 1889 S.448). Weitere Beiträge lieferten Bürger (d. Z. XXVII 1891 S. 356 A. 1) und Wendland (De fabellis antiquis p. 20f.). Es liegt mir daran, im folgenden diejenigen Stellen des "Orog, welche meiner Ansicht nach auf Fabeln, Sprichwörter und verwandte Volks- erzählungen zurückgeführt werden können, zusammenzustellen. Die Grundfabel, um die sich alle übrigen Episoden als ver- zierendes Rankenwerk gruppiren, handelt von einem irgendwie in ein Tier verwandelten Menschen, der nach verschiedenen Abenteuern seine menschliche Gestalt wiedererlangt. Sie wird bereits von Rohde (Kl. Schriften II 72 ff.) und dann von Weinhold (Sitz.-Ber. Berl. Ak. 1893 S. 475 ff.) unter Anführung einer ganzen Reihe von Parallelen bei den verschiedensten Völkern als eine weitverbrei- tete Volkserzählung erwiesen. In unserm Zusammenhang noch nir- gends erwähnt ist die Tradition, welche durch den bei Mone (Anz. f. K. d. A. YIII 1839 Sp. 551ff.) abgedruckten Asinarius vel Dia- dema repräsentirt wird. Diese Fassung, die fast völlig mit Grimm, Kinder- u. Hausmärchen Nr. 144 übereinstimmt, wird von Gröber (Grundriß d. rom. Phil. II 1 S. 415) dem 14. Jahrhundert zugewiesen. Jedoch erwähnt bereits Hugo von Trimberg an einer bisher über- sehenen Stelle seines Registrum (v. 886) einen nsinarkis, und da V. 892 f., welche den Anfang des Gedichtes wiedergeben, mit dem Anfang des bei Mone zu lesenden Asinarius übereinstimmen, kann kein Zweifel sein, daß dieser bereits dem Hugo von Trimberg vor- lag. Es ergibt sich also das Jahr 1280 als terminus ante quem für die Abfassung. Diese Monesche Fassung ist einerseits sicher aus einer Volkserzählung hervorgegangen, andrerseits verrät sie Kenntnis der Antike, z. B. in den fast allzu breit ausgesponnenen Motiven, die sich aus dem Sprichwort övog Xvoag (asinns ad Jyyam) ergeben. Ich glaube zwei Klassen der Grundfabel, die wenigstens in einem constitutiven Element verschieden sind, unterscheiden zu müssen. In der ersten Klasse ist das Gerippe der Fabel folgendes. Ein Ehepaar bekommt nach langer Kinderlosigkeit endlich ein Kind, doch dieses hat Tiergestalt (Schlange, Schwein, Esel). Dieses lernt das Leierspiel und erhält in der Fremde durch die Liebe einer Frau 256 H. WERNER schließlich seine menschliche Gestalt. Diese Klasse ist in der Haupt- sache vertreten durch unser lateinisches Gedicht bei Mone, durch eine Geschichte im Pantschatantra, durch Grimm Nr. 144. Wie unser latei- nisches Gedicht beweist, braucht Strapparola, Piacevoli notti (II. Nacht, 1. Nov.) seinen Stoff nicht aus dem Orient entliehen zu haben. Die zweite Klasse unterscheidet sich dadurch, daß der Held der Geschichte nicht als Tier geboren, sondern von Hexen erst verwan- delt wird, nachdem er als Fremder in irgendeine Herberge gelangt ist. Die älteste Version dieses Typus bietet neben unserem Esel- roman Augustin Civ. dei XVIII 18: nani et nos cum essenius in Italia, audichamiis talia de qtiadani rcgione illarum partium, nhi stdbiüarias midieres imhidas his maUs artihus in caseo dare soler e dicehant, quibus vellent seu posseni viatoribuSj undc in iumenta illico vcrterentur et necessaria quaeque portarent postquß perfunda opera iterimi ad se redirent, nee tarnen in eis meutern fieri hestialem, scd rationalem humanamque ser- vari, sicut ApuJeins . . . aitt indicavit aut finxit. Auch bei Vincenz von Beauvais (Spec. nat. III 109) kehren die eine Herberge haltenden Weiber wieder. Da auch sonst offenkundige Anleh- nungen zu finden sind, ist seine nach dem verlorenen 35. Buch von Helinands Chronik erzählte Geschichte nichts weiter als eine ausgeschmückte und durch eigene Zutaten erweiterte Reminiscenz an Augustin. Aus dem gleichen Grund sehe ich auch das von H. Reich (Shakespeare -Jahrbuch XL 1904 S. 124) beigebrachte Gitat aus Higdens Polychronicon ^) als bloße Ausstrahlung der Auguslinstelle an, wodurch sie die von Reich behauptete Wichtig- keit verhert. Daß dort der von den Weibern verwandelte Menscli ein histrio (in der englischen Übersetzung a joculer other myn- strelle) ist, scheint mir durchaus belanglos und nur gewählt, weil bei einem solchen die Möglichkeit des Reisens und Übernachten s in einer Herberge ungezwungen gegeben war. Eine Beziehung zum Eselmimus herzustellen ist ganz unmöglich. Speciell in diesem zweiten der angeführten Typen möchte ich die Urzelle sehen, aus der heraus Lukios von Patrai die Grund- fabel seiner Eselsabenteuer entwickelte; denn vielleicht haben sich Überreste der Urzelle in den beiden uns noch vorliegenden Ver- sionen erhalten, ohne gänzlich widerspruchslos in denselben auf- 1) Britannici scriptores II 525. Die Originalstelle hat mir leider nicht vorgelegen. ZUM AOYKIO:^ H OA^O^" 257 zugehen, und bis heute der Erklärung Schwierigkeiten bereitend. So wird bei Pseudohikian und bei Apuleius der Haushalt, in dem Lukios vor seiner Verwandlung einkehrt und wo er seine Verwand- lung erlebt, an manchen Stellen mit geheimnisvollen oder mifs- günstigen Andeutungen geschildert, es wird von einem scheinbaren Geiz des Hipparchos bei Pseudolukian und von dem wirklichen Geiz des Milo bei Apuleius gesprochen^). Es wäre denkbar, daß dies Züge aus der Vorlage sind, die in der Bearbeitung nicht mehr recht passen wollen, die der Bearbeiter aber nicht sorgfältig genug beseitigte. In der Volkserzählung war davon die Bede, daß die verwandelten Menschen den Hexen, die sie verzaubert hatten, dienen mußten. Dies sagt z. B. Vincenz von Beauvais ausdrücklich. In irgendeiner ausführlichen Version, die dem Bearbeiter des Lukios- abenteuers vorlag, könnte davon die Rede gewesen sein, daß die nichtsahnenden Nachbarn sich über die geringe ständige Diener- schaft der Hexen verwunderten und dies als Geiz deuteten. Davon könnte bei Pseudolukian und Apuleius ein ungeschickter Rest stehen- geblieben sein. Doch soll dieser Erklärungsversuch nicht mehr als eine Vermutung sein. Die Beobachtung einzelner Episoden des pseudolukianischen "Ovog und ihre Zurückführung auf Motive der Volksliteratur ergibt etwa folgenden Ertrag: In einer bekannten äsopischen Fabel (177 Halm) weigert sich ein Pferd, einem schwerbepackten Esel etwas von seiner Last abzunehmen. Zur Strafe muß es sich, nachdem der Esel vor Er- schöpfung gefallen ist, dazu bequemen, die ganze Last samt dem Fell des Esels weiterzuschleppen. Bei Pseudolukian ist natürlich die moralische Absicht geschwunden, die Situation (19) aber doch ganz ähnlich, so daß der Verfasser des "Oi>og sich die Inspiration wohl in der Fabel geholt haben mag. Sozusagen völhg übereinstimmend (natürlich mit Ausnahme der Moral) sind Luc. 28 und die etwas kärglich ausgeführte Fabel Babrios 83. An beiden Stellen handelt' es sich um ein in der Mühle arbeitendes Tier, dem sein Meister ungerechterweise das Futter unterschlägt. Wenn zu Luc. 30 auch keine antike Parallele aufzuweisen ist, so sei doch wenigstens auf ein französisches Sprichwort hingewiesen, das ebenso wie die Situation der Eselgeschichte aus unmittelbarer 1) Vgl. Bürger, De Lucio Patrensi p. 31. Hermes LIII. 17 258 H.WERNER Anschauung einer gebräuchlichen Tierquälerei geschöpft sein mag: Colcre comme un dnc, ä qni Von attnche une fusee aux fesses (Leroux de Lincy, Proverbes frangais I 141). Ein sehr beliebtes Motiv der Fabeldichter muß der Esel bei den Bettelpriestern gewesen sein, wie ja überhaupt die letztern im Volksmund schlecht wegkamen und einen außerordentlich üblen Ruf genossen (vgl. Dieterich, Kl. Schriften S. 486). Unter den äso- pischen Fabeln findet sich die Geschichte von dem Esel, der, weil er die Gottheit der herumziehenden Bettelpriester tragen darf, sich selbst als göttlich vorkommt (324 Halm, vgl. Babrios 128). Wenig- stens die Situation ist übernommen in 37 {eycb juev 6 d^EocpoQYjxog lojdfujv). Von der elenden Lage solcher Bettelmönche berichten außerdem Babrios 126 und Phaedrus IV 1, Neben fab. Aesop. 331 Halm wird bei Babrios 131 in aus- führlicherer Darstellung von einem Esel erzählt, der, einen Hund nachahmend, seinen Herrn zu liebkosen versucht; aber dieser wird erschreckt durch die tölpelhaften brutalen Schmeicheleien und läßt den unglücklichen Esel durch seine Diener aus dem Speisesaal peit- schen. Besonders die babrianische Fassung (vgl. vor allem die Verse 13 — 16) stimmt mit der Episode im pseudolukianischen "Ovog 37 stark überein. Eine mittelalterliche Replik, deren Quelle ich aller- dings nicht aufzuweisen vermag, hat auch noch das im Aovxiog sich findende Motiv erhalten, wonach der Esel für tollwütig ge- halten wird (Gesta Roman. 79 S. 396 Oesterley: servi hoc videntes credehant asinum in furia conversum, acceperunt eum et egrcgie verhernverunt et sie ad stahidum rcduxerunt eum). Wenn die Lukiosepisode wirklich aus dieser selbständigen Ge- schichte genommen wurde, so findet vielleicht auch eine Contro- verse, die sich an jene Stelle im AovKiog knüpft, ihre Erklärimg. V. Arnim (Wien. Stud. XXII 157) hält nämlich gegen Bürger (De Lucio Patrensi p. 17) daran fest, daß zu Beginn von Cap. 41 keine Lücke anzunehmen sei, daß also die Erprobung der Vernunft des Esels , wie sie bei Apuleius (Met. IX 1 ff.) am folgenden Tag vor- genommen werde, ein Zusatz des Apuleius sei. Möglich ist diese Annahme, wenn man überlegt, daß diese Verstandesprobe in der selbständigen Fabel sich nicht fand, da sie ja hier nicht nötig war, und daß der erste Compilator der Eselgeschichte eben nur die Fabel übernahm, ohne daß ihm jener Zusatz nötig geschienen hätte. Unzweifelhaft scheint mir eine weitere von Wendland (a. a. 0. ZUM AOYKrOS H ONOI 259 p. 17) nachgewiesene Entlehnung. Bei Luc. 41 stehlen die Bettel - mönche aus einem Tempel einen Becher, der nachher auf dem Weg von den sie verfolgenden Bauern in ihrem Gepäck vs^iedei- aufgefunden wird. Das ist sicher eine Reminiscenz an jene Ge- schichte^), die am bekanntesten ist in der mit Joseph in Ägypten verbundenen Version des A. T. (I. Mos. 44), die aber auch in grie- chischer Literatur vorkommt und an die Namen verschiedener Männer, vor allem des Äsop geknüpft ist. Der Schluß von Gap. 42 des pseudolukianischen "Ovog macht auf den Unbefangenen ganz den Eindruck, als ob die Reflexionen des in die Mühle gespannten Esels aus einem Sprichwort oder einer Fabel stammen. Trotzdem es nicht gelingen will, etwas genau Übereinstimmendes nachzuweisen, zeigen doch die beiden äsopischen Fabeln 174a und b Halm, daß die Vermutung eine richtige war, indem die Figur des nach einem tatenreichen Leben in der Mühle melancholischen Gedanken nachhängenden Pferdes wirklich ge- prägt war. In der Schilderung der Situation stimmt ferner Luc. 43 sehr gut überein mit der äsopischen Fabel 329 Halm. Es handelt sich in beiden Fällen um den Esel beim armen Gemüsegärtner, der vor Hunger fast umkommt. Luc. 45 spricht der Verfasser selbst den Zusammenhang seiner Geschichte, die er eben erzählte, mit einem Sprichwort (e^ övov naQaxvi^'Ecog) aus. Parallelen dazu sammelte A, Otto, Sprichwörter der Römer s. v. asiniis 8, S. 41. Weniger sicher ist die Vermutung von Wendland (a. a. 0. p. 20), daß auch der Ausdruck asinus in tegidis bei Petron. 63 in den Zusammenhang der gleichen Fabel gehöre. Die Übereinstimmung von Luc. 46 mit der vom Tode des Komikers Philemon (Lucian Macrob. 25. Valer. Max. IX 12 ext. 6) und des Stoikers Chrysipp (Diog. Laert. VII 185) erzählten, als selbstän- diger Organismus auftretenden Geschichte benutzte Wendland (a. a. 0, p. 20) für den sehr gewagten Nachweis, daß nicht einmal Lukios von Patrai der erste war, die Eselsabenteuer zusammenzustellen; denn, so argumentirt er, die Episode kann nur aus den gesamten Abenteuern in die Viten, aber nicht umgekehrt gewandert sein. Uns genügt es, daß die Übereinstimmung von Luc. 46 mit einer im Volke verbreiteten Erzählung nachgewiesen ist. Ein Überblick über dieses — wie ich wohl weiß — noch längst 1) Literatur über das Motiv bei Wendland, De fabellis antiquis p. 17 n. 2. 17- 260 H. WERNER nicht vollstcändige Material zeigt sofort, welche Fülle von Motiven der Verfasser der Eselsabenteuer den herrenlos von Mund zu Mund gehenden Schwänken des Volkes zu verdanken hat. Ich stehe darum auch nicht an, eine Reihe von Episoden, deren Ursprung wir nicht mehr nachweisen können, auf derartige Volksgeschichten zurück- zuführen. Um nur ein Beispiel anzuführen, so stammen sicher sämtliche drei Erlebnisse des Esels bei den Galli c. 38 u. 39 ^) aus volkstümlichen Spotterzählungen über die Bettelmönche. Als zweites Ergebnis geht aus der Betrachtung des vorgelegten Materials eine genauere Einsicht in die Technik der Erzählung bei unserm Autor hervor. In gewissen Teilen gehört dem Redaktor der Eselsabenteuer nicht viel mehr zu eigen als die Verknüpfung der längst selbständig für sich bestehenden Einzelerzählungen. Im großen ganzen jedoch bedient sich der Redaktor dieser Einzel- vorlagen in sehr kluger Weise, ja sie dienen oft nur dazu, seiner eigenen Phantasie den ersten Impuls zu geben, von wo aus er dann zu ganz freier schöpferischer Ausgestaltung des Gegebenen gelangt. Unbarmherzig wird in der einzelnen Episode das heraus- geschnitten, was, in der selbständigen Erzählung nötig, in der Gesamtheit der Abenteuer nur störend gewirkt hätte. Andrerseits werden Motive, welche die Einzelerzählungen gar nicht oder nur schwach angedeutet haben, vom Verfasser der gesamten Abenteuer neu erfunden oder weiter ausgebaut. Unser Urteil über Lukios von Patrai oder wer sonst die Esels- abenteuer als erster zusammengefaßt hat, kann nur ein gutes sein; denn er hat es verstanden, aus einer zersplitterten Vielheit von Er- zählungen eine nicht unharmonische Einheit zu bilden. Ja mehr als das! Es kommt eine weitere Beobachtung hinzu, die ein gutes Zeugnis für seine Belesenheit abgibt und zugleich sein Stilgefühl beweist. In der Gattung von Erzählungen, auf die wir soeben die meisten Abenteuer zurückgeführt haben, ist ein derber Ton sehr am Platze, stammen doch alle die Schwanke aus dem Volk. Der ent- sprechende Ton fehlt daher auch weder im pseudolukianischen "Ovo^ noch bei Apuleius. Besonders bei Pseudolukian sind oft ganze Kapitel — von der sprachlichen Färbung ganz abgesehen — in die ärgste Obscönität getaucht, so daß selbst französische Übersetzer sie nicht vollständig zu übertragen wagten (z. B. cap. 9 — 10. 51). Um 1) Luc. c. 38 ist in den Worten xainoxe elg xcöfirjv rivä avrcöv elaßaXöv- zo)v rjixöjv . . , slaäyovai wohl avzä>v als Glossem zu beseitigen. ZUM AOYKIOS H ONO 2 261 so mehr wundern wir uns, wenn in andern Partien, wo derselbe Ton zu erwarten stand, die Obscönitäten vollständig, aber auch voll- ständig fehlen. Das ist in verblüffender Weise der Fall bei der Scene in der Räuberhöhle, wo die gefangene Jungfrau eingebracht wird und wo die Räuber über ihr weiteres Schicksal ratschlagen (22. 26). Nun hat bereits Bürger (Programm S. 21 f.) gezeigt, wo die Vorlage dieser Räuberepisode zu suchen ist. Und wenn er auch in seinen Folgerungen zu weit gegangen ist, indem er den gesamten Esel„roman" auf die gleiche Quelle zurückführen wollte, so bleibt doch dies bestehen: die lUiuberepisode der Lukios- abenteuer hat ihr Vorbild nirgends anders als im ernsthaften Liebesroman, speciell in einer Schilderung, der Xenophon von Ephesos in den 'Ecpeoiayd (IV 6) sehr nahe kommt. Diese Episode hat der Verfasser der Lukiosgeschichten seiner Darstellung einver- leibt und dabei das Verfahren beobachtet, die Sprache zu vulgari- siren, damit sie mit den übrigen Scenen stilistisch im Einklang stünde, die Stimmung im ganzen jedoch unverändert zu lassen. Davon ist nirgends etwas zu bemerken, daß der ernsthafte Roman etwa gar parodirt werden soll, wie Bürger (a. a. 0. S. 21) meint. Es liegt vielmehr ganz einfach eine stoffliche Entlehnung vor. Der Verfasser des "Ovog nahm seine Stoffe, wo er sie fand, und fügte sie seiner Schrift ein, ohne die Stimmung der Vorlage zu ver- ändern. Eine gewisse äußere Vulgarisirung genügte ihm für die Einheitlichkeit seines Werkes. Zürich. HANS WERNER. STUDIEN ZU DEN ALTEREN GRIECHISCHEN ELEGIKERN. (S. oben S. Iff.) II. Z u M i m n e r m o s. Das neuerdings mehrfach besprochene frg. 9 des Mimnermos steht am Schlüsse der allgemeinen geographisch - historischen Ein- leitung des Strabonkapitels über lonien (XIV 1, 2 — 4), und zwar in dem angehängten Paragraphen über die lonisirung Smyrnas, dessen Quellenverhältnis meines Wissens noch nicht erkannt ist. Strabon hat hier, wie ja häufig, in seine Hauptquelle Notizen aus einer zweiten eingeschoben, wobei er so wenig sorgfältig verfuhr, daß man nicht ohne einen Schein von Recht zu der Anschauung gelangen konnte, es seien diese vielfach am Schlüsse eines Abschnittes stehenden, oft aus Dichtercitaten bestehenden Zusätze gar nicht sein Eigentum, sondern Randnotizen eines gelehrten Lesers, während andere mit Annahme von Gorruptelen des Strabontextes zu helfen suchten, womit derartige Schwierigkeiten kaum je zu heben waren. Ich setze den § 4 her ; die Zusätze aus der Nebenquelle sind petit gedruckt und eingerückt: 1 avrai juev dcodey.a 'Icovixal noXeig. TiQOOElrjcpdr] de ygövoig voxEQov y.al HfjiVQva, elg t6 'lojviy.ov evayayövrcov 'Ecpeoicov. rjoav yäo avtdig ovvoiy.oi ro Jia?.ai6v, yp'iy.a xai Sj-ivova ixaleixo i) "Ecpsoo? ' xai KaXlivög utov (2 Bgk.) 5 uvrcog i TiQog Aia ).6ycoi' Sf-ivQvaiovg i?Jt]oov xal Tiähv • /iivfjaai d' si xote toi /tojgia y.af.a ßocöv 10 {Zf-ivgraToi xaxExrjm'Y). SfivQva 6' i)v 'jfiaQcov ?) xaTaa^ovaa zt/v ^'E(feaov, a.ix6[XEda, 35 sg S" EQarrjv KoXocpwva ßirjv vtieqojiXov UyovxEg st,6iiE{y , dgya^Jrjg vßgiog i'jyE/uövEg, xeT'&ev i" diaar/jEVTog äjioQvv/itEyoi TroxaiioTo d^Ecöv ßov}S}i 2/uvQvtjv El'?Mfj,Ev AtoXiÖa. Man pflegt nun die ganze ionische Vorgeschichte jetzt auf Artemidoros von Ephesos zurückzuführen ^); und gewiß mit Recht. Ihm gehört also auch der Hauptbericht in unserm Paragraphen, der ja seine Herkunft deutlich genug durch das Bestreben verrät, Smyrna als Tochterstadt von Ephesos zu erweisen. Das liegt in der gleichen Richtung wie die betonte Vorrangsstellung von Ephesos in 1, 3, ist aber sachlich noch weniger begründet. Denn auch wenn die auf den in Ephesos vorkommenden Namen ^jLwgva ^) ge- stützten Ansprüche von Ephesos älter sein sollten, so ist doch die Version, die Artemidor hier gibt, die Annahme einer uralten ephe- sischen Gründung Smyrnas vor der anerkannten aeolischen, sicherlich jung. Die Verdoppelung der lonisirung in der Folge Leleger — 1) S. zuletzt Daebritz, De Artemidoro, Diss. Leipzig 1905 p. 36f. 2) S. noch Stepli. Byz. s. "EqpEoog" eKalEiio dk xal Säi-ioQva; Hesycli. s. Aif.iovia und Zafj.ovia; Plin. N. H. V 115. 264 F. JACOBY ephesisches Altsmyrna — aeolische Okkupation — kolophonisches Smyrna stellt sich als ein Compromiß dar, das mit dem feststehen- den Verhältnis zwischen Kolophon und Smyrna^) als mit einer ge- gebenen Tatsache rechnet 2). Von dem Hauptbericht sondert sich ohne weiteres die zweite Einlage, das angehängte Citat aus Mimnermos, das immer Anstoß erregt hat ^). Daß der Text Strabons in Ordnung ist, hat Wilamo- witz^^) freilich gezeigt, nachdem Niese die Überlieferung festgestellt hatte ^). Aber inhaltlich widerstreiten die Verse von der 2!f.u'ovi] 1) Herodot. I 16 2!/iivQi't]v zip' äno KoXocpön-og xnoßeTaav. I 150. Pausan. VII 5, 1. Vgl. noch Paus. VII 3, 4 und Wilamowitz, Sber. Berl. Ak. 1906 S. 52, 2. Das Datum, das Paus. V 8, 7 gibt — xqiti]i Sh dlvfuiiddi xai slxootfji :^vyiiiig aß).a oiTiidoaav ' 'Oyofiaarog de IvIhijoev ex 2fivQvt]; ovvzskovatjs }]8t] T7]vixavza ig "Icovag — ist, wie der Wortlaut und die Formulirung als terniinus post quem in Übereinstimmung mit der Umgebung, in der es sich findet, lehren, ein Schluß des Pausanias aus seiner Olympioniken- liste. In ihr war Onomastos, ein bekannter Mann, von dem die Regeln über den Faustkampf herrührten (Eusebius, Die Chronik S. 91 Karst), als "Icov and üfivgvtjg bezeichnet. Solehe Heimatsangaben hat die Liste des Africanus noch gelegentlich bewahrt: Ol. 132 'der Aetolier aus Am- phissa'; Ol. 158 'der Lesbier aus Antissa'. Verschieden davon sind die Zusätze bei homonymen Städten: Ol. 144 'der Salaminier von der Insel Kypros'; Ol. 186 'der Alexandrier aus Troas'. Das meiste ist fortgefallen. Ob es ein genaues Datum überhaupt gab, bleibt fraglich; für Pausanias war es jedenfalls nicht bequem zu finden. Ich schließe aber daraus, daß die Aufnahme Smymas in den ionischen Bund vor 688 erfolgt ist. Wie lange Zeit nach der Einnahme durch die (pvyddeg zwv Kolorpcorlcov (Herod. I 150) sie erfolgte, sagt Pausanias VII 5, 1 nicht. 2) Ein anderer, wohl gleichfalls später Versuch , den ursprünglich ionischen Charakter Smymas zu erweisen, ist seine Anknüpfung an den Athener Theseus (vgl. Rohde, Kl. Sehr. I 12f.). Ein Theseus ist der Stadtgründer auch in der Herodoteischen Homervita § 2, aber zwv zrjv Kv/iit]v xtiodvzcov Iv xoXg jiQonotg OeaaaXöiv ano Eifit'jXov zov ^Jd^rjzov, der die Stadt nach seiner Gattin nennt. Die Nachricht dürfte Wilamowitz, Die Ilias und Homer 420 (s. auch Karl Otfried Mueller, Gesch. d. gr. Lit.* I 69, 4) richtiger gewertet haben, als Rohde a. 0. 14. Hier hat man ein- fach die Homonymie benutzt, um die echte Tradition durch den be- kannten Namen zu verdrängen. Ich bezweifle, daß einer dieser Versuche, die Aeoler ins Unrecht zu setzen, älter ist als die Neugründung Smymas in der frühhellenistischen Zeit. 3) Kramer hielt nur die Verse für Randnotiz, "^cum parum quadrent ad ea quae Strabo ipse tradiderat in proximis^. 4) Sappho u. Simonides S. 282 f. 5) Ind. lect. Marburg. 1878 S. XII. F hat in^ehe, C aL-rvrs; »'jf/eTg ist zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 265 ÄloXig doch so ollenkundig der geschlossenen Beweisführung von dem ursprünghch ionischen Charakter der Stadt, daß Artemidor sie unmöghch citirt haben kann. Also ist das ein Zusatz, den Strabon an die ursprünglichen deutlichen Schlußworte des Beweises t>)v ocpere- gav aneXaßov gehängt hat und der sich allein auf das Verhältnis von Kolophon und Smyrna bezieht. Der Autor, dem er den Beleg ent- nahm, kannte gewiß nur die kolophonische lonisirung Smyrnas. Nicht so augenfällig und beim oberflächlichen Lesen kaum an- stößig ist der erste Zusatz. Aber auch er zerreißt den geschlossenen Zusammenhang des Beweises, daß Smyrna eine alte ephesische Gründung ist. Die These des ganzen Anhanges lautet, daß die Smyrnaeer gvvoixoi t6 TiaXaiov der Ephesier waren ; und sie wird ganz sachgemäß durch den Nachweis begründet, der sich auf ein sorgfältig interpretirtes Citat aus dem ephesischen Lokaldichter Hip- ponax stützt, daß ein Teil von Altephesos Zf.ivQva geheißen habe. Das war natürlich der Stadtteil, wo die späteren Smyrnaeer ursprüng- lich gewohnt hatten. Der Satz, der diesen Nachweis einleitet, xal TOJtog de m; T>)g 'Ecpeoov ^/.ivQva ey.aXeXzo schließt grammatisch gut an die These selbst an, und er ist mit Bücksicht auf sie formu- lirt. Dadurch erweist er sich als zum Hauptbericht gehörig. Man constatirt daher gern die wiederholten Berufungen auf den gegen- wärtigen Zustand von Ephesos, ohne daß man daraus allein Arte- midoros als Autor behaupten würde. Nicht die gleiche Bücksicht auf die These zeigt nun die weitere, zwischen den genannten Sätzen stehende Erörterung. Die zweite, an sich als Beweis für ein zwischen Ephesos und Smyrna bestehendes Verhältnis ebenfalls wohl geeignete, mit Gitaten aus Kallinos belegte Feststellung rjvixa xal 2juvQva exaleho f] "Eq)soog ist nicht als Glied einer Beweiskette formulirt, sondern ist eine These für sich, die hier als Zeitangabe an die Hauptthese gehängt wird. Das klingt nicht nur sonderbar; es widersprechen sich auf diese Weise die beiden Sätze fjvixa xal SjuLVQva exakeiro y "Ecpeoog und xal ronog de rig rtjg 'Ecpe- eine Vermutung Xylanders und scheint überhaupt ohne handschriftliche Gewähr. Daraufhin hat Hiller aL-rsTdr ts gegeben, was jetzt zur Vulgata geworden ist, obwohl schon Hoftmann, Gr. Dial. III 1 S. 123 Belege für das temporale L-rsirs aus ionischer Literatur gab. Er schlug avzäg ejtsize oder ai.-rvv ejceire vor. In V. 1 ist IJvÄov überflüssige Änderung Bergks nach Od. y 485 IJvkov aiJiv TiroXis^Qov. In V. h sind so viele Möglichkeiten, dafs man besser keine in den Test setzt. 266 F. JACOBY oov ZjxvQva txalelTO geradezu. Also haben wir es auch hier mit einem Einschub Strabons zu tun; und dieser Einschub stammt offensichthch nicht aus einer Erörterung über das Verhältnis von Smyrna zu Ephesos, sondern aus einer solchen über die alte Ge- schichte und die Namen von Ephesos. Die ganze Stadt hieß ur- sprünglich auch HfxvQva; 2!juvgvaIoi und "Ecpeoioi sind identisch, nicht jene ein Teil von diesen. Ausdrücklich heißt es jovvojua xai roTg ävd^Qcojioig y.al rrji nöXei. Der alte, später verschwundene Name wird von der stadtgründenden Amazone abgeleitet ^), und für die alte Amazonenherrschafl wird als Beleg noch ein weiterer Name genannt, der nun nicht die ganze Stadt, sondern nur eines ihrer Quartiere deckt-). Das hätte Artemidor gut als Analogie für seine Behauptung, daß die 2^^uvQvaioi ursprünglich ein jLieoog xfjg 'Ecpe- oov gewesen wären, verwerten können. Nötig für seinen Beweis war es nicht ; und wenn er es nicht verwertet hat , so war das wohl Absicht. Seinem ausgesprochenen Lokaipatriotismus mag die Feststellung, daß ganz Ephesos einst auch Smyrna hieß, nicht gelegen gekommen sein. Ließ sie doch schließlich sogar eine umgekehrte Deutung des Verhältnisses zwischen beiden Städten zu. Wie der zweite, von Strabon benutzte Autor die Gleichnamigkeit von Smyrna und Altephesos erklärte, wissen wir nicht. Es können bei ihm beide Tatsachen mit ihren Belegen aus Kallinos und Hipponax — Smyrna Name von ganz Ephesos und eines Quartiers — gestanden haben '^). Dann entnahm ihm Artemidor nur die eine, ihm besser passende. Er kann aber auch die Hipponaxverse, falls er sie kannte, als weiteren Beleg neben Kallinos für den alten Namen Smyrna 1) In diesem Zusammenhang kami eine Ableitung auch des Namens "E qöov 'QxEavdto vr]vz, dnb ö' Xkezo HVfia daldaorjg evqvjiÖqoio rfjaov t' Aiaü]v . . . vqa juev evif ik&övzsg Ixskao^iEv iy tfa^iddoioiv. Das ändert sachlich nicht viel; nur daß man dann Strabons nsgiixdxrizog dsi nicht als Wiedergabe des Vordersatzes, sondern als kurze Inhaltsangabe des ganzen Gedichtes ansehen müßte. 268 F. JACOBY I 150 uns aufbewahrt hat ^). Es liegt in dieser Richtung, daß er, wenn anders der durch Strabon gebotene Zusammenhang der Verse richtig ist, woran wir zu zweifeln keinen Grund haben, den Vorgang offenbar absichtlich in eine ferne Vergangenheit rückt, ihn eng verbindet mit der ersten Festsetzung der kolophonischen Ansiedler in Asien. Der Dichter ist ein Mann, der ein starkes Stammesgefühl besitzt, einen lokalen Patriotismus. Er fühlt sich mit Stolz als lonier und Nachkomme der Pylischen Auswanderer. Um so auf- fälliger wirkt demgegenüber die Art, wie er das Verfahren dieser Auswanderer charakterisirt. Sie besetzen Kolophon ßh]v vjieqotiXov e'xovTeg als ägyakhjg vßgiog '^yejuoveg. 'Ein übles Gompliment*, sagt Wilamowitz von diesem zweiten Ausdruck; 'denn wer denkt nicht sofort an Theognis 1103 vßgig xal MdyvrjTag aTiuiXeoe xal KoXocpcbva xal ZixvQvrjv", und mit feinem Gefühl hat er em- pfunden, daß sie einer Zeit angehören müssen, 'die Rückschläge er- fahren hatte', daß es die Worte eines Mannes sind, der 'einen Schaden der Gegenwart aus den Sünden der Väter herleitet'. Dann aber geht seine Erklärung in die Irre. 'Wird nicht' — so fragt er — 'wer an die jQvcprj der Kolophonier denkt, die Xenophanes schildert, und an die Oligarchie der 1000, die Aristoteles beschreibt, in diesen Worten die Stimmung eines Mannes aus dem Volke finden, der den Adel seiner Zeit, der ihn drückt, mit der Gharakte- risirung der Ahnen treffen will'?' Die Verse sollen uns lehren, 'wie der Kolophonier über die Aristokratie dachte, die zwar ihre Macht rücksichtslos zu genießen, aber dem Lyder gegenüber das Feld nicht zu behaupten verstand und Smyrna zugrunde gehen ließ'. Der Streit, ob Mimnermos Kolophonier oder Smyrnaeer war, ist bekannt^). Bekannt sollte auch sein, daß die äußeren Zeugnisse, die im ganzen mehr für Kolophon sprechen, in dieser Frage nicht 1) Man tut niclit gut, diesen Bericht einfach als historisch richtig zu unterstellen. Es ist oifenbar über Recht und Unrecht der Sache wie über die Salamisfrage u. ä. hin und her gestritten wordeu. Die Behauptung der ursprünglich ionischen Ansiedelung ist auch nur ein Argument in j der Diskussion. 2) Die Entscheidung für die erstere Heimat ist jetzt ziemlich allein herrschend (Bergk, Gr. Lit.- Gesch. IT 259. Christ- Schmid, Gesch. d. gr. Lit.« I 172, V. Wilamowitz a. 0. Lübkers Reallex. » s.v.). Das richtige sagte Otfr, Mueller a. 0. 70 'Mimnermos stammte von diesen Kolophoniem, die sich zu Smyrna niedergelassen hatten (frg. 9).' Ebenso E. Meyer, G. d.A. II §891A. 1 zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 260 entscheiden können. In Betracht kommt in erster Linie die Auf- zählung im ßioq des Mimnermos bei Suidas : Kolocponnog i) Z/xvq- vaiog i] ' ÄoTVJiaXaievg ^). Daneben die Erwähnungen bei Strab. XIV 1, 28 ärdoeg 6' eyevovro KoXocpdiVLOi tcüv fxvr}^ovEVO[XEVO)v Mi/uvegaog . . und Prokl. Chrestom. Phot. bibl. 239 p. 319 b 6 Uyei de xal ägiOTSvoai tcüi /lutocoi KaXXivov rt rov ' Ecptaiov xal Mlu- veQfioy Tov KoXocp(DVio%' . Möghch, ja wahrscheinlich, aber keines- wegs zu beweisen ist, daß auch Hermesianax (Athen. XIII 597 F V. 37 ff.) den Dichter für Kolophon in Anspruch nahm; und kein Zweifel, daß Nikandros ihn ev rcöi negl xcbv ix KoXo(pa)vog Jtoii]ra)v nannte. Die Zahl spricht also für Kolophon. Aber das berechtigt noch nicht, von 'geltender Lehre der alexandrinischen Grammatik^ zu sprechen; höchstens von der bevorzugten Ansicht. Und diese Be- vorzugung kann sich leicht daraus erklären, daß Kolophon eine Tradi- tion hatte, die ungebrochen bis in die hellenistische Zeit dauerte, während Smyrna tot war, und daß, wenn eine Annexion des Dichters durch Kolophon erfolgt ist, dies sicherlich vor der Zeit der alexandrinischen Biographie geschehen ist. Sie stützte sich natürlich auf die Gedichte. Es bedarf gar nicht der an sich möglichen Annahme, daß Mimner- mos sich nach Smyrnas Vernichtung nach Kolophon gerettet hat (s. u. S. 278). Wer die Interpretationsweise der älteren Literaturgeschichte kennt, wird nicht bezweifeln, daß sie aus dem Satze 'wir haben uns in Kolophon niedergelassen und Smyrna genommen' kolophonische Abkunft ohne weiteres herauslesen konnte, wenn ihr aus irgend- welchen Gründen daran lag. Es war das um so leichter, als Mim- nermos' Dichtungen auch sonst Beziehungen zu Kolophon verrieten. Er hat den Gründer der Stadt genannt (frg. 10). Sehr möglich, daß er manches für Kolophon gedichtet hat , daß er sich noch deutlicher, als in frg. 9, auf seine Abkunft von den kolophonischen Ansiedlern Smyrnas berief. Alles das beweist aber nicht das geringste für den Geburtsort , wenn die Gedichte bei unvorein- genommener Interpretation für Smyrna sprechen. Wenn weiter der Stein, der das yvjuvdoiov MifxvEQfxeiov erwähnt (GIG II 3876), wirklich aus Smyrna stammt, so kann man ja zur Not sagen, daß "^in 1) Dies letztere versucht Heinemann, Stud. Solonea, Diss. Berlin 1897 sent. contr. 2 durch Verweis auf ri}v jralaiäv Sfivgvm' Strab. XIV 1, 4 zu erklären. Wohl möglich. Aus den Gedichten selbst wird auch diese Heimat irgendwie genommen sein. Man braucht aber nicht allein an frg. 9 zu denken, das allerdings Kolophon und Smyrna liefern konnte. 270 F. JACOBY der Kaiserzeit Smyrna, die Großstadt, einen berühmten Kolophonier annektirte, weil Kolophon ganz verkommen war'; aber die natürliche Annahme ist doch erst einmal die umgekehrte, daß das wieder- aufgeblühte Smyrna sich — und schwerlich erst in der Kaiser- zeit — auf seine großen Söhne , deren es aus alter Zeit nicht gar viele hatte, besann und den von Kolophon annektirten Mimnermos zurückforderte, wie Halikarnaß den Herodot ^). Alle diese Judicien, die historischen und literarischen Möglichkeiten, sind doppelt zu verwenden, lassen sich erklären, wenn Smyrna den Kolophonier und wenn Kolophon den Smyrnaeer annektirt hatte. Entscheiden kann allein die Interpretation der erhaltenen Verse. Geben sie eine un- zweideutige Antwort, so haben sich die äußeren Zeugnisse zu fügen und die Erwägungen über Möglichkeiten haben zu schweigen. Und sie geben eine unzweideutige Antwort, ich will kein großes Gewicht darauf legen, daß ein hochberühmtes Gedicht des Mimnermos die alten Waffentaten der Smyrnaeer, ihren Sieg über Gyges und seine Lyder verherrlichte (s. u. S. 296f.); daß vielleicht ein anderes einen Smyr- naeer, der sich auch in den Lyderkämpfen ausgezeichnet hatte, in Schutz nahm gegen üble Nachrede (s.u. S. 287 ff.). Ganz ohne Bedeutung ist auch dies nicht; und es ist in keinem Falle eine glückliche Analogie, wenn man fragt 'ist Archilochos nicht aus Faros , weil er sagt : y.Xaicj xä Qaoioov, ov rd Mayv^rcov naxd?^ Archilochos hat diese Verse doch wohl nicht in Faros, sondern eben in Thasos gesprochen ; und mindestens ganz besondere persönliche Beziehungen des Mim- nermos zu Smyrna müßten wir immer annehmen ; Beziehungen, die über eine etwaige Waffenhilfe Kolophons für die Tochterstadt hinausgehen. Aber wir brauchen das nicht. Denn unser Bruchstück allein zeigt unwiderleglich, daß sein Sprecher — und Sprecher und Dichter dürften, wie in der Elegie so gut wie ausschließlich, so sicher- lich hier eine Ferson sein — ein Smyrnaeer ist. Oder kann ein Kolophonier in Kolophon von Kolophon sagen xeldev äTioovvjuevoi? Die Frage stellen heißt sie verneinen. Es bedarf nicht des Hinweises auf gleiche und ähnliche Anwendungen der Formel; 1) Aus dem Sdiweigen des Aristides würde ich nicht wagen, irgend etwas zu schließen. Und ganz ablehnen muß ich das Argument, daß Mimnermos' 'Elegie nicht auf dem ursprünglich aeolisehen Boden von Smyrna wachsen konnte'. Smyrna war seit fast oder mehr als einem Jahrhundert ionisch. Wie sollte es nicht einen ionischen Elegiker haben hervorbringen können? zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 271 et heöv jiie coqoev äva^ Aiög vlog ujioqvvjusvov ÄvyM]'&EV sagt Pandaros im troischen Gefilde (II. £"104); l'v&ev aTzoovvjLievai . . evvvxiai oreTyov Hesiod. Theog. 9 von den Musen, die den Helikon verlassen; evOev äjioQvvjuevai xovgai Aiög . . ■))deUT7]v xil. sagt Homer (epigr. 4,8), der von Smyrna gekommen ist, in Kyme; l:v§ev (von Delos) djroQvvjuevog näai '&}n]ToTon' ävuooEig der Dichter des Hymnos auf den Delischen Apoll (v. 29). Endlich in gleichem Zusammenhang wie Mimnermos Pindar Pyth. I 65 l'oyov ö' 'A/wx- Xag öXßioi. IJivdo&ev OQvvfxevoi ^). Man erkennt diesen formel- haften Charakter der Worte gut, wenn man die freiere Gestaltung in dem Bruchstück der Tyrtaiischen Eunomie (frg. 2 Bgk.) vergleicht, von dem in Beziehung auf unsere Verse noch die Rede sein wird. Wilamowitz allerdings behauptet, daß 'jedes natürliche Verständnis"* den kolophonischen Sprecher erschließen müsse aus dem 'ganz unzweideutigen Gegensatz von s^ofisda und eUojiiev^. Ich muß gestehen, daß ich diesen Gegensatz überhaupt nicht finden kann. Jedes natürliche Verständnis wird zunächst die drei Verben ärpixo- f,ie^a — e'Q6f,ie§a — eilofiev als drei parallel stehende Aoriste fassen 2). Und das mit Recht. Es bedarf nicht der Fickschen Gonjec- tur elCojuE^a; hier auch nicht der sprachwissenschaftlichen Diskussion über die Form eCojLujv und über das Verhältnis der Stämme iC - und sC-; es genügt die empirisch beobachtete und seit Buttmann ^) anerkannte Tatsache, daß mit vielleicht einer Ausnahme *) e'Ceod^ai im Epos und überhaupt in der älteren Literatur aoristische Bedeutung hat. Sie kommt unzählige Male vor; oft an gleicher Versstelle und einmal auch in der gleichen Person wie hier: 11.^48 e^sr' sjzsit' äjidvsvße vemv, juerd d' Ibv ei]xe; 0(\. x 63 eWovreg d^ 1) Prosaisch heifst das ey. ravzijg, Evzsrßsv 6Q/.id)fieroi. Sehr häufig; z. B. Herod. V 125 ejisixa ex ravnjg ogftcöfisvov xarsXsvaeo&ai ig rrjv Mü.rjxov. 2) Ich nehme an, daß Wilamowitz, wie auch seine Paraphrase 'wir, die Auswanderer von Pylos, die nun in Kolophon sitzen' andeutet, einen sprachlichen Gegensatz meint. Ein sachlicher zwischen si^eoßai und elsTv ist ja auch durch das dritte Verbum ausgeschlossen. 3) Ausführt, griech. Spracht. II ^ 202. 4) Od. X 378 Ticp&' ovxmg, 'Odvaev , xax' aq k'^eai; Die Stelle spielt in allen Grammatiken eine Rolle. Vielfach hat man e^eo geschrieben. Doch siehe Delbrück, Vergleich. Syntax II 96; vergl. auch Leaf zu II. N 285. Nicht in Betracht kommt hier, daß in späterer Literatur ein praesentisches e^oi^ml aufgekommen zu sein scheint. Es ist von sCoßtjy gebildet, setzt dieses voraus. 272 F. JACOB Y ig dcüjua nagä oxad j^ioioiv in' ovdov eCojueda. Daß für Mim- nermos die gleiche Bedeutung anzusetzen ist, ist gar nicht zu be- zweifeln. Wird es doch zum Überfluß hier noch bestätigt durch den Accusativ des Zieles oder der Richtung ig ö' ioaxijv Kokocpöjva, dessen Eigenart zuerst Bach notirte und mit der Annahme einer Ellipse 'quasi siqjplcndiim sit sig KoAocfcova äcfixotiEvoi erklären wollte, während Wilamowitz' Paraphrase darüber hinweggleitet. Wenn es im Zusammenhang der Verse überhaupt eines Beweises bedarf, so gibt ihn dieser Accusativ : nicht von einem in die Gegenwart fortdauernden Zustande spricht der Dichter mit iCo/us^a, sondern, wie im Epos, von der augenblicklichen Handlung des Niedersitzens , von einem einmaligen Ereignis der Vergangenheit. 'Wir setzten uns nach Kolophon hinein" — das ist ein Stadium auf dem Wege, der die Pylier nach Smyrna führt; und nicht absichts- los ist es, daß der Dichter das Ende des Weges, die letzte Station, in der Form selbständig gestaltet hat. Denn darauf will er hinaus. Mit der Feststellung, daß nur ein Smyrnaeer diese Verse sprechen konnte, fällt die Haupt- und einzige Stütze von Wilamo- witz' Auffassung, die im Grunde wohl auch nur auf seiner Inter- pretation des frg. 14 beruht, auf der Bergkschen Conjectur h]dn' im V. 9. Denn von frg. 9 aus wäre er schwerlich auf sie ge- kommen. Nichts im Texte dieser Verse deutet auf eine Stimmung und einen Gegensatz , wie er ihn findet. Aber auch zwischen den Zeilen kann man ihn nicht lesen. Das verbietet die Form. Wollte Mimnermos die herrschende Aristokratie tadeln, so konnte er die direkte Anrede brauchen — l^iiy.Qt? ^£i' y.ardxeio&e ; — oder er konnte erzählen, wie Xenophanes (fr. 3), der fern der Heimat mit Bitterkeit sich erinnerte, wie die herrschende Bürgerschaft ihr Geschick selbst verschuldet hatte — äßgoGvvag öe jua&dvzeg ävco- cfE/Jag jiaoä Avöcov . . . ijEoav elg dyoo/p'. Er konnte den Gegensatz zwischen dem besitzenden Stande und den unterdrückten Volksschichten, zwischen drjfxov rjyejuövsg und d)]/j,örai, geradezu aussprechen , sei es in Anrede — vjueTg d' fiovydoavreg . . iv jUETOioioi TiÜEode juiyav vöov ovxe yäo i)f.i£7g . . ovd^' vfxiv (Solen ^Äd. 71. 5, 3) — oder im Bericht — äorol juev yäg id^ oTöe oa6(poo- veg, fjyefioveg dk XErgäcparai tioDJjv ig y.ay.oxr^ja tieoeXv (Theogn. 41 f.; vergl. Solon 4). Aber unmöglich konnte er, wenn er den Adel von Urzeit her bescheiten will, sich selbst so mit einschließen, wie er es tut 'wir sind von Pylos nach Asien gefahren, wir haben zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 273 uns in Kolophon festgesetzt, wir haben Smyrna erobert*. Mag im Verlaufe des Gedichtes ein Gegensatz aufgestelU worden sein zwischen Vergangenheit und Gegenwart — wir kr»nnen das nicht behaupten und nicht leugnen — , es kann dann nur der Vergleich zwischen dem ganzen Volke der Auswanderer und. sei es dem ganzen Volke, sei es — das will ich als möglich unterstellen — dem herrschenden Stande der eigenen Zeit gezogen sein. Was der Dichter aber von den Vorfahren sagt, das trifft unmöglich nur die öi'jfwv {jye/ioveg, das trifft die Gesamtheit der Ansiedler. Sie, nicht der Adel, nicht ihre Führer, haben sich in Kolophon eingelassen als üßgiog yys- fxoveq. Undenkbar, daß der Dichter selbst sich als ein Opfer dieser vßQig fühlt — er müßte denn überhaupt kein Bürger, sondern ein Angehöriger der Unterworfenen, ein Beisasse oder ein Höriger sein. Sonst gibt es hier auch nicht die Andeutung eines Gegensatzes innerhalb der eigenen Gemeinde; ganz abgesehen davon, daß der Dichter ja ein Smyrnaeer ist, die vßQig aber mit der Niederlassung in Kolophon verbunden ist, während die Einnahme von Smyrna Beöw ßoidfji geschah. Wilamowitz will freilich einen Gegensatz finden in der Charakteristik der Vorfahren überhaupt: "^gewaltige Kraft, ßü] vTiegoTrlog, hatten sie; aber sie gingen auch voran auf dem Wege der Zuchtlosigkeit.^ Ich muß auch hier widersprechen. Die beiden Appositionen ßü]v vtieqotiXov E^ovisg und vßgiog dg- ya/Jt]g yyejiioveg umschließen keine Antithese, sondern geben zu- sammen eine einheitliche unfreundliche Charakteristik des Wesens und des daraus entspringenden Verhaltens der Ansiedler: im' Über- maß der Gewalt, die sie besaßen, haben sie angefangen damit, andere zu schädigen, ihnen Unrecht zu tun; deivoi tf xgcxregoi re, ßitp vTTEOojiXov eyovTsg sind die Titanen (Hesiod. Theog, 670), die von den Göttern vernichtet werden vßgiog dvz' öXoiJg xal dra- oßaXujg vjTsgojiXov (Fragm. Orph. 103, 2 Abel). Wohl mag Mimner- mos den etymologischen Zusammenhang des Epithetons mit oTr/la empfunden und an die 'Waffengewalt' der griechischen Ankömmlinge gedacht haben. Aber sicher hat das Wort auch für ihn den tadeln- den Sinn, den es wie alle ähnlichen Zusammensetzungen mit vjieg in der älteren Poesie überhaupt hat^): 11.0185 (P170) oj nojioi, 1) S. die Zusammenstellungen bei Martin Hoffmann, Die ethische Ter- minologie bei Hesiod und den alten Elegikern und lambographen I (Diss. Tübingen 1914) S. 11 ff'. Merkwürdig, wie unzureichend er gerade Mimnermos (II S. 125) behandelt. Frg. 9 erwähnt er nicht einmal, wie Hermes LIII. 18 274 F. JACOBY ?y g dya&og Jieg ecov vtieootiXov eecnsv. A 205 fjig vjteoonUtjioi jd^' äv noxe &vjuöv 6XeGat]i. Hesiod. Th. 516 Eive>c äxao^aXJrjg re xal fjvogerjg vueqotiXov. 618 ff. örjoev xgaxEQcbi evl deojucbi yjvo- QErjv vneQonXov äycöjiiEvog tjÖe xal eldog xal fieyE^og. Schon ßlrj allein ist selten lobend oder anerkennend gemeint und wird es immer weniger, je häufiger das Wort fast wie vßqig den Gegensatz zu öixrj bildet. Das Epitheton aber ist entscheidend für die Auffassung. Der Ausdruck yyEf.i6vEg aber setzt voraus, daß andere da waren, die zurückschlugen. Wer sind diese andern? Wer hatte die ßit] und die vßgig der Einwanderer zu spüren bekommen? Die Aeoler können nicht gemeint sein. Denen hat Kolophon nicht gehört, und Smyrna haben sie durch der Götter Willen verloren. Ist die zweite Hälfte der Charakteristik eine leere Phrase allgemeiner Natur ^) oder eine verstärkende Wiederholung ohne besondere er überhaupt zu Problemeu der Interpretation nur ausnahmsweise Stel- lung nimmt. Wesen und Verhalten der Einwanderer entsprechen dem der Freier in der Odyssee, die angeredet werden als v.-Tsoßiov vßgtv syovreg a 368, 6. 321. Über die Bedeutung von yyefioreg als derer, die mit etwas anfangen, hat wohl niemals ein Zweifel bestanden. Auch Wilamowitz weist auf Theogn. 1081 f. dfdoiya 8k /nr] tExrji ävöga vßQioxrjv, ;yaA£.T?}s tjysfiöva oxäoiog. Sehr häufig auch in Prosa ist die Bedeutung 'Weg- weiser' in übertragenem Sinne; Archeget, wir wir gern sagen. Vergl. z. B. Plat. Rep. X 595 C jtocöto; didäanaXog xal rjyEfio'iv. 1) Man könnte ja die vßgig erklären in Erinnerung an 11. A'' 631 ff, jenen merkwürdigen Stoßseufzer des Menelaos: 'wie kannst du, Vater Zeus, die Troer gewähren lassen, die ävögsg vßgiorai, mv jLiivog aikv dord- aßalov, oi'ös Svvavzai (pvlönidog xoQsaaodai öfiou'ov jio?Jfwio.^ Der Schluß der nicht gerade logisch gedachten Reihe jidvro)v fisv xdgog toxi . . . J'QöJeg 6h fidyjjg dxöoijToi saaiv zeigt , daß der Dichter dieser Verse die unersättliche Freude der Troer am Kampfe als vßoig empfindet. Man hat das mit Recht merkwürdig gefunden, und es läßt sich schwer mit dem Sinne von ösirfjg dxöorjzoc uviijg in der voraufgehenden Scheltrede ver- einigen, wie der ganze Stoßseufzer von dem Charakter dieser Rede selt- sam absticht. Man hat ihn meist für eine Interpolation erklärt (anders Wilamowitz, Die llias 226, 1). Dann gibt er einen hübschen Beleg für den Mangel an eigener Kampfesfreude und damit dann an Verständnis für das heroische Wesen bei einem Rhapsoden, der doch diese Dinge berufs- mäßig immer wieder vortragen mußte. Auch Mimnermos könnte so über den kriegerischen Sinn gedacht haben. Für die Auffassung des ganzen Stückes würde das kaum viel ändern. Aber ■^ysfiövsg spricht für die andere Erklärung. Es liegt kein allgemeiner Tadel vor, der wirklich keinen Sinn hätte, sondern eine bestimmte Beziehung, die den tadelnden Ausdruck rechtfertigt. i zu DEN ÄLTEREN (JRIECH. ELEGIKERN 275 BedeulimgV Schon um der /jysjuoveg willen wird das niemand glauben. Also bleibt nur die Annahme übrig, daß Mimnermos wirklich das Verfahren der Ansiedler gegen die früheren Besitzer von Kolophon, gegen die Ureinwohner des Landes hat treffen wollen ^). Als jirj/ua Kagot (Avöolg) sind die Einwanderer einst gekommen. Dieser Ausdruck der Orakelsprache 2) gibt die Empfin- dung, die der Charakteristik zugrunde liegt, und zeigt zugleich den 1) Soweit hat Immisch, Klares 143 recht, der die rßQic; auf das Verfahren der Pylischen Kolonisten bezieht, freilich auf etwas, worauf in dieser knappen Zusammenfassung wohl nur der moderne Gelehrte ver- fallen konnte, nämlich auf ihren Conflict 'mit der kretisch-karisehen. als hellenisch betrachteten Colonie ; denn von einem Kampfe gegen die Karer allein würde der lonier schwerlich das Wort vßgtg gebrauchen'. Wilamo- witz' Polemik Sapph. u. Sim. 283,1, die Imraisch 'seltsames Mißverständnis' vorwirft, hat diese Erklärung übersehen und wird damit gegenstandslos. Aber gezwungen und künstlich ist die Erklärung von Immisch allerdings, und gerade sein Versuch zeigt, daß man das Problem überhaupt anders, weiter fassen muß. Die vßgig richtete sich nun einmal gegen Barbaren. Um diese Tatsache kommt man nicht herum. Also muß man constatiren, daß diese weichere Zeit die Roheit der alten Colonisationsmethode — näv tÖ ägoev djiexTsivav, yvvaixag ös y.ai ßvyaisgag rag gxeivcov ya/,iovai Pausan. VII 2,5 vergl. Herod. 1 146 — nicht mehr mit der Selbstverständlichkeit aufzufassen vermag, mit der sie einst geübt wurde. Wie anders noch der Dichter, der den Odysseus das Kikonenabenteuer (Od. i 39 fi.) erzählen ließ. Der sah in Mord und Brand, wenn sie gegen Barbaren geübt wurden, keine vßgig, und nur eine Torheit darin, wenn man der Rache der Ge- schädigten nicht schnell genug sich entzog. Es ist ein Fortschritt des ethischen Denkens, der freilich wohl durch äußere Umstände befördert, wenn nicht hervorgerufen ist. 2) Diodor. VIII 22, 3 SaxvQiöv roi f'8(oxa Tdgavxd ze Tilova Sfjf^ov olxfjoai xal nt'jf^im 'lajrvysooi ysvsaßai oder das Verlangen der Neleus- tochter nach dem fisyag avrjg, ög o' iul MlXrjxov y.azd^st 7r»/^ara Kagoi. Der Ausdruck ist gebildet nach II. A'' 454 f. vvv 8' ivd'dds vfjsg sveixav aoi rs xaxov y.ai .TCtrpt xai älXoiai Tgo'jeooiv und B 352 f. (ft]/ul ydg ovv y.arai'svaai vjiegfievsa Kgovicova tjfiazi xwi, oze v»]vaiv sv wxv.-iögoioiv Pßaivov 'AgysToi TgcÖEooc (pövov xal xfjga cpEgovzeg. In der Orakelsprache ist das formel- haft geworden und allmählich wohl nicht mehr in seiner ganzen Be- deutung empfunden worden. Aber vorhanden war diese Bedeutung doch einmal, und der Ausdruck setzt das Verfahren voraus, das in der Wander- zeit an unzähligen Orten gegen die Eingeborenen geübt worden ist und das eben das übliche war, wo es sich nicht um Handels-, sondern um Siedlungscolouien handelte. Es war aber in Mimnermos' Zeit, wo die ersteren überwogen , ja in seinem Gesichtskreis fast allein noch vor- kamen, aus der Übung gekommen. 18* 276 F. JACOBY Wechsel der Anschauung. Der ist allerdings 'ganz besonders merk- würdig', aber in einem ganz andern Sinne, als es Wilamowitz will. Denn mit ihm fällt ein blitzartiges Streiflicht auf die geistige Haltung der lonier oder doch eines Teiles von ihnen um die Wende des siebenten und sechsten Jahrhunderts, auf die Stimmung einer Gesellschaft, als deren Exponenten wir den Mann betrachten dürfen, in dem uns, um einen glücklichen, wenn auch vielleicht nicht ganz zutreffenden Ausdruck von Reitzenstein zu brauchen, *^die ionische Frivo- lität lehrhaft entgegentritt'. Denn mit Frivolität ist des Mimnermos Wesen, wie es uns in den erhaltenen Gedichten entgegentritt, doch wohl nicht ausreichend getroffen. Es zeigt vielmehr jene complicirte Mischung von Stimmungen, wie sie in dem auch nicht nur frivolen apres nous le deluge sich ausspricht, deren Hauptelement ein Gefühl der eigenen Schwäche ist. Man hat den Widerstand aufgegeben und läfst die Dinge treiben ; man sucht sich in Genufs und Erotik bewußt hinwegzutäuschen über drohende Gefahren, über unhebsame, der eigenen Vergangenheit und Stellung unwürdige Zustände der Gegenwart. Wer so empfindet, der mag wohl, weil es die Literatur- gattung oder der Beruf mit sich bringt, noch einmal den Ton des Kampfgedichtes erklingen lassen — wir werden noch zu fragen haben, ob es wirklich geschehen ist. Er mag, sei es auf eigenen Antrieb sei es auf Wunsch und im Interesse eines Parteiführers oder sonstigen Machthabers, seine Dichterkraft auch einmal in den Dienst der Politik stellen und in Erinnerung an die grofae Ver- gangenheit der Heimat das Volk zu neuer kriegerischer Anstrengung aufrufen. Tut er es, so ist der Ton doch nicht mehr rein. Wider Willen vielleicht des Dichters schleicht sich ein fremdes Element hinein. Ihm fehlt die naive Selbstverständlichkeit, mit der ein Kallinos, ein Solon und Tyrtaios von dem Rechte ihrer Stadt über- zeugt sind , mät der die Orakel den Goloniegründer auffordern , in die Fremde zu ziehen und Schrecken und Verwüstung ins Land der Barbaren zu tragen. Ihm fehlt die Zuversicht, dafs er zu einem auserwählten Volke gehört, dem die stadtschützenden Götter zur Seite stehen; denn er glaubt nicht mehr an diese Götter. Ihm fehlt vor allem die Siegesgewilsheit; denn er lebt in einer Zeit, die 'Rückschläge erlitten hat'. In der zweiten Hälfte des siebenten Jahrhunderts ist in lonien der Widerstand gegen die wachsende Macht Lydiens geringer geworden. Eine Stadt nach der andern fällt den immer wiederholten, planmäßig ausgreifenden Stößen der l zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 277 Mermnaden zum Opfer. Kroisos hat alle Festlandsgriechen der lydischen Küste unterworfen ; und als um 540 Kyros die lydische Macht über den Haufen warf, da gehörte lonien zur Beute des Siegers. Auch damals hat es noch Männer und ganze Städte ge- geben, die den Untergang und die Verbannung der noch so leichten Fremdherrschaft vorgezogen haben. Aber es sind Ausnahmen; 50 — 80 Jahre früher Nvar ihre Zahl sicherlich viel grofser, bildete vielleicht noch die Mehrheit; aber schon damals gibt es auch andere, tritt jene Gesinnung zutage, die sich die Fremdherrschaft gefallen läßt, wenn sie nur das Geschäft und das Vergnügen nicht stört. Und wo nicht gemeine Interessen die Kraft des Widerstandes schwä- chen und aus dem lonier den weichlichen, disciplinlosen Menschen machen, den die Athener des fünften Jahrhunderts verachten, da ist es die Folge der geistigen Entwicklung, des schrankenlosen Individualismus, der in Archilochos' Elegien einen vielleicht ersten, aber auch gleich überragenden Ausdruck gefunden hatte. Archi- lochos hatte alle Convention angegriffen ^) ; und Mimnermos ist als 1) Einen Angriif auf conventioneile Moralbegriffe enthält wahrlich nicht nur eine Gnome, wie die au Aisimides frg. 8 Bgk., wo man dei'- gleichen immer am ersten und oft allein sucht. Als solcher zu verstehen ist das berühmte Stück auf den Verlust des Schildes so gut wie die Elegie an Perikles — und wenn sie noch so oft und immer wieder als Trauergedicht figurirt; als solcher doch wohl auch das schöne 'Ev öogc. Alle Versuche, in dem Scbildgedicht einen 'Grund' für .'ijchilochos' 'Gleichgültigkeit' zu finden, verkennen den Ton. Nur der versteht die Fassung der zwei Distichen, in denen ich gern den Schluß einer Elegie sehe, die das Abenteuer erzählte, und erkennt auch den Zwiespalt in der Seele des Dichters, der einsieht, daß er sich hier mit der Convention auseinandersetzt und gleichzeitig Angriffen auf seine Ehre zuvorkommen will. Unlösbar ist das persönliche Erlebnis mit dem allgemeinen Ge- danken verbunden. Denn dieser erwächst aus jenem. An dem, was ihm selbst passirt ist, erkennt der Dichter die Nichtigkeit der Convention. Er sucht nicht wie der gewöhnliche Mensch nach einer Entschuldigung, die vor dem harten Gesetze der alten Kriegerehre doch keinen Bestand gehabt hätte. Aber er stellt sein ovy. Idshov eindrucksvoll an das Ende des Distichons, um dann mit dem frechen Witze des zweiten jedem Urteil zuvorzukommen, es unmöglich zu machen. So leichtfertig der Schluß klingt und klingen soll — man sieht den Dichter deutlich ein Schnipp- chen schlagen, das sich in der Interpolation ti (.loi /us?.si verkörpert hat — , leicht gedacht ist er wahrlich nicht. Wir dürfen es Archilochos zutrauen, daß er wußte, was seine Worte sagten auch über das hinaus, was persönlich bedingt war und ihn allein anging. Wir wissen hier auch 278 F. JACOBY Dichter der Erbe des Archilochos. Bei diesen beiden vollzieht sich die Entwicklung der kriegerisch-politischen Elegie, des bürgerlichen Gelegenheitsgedichtes, das im Gegensatz zu den epischen Erzäh- lungen von vergangenen Zeiten entstanden war, um zum Volke über die höchsten Interessen der Gegenwart sprechen zu können, zur Gedankenpoesie und zum privaten Gelegenheitsgedicht, dessen Inhalt alle menschlichen Interessen umfafst, aber auch schon zwei Hauptrichtungen erkennen läßt, die erotisch - sympotische und die philosophisch - lehrhafte Elegie, die nicht ohne mannigfache Kreu- zungen seit der Mitte des sechsten Jahrhunderts doch deuthch sich abheben. Man mag Anakreon und Xenophanes als Typen dieser zwei Richtungen betrachten. Mimnermos steht mitten in der Entwicklung, halbwegs zwischen den ersten Versuchen des Gyges und der vollständigen Einverleibung loniens in das lydische Reich. Er hat das Vorrücken der Lyder feststellen können; die Mutterstadt Kolophon war schon von Gyges teilweise erobert worden ^). Die Eroberung und Vernichtung Smyrnas erfolgte vielleicht in des Dichters eigener Zeit ^). Jedenfalls war die zufallig einmal, daß das cynische Wort durchgeschlagen und in lite- rarischen Kreisen Nachahmung erweckt hat. Das heißt: die Diskussion war eröfihet über einen Satz des Ehrencodex, der bisher keine Diskussion zugelassen hatte. In der Praxis hat es dann noch lange gedauert, bis man ernsthaft auch nur den Vorschlag machen konnte, das Gesetz zu ändern und zu unterscheiden zwischen Qhpaojrig und anoßoXsvg onXag di] ixeydXcog alriovg yeveo^ar TTQoregovg ya.Q äg^ai OTgaTsveoi^ai ig rijv 'Aoi'rjv )) ocpeag ig t7]v EvQü}ji)]v — führt uns durch die Verlegung in den Mund persischer Xöyioi, durch die Aufzeigung der einzelnen Stadien des Gegensatzes an und seine Ableitung aus der rationalisirten Mythhistorie ohne weiteres in die Kreise der anfangenden ionischen Geschichtswissen- und nimmer die Annahme, daFs Mimnermos auch nur noch am Leben war. Das 'noch jetzt' hat sein Recht, und wenn es y.al siv "Aidao döfwiocv be- deutet. Es sagt uns nichts über die Zeit des Mannes, an den das Wort gerichtet ist. Er kann längst tot sein, älter, jünger oder gleich- altrig mit Solon. Das wird dieser selbst nicht gewufat haben. Oder wenn es etwas sagt, so ist es das Gegenteil von dem, was Meyer und Wilamowitz glauben: als Solon jene Verse schrieb, da war — dies ist der natürliche Schluß — Mimnermos, den er ehrend Aiyvaoidörjg nennt, ein berühmter Mann, dessen Gedichte schon nach Athen gelangt sind, die man dort kannte und citirte. Nicht die 'Mahnung des berühmten Mannes' liegt in Solon s Antwort, sondern der Protest gegen das berühmte Wort eines berühmten Mannes. Das haben die Alten richtig empfunden. Ein absolutes Datum für Mimnermos gewinnen wir daraus doch nicht, weil wir Solons Gedicht sowenig datiren wie seinen Zeitabstand von Mimnermos' Versen abmessen können. Wir können auch weiterhin nicht sagen, ob er noch im siebenten oder erst im ersten Drittel des 6. Jahr- hunderts gedichtet hat. Das Judicium, das für das spätere Datum sprechen sollte, hat sich als trügerisch erwiesen, und ein anderes gibt es nicht. Denn frg. 14 ist keines (s.u. S. 293f.); die ziemlich unsichere Erwähnung einer Sonnenfinsternis (frg. 20 Bgk.) erst recht nicht. Denn dafs das gerade auf 'die Sonnenfinsternis des Thaies 585' geht und daß also 'der Ansatz recht hat, der Mimnermos auf die Epoche der sieben Weisen datirte', ist schon deshalb unrichtig, weil es einen solchen Ansatz nie gegeben hat: (bg j-iqotsqev stv xcöv C ooqDcöv sagt Suidas. Möglich bleibt es natür- lich, daß Mimnermos diese Finsternis erlebt und erwähnt hat. Aber gerechnet haben die Alten nicht danach. zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 281 Schaft. Es stimmt dazu, daß Xerxes, als er den großen Zug nach Griechenland antritt, ig ro IJgidjuov UeQyajuov dveßr] ijuegov e^Mv &e)']oaoßai und daß er hier der Athena von Ilion und den Heroen opfert ^). Es ist die Anschauung, die auch Aischylos hatte, als er den Traum der Mutter des Xerxes dichtete. Asien gehört den Barbaren, Europa den Hellenen, und die vßgig, die die gottgesetzten Grenzen überschreitet, straft sich selbst. Wir sehen jetzt, daß der Gedanke noch um ein volles Jahrhundert älter ist, daß in den Diskussionen über den mythischen Ursprung der Feindschaft schon die Über- tragung eines ursprünglich sehr viel lebendigeren Gefühles auf das Gebiet der historischen Spekulation vorliegt. Denn ein bezeichnender Gegensatz besteht zwischen Mimnermos und Herodotos. Der ältere lonier denkt nicht an lo Medeia Helena, nicht an den Krieg um Troja, wenn er die Rache Asiens zu spüren glaubt; sondern an das, was ihn und seine Landsleute näher angeht, an die xrioig 'Icoviag, an die Zeit, als man sich in dem Lande festsetzte, dessen Herrschaft den Besitzern jetzt zu entgleiten droht. Herodot erwähnt, mit einer für den modernen Historiker kaum verständlichen und doch von seinen Interpreten nicht beachteten Auslassung, die Zeit der Wanderungen überhaupt nicht, springt sofort vom Kampfe um Troja zu den Zeiten über, von denen er selbst 'etwas weiß'. Das ist der Einfluß seines Quellenmaterials : die Genealogien schlössen mit den Nostoi ab. Aber noch ein zweiter Unterschied, der sachlich bemerkenswert ist, besteht zwischen den beiden Männern. Dem Halikarnassier ist die Berechtigung jener Teilung der Welt, die Asien den Asiaten vorbehält, wieder zweifelhaft geworden. Es ist ihm nur noch ein persischer Anspruch: t))v ydg 'Aolrjv xal zd ivoixeovTa edvea ßdgßaga oixrjievvxai ol Uegoai, Tr]v de Evqcöjiyjv xal ro 'EXhp'ixbv )]y)]vzai y.Fycogiodai. Er selbst ist über diese Anschauung wieder hinausgewachsen in Athen, das lonien, wovon Mimnermos noch nichts weiß, als seine Gründung und seinen Be- sitz ansah, den es mit den Waffen zu schützen imstande und bereit war. Die Beratung in Samos jieqI ävaoxdoiog rS]g 'Icovirjg, bei der die übrigen Hellenen gemeint sind r7]v 'Icüvit]v dneivai roiot ßagßaQoioi (Herodot. IX 106), mag sie in den Einzelheiten historisch sein oder nicht, gibt doch genau den Standpunkt und die Anschauung Athens wieder, die zu der geltenden Anschauung von der ionischen 1) Herodot. VII 42 — 43. Das beabsiclitigte Gegenstück dazu ist Alexanders Besuch und Opfer in Ilion: Arrian. anab. I 11,7 — 8. 282 F. JACOBY Wanderung geführt hatten und die Herodot zu der seinigen gemacht hat. Für lonien , wie es damals war, bedeutet das nur einen Wechsel der Herrschaft. Aber noch im 6. Jahrhundert war das anders; und deutlich ist noch innerhalb des Herodoteischen Werkes der Wandel der Zeiten und des Gedankens in ihnen. Als Harpagos lonien für Kyros unterwarf, da sprach Bias von Priene bei einer Versammlung von Vertretern der ionischen Städte eine Meinung aus, die der Historiker (I 170) von seinem vorathenischen Stand- punkt aus "'Toioi '/or]oijiWJTdT7]v nennt, n)« ei s7ieh%vT0, nagelye äv oq>i £vdaijuoveIv 'Ellrjvcov ixdhoTa ' og sxeleve y.oivaji oröXcoi ^Icovag äeQ'&EVTag nkeeiv ig Zagdo) y.al e'jieira juiav nohv yaiCeiv jidvTCOv 'loQvcov , y.al ovrco änaXXayßEVjag oqpeag öovXoovvrjg £vdai/uov}]0£iv . . . juh'ovoi de 0(pi h> zrji 'Icoviiji ovk e(p}] ivogäv elevdEQirjv hi eoojuevrjv. Die Beratung und der Vorschlag, der in modificirter Form ^) im ionischen Aufstand als Rat des Hekataios, der auch an einen erfolgreichen Widerstand gegen die Barbaren nicht mehr glaubte (Herod. V 36), wieder auftaucht (Herod. V 125), sind in derselben Weise historisch, wie die Beratung in Samos sechs Jahrzehnte später. Sie sind ein Zeichen der Stimmung, die um 540 soviele der besten lonier in die Fremde trieb: sie ver- zweifelten an dem Schicksal ihrer Heimat. Der Gedanke, daß lonien den Asiaten gehört, ist in die Blüte geschossen. Dem Mimnermos war er noch etwas Neues. Er erscheint ihm von ferne als ein drohendes Gespenst, dem Widerstand zu leisten er vielleicht noch auffordert, aber in dem dumpfen Gefühl, dafs dieser Widerstand vergeblich sein wird und daß die übermütigen Eroberer sich vertraut machen müssen mit dem Schluß des Schicksals, das jetzt die ver- achteten Asiaten zu ihren Herren macht: ex ydg 'Ogeorao iioig eooeiai 'Argeldüo oder, wie Solon den allgemeinen Satz ethisch formulirt, der dieser Anschauung zugrunde liegt, ov yotg öi]v ^vijJoTg vßoiog egya neXei. Die Versreihe lehrt uns nichts über die bürgerliche Stellung und die politischen Überzeugungen des Mimnermos, aber als der Ausdruck einer Stimmung, die damals in lonien entsteht und die, obwohl sie sich stetig wandelt, nicht wieder verschwunden ist, ge- winnt sie, wenn ich nicht irre, ein besonderes historisches Interesse. 1) Auch die hofiiiungsvollere yvöiiir} Oaleco . . og ixe/.evs sv ßovXevz^Qiov "lonag sHtfjoßai, to ös eJvai h Tscoi , . rag dk aX/.ag :j6/.iag otxeojxh'ag /iit]8kv rjooov vofii'QEoßai y.arä jieq al br]fj,oi ehv gehört hierher. zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 283 Und aucli für die Erkenntnis vom Wesen des Dichters ist sie in diesem Falle nicht ganz bedeutungslos. Das politische Schwüche- gefühl, das sich in dem Gedanken ausdrückt, paßt besser zu dem Bilde, das wir uns aus seinen übrigen Dichtungen von dem Menschen Mimnermos machen, als eine prononcirte politische Stellungnahme gegen die herrschende Klasse, mit der man sich den berufsmäßigen Auleten ^) lieber in guten Beziehungen denkt. Auch damals mußte ja der Sänger mit dem König gehen, wenn er die Freuden des Lebens genießen wollte. Gewiß kann man sich vorstellen, daß sich ein Wandel in Mimnermos' politischen Auffassungen vollzogen hat von hoffnungsfreudigem Jugendmut zu resignirtem Pessimismus. Man kann auch schließlich umgekehrt glauben, daß der Prediger der Frivolität sich aufraffte, als die Gefahr für die eigene Heimat- stadt drohender und drohender wurde, daß er jetzt neue Töne an- schlug und das Volk zum Kampfe aufrief in Liedern, die doch un- willkürlich verrieten, daß der Dichter selbst an den Erfolg nicht mehr recht glaubte. Wir wissen von der Chronologie seiner 1) Daß er das war, wird man glauben, obwohl Strabons (XIV 1, 28) avXrjTrjg ä^n xai jTon]rijg ilsysiag nic4it viel besagt. Auch Tyrtaios heißt in der Suidasvita sXeysiojioiog xal avh}x'/}g, und den hält man doch gemein- hin für einen Mann von Stand. Dergleichen geht auf die ältere Bio- graphie zurück, deren Schlüsse selten viel Wert haben. Darum kann ich auch auf Hermesianax' Schilderung wenig Wert legen. Die Anrede Solons an den Aiynaorädijc, die Diels erklärt hat, die aber noch immer mißbraucht wird, Mimnermos aus einem Musikergeschlecht abzuleiten, konnte genügen, ihn zu einem Berufsmusiker zu machen. Dem Glauben Nahrung gab dann, daß man Compositioneii unter Mimnermos' Namen oder doch Noten für den Vortrag seiner Dichtungen besaß, die man natürlich auf den alten lonier selbst zurückführte ; solche Noten kannte Chamaileon (Athen. XIV 620 C; vgl. 632 D): fislondtj&rjvm 8k ov fidvor xä 'Ofti'jQov, ciVm y.al tu. ^HaiöSov y.ai l4()/j}.6yoi< xai ^orxvUbov. Schwerer wiegt das Zeugnis des Hipponax: [Plut.] De mus. 8 p. IISSE xai aXkog S' eoriv dg/aiog vofiog xa/.ov^isvog Kgaöiag, ov (pijotr '/nr.TÖij'a^ MifivEQi/ov avlfjoai. ^-'elbst wenn eine Bosheit dahinter steckt, kann man es nicht ganz beiseite werfen. Ich vermute, daß Mimnermos Aulode war. Wir würden wohl mehr wissen, wäre er, wie Polymnestos, nach Hellas ge- kommen, wo die Daten der Musikgeschichte mit etwa 600 einsetzen. Eigentlich entscheidend sind auch hier die Reste der Poesie. Die zeigen, daß er nicht mehr deQÜ.-iwv ^Evva/.ioio xai Movaojv war, sondern nur noch das letztere. An seiner Bürgerqualität braucht man darum nicht zu zweifeln; und seine sociale Stellung hing von den Kreisen ab, in denen er verkehrte. 284 F. JACOBY Dichtungen, von Zeit, Ausdehnung, äußeren Umständen seines Lebens zu wenig, um solche Möglichkeiten von der Hand zu weisen. Ob der Wandel glaublich ist bei dem Wesen des Mannes, das wir kennen und das so gar nichts an sich hat von dem eines politisch gesinnten oder gar eines Vorkämpfers der Volksrechte gegen die Anmaßung und den Druck des Adels, das ist freilich eine andere Frage. Und wie dem sei, immer bleibt die Charakteristik bestehen, die er von den eigenen Vorfahren bei der Einwanderung gibt und damit die Schlüsse, die wir daraus ziehen zu dürfen glaubten. Der Sinn der Verse dürfte festgestellt sein. Gern würden wir nun auch etwas von dem Zusammenhang wissen, in dem sie standen. Vielleicht wird der Versuch, ihn zu erraten, beeinflußt durch die bisherige Erkenntnis. Aber das muß im voraus gesagt werden — diese Frage läßt sich nicht mit auch nur annähernd gleicher Sicher- heit beantworten. Es sind nur Möghchkeiten, die aber erwogen werden müssen. Durchaus zweifelhaft ist zunächst die vulgate Verbindung von frg. 9 mit 10, obwohl dieses in der gleichen ionischen Vorgeschichte bei Strabon XIV 1, 3 und wahrscheinlich als Zusatz Strabons aus dem gleichen Demetrios erhalten ist: Koloq)ö)va (5' "AvÖQai'juojv ITv?uog (sc. xriCsi), a>? (pi]oi y.al MijuveQ/uog ev Navvöi. Denn auch wenn frg. 9 nicht von einem Smyrnaeer in Smyrna gesprochen wäre, in jedem Falle verbietet die Gestaltung der Verse jeden Versuch, sie als Rest einer y.rioig KoXocpcbvog (oder selbst 2^/uvovi]g) zu erklären, wobei ich hier ganz von der Frage absehe, ob es derartige Gedichte in elegischem Maße damals oder später überhaupt gegeben hat ^). Denn der Dichter erzählt hier nicht die alten Geschichten ; er behandelt sie als bekannte Voraussetzung, die er in ihren einzelnen Stadien schnell rekapilulirt; offenbar doch zu einem be- stimmten Zwecke, der wohl sicher in der Tatsache zu finden ist, die den Schluß des Rückblickes bildet: dsdn' ßovhji ZjxvQvriv ellojuev. Von Smyrna und den Kämpfen um Smyrna handelte die 1) Die Sicherheit, mit der man gemeinhin von ihnen redet, ist unberechtigt. Ich behandle die Frage, die sich im Vorbeigehen nicht erledigen läßt, an anderer Stelle. Man begegnet hier oft merkwürdigen Schlüssen. Auch ein Vers wie Ions »;)' :tots Oijasiötjg exzioev Oho.-itMv kann doch nie in einer Xi'ov xzioig gestanden haben, sondern gehört als schmückender Füllpentameter — den Schmuck verlangt der Stil (vgl. Homer, epigr. 4, 3 ff.) — zu einer gelegentlichen Erwähnung der heimischen Insel. zu DEN ÄLTEREN GRIEOH. ELEGIKERN 285 Elegie, in der diese Verse standen. Das lehrt ja auch der von Strabon prosaisch wiedergegebene Vordersatz, wenn es nur der Vordersatz, nicht die kurze Inhaltsangabe des ganzen Gedichtes ist. Man wird gern mit Wilamowitz folgern, daß 'andere genannt waren, denen Smyrna begehrenswert war', und wird auch gern glauben, daß es die Lyder waren, obwohl sich das aus diesen Versen allein nicht mit Sicherheit entnehmen läßt. Warum aber und wie sprach der Dichter von den Kämpfen um Smyrna? Wie wir die alte Elegie kennen, denken wir zunächst an Form und Ton der kriegerisch- politischen Paraenese, die den Ausgangspunkt und den ersten Inlialt der Elegie überhaupt gegeben zu haben scheint und die wir in typologisch sehr ähnlicher Ausgestaltung bei Tyrtaios finden, dessen echte Stücke naturgemäß noch archaischer wirken, als selbst Kallinos. Denn älter noch als dieser muß ja der Dichter gewesen sein, der die Elegie nach Sparta brachte. In den Versen der Eunomie: avrog ydg KqovUov, y.aXXioxEq)dvov noaiq "Hgi^q, Zsvg 'ÜQaxXf Idaig r/jvdf öeöcoy.E nohv, oloiv äfxa TiQoXiJiovxeg 'Eqiveov yve/uöevia evQsiav Tlelonog vfjoov äq^iy.ofzeßa haben wir die gleiche Berufung auf die Zeiten der xtioig, die nicht um ihrer selbst willen und in der Form der Erzählung erfolgt, sondern hier geradezu als Argument, als Begründung gegeben wird, offenbar für etwas , was der Dichter in den inneren Wirren des Gemeinwesens den Spartanern einzuschärfen wünscht. Und das kann kaum etwas anderes sein, als daß er Gehorsam verlangt gegen das Geschlecht, dem Zeus selbst die Herrschaft verliehen hat; also eine Mahnung im Sinne des vom Orakel bestätigten Grundsatzes der Verfassung ägyeiv ^ukv ßov?Sjg dEorijuijiovg ßaodrjag, otoi jUEAsi S7i6.QT}]g ijiiEQÖeooa Jiöhg. Ähnlich könnte bei Mimnermos auf die Constatirung 'durch Gütter- schluß haben wir Smyrna gewonnen" die Mahnung gefolgt sein: 'halten wir fest' oder 'erobern wir zurück, was uns gehört', 'kämpfen wir um Smyrna', ein Aufruf wie Solons Yoiiev ig ZaXajuiva, juax^oo/uEvoi jieqI vfjoov, der wohl auch nicht nur dem spartanischen Schiedsgericht erzählte, wie Salamis athenisch geworden war (Plut. Sol. 10). Die 100 Verse boten Raum genug zu solchem historischen Argument ; und die erhaltenen Distichen zeigen, wie umfangreich solche Paraenese werden konnte, ohne den enthusiastischen Ton des un- 286 F. JACOBY mittelbaren Aufrufes zum Kampfe zu verlieren. Einer Begründung be- darf ein solcher Aufruf in jedem Falle, wenn er im Gedicht erfolgt. Wir kennen sicher nur die Begründung durch Gedanken von all- gemeiner Natur oder durch solche, die aus den kriegerischen Ereig- nissen selbst hergenommen sind. Aber unser Material ist gering und der Möglichkeiten sind viele. Wir würden sicherer sprechen können, wenn wir wüßten, ob das Tyrtaiische Distichon 5,1 — 2 fjLisreooji ßaoiliji, d^eoToL cpiXcoi Qeoji6[X7icch, ov diä Meööf]V7]v eikofXEv evQv^oQOv, das ja im Ausdruck an den letzten Pentameter unseres Fragmentes erinnert, mit der Berufung auf die Eroberung Messenes eine Mahnung verband, um seinen Besitz den Kampf nicht zu scheuen. Gehörte dieses Distichon, was durchaus nicht unmöglich ist, in die Eunomie oder gehörte es zusammen mit der Erzählung, wie Messene gewonnen wurde — 5, 3 ff. äjucp' avjip' ejiidyovr evveaxaideyJ' et)] — und mit der Schilderung des Zustandes, in den die Eroberer die Unter- worfenen versetzt hatten — 6 öjojieq övoi jueydloig äy&eoi rsigo- juevoi; 7 ÖEOJiorag oijiicoCovTeg? War letzteres der Fall, so hätten wir die ausführliche Erzählung eines Krieges der Vergangenheit in der Form des Paradeigma und mit paraenetischer Abzweckung. Die Tapferkeit, die Ausdauer, der Erfolg der Großväter sollte die Enkel zu gleichem Verhalten begeistern. Das sticht sehr ab von den beiden kurzen, schemalischen Ermutigungen des zum Kampfe aufgestellten Heeres (s. oben S. 29). Aber die Möglichkeit, daß es solche Elegien neben dem Typus, den Kallinos 1 bietet, gegeben hat, wird niemand bestreiten. Denn die Vorlage auch für sie ist in den Reden des Epos gegeben, die das Paradeigma mit bewußter, freilich noch un- geschickter Technik handhaben ^). Dann wäre es auch denkbar, daß Mimnermos den Satz ^^juvori] äel jiEQijua.p]Tog in ausführlicher 1) Eines der instruktivsten, aber durchaus nicht das einzige Beispiel längerer paradeigmatischer Erzählungen bietet die große Phoinixrede im / der Ilias. Man hat hier viel zu viel mit Annahme größerer und kleinerer Interpolationen gewirtschaftet und zu wenig einerseits den deutlichen Gesamtaufbau beachtet, anderseits die naive Freude bei Dichter und Hörer an der Erzählung als solcher, die sie oft weit über den unmittel- baren paradigmatischen Zweck ausdehnt. Ebensooft liegt freilich in dem weiten Ausholen gleichzeitig eine gewisse technische Ungeschicklich- keit. Aber für unser Urteil muß immer maßgebend sein, daß noch Herodot in der großen Korintherrede (V 92) diese Technik in gleicher Weise übt. zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 287 Erzählung durchgeführt liat und daß unser frg. 9 'aus dem Ge- dichte über die Kämpfe mit Gyges stammte', dessen Existenz Pau- sanias bezeugt (s. u. S. 296) und dem man gewöhnlich das frg. 14 zuweist. Ob mit Recht, ist freilich auch eine Frage, die sich nicht einfach und in keinem Falle mit Sicherheit entscheiden läßt: ov fxev öij y.sivov ye jLth'og y.al äyrjvooa d'vfxbv xoiov iftev JTQoreQOJV Jiev&o/uai, oi fiiv l'dov Avöcbv ijiJiof.id/^cov iivKivag xXoveovia qjdXayyag, "Eq/uiov äjii ;^EÖiov, (pcora (peQejujusUr]V. 5 rov juev äg' ov tiote JidjUJiav ejuejuifaro IlaXkäg 'A'&i]VT] ÖQijuv jiih'og xQadi)]g, svß'' 6 f dva. nQOfxdiovg oevaid"' aluaToevixog ev) vofxiv^ii nolefioio jiiy.Qo. ßiaCojuevog övojuevecov ßeXea. ov ydg xig xeirov fdqioyv eTiajueivoTegog (pojg 10 eoxEV enoiyeo&ai q)vl67ndog xoareQrjg egyov, ot avyfjioiv cpeget wxeog i]ehoio^). Das von den Zusammenstellern der Florilegien rücksichtslos aus dem Zusammenhange herausgerissene Bruchstück feiert die Tapferkeit ^) eines bestimmten, vorher zweifellos namentlich genannten oder seiner Stellung nach bezeichneten Mannes mit Ausdrücken, die im ganzen und einzelnen in stärkster Weise homerisiren. Bis auf die Kampfesweise des Unbekannten, die ohne Rücksicht auf die damals sicher existirende ionische Phalanx mit homerischen Farben gemalt wird. Ich lasse das einzelne beiseite^), führe aber, 1) inaßstvÖTEoog (pV dii - Stob.) ist eine schöne Besserung von Wila- mowitz, der für die Überlieferung in V. 8 und V. 11 mit Recht eingetreten ist. Nur ßiaCouirov ist längst in ßia'Qofisvog geändert. Zum Ausdruck vgl. 11. A 558 wg 6' ör' övog Jiao' ägovgav Ion' ißujaaro :TaTöag (Scliol. B* ävzt zot' ßiai srixTjosv) und das alte attische Epigramm Kaibel 749 b 4 ßiai Ueqoöjv fihvä/iisvo[i dvvafuv] ; Xenoph. Anab. I 4, 5 ö:iUTag . . . ßiaoofidvovg Tovg no/.efiiovg. V. 6 stammen o y' (ö'z' Stob.) und osvaiß' {aevrjß'^ Stob.) von Schneidewin. Alle sonstigen Änderungen, darunter so erstaunlich kecke wie Meinekes og /luv i'Sor' V. 2, fallen fort. 2) Es steht bei Stob. 111 7, 11 im Abschnitt .-teqI äröosiag. 3) Wir finden die bekannten Verschiedenheiten von der einfachen Übernahme epischer Floskeln, der Vereinigung mehrerer zu einer schein- bar neuen, bis zur Um- und Fortbildung von Sinn und Form und zu Neubildungen nach epischer Analogie. Bemerkenswert ist die vielfach knappere Fassung des breiten epischen Ausdrucks und das Zurücktreten der Odyssee gegenüber der Uias. Das letztere liegt natürlich z. T. am Stoffe, gilt aber für die ganze ältere ionische Elegie. V. 1 : Od. /. 562 288 F. JACOBY weil es die Frage nach dem Zusammenhange angeht, aus der diese Verse stammen könnten, die Scene an, die dem Mimnermos bei der Gestaltung des Ganzen vorschwebte. Ich wenigstens zweifle nicht, daß es die Worte des Agamemnon an Diomedes in der 'E7n7io'}h]oig waren, J 364 ff. (hg eijiojv rovg juev ?u7iev avrov, ßi] de just' äXXovg. 365 EVQE. de Tvöeog vlbv vjieg^vjuov AiojuijÖea 368 xal xöv /.th' veixeooev idcov Hoeicov 'Aya/Liejurwi' . . . 370 '(5 juoi Tvöeog vie öaicpQovog l7iJiodd/.ioto, zi nro'jooeig, ri d' öjitJteveig TioXefxoio yefjjvgag ; ov juev Tvöei y' cböe (pi/.ov JiTOioxa'Qefxev t]sv, dV.d noXh JTQO (piXcov irdgcov drjioioi jLid'/^eodai. ojg (pdoav oX iiiv Xbovxo Tiovevfievov ' ov ydg eyoj ye ijvrrjo' ovde l'dov ' Tiegl d' äXXcov cpaol yeveo&ai. Es folgt die Erzählung einer besonderen Heldentat des Tydeus, öäuaoov 8's fisvog aal äyyvoQa &vfi6y. IL Y 174 fiero; xal ßv/iiög dy/jvcog und Q 42 dyi'jvoQi ßi'nwi (Hex. - Schlüsse) V. 2: II. Ä^124 vvv 8' i/uso aoozsQog. V. 3: zu iJiJTOfid/cor s. S. 289. II. £"93 i xfjg 'Aßrjväg vawi ) jio/Jmxi 61/ aiovöevia y.aza >i/.6%'or> ir öat cpcozcöv IJeo- GMv iTiTtof^ä/cov aifiart Xavodfieva. 2) Wenigstens wenn es als einfacher Genitiv von tI; abhängt. Bergks 8?]ia)v ETI "^coram hostibas" verwirft Wilamowitz als ungriechisch. Viel- leicht ist drjioiv fih' möglich 'mitten unter den Feinden', mit eay.Ev i.-ioi'/Eoßm xtX. zusammengehörig und einem homerischen h aiviji dtjiÖDjn entsprechend. Die Corruptel ähnlich wie Xenophan. 2, 15 P.aoTon' sV eh] statt fiezEiT]; aber die Stellung wäre befremdlich. An eine Verbalform von dtjioo} ist auch nicht gut zu denken. Der Fehler liegt wohl tiefer. 3) Daß er die weitere Änderung in kacov für nötig hielt und deshalb an der Probabilität der Änderung zweifelte, ist aus seiner Bemerkung V. e. /.amv' kaum zu schließen. Es störte ihn wohl eher das nach der Beseitigung von öjjiojv ihm unerklärliche eti. 4) So schreibt Wilamowitz, während Lentz, Herodian. I 108,9 ).a6v setzte. Aber ist die Corruptel glaublich, da das Hipponaxfragment mit P.t]6g und das Hekataiosfragment mit ?.ecog im gleichen Artikel der Epimerismen (Gramer An. Ox. 1265, 6flF.) nebeneinander angeführt werden, jenes um den Unterschied im Vokalismus gegen Homer zu belegen bei zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 291 plebeischen Dichters und der unsichere aus der ältesten Prosa, die im wesenthchen der reinen Sprache des Lebens sich bediente, be- weisen wenig für die Elegie im ganzen, die sonst von Kallinos bis Theognis ?.a6g hat^), und noch weniger im besonderen für ein so stark episirendes Gedicht, wie das in Frage stehende. Was in dt]icov steckt, dafür sind eine Reihe von Vermutungen möglifh, von denen keine sich zur Sicherheit erheben läßt. Ich glaube immer, daß hier doch eine nicht wiederzugewinnende Herkunftsbezeichnung stand, der Name zwar nicht einer Stadt, aber einer Phyle, eines Ttvgyog, daß Ahrens mit ö)] "Icov wenigstens auf dem Wege zum Richtigen war. Wer aber an h]ci)v glaubt, der muß es eben interpretiren nicht im Sinne des EvQvoßewg Xrjög, sondern in dem des Kallinos 1, 18 ?Mcbi yag ovjUjiavri Jto'&og xQaregöcpQovog uvÖQog als Ausdruck für das Gesamtvolk und Synonymon zu dfjfxog, ebd. 16 di]jucoi q)'dog'^). Aaog hat eben in den ionischen Städten dem tö }.a6g äxQSJTTog FßEivs, dieses um der von Homer abweichenden Be- deutung willen, öri ov)r ojtXwg xov ox^ov orjf.iaivEi, alXa xov v:ioxezay(iivov'i Herodot hat Itwg und Xa6g\ jenes auch die feste Formel ledig avxoixog (GDI 5533 e Zeleia) neben den sonst gewöhnlichen Xaoi. 1) Kallinos 1, 18. Tyrtaios 11, 13 oaovai Sk laov onioaoi. [12, 24 aoxv TS y.al Xaoi'g xai ^laxeg' Ev>c?veiag]. Xenophan. 2, 15 Xaoioi /Liersirj. Natür- lich auch Theogn. 53 u. ö. und das Epigramm. Hoffmann, Gr. Dial. HI 1 S. 305 verlangt mit Fick für Kallinos und Tyrtaios (!) X.tjög, während er für die 'jüngeren' Elegiker den'Horaerismus' gelten läßt. Das wird niemand glauben. Wäre der Begriff 'Mann des Volkes' unentbehrlich, so würde ich öifi'oiv immer noch lieber in ).i]öjv als in dtjfwjv ändern: H. ^"213 ö^l-iov Eovxa (Schol. A ö>]fic>xt]g, Idicozijg. Apoll, lex. Hom. 58, 9 Bekk. 8)]fioxiy.6r ävöoa. Steph. Byz. s. öP/tiog); Bentleys, von Leaf gebilligte Conjectur 8i]/:wv idvxa wird man ablehnen, da dieser Gebrauch von 8fj[xog eine genaue Analogie an dem von Aew? bei Hekataios hat. 2) Ich möchte bei dieser Gelegenheit doch der Deutung von Immisch Philol. XLIX 1890 S. 206 widersprechen, der auch in diesem Gedicht eine Art Stellungnahme gegen den Adel findet und daraus ein Argument gegen die ja mehrfach behauptete Zuweisung an Tyrtaios entnimmt. V. 13f. ov yoLQ Hcog ßävaxöv yE (pvysTv ai/^iaQfisvov ioxlv äv8g\ ovo' et .-Tooyovcov ^i ykvog aßaväxov soll eine Exemplifikation auf den Adel sein, 'die nicht gerade von hoher Achtung getragen ist'. Aber der Fortgang der Argumentation verbietet, in dem Distichon etwas anderes zu finden, als einen ganz allgemeinen Gedanken, einen Erfahrungssatz, denselben, den II. .S" 117 ff. paradeigmatisch ausdi'ückt: aiiga 6' iyco xöxe ös^ofiac, d.T.Tore HEV 8rj Zsiig E&sXrji xsXiaai .... * ov8e yag ov8s ßit] 'HgayArjog (pvye xtiga, og nsQ (piXxaxog eoxe Au Kqovuovi avaxxi' dXXd i iioXo' iSäfiaoas xai äoyaXsog yoXog "Hgrjg. 19* 292 F. JACOBY doch noch einen anderen hihalt gewonnen, als in der Sphäre des Epos; daß es nicht mehr notwendig einen Gegensatz des Volkes gegen die Herren^), die ßaodrjeg, indicirt, nicht nur die Bürger minderen Rechtes — denn an einen solchen, nicht etwa gar an einen Hörigen könnte man doch hier allein denken 2); die gehen überhaupt nicht in den Kampf; am wenigsten ävä TiQOjudxovg und als Hopliten — bezeichnet. 'Wer dem drjiLiog lieb ist, wessen der Xaog sich mit Sehnsucht erinnert" — sagt Kallinos — rov d' öXiyog OTEvdxei y.al /ueyag, fjr ri nd^)]!, was doch gewiß nicht "^groß und klein', sondern 'hoch und gering' heißt ^). So nur könnte man die }.aoi aus sachlichen Gründen auch hier verstehen. Denn mögen die Minderberechtigten auch als Hopliten zu Felde gezogen sein, so liegt doch eine starke Unwahrscheinlichkeit schon in der Annahme, man habe noch in der dritten Generalion über Wesen und Ver- halten eines 6j^/<0Ti;g so diskutirt, daß ein Dichter öffentlich zu seiner Verteidigung auftreten und dafür Interesse erwarten konnte. Eine öffentliche Verteidigung setzt Angriffe voraus. Man müßte schon glauben, daß Mimnermos an diesem Manne ein ganz persön- hches Interesse nahm, daß der Unbekannte, was ja wohl vermutet worden ist, sein Vorfahr, Vater oder Großvater, war. Und selbst dann ist die Sache unwahrscheinlich. Der Ton des Ganzen, der sich dem Epos so weit nähert, wie kaum eine andere Elegie, will zu so persönlichen Dingen nicht stimmen. Und sobald wir nicht die 1) Die Entwicklung beginnt schon im Epos. Vgl. z. B. S 509 dvco OToazol eiUTO Xacöv. 2) An einen solclien denkt auch v. Wilamowitz nicht, da er den Mann einen ötjfiörrjg nennt. Die barbarischen Hörigen, die ^^aoi, gab es aber gewiß schon in Mimnermos' Zeit, wie wir sie im 5. Jahrhundert finden. Es würde also die Lesung ?.}]cdv, wenn sie richtig wäre, keines- wegs 'in die Verbältnisse der Zwischenzeit hineinsehen lassen', sondern höchstens in die lexikalische Entwicklung des Wortes. Denn schwerlich hätte Mimnermos den Bürgerhopliten 'den besten der ?.t]oC genannt, wenn das schon zu seiner Zeit der Terminus technicus für die Hörigen gewesen wäre. 3) Dieses uUyog ist bei Kallinos viel angefochten und sogar zur Verdächtigung der ganzen Elegie benutzt worden. Aber 'gering' Immilis heißt es, wie Wilamowitz, Ilias und Homer 423, 2 gesehen hat, auch in dem kaum viel jüngeren 'homerischen' Plpigr. 4, 16 /.isyag de /he ■öv/nog ijisi'ysi dfjfiov ig äk).o8aji6v tivai, oXiyov ueq iövza. Auch da sind törichte Conjecturen gemacht worden. Aber der Gegensatz ist der gleiche, wie der bei Kallinos ebenfalls zu Unrecht beanstandete. zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 293 kolophonisclien Verhältnisse voraussetzen, die auf Smyrna zu über- tragen nichts berechtigt, fällt eben die Voraussetzung für alle solche Vermutungen. Der cpojg (peQeajuekujg mag wirklich prosaisch ge- sprochen ein Fußsoldat gewesen sein. Aber das setzt ihn an sich nicht social herab. Es heifst im Gegenteil, daß er nicht zu dem verlorenen Haufen gehört, sondern zu den Vollbürgern, die als Hopliten kämpfen und den Kern des Heeres bilden, das die lydischen Reiterschaaren abgewehrt hat. Ja, nichts spräche in diesen Versen gegen die Annahme, daß mit diesem rühmenden Ausdruck, der der allgemein homerisirenden Sprache des Gedichtes angemessen ge- wählt ist, selbst der Feldherr gemeint ist, der das Heer zum Siege führte, daß er es ist, den der Dichter hier mit homerischen Kampfes- vorstellungen und mit homerischen Ausdrücken preist, den er q)eQejujUE^J}]g nennt, wie Homer den Agamemnon ar/ju]Tijg — dies der gewöhnlichste Ausdruck, auch in den Grabepigrammen ^) — und den Priamos Evui.iElü]g. Aber das führt schon auf die Frage nach Art und Zweck der Elegie, der die Versreihe entnommen ist. Die allgemeine Annahme scheint, wie gesagt, zu sein, daß sie in das Gedicht über die Schlacht zwischen Gyges und den Smyr- naeern gehört. Bewiesen ist diese Annahme aber nie und kann es auch kaum werden. Für sie spricht, daß auch der hier erwähnte Lyderkampf mindestens eine, eher in der zweiten Generation vor der Zeit des Dichters stattfand ^) ; gegen sie zunächst einmal , daß man sich wirklich — um Wilamowitz' Worte zu brauchen — 'nicht leicht denken kann, daß die Ehrenrettung eines einzelnen sich in ein solches Gedicht fügte'. Leichter wäre das, wenn es sich nicht um eine solche, sondern um den Preis eines einzelnen Kämpfers handeln würde ^); und so fragt man doch zuerst, ob die Verse 1) Neu wie immer im Ausdruck Aischylos, der in den Elegien einen Krieger {tiq xöiv .-zo?.suip Toji jTQOoijukoi d'vyareQag Ovgavov rag äg^aioregag Movoag, rovrojv ök aXlag veonegag elvai Aiog nalöag. Ein Bruchstück aus dem Gedicht haben wir nicht. Aber auf das gleiche bezieht sich wohl sicherlich derselbe Pausanias IV 21, 5 : ivrav&a 'Agioro- juevrjg xal ©eoxXog ETreigcovro eg Jiäoav äjiovoiav jroodyew rovg Meao}]viovg, älla rs öjiöoa eixög rjv diddoxovTeg xal Z^vQvaiüiv rä xol/jirji-iaTa ävajui/uv^oxovTEg , cbg 'Icvrcov juoioa övrsg Fvyrjv röv Aaoxvlov xal Avdovg l'xovrag ocpcov rip' nöhv vnb ägeriig xal TtgoßviAiag exßdXoiev. Die Situation scheint, wie im Vorbei- gehen bemerkt sei, eine andere als die der offenen Feldschlacht im frg. 14, was nicht weiter verwunderlich ist, da Smyrna des öfteren sich der Lyder zu erwehren gehabt haben wird und nichts zwingt, den Unbekannten von frg. 14 gerade in einem der sonst bekannten Kämpfe sich auszeichnen zu lassen ; mit der kurzen Notiz Herodots (I 14) eoEßale fxev vvv orgaTirp' xal ovrog, eneixe fjQ^e, eg TS MilrjTOV xal ig ZfivQvi]v xal Ko?M(fcovog t6 äoxv elXe, wonach von Gyges' Angriffen nur der auf Kolophon größeren Erfolg gehabt zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 297 zu haben scheint, verträgt sie sich^). Das Gedicht hatte also ein Prooimion, das mit dem Anruf der Muse begann, wie der Vortrag des Rhapsoden. Aber nicht mit dem einfachen Anruf, den wir im Epos finden, sondern es wurde — an der Richtigkeit der in gelehr- ter Umgebung stehenden Angabe des Tansanias ist nicht zu rütteln — der Charakter der Musen definirt, wurde unterschieden zwischen älteren und jüngeren Musen. Diese Tatsache, die recht zu einem literarisch - berufsmäßigen Wesen des Dichters paßt, läßt allerdings einen Schluß zu auf den Umfang des so eingeleiteten Gedichtes. Aber fast wichtiger noch erscheint die Frage: was will der Dichter mit dieser eigenartigen Unterscheidung? Schwer glaublich, daß es sich einfach um eine genealogische Spekulation ohne weiteren Zweck handelt, zu dem ein solches Gedicht keine rechte Veranlassung bot. Aber unwillkürlich bringt man sie zusammen mit Art und Inhalt der Elegie. Prooimion und Musenanruf weisen sie gattungsmäßig in die erzählende Poesie. Selbst wenn ein paraenetischer Zweck vorhanden war, was man weder behaupten noch leugnen wird, so kann er kaum unmittelbar, sondern nur mittelbar zutage getreten sein , wie denn ein jedes Gedicht , das in der Not der Gegenwart die ruhmreiche Vergangenheit darstellt, geeignet ist, die Stimmung der Hörer in einer bestimmten, vom Dichter oder seinem Auftrag- geber gewünschten Weise zu beeinflussen. Das Gedicht bleibt doch episch nach Form und Stoff; nur daß der Stoff wieder genommen ist nicht aus der fernen Vergangenheit, von der die Rhapsoden vortrugen, sondern, wenn auch nicht aus der unmittelbaren Gegen- wart und den Erlebnissen des Dichters, so doch geradezu und ohne Einkleidung aus der neuen Zeit und aus der im Gedächtnis der Mhlebenden haftenden Geschichte der eigenen Stadt. Das ist ein Schritt von großer Kühnheit , ganz gleichartig dem , den Herodot tat, als er die Sagengeschichte beiseite ließ, um zu erzählen von dem, 'was er selbst weiß', vor allem von dem größten Kriege der unmittelbaren Vergangenheit, aus der Zeit der Väter und Großväter. War es darum, daß Mimnermos die jüngeren Musen anrief? Recht- fertigte er durch einen geistreichen Einfall , ein Vorgänger des Xenophanes, der die jiMojuaTa rwv tiqoteqoov aus der Unterhaltung 1) Von Mimnermos fernzuhalten ist, was Ps.-Plut. Parall. 30 aus einem Scliwindelautor Dositheos ev f Avdiaxon' über das ahtov des Eleu- therienfestes in Smyrna erzählt, «' Tji ai dovXai rov xoofiov tojv iX.svßsowv (fOQOVOlV. 298 F. JACOBY beim Symposion verbannt wissen will, das Wagnis, mit dem Epiker und seinen abgebrauchten Themata in Concurrenz zu treten? Wie dem sei, was er hier brachte, die Übertragung der epischen Weise in die Elegie, die Schöpfung eines elegischen Epyllions mit historischem Inhalt war ein literarisches Experiment, war etwas Neues, ganz verschieden sowohl von dem Kampfruf des Kallinos ^) wie von der politischen Paraenese der Eunomie und der Solonischen Gedichte; aber verschieden auch von der persönlichen Weise des Archilochos, der in den Tetrametern von eigenen Erlebnissen erzählte — knxa yaq vexQcbv neoovzcov u. a. — und das gleiche auch in der Elegie getan zu haben scheint. Wir wissen nicht genug von der elegischen Produktion des 6. Jahrhunderts in lonien, um sagen zu können, ob das neue eldog besondere Nachwirkung gehabt hat. Ganz ohne Nach- kommenschaft aber blieb das Gedicht über die Gygeskämpfe nicht. Zu ihm stellen wird man und auf seinen Einfluß zurückführen die Schlacht- gedichte, in denen Simonides und Aischylos einzelne Großtaten der Perserkriege dargestellt haben. Ihr erzählender Charakter steht fest; ihre elegische Form aber findet von hier aus ihre Erklärung ^). Ein neues eldog hat Mimnermos hier geschaffen ^), das sich aus der Masse der elegischen Poesie, die alle Stoffe aufnehmen konnte, die den Dichter oder seine Hörer interessirten , so scharf heraushebt wie die mehr oder minder aktuelle Mahnung zu tapferem Kampfe für die Heimat; schärfer als die halb- und schließlich ganz- 1) Übrigens hat schon Kallinos nicht mehr nur die Form des Kampfrufes und der mahnenden Rede an das Gesamtvolk oder die vioi, die der echte Tyrtaios allein kennt. Daneben tritt das Gebet, die Rede an die Götter, der Ugög tov Aia Xöyo; (Strab. XIV 1,4), mit dem typolo- gisch Solons löyog noog Movoag zusammengehört. Auch diese Form stammt aus dem Epos. Mit Kallinos' Ufivgvaiovg 8' ikhjaov und fivijoai d' si xozi roi i.ir]oia y.aXa ßoöjv {2/ivovatoi xazitcriav) vergleiche man Nestors Gebet IL 0 372 ff. Zev TtärsQ, ei jtoiF. zig toi. ev "Joyei . . . ?] ßodg ?} uiog y.axa niova /.u]Qia xakov er/ero voozfjaai .... tojv fivfjaai xal afivvo%> . . . 2) Die Zeugnisse für diese Gedichte bieten Schwierigkeiten, die hier nicht behandelt werden können. Aber die Tatsache, daß es solche Elegien gab, steht durch die Fragmente fest. 3) Gern wüßte man, woliin frg. 17 ITaiovag ävdgag äyov, Iva zs yJ.Firov yevog innon' gehört. Die Form, die aus dem Schiffskatalog stammt, spricht für ein historisches Gedicht. Der ähnliche Vers des Kallinos Tm']ozag avbqag uywv stand wohl, wie sicher frg. 4 vvv 8' ejiI KijqieQicov ozfjazog sQ/szai oßgt/iosQycüv, in dem Gebet an Zeus. Doch läßt sich für Mimnermos auch an eine Elegie mit sagengeschichtlichem Inhalt denken. zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 299 philosophische Paraenese beim Symposion, die den ursprünglichen lehrhaften Charakter des yevog sonst noch am reinsten im Tone, im Stoffe ft-eilich verändert und sehr mannigfaltig bewahrt hat; schär- fer auch als die erotische Elegie, die von den persönlichen Liebes- verhältnissen ihrer Dichter mit Anrede und Namennennung der Geliebten handelte. Dieses elöog, das am nächsten herantritt an die erotisch-sympotische Lyrik der Lesbier und augenscheinlich in stärk- ster Weise von ihr beeinflußt ist, begegnet uns sicher bei Anakreon, ist aber sonst in seiner Entwicklung und seinen Anfängen am wenigsten kenntlich '). Ich will die Frage nicht wieder aufvverfen, wie weil die persönliche Note bei Mimnermos ging, ob und wieviel Liebeslieder bei ihm standen neben den betrachtenden Stücken über den Wert des Lebens und der Liebe, die doch für alle Folgezeit die Auffassung von dem Erotiker Mimnermos bestimmt haben und auf die sich alle beziehen, die mit ihm den q:ih'idovog ß'iog erwählen oder ihn charakterisiren. Es fehlt uns hier eben das Material, gerade- so wie es uns für die Frage nach der Entstehung und Existenz einer erzählenden Elegie mit mythologischem Inhalt fehlt, die man jetzt um so eher dem Mimnermos vindiciren möchte, als erzählende 1) Über das, was wir wissen, an anderer Stelle. Die Frage kann nicht gut getrennt werden von den Erotica des Archilochos. Seine lamben und Ei:>oden sind voll von persönlicher Erotik, freilich aus einer anderen Sphäre, als die es ist, in der sich wenigstens die ionische Liebesdichtung zu bewegen scheint. Es sind doch Dichtungen ganz eigener Art. Leider scheint auch nicht zu entscheiden, ob nur eines dieser Gedichte aus der Zeit des Liebesglückes stammt, ob sie nicht vielmehr sämtlich aggressiver Natur waren. Die Reste der Elegien, die allerdings äußerst spärlich sind, weisen nichts dergleichen auf. Das kann Zufall sein: aber ich bezweifle es. Denn daß für diese Zeit Elegie und lambos durchaus nicht als gleichwertige und gleichbehandelte Ausdrucksformen empfunden werden, lehrt der Sotonische Nachlaß, der bei oft ganz gleichem Inhalt den Unterschied in Stil und Ton deutlich erkennen läßt. Das Gegenteil wäre auch wunderlich. Umgekehrt würde man iur Mimnermos gewiß 'kräftige lamben in archilochischer Art' glauben und Nannos Namen in ihnen suchen. Daß nur Elegisches ; aus der 'Nanno' citirt wird . wäre kein Hindernis. Die Ausgabe hätte I eben wie die der Solonischen Gedichte beides enthalten. Die Buch- teilung, wenn sie bestand (s u. S. .302 A. 3), ist ja doch erst alexan- driuisch. Aber es fehlt nun einmal in den Resten jede sichere Spur von lamben (über eine scheinbare Wilamowitz, Sapph. u. Sim. 282, 1); und aus Hermesianax' Versen sie mit Crusius zu erschließen, geht nicht an. 300 F. JACOBY Elegien historischen hihalts für ihn feststehen ^). Soweit wir sehen, steht die Erotik des Mimnermos dem Liebeshed noch fern. Das mag man entwicklungsgeschichtlich erklären oder als einen be- sonders tückischen Zufall der Überlieferung betrachten. Das Faktum bleibt doch, daß wir auch nicht die Spur eines Ausdrucks persön- licher Liebe in den Resten der Gedichte finden. Wir wissen von seiner Nanno nichts, als was Hermesianax sagt ^) und was der Buch- titel^) lehrt oder vielmehr nicht lehrt. 'Daß das Ganze nur novelH- stische Erfindung ist, vielleicht aus falsch verstandener Überlieferung 1) Auch darüber an anderem Orte. Hier sei nur auf einen bemerkens- werten Gegensatz hingewiesen zwischen den ionischen Elegikem Kallinos und Mimnermos, von denen auch jener möglicherweise schon zu den Bevufsdichtern gehörte, auf der einen, den mutterländisehen Solon und Tyrtaios auf der anderen Seite. Dort zum mindesten starke Berück- sichtigung der Sage, wenn nicht in eigenen Gedichten, so doch in An- spielungen und ausgedehnteren Paradeigmata; hier nichts dergleichen. Das kann nicht Zufall sein. Wie sich Archilochos stellte, ist mit Sicher- heit nicht zu sagen. Aber es scheint , daß er zu Tyrtaios - Solon tritt. 2) y.aiEzo fth' Navrovg. Dazu der gleich zeitige Poseidippos AP XII 168 Nav7'ovg xal Avdtjg stti/si ovo. Bei den Späteren ist sie vergessen; wenn Athenaios XIII 597 A xrjv Mifivegfiov avXtjzQida Navvdi unter den svSo^oi haTgat nennt, so ist das eben aus dem gleich dazu citirten Herme- sianax genommen. Auch hier steht sie neben Lyde, und gerade die Zusammenstellung weckt den Verdacht, daß die ganze Geschichte aus einer einzigen P]legie herausgc^ponnen ist, die man sich schließlich als Anregerin des Antimacheischen Gedichtes denken könnte. Die Bücher waren jedenfalls so verschieden, wie nur denkbar. Vielleicht wüßten wir Bescheid, wenn Suidas den ßlog des Mimnermos nicht am Schlüsse gekürzt hätte (s. S. 302 A. 3). 3) Daß dieser Buchtitel hellenistisches Fabrikat ist, nach der Avdtj gegeben auf Grund und infolge der Heraushebung des oder der Nannogedichte , wie wir .sie bei Hermesianax und Poseidippos fiuden, denen nicht am Buch, sondern an einem Frauennamen lag, scheint mir selbstverständlich. Wie Wilamowitz, Sapph. u. Sim. 287 zu dem zweiten Teile seines Schlusses 'die Alexandriner haben also die Gedichte des Mimnermos weder zusammengestellt noch den Titel erfunden', gekommen ist, ist mir nicht klar geworden. Textg. d. gr. Lyriker 58 urteilt er anders. Der erste Teil ist selb.stverständlich. Gelesen worden ist Mimner- mos nicht nur in hellenistischer Zeit, für die die von Kaibel aufgezeigte Benutzung durch den Rhodier Aiiollonios an hervorragender Stelle sehr wesentlich i.st. Auch in Athen ist Eurip. Herakl. 638 doch nicht 'der einzige Beleg für seine Geltung'. Die beginnt mit Solon und reicht bis zu den Theognideern. zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 301 combinirt'^), bleibt freib'ch nur Vermutung. Aber ausscbließen kann man diese Mögliclikeit aucli niclit unbedingt; und jedenfalls tut man gut, sich nicht zu weit auf dem entgegengesetzten Wege vorzu- wagen. Wer garantirt uns, daß, wenn der Name Nanno einmal oder öfter in den Gedichten vorkam, es in anderer Weise geschah, als wenn Archilochos seine Gedanken über das conventionelle Trauer- wesen an Perikles richtet, oder Alkaios, dessen Poesie manche Spuren Archilochischen Einflusses zeigt, seine Trinkerphilosophie an den Namen Bykchis hängt: ov yQij xay.oToi ßvjuov tTinoETtip'. jioo- x6y>0juev ydg ovdh' äodfievoi, w Bux^i ' (paQ/iaxor d' äginTov olvov Iveixafievoig uE&vadi]v. Durch den Namen allein wird die Reflexion doch nicht zum lyrisch gestimmten Liebeslied, Gewiß ist es möglich, daß schon bei Mimnermos diese Pieflexionen z.B. über das Alter einmal so persönlich gewendet waren, wie etwa bei Anakreon 14 Z(faLQi]L öevte jlie jxooq~>vQEt]i oder in den Elegien frg. 96 ovxEXi &Q'>]ixit]g {ndolov) EJiioxQEqjofxai. Glaublich scheint es nicht. Ich wage auch nicht, in den gut klingenden Namen Pherekles und Hermobios und Hexamyes, die Hermesianax gewiß den Gedichten entnommen hat und die man nicht benutzen darf, um Mimnermos' Leben in einer möglichst niedrigen Stufe sich abspielen zu lassen, mehr zu sehen als freundliche und feindliche Anreden dieser Art. Solche Anreden tragen fast schon den Cha- rakter von Widmungen 2), wenn sie auch noch nicht als solche gemeint sind, sondern nur dem Dichter das äußere Recht geben, die Gedanken, die sein Inneres bewegen, auch vor die Öffentlichkeit zu bringen. Nachdem die Form gefunden und anerkannt war, werden diese Anreden seltener •'). Ich bezweifle, daß man auch 1) Bethe bei Gercke- Norden I 288. Die naive Vorstellung, daß Mimnermos' 'dichterisches Talent geweckt oder doch vorzugsweise ge- nährt wurde durch die Liebe zur Nanno' teilt heute wohl schwerlich noch jemand. 2) Besonders da , wo keiue Beziehung des Angesprochenen zum Inhalt des Gedichtes zu erkennen ist. Die Formen der Widmung sind von Stephan, Quomodo poetae . . carmina dedicaverint, Berlin 1910 nament- lich für die älteste Zeit nicht vollständig und, wie mir scheint, auch nicht überall richtig behandelt. 8) Daß sie bei Mimnermos fehlen, wird Zufall der Überlieferung sein. Denn die Anrede hat auch er noch. Solon scheint die Namen nur in echter Ansprache zu verwenden, wie an den kyprischen König und an Kritias. Dafür geht diese aber bei ihm schon an den nicht körperlich, 302 F. JACOBY nur ein Recht hat, aus solchen Äußerlichkeiten auf die Situation zu schließen , in der der Dichter seine Stücke zuerst vorgetragen hat oder sich vorgetragen denkt. Jedenfalls macht es für das Gedicht keinen Unterschied, ob Archilochos eine Elegie im älteren Typus mit der Anrede beginnt Aioijuid}], dijjLiov juev ^) emQQrjoiv jueXsdaivcov ovdelg äv judXa nöXk' i/uegoEvra nddoi' oder wenn Mimnermos einen ähnlichen Gedanken frei ausspricht in einem Distichon, das Wilamowitz von der häßlichen Entstellung der aus den Theognidea schöpfenden Ausgaben befreit hat^): Tt]v oavTOv cpQEva TSQJie ■ dvorjXeyecov dk tioIitcöv aXXog rig os xaxcbg, äXXog äjiieivov sgei. Was wir aber gerne wüßten, wäre, ob diese Distichen das sind, was sie vielfach scheinen, selbständige Gnomen, die als Skolien gedacht und entstanden sein können , aber nicht brauchen , oder Stücke aus einem größeren Zusammenhang. Es sind viele Fragen, die zu beantworten uns die Dürftigkeit der überlieferten Reste nicht gestattet. Aber sowenig wir von den zwei Büchern des Mimnermos oder wieviele es sonst waren ^) sondern nur im Liede Anwesenden. Wenn er in seinem größten Gedicht seine Gedanken in die Form des Gebetes kleidet, so dient das der feier- lichen Wirkung. Die Elegie Mrrj/uoovv}]? ist sein Glaubensbekenntnis. 1) So Elmsley schön aus überliefertem 6ijXovi.iev. dedov /hev Schneide- win und Srjtov ^ev HofFmann kommen dagegen nicht auf. 2) Dasselbe hat, wie im Vorbeigehen bemerkt sei, zu geschehen für das schöne Solonische frg 24 'laöv toi nlovzovoiv. Die vier bei Theogn. 719 — 28 hinzugefügten Verse bringen zwei dem Selon fremde Gedanken hinein. Es ist späte Fortdichtung, in der Mimnermos benutzt zu sein scheint. 3) Dnos lihros bezeugt Porphyr, zu Horat. epist. II 2, 101. Die Teilung des umfangreichen Buches in hellenistischer Zeit ist glaublich. Auch für Simonides gibt die vita slsyeiav iv ßißUoig ß, vor den ^'lafißoi. multa Ps. Acro. zu Hör. epist. I (>, 65 in zweifelhafter Umgebung. tioVm steht jetzt auch bei Suidas, dessen ßio? mit syQaips ßißXia zavra jioD.ä schließt. Änderungen wie Bernhardys EQonixa ra jiollä sind unglaublich. Vielmehr leitete ravza ursprünglich die Aufzähhmg der Werke ein und blieb ver- sehentlich stehen, als sie gestrichen wurde. Wenn der Verküizer aber 7io?J.ä dafür setzte, so standen da eben nicht bloß zwei Bücher Elegien, sondern vermutlich eine Reihe von Sondertiteln, wie in den ßioi des Solon und Tyrtaios. So lief das Lydergedicht sicherlich so gut unter einem Sondertitel, wie Solons 2a)Mfxig und Tyrtaios' Evroi^ila, die doch auch beide in der Sammlung standen. zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 303 besitzen, das Wesen des Mannes ist doch wolil etwas deutlicher geworden. Der Pohtiker Mimnermos — oder wie man das nennen will — , der adelsfeindliche Demokrat, der doch keinen anderen Anteil am Staate hat, als dafs er unter ihm leidet, ist wieder ver- schwunden. Dafür ist der Berufsdichter hervorgetreten und die literarische Bedeutung des Mannes gestiegen. Er war nicht nur 'Prediger und Verkünder einer Lebensanschauung'; diese Erkenntnis bleibt und vertieft sich vielleicht noch. Er war ein Dichter, der auf seinem Gebiete Neues versuchte und der die Elegie auf Bahnen führte, die Archilochos noch nicht betreten halte. Wir mögen zweifeln, ob uns die Erhaltung des ganzen Werkes viel Persönliches für sein Leben lehren würde; für alle Fragen, die sich mit der weiteren Entwicklung der Elegie verknüpfen, wäre sie von höchster Bedeutung. Dieses Werk, in dem so verschiedene Stücke neben- einander standen, wie das betrachtende Gedicht mäßigen Umfanges, die ausführliche epische Schlachtschilderung, das Enkomion auf einen vornehmen Mann der näheren Vergangenheit, vielleicht auch der kurze Sinnspruch, persönliche Gedanken und bestellte Arbeit, hat gewifs nicht ausgesehen wie der 'Theognis'^), diese Sammlung- kurzer Tischlieder, in die wie aus Versehen ein paar längere Stücke und wirkliche Elegien geraten sind, sondern etwa wie die Sammlung der Solonischen eXeyeia. Bei der Geltung, die sie in hellenistischer 1) Der auch in seinem ec-hten Bestand, soweit er kenntlich ist, nie 'KvQvog' hätte heißen können, sowenig wie Hesiods "Eoya 'Perses'. Es ist ein Unfug, den Megarer Theognis immer unter die Elegiker zu stellen. Er war, wenn man ihn schon mit einem Fachwort bezeichnen will, Gnomiker, Lehrdichter, und steht, so stark er namentlich von Solon beeinflußt ist, doch literarisch ganz in der Nachfolge Hesiods, wie das Friedlaender in d. Z. XLVIII 1913 S. 572 zutreffend ausgeführt hat. Unser 'Theognis' aber gehört zur Skolienpoesie, die mit der Elegie gattungs- mäßig soviel und sowenig zu tun hat, wie die Gnome, die schon vor Theognis einmal das distichische Gewand angezogen zu haben scheint, oder wie das auch mit Vorliebe ins elegische Maß gefaßte Epigramm. Über den Unterschied zwischen distichischen Skolien und Elegie darf weder die Existenz einer sympotischen Elegie hinwegtäuschen noch die Tatsache, daß man seinen pflichtmäßigen Trinkspruch gern aus elegischen Gedichten nimmt, die so viel Gnomisches enthielten, das sich infolge der Geschlossenheit des Distichons leicht ausschneiden ließ. Aber Lyrik und gnomische Poesie spielen als Quellen dieser dilettantischen Tisch- poesie kaum eine geringere Rolle. Oft kommt es auch bei Zusammen- arbeit der Lesefrüchte zu hybriden Bildungen. 304 F. JACOBY Zeit gewonnen hat, und weil die Möglichkeit, daß noch die Römer sie in Händen gehabt haben, nicht bestritten werden kann^), fragt man sich immer wieder, wie deren Elegie zu dem alten lonier ge- standen haben mag, wagt man immer wieder Rückschlüsse von dem Erhaltenen auf das Verlorene. Das ist gefährlicher Boden. Und nur zu leicht kommt man dazu. Unvergleichbares zu vergleichen. Formell hat ein Properz- oder überhaupt ein römisches Elegien- buch sicherlich sehr wenig Ähnlichkeit mit der Sammlung von Mimnermos' Elegien gehabt. Daß inhaltlich manche Berührungen bestanden, die hinausgingen über das Citat eines berühmten Wortes, das man nicht aus eigener Lektüre zu kennen brauchte, ist sehr möglich. Aber das Verhältnis ist kein einfaches, direktes. So tritt die Klage über das Alter, das der Liebe ein Ende macht, zuerst in der Elegie bei Mimnermos auf. Aber wie vollkommen anders be- handeln die Römer das was für sie ein rönog ist. Es ist alles ent- weder persönlich gewendet oder in der Weise der Komödie auf be- stimmte menschliche Typen gestellt. Dagegen ist die für Mimnermos so charakteristische Reflexion ganz verschwunden; aus der Gedanken- ist Gefühlspoesie geworden, wenn man Schlagworte brauchen darf. Man merkt, wieviel an Literatur dazwischen liegt, wie oft das Motiv hin und her gewendet ist. Was für Mimnermos etwas Neues war, dessen er sich mit Schmerzen bewußt wurde, die Gedanken, die ihn zur poetischen Aussprache zwangen, sind banal geworden und bieten nur noch den selbstverständlichen Hintergrund für die Anwendung auf die persönlichen Empfindungen des späteren Dichters. Man constatirt die Fortbildung zur persönhchen Anwendung hin schon bei einem Vergleich etwa des Platonischen Epigramms AP V 78 mit Mimn. frg. 5. Laus in amore mori mag ja '^denseiben (pürjdovog ßiog atmen" wie rig de ßiog, rl dk teqtivöv — näher steht freilich nach dem äußerlichen Wortlaut die ovidische Ver- wendung des berühmten Satzes als 'Motto': ^vive" dciis ^posito' si qnis mihi dicat ''amore' — aber die Fortführung, die von diesen Worten nicht zu trennen ist und die mit ihnen zusammen erst den eigentlichen Wesenszug nicht nur der Properzischen, sondern über- 1) Allerdings ist es auch nicht zu beweisen. Daß Eusebs Chronik Mimnermos nicht hat, ist Zufall. Er steht in bezeichnender Verbindung mit Antimachos bei Solin. 40, 6 p. 167, 1 Momms. ingenia Aaiatica inclita per gentes fuere: poetae Anncreon, indc Mimnermus et Äntimachus, deinde Hipponax, deinde Älcaens, inter quos etiam Sapplio mulier. zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 305 haupt der römischen Elegie gibt — laus altera, si datiir uno passe frui, fniar o soiiis amore meo — zeigt doch wieder, wie ganz Verschiedenes der Satz und der Gedanke bei den beiden Dichtern bedeutet. Bei dem Römer handelt es sich um die Person der Ge- liebten — und wer die Erotica des letzten Buches kennt, der weiß, daß diese Liebe zu einer bestimmten Frau bei aller conventioneilen Form, bei aller Aussingung in den späteren Büchern, nichts Gleich- giltiges ist für diesen Dichter — , bei dem lonier um die Liebe. Hier haben wir eine Lebensanschauung, die zum ersten Male dichterisch ausgesprochen und vertreten w^rd; dort die Benutzung dieser längst anerkannten, gleichberechtigt neben anderen stehenden Anschauung, die aufs literarische Gebiet übertragen dem Dichter das Recht gibt, einen ihm nicht zusagenden Stoff abzulehnen. Nichts steht in diesen Gedichten, das uns veranlassen könnte, eine direkte Beziehung zwischen ihnen und der alten ionischen Elegie herzustellen. Und doch war sie vorhanden. Wir fassen die römische Elegie ja doch auf als die klassicistische Erneuerung einer klassischen Gattung ^). Dann war Mimnermos ihr Archeget. Denn die römische Elegie be- schränkt sich als Ganzes auf das erotische eJdog , und Mimnermos hatte die Liebe für die Elegie entdeckt. Das M'ar die hellenistische Lehre des Kreises um Philitas^). Kein Zweifel, daß Mimnermos in den theoretischen Diskussionen der jungen Dichter des Proper- zischen Kreises eine große Rolle spielte; vermutlich eine sehr viel größere als in der Praxis der Studirstube und des dichterischen Betriebs. Der junge Properz hat in seinem Erstlingsbuche (I 9) 1) Rh. Mus. LX 1905 S.98ff. LXV 1910 S. 73ff. Es ist wesentlich, daß die Literatur :tfqi fuii^joeoig auch die Elegie berücksichtigt hat. 2) In der Titelfrage ist, auch wenn es sich um die Kömer handelt, Navvw nicht von Ävdi] und Aeöviiov und vermutlich auch nicht von 'Jgrjri] zu trennen. Diese ausschließliche Hervorhebung der erotischen Elegie, die Mimnermos sogar zum Erfinder der Gattung macht, steht eigentlich in unüberbrückbarem Gegensatz zu der vom Peripatos accep- tirten Lehre von dem ursprünglichen Trauercharakter der Elegie, wie sie Horaz in der Ars 75 versibus impariter iunctis querimonia primum ver- tritt, der doch Properz mit Mimnermos vergleicht, weil beide Erotiker sind. Die Brücke schlug gar nicht Mimnermos, der auch für die Hellenisten mehr Name war, sondern Antimachos mit der Avdr^, die zugleich erotisch und trauernd war. Daher dann die flebiUs elegia, die den Römern Dogma ist, sowenig sie von Antimachos haben. Daß ihre, oft gar nicht klagenden Lieder als flebiks gelten müssen, ist nichts als die "Wirkung der literar- historischen Construction. Hermes LIII. 20 306 F. JACOBY mit der Kenntnis des großen Namens renommirt: plus in amore valct 3Iininermi versus Honiero. Er mag sich wirklich einmal für den römischen Mimnermos gehalten und diese Bezeichnung als Gompliment empfunden haben '), Vielleicht ist er auch so weit gegangen, daß er mit dem Titel dieses Erstlingsbuches an Mijuveouov Navvdb erinnern wollte, wenn es tatsächlich, was ich immer noch nicht glauben kann, als Properti Cyntliia erschien 2). Dann war das aber eine persönliche Sache, eine Jugendeselei. Er hat sich schnell eines Besseren besonnen. Und als Horaz ihm boshaft das optivum cognomen bewilligte, da nannte er selbst sich bereits Momanus Callimachus und strebte nach dem Ruhme, in der Gesell- schaft der großen Hellenisten genannt zu werden. Er wußte es, daß seine Elegie, mochte an der Spitze der Reihe Mimnermos stehen, daß Gallus, dessen Nachfolger er sich nannte (II 34), und Tibull, mit dem er concurrirte^), aus anderen Quellen getrunken, an anderen Vorbildern sich inspirirt hatten; disccdo Älcaeus puncto Ulms; nie meo quis':^ quis nisi Callimachus? si plus adposcere visus, fit Mimnermus et optivo cognomine crescit — das hätte er vielleicht auch damals noch als Steigerung empfunden, eben weil der klassische 1) Rh. Mus. LX 1905 S. 43, 3. 2) Wilamowitz, Sapph. u. Sim. 301 f. 3) Die Annahme, daß 'Tibull die klassische Elegie studirt hat', wird so richtig und so falsch sein wie die gleiche Annahme für Properz. Daß er ihr aber etwas Besonderes, seine von Properz verschiedene Weise der Gedankenfübrung verdanken soll, scheint mir eine nichtige Behauptung. Weder ist der Vergleich dieser Weise mit der Solonischen gerechtfertigt — man wolle denn die Ähnlichkeit in dem großen Umfang suchen, der doch gewiß nichts für Solon Charakteristisches war, sowenig wie die andern Ortes zu besprechende Gedankenführung der großen Elegie in allen seinen Gedichten die gleiche war — noch ist der erste attische Dichter, der sich mühsam die Technik erwerben mußte und den die Römer nicht lasen, ein geeigneter Vertreter der klassisch-ionischen Elegie, noch kann man endlich behaupten, daß Properzens Weise keine Ana- logien in der klassischen Poesie gehabt hätte. Die ionischen Elegiker haben sicherlich nicht alle den gleichen Stil gehabt; es wird Unter- schiede gegeben haben, nicht geringer als die zwischen Tibull und Properz. Was wir von Mimnermos' persönlichen Gedichten haben, sieht Properz viel ähnlicher als Tibull, wenn man überhaupt vergleichen darf. Tibull aber ist gerade in der Composition der Einzelelegie wie in der des Buches, in dem seine Gedichte ihre Selbständigkeit nicht verlieren, so hellenistisch wie möglich, hellenistischer als Properz, wenn das möglich ist; vgh Rh. Mus. LXV 1910 S.73if. zu DEN ÄLTEREN GRIECH. ELEGIKERN 307 Name in der allgemeinen Schätzung dieser Epoche mehr galt als der hellenistische. Aber daß er jemals dem Mimnermos ein Studium gewidmet hätte, wie Horaz dem Alkaios, und daß dieses Verhältnis eine Analogie böte, das ist nicht erweislich und nicht glaublich. Darum kann man auch von seinem Werke aus keinen Rückschluß auf das des Mimnermos machen, ohne sich der Gefahr allerschwerster Irrtümer auszusetzen. Auch das Gesamtwerk des Mimnermos mag 'ein Lebensbild' geboten haben; das tut schließlich jede Sammlung von Gedichten, die nicht rein episch oder mimetisch sind. Aber ob dieses Lebensbild so beschaffen war, wie das aus den Dichtungen eines Archilochos, Alkaios, Anakreon, Catull, Horaz, Properz zu ge- winnende, ob es wirklich ein Bild seines äußeren, nicht nur oder doch vorzugsweise ein solches seines geistigen Lebens war, aus dem man nur vereinzelt und indirekt die äußeren Verhältnisse er- schließen kann, das ist und bleibt für uns zweifelhaft. Daß dieses Lebensbild des Mimnermos aber gar in erotischen Elegien sich aufbaute, das möchte ich fast nicht einmal zweifelhaft nennen. Kiel - Kitzeberg, z. Zt. Itzehoe. F. JAGOBY. 20=* DIE PARTEISTELLUNG DES THEMISTOKLES. Jeder, der sich wissenschaftlich mit der Geschichte des V.Jahr- hunderts beschäftigt, wird das Erscheinen von Belochs Griechischer Geschichte II 2 (1916) freudig begrüßt haben. Das Buch bringt wieder eine Fülle von neuen Gedanken und fördernden Erkenntnissen. Andrerseits fordert es freilich auch manchmal zu Widerspruch heraus. Besonderes Interesse wird wohl die überraschende neue Auffassung des Themistokles erregen, die Beloch vorträgt. Er sucht zu be- weisen, daß Themistokles kein radikaler Demokrat, sondern im Gegenteil ein Führer der attischen Aristokraten gewesen ist. Bei der großen Wichtigkeit des Gegenstandes hielt ich es für angebracht, hier eine Prüfung von Belochs Theorie vorzulegen. Um Raum zu sparen, sind im folgenden die bekannten Belegstellen in der Regel nicht wieder angeführt; wer sie sucht, wird sie ohne Mühe bei Beloch selbst, dann auch bei Ed. Meyer und Busolt finden. Zunächst sei kurz wiedergegeben, wie sich Beloch (a. a. 0. S. 130) den Gang der attischen Parteipolitik von der Vertreibung der Peisistratiden bis zum Zuge des Xerxes denkt. Es gab in Athen um 500 drei Parteien, zunächst die Tyrannenfreunde, sodann die vom Alkmeonidenhause geführten Demokraten; endlich eine dritte Partei, die sich aus der „großen Menge der übrigen Adels- familien" — neben den Alkmeoniden — zusammensetzte; dies war die Partei des Isagoras. Die letztere Partei sind die sogenannten yvo'jQifxoi. Nach der Vertreibung der Peisistratiden und der Nieder- lage des Isagoras haben zunächst die Alkmeoniden die Leitung im Staate, bis der Mißerfolg des ionischen Aufstandes zu ihrem Sturz führt. Nun kommen die Tyrannenfreunde ans Ruder, was in der Wahl des Hipparchos, Sohn des Gharmos, zum Archon für 496/5 seinen Ausdruck findet. Nach einigen Jahren werden sie aber von den yvwQijuoi abgelöst, deren Führer Themistokles 493/2 Archon ist. Die Leitung dieser Partei muß Themistokles freilich bald dem Miltiades überlassen, der gerade im J. 493/2 in Athen eintrifft. PARTEISTKLLUNG DES THEMISTOKLES 309 Beide Männer arbeiten indessen zusammen, und auch Aristeides ge- hört dieser Richtung an. Die yvojQijuoi bleiben am Ruder bis zu dem Mifaerfolg des Miltiades vor Faros. Dann werden sie wieder von den Alkmeoniden verdrängt, die im J. 4887 eine Verfassungs- reform „im ultrademokratischen Sinne" durchführen, die in der Einführung des Loses für die Archontenwahl und des Ostrakismos besteht. Aber schon im folgenden Jahre werden die Alkmeoniden wieder gestürzt, wohl infolge der Niederlagen gegen Aegina. Sie müssen von neuem den yvcbgi^ioi unter Themistokles und Aristeides Platz machen. Die Eintracht zwischen diesen beiden Häuptern der jetzt herrschenden Partei bleibt aber nicht lange erhalten. Es kommt zwischen ihnen um das Flottengesetz zum Gonflict, in dem Themistokles siegt. Er bleibt allein der maßgebende Staatsmann, bis dann der drohende Xerxeszug zur Versöhnung der Parteien und damit zur Rückkehr des Xanthippos und Aristeides führt. W^ährend des großen Perserkrieges stehen die Häupter der verschiedenen Parteien einträchtig nebeneinander. Dies ist die Auffassung Belochs. Zunächst ist die Scheidung der drei Parteien, von der er ausgeht, ohne Zweifel richtig. Aber wir müssen ihre Zusammensetzung und Tendenz etwas schärfer be- stimmen. Über die Freunde der Tyrannis besteht ja keinerlei Unklarheit; es bleiben die Demokraten und die yvo)Qii.ioi. Auf den ersten Blick könnte es scheinen, als fände man schon in den Gedichten Solons die gleichen beiden Parteien wie fast 2 Jahrhunderte später in der 'A&rp'aicov Tiolneia des Archidamischen Krieges, nämlich den „Demos" und die „Reichen". Aber der Demos, mit dem Solon zu tun hatte, war ein anderer als der des Kleon. Der , Demos" des Peloponnesischen Krieges, als politische Partei, ist die Gemeinschaft der Besitzlosen, die — weil sie die Majorität der Bürgerschaft ausmachen — wünschen, daß der Staat in ihrem Interesse regiert wird. Ihnen steht gegenüber die Minorität der Besitzenden, aber der Besitzenden im weitesten Sinne, einschließlich des Mittel- standes, der Handwerker und kleinen Bauern. Diese, die önXa nagexojuevoi, wehren sich dagegen, daß der Staat und sie selbst von den Massen ausgebeutet werden. Bei Solon indessen sind die Gegner des „Demos" die „Reichen" und „Mächtigen" im engeren Sinne. Zwar einen Geburtsadel als politisch-sociale Partei gibt es in dem Athen des Solon — wie vor allem W^ilamowitz mit Recht betont hat (Staat und Gesellschaft der Griechen S. 70) — nicht mehr. 310 A. ROSENBERG Aber der Adel assimilirt sich fortgesetzt die reichen Bürgerlichen, Großkaufleute und größere Gutsbesitzer, die seine Lebensideale und gesellschaftlichen Formen annehmen. Diese Oberschicht hat die Regierung in der Hand; was ihr als „Demos'' gegenübersteht, sind nicht nur die Besitzlosen, sondern auch der ganze Mittelstand. Am besten kann man den Unterschied mit den solonischen Klassennamen ausdrücken. Im G.Jahrhundert stehen die injzeTg gegen die Zeugiten und Theten; seit Perikles dagegen die ItuieXq und Zeugiten zu- sammen gegen die Theten. Zu der großen Veränderung des Be- griffs der Demokratie, wie sie in Athen um 460 eintritt, bietet das heutige Rußland einen hübschen Vergleich. Dort annektiren die Socialisten die Bezeichnung „Demokraten" für sich und sprechen von einer „demokratischen" Gonferenz, wenn die Vertreter der socialistischen Parteien, mit Ausschluß des Bürgertums, zusammen- treten. Auf der anderen Seite nehmen aber auch die Bürgerlichen, die „Kadetten", den Demokraten-Namen für sich in Anspruch. In Athen hatten auch nach Solon die „Pieichen" und „Mäch- tigen" die Regierung im Staat behalten, was zwar aus den Gedichten Solons selbst hervorgeht, aber den Theorien der Späteren wider- spricht; denn die „Reichen" stellen nach wie vor den Präsidenten der Republik, den Oberbefehlshaber des Heeres und die Mitglieder des Staatsgerichtshofs. Der „Demos" dagegen hatte im wesentlichen nur das Wahlrecht in der Volksversammlung, und das bedeutete praktisch kaum etwas, da die Wahlen ja doch immer auf einen der reichen Herren fallen mußten. Irgendeine Möglichkeit, die Exekutive zu beeinflussen , hatte die Masse der Bürger nicht. Die Unzufriedenheit des Demos mit der solonischen Ordnung hat ja ohne Zweifel der Tyrannis den Weg gebahnt. Erst nach dem Sturz der Peisistratiden schränkt Kleisthenes die Macht der „Reichen" auf Kosten des Mittelstandes ein, indem jetzt der Rat der 500, der Repräsentant des gesamten besitzenden Bürgertums, dem Präsi- denten der Republik controUirend zur Seite steht. Die Partei der „Reichen" unter Isagoras hatte vergeblich diese Reform zu hindern gesucht. Nach Belochs Meinung hat diese Partei der yvwQijuoi sich nach ihrem Mißerfolg auf den Boden der kleisthenischen Ver- fassung gestellt; sie suchte aber weitere demokratische Reformen zu verhindern. Nun ist es zwar sehr wahrscheinhch , daß die Reichen und Adligen in Athen einer weiteren Demokratisirung des Staates wenig sympathisch gegenübergestanden haben. Es fehlt uns PARTEISTELLUNÜ DES THEMISTOKLES 311 aber jeder Beweis dafür, daß eine derartige geschlossene Reaktions- partei in Athen nach Isagoras überhaupt bestanden hat. Es ist uns aus der Zeit von 500 — 460 keine einzige Situation bekannt, in der eine Partei der Reichen die Interessen der bürgerhchen, im Rat der 500 verkörperten Demokratie bekämpft hätte. Wir müssen vielmehr aus dem uns zu Gebote stehenden Material schließen, dafs der Adel sich nach der Niederlage des Isagoras von der Unmöglichkeit überzeugte, weiter eine Klassenpolitik zu treiben, Belochs Partei der yvwQijuoi schwebt also für die Periode 500—460 völlig in der Luft. Es müßte uns erst bewiesen werden, daß diese Partei überhaupt existirt hat, und zwar nicht aus den Angaben, die spätere Autoren, denen die Parteiverhältnisse der Perserkriege völlig unklar waren, über die politische Stellung einzelner Persönlich- keiten machen, sondern aus irgendeinem tatsächlichen Fall heraus. Mit den angeblichen yvcüQijuoi fällt aber auch die Zugehörigkeit des Themistokles zu dieser Partei. Aber wenn wir selbst annehmen wollten, die Partei der yvo')- QifÄOi habe in jener Zeit existirt, so läßt sich doch die Zugehörig- keit des Themistokles zu ihr nicht erweisen. Wenn wir uns noch einmal die Lage in Athen um 500 vergegenwärtigen, so kann kein Zweifel bestehen , daß nach dem Sturz der Tyrannen zunächst die Alkmeoniden als Führer der bürgerlichen Demokratie die Leitung des Staates hatten. Ebenso herrscht Einmütigkeit darüber, daß die Stellung der Alkmeoniden durch den Mißerfolg des ionischen Aufstandes erschüttert wurde, und daß die Wahl des Hipparchos, Sohn des Gharmos, zum Archon für 496/5 ein neues Hochkommen der Peisistratiden - Partei bedeutet. 493/2 jedoch finden wir als Archon Themistokles. Wie ist dies zu erklären? Beloch schließt so (S. 134): Zu den Tyrannenfreunden hat Themistokles sicher nicht gehört; da die Alkmeoniden später seine Feinde sind, habe er ihrer Partei auch nicht angehört; folglich müsse Themistokles der Partei der yvcoQijuoi angehört haben. Daß dieser Schluß nicht zwingend ist, wird wohl jeder Leser zugeben. Themistokles kann ein persönlicher Feind der Alkmeoniden gewesen sein und doch sachlich ebenso wie sie auf dem Boden der Demokratie gestanden haben. Beloch selbst (S. 141) nimmt keinen Anstoß daran, daß sich in den achtziger Jahren Themistokles und Aristeides erbittert bekämpften, obwohl sie beide der gleichen Partei — nach ihm den yvcoQif^oi — angehörten. Zur Stütze seiner kühnen Theorie führt 312 A. ROSENBERG Beloch noch an, es lasse sich aus der ganzen poh tischen Laufbahn des Themistokles keine einzige Maßregel im Sinne der , fortschritt- lichen Demokratie" anführen. Darin hat Beloch recht, wenn mit , fortschrittlicher Demokratie" die Demokratie der Besitzlosen im Sinne des Ephialtes und Perikles gemeint ist. Durchaus zutreffend betont Beloch gegenüber der herrschenden Ansicht, daß das Flotten- gesetz des Themistokles an sich kein radikal demokratischer Schritt gewesen ist ; denn es gab der Masse der armen Bürger nur eine neue schwere Last, aber keine weiteren Bechte. Erst eine spätere Generation hat aus dem Flottendienst der Armen den Schluß auf die Gleich- berechtigung aller Bürger gezogen. Aber solche radikal-demokratische Tendenzen sind vor 460 in Athen nicht nachzuweisen. Wir haben keinen Anhalt dafür, daß irgendeiner der Staatsmänner der Perser- Icriege schon politische Überzeugungen im Sinne des Perikles gehabt hat; also auch nicht Themistokles. Soweit werden wir mit Beloch gehen müssen, aber nicht darüber hinaus. Wenn man unbefangen, nur auf Grund der feststehenden Tat- sachen, die innere Geschichte Athens in der Zeit der Perserkriege betrachtet, so findet man nur zwei wirkliche Parteien : auf der einen Seite die Anhänger der Tyrannis und auf der anderen die Bepubh- kaner, die auf dem Boden der Verfassung des Kleisthenes stehen, die Vertreter der bürgerlichen Demokratie. Wenn nun in den Jahren 493—489 die Alkmeoniden von der Leitung des Staates verschwinden, aber doch die Demokratie sich kräftig behauptet, so ist daraus nur ein Schluß möglich : die Bürgerschaft hatte das Vertrauen zu den Alkmeoniden verloren, sie war auch einen Augenblick an der Republik irre geworden, wie die Wahl des Hipparchos zeigte. Aber dann bekannte sie sich wieder zu den Grundsätzen des Kleisthenes, jedoch unter neuen Führern , welche die Stelle der Alkmeoniden einnahmen, nämlich Themistokles, Miltiades und Aristeides. Von Miltiades behauptet Beloch ebenfalls, daß er ein Führer der yvdiQijiioi gewesen ist: ,er nahm dieselbe Stellung ein, die später sein Sohn Kimon eingenommen hat" (S. 136). Aber diese Auffassung des Kimon ist abzulehnen. Kimon ist viele Jahre hindurch von der attischen Bürgerschaft zu ihrem Strategen gewählt worden, er hat notwendigerweise die ganze Zeit hindurch mit der ßovXrj zusammen gearbeitet. Soll man annehmen , daß die Bürgerschaft zu ihrem Vertrauensmann eine Persönlichkeit machte, die often einer antidemokratischen Partei angehörte? Damit verträgt es sich PARTEISTELLUNG DES THEMISTOKLES 313 sehr wohl , daß Kimon die Bestrebungon eines Ephialles , den Staat den besitzlosen Massen in dic^ Hand zu spielen, entschieden bekämpfte. Er war eben der Vertreter der bürgerlichen Demokratie im Sinne des Kloisthenes. Das gleiche gilt aber auch von Miltiades, der auf dem Schlachtfeld von Marathon die Schöpfung des Kleisthenes verteidigt hat. Auch hier fehlt jeder Beweis, ja sogar jede Wahr- scheinlichkeit, daß Miltiades ein Gegner der kleisthenischen Demokratie gewesen ist. Wir finden indessen in den achtziger Jahren die demo- kratische Partei in zwei Richtungen gespalten , von denen die eine — unter Themlstokles — die Großmachts- und Flotten- politik vertritt, während die andere — unter Aristeides — diesen Weg nicht mitgehen will. Mit Beloch die eben charakterisirte Spaltung in die yvcogi/ioi hineinzutragen , fehlt jede Veranlassung. Es bleibt nun aber die recht schwierige Frage nach den Partei- verhältnissen von 489 — 484. Es seien zunächst die ganz sicheren Tatsachen hervorgehoben : wir beobachten einen scharfen Kampf der demokratischen Republikaner gegen die Peisistratidenpartei und die Tyrannengefahr überhaupt; Hipparchos, der Sohn des Gharmos, wird durch den Ostrakismos aus Athen entfernt. Zweitens sehen wir ein neues Aufkommen der Alkmeoniden, repräsentirt durch die erfolgreiche Anklage des Xanthippos gegen Miltiades, und ein paar Jahre darauf einen neuen Sturz dieser Familie (Ostrakismen des Megakles und Xanthippos). Nach der Tradition bei Aristoteles zählt Megakles in diesen Jahren zu den Tyrannenfreunden {'Äß. jx. 22); eine Auffassung, die noch um 430 in Athen so lebendig war, daß Herodot ihr in der bekannten Verteidigung der Alkmeoniden (VI 121 ff.) entgegentreten muß. Wenn man hier — mit Ed. Meyer — der Tradition folgt, wird der politische Zusammenhang ganz einfach. Die Alkmeoniden hatten etwa seit 493 die Führung der Demokratie eingebüßt. Um wieder zur Macht zu gelangen, trugen sie kein Bedenken, sich der anderen Partei, den Tyrannenfreunden zu nähern. Aber die Republikaner behaupten sich, und Megakles und Xanthippos werden nach Hipparchos ins Exil geschickt. Beloch verwirft indessen diese Gombination. Er nennt die angebliche Tyrannenfreundlichkeit der damahgen Alkmeoniden eine politische Verleumdung (S. 139), Ein direkter Beweis, daß Beloch unrecht hat, läßt sich in diesem Falle nicht beibringen. Wer an die Verbindung der Alkmeoniden und Peisistratiden nicht glauben will , mag annehmen , daß die 314 A. ROSENBERG Alkmeoniden in diesen Jahren, gestützt auf ihren großen Anhang, eine rein persönliche Intriguen - Pohtilc zu treiben suchten , aber dabei scheiterten. Dagegen bleibt es wieder eine völlig unerweis- liche Annahme Belochs, daß die Alkmeoniden — also in erster Linie Megakles — das Gesetz über die Erlösung der Archonten 488/7 veranlaßt haben. Beloch schreibt, daß in dem genannten Jahr eine „ ultrademokratische " Verfassungsreform erfolgt sei durch die Einführung des Loses für die Archontenwahl und des Ostrakismos (S. 139). Auf die Frage nach der Geschichte des Ostrakismos möchte ich hier nicht näher eingehen, so viel ist aber klar, daß der Zweck des Ostrakismos ursprünglich nur gewesen sein kann, einen für den Bestand der Verfassung gefährlichen Mann aus dem Staat zu entfernen. Es liegt also eine Schutzmaßregel der Republik vor; sie ist aber an sich nicht „ ultrademokratisch ", weil sie in keiner Hinsicht der breiten Masse mehr Nutzen bringt als dem besitzenden Bürgertum. In der Beseitigung der Archontenwahl hat man bisher freilich durchweg einen „ ultrademokratischen " Schritt gesehen. Auch Ed. Meyer z. B. betonte (Gesch. d. Altertums III 342), daß die Reform „jedes verfassungsmäßig zur Leitung der Regierung berufene Amt beseitigt" habe. „Nur das Volk selbst bleibt übrig, um in den ordnungsmäßigen Formen der Volksversammlung seinen Willen kundzugeben".') Aber es bleibt doch zu erwägen, ob wirklich die Reform von 488/7 gleich von Anfang an die Macht der Volks- versammlung, d. h. der breiten Masse, gestärkt hat. VVir wissen zwar so gut wie nichts Sicheres über die Gompetenzen des Archon vor 488/7. Aber so viel ist doch klar, daß er — als Präsident der Republik — ein aasführendes und kein gesetzgebendes, be- schließendes Organ gewesen sein muß. Die rein beschließende Volksversammlung gewinnt also durch eine Veränderung der Exekutive zunächst nichts. Vielleicht läßt sich aber doch, wenigstens mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, ermitteln, wer damals vor allem der Erbe des Archon geworden ist. Aristoteles berichtet ('A'd: ti. 44) von dem merkwürdigen Ein- tags - Präsidenten der attischen Demokratie, dem eTiiGxdxy^q der Prytanen (vgl. dazu Schoemann-Lipsius I 402. Wilamowitz, Staat 1) A.a.O. 344 sagt Ed. Meyer: „Wenn durch, die Verfassungsänderung Ernst gemacht wird mit dem Gedanken, daß in Athen tatsächlich wie rechtlich niemand anders regieren soll als das Volk selbst . . .". PARTEISTELLUXG DES THEMISTOKLES 315 u. Ges. 101. Szanto Real-Encykl. VI 200). Der Mann führt während seines Tages u. a. das Staatssiegel und die Schlüssel zur Staatskasse. Nun ist es doch sicher, daß der Archon, solange er noch der wirkliche Präsident der Republik, der Repräsentant des attischen Staats nach außen und innen gewesen ist, auch das Staatssiegel selbst geführt hat. Diese Funktion hat er also 488 7 an den Vorsteher der Prytanen abgegeben. Damit gewinnen wir wenigstens einen Weg- weiser für Weiteres. Die permanenten Prytanen haben später vor allem die laufenden Alltagsgeschäfte des Staats zu erledigen. Auch dies ist eine Aufgabe des Präsidenten der Republik, solange es einen solchen gibt. Ferner hat die ßovh) in späterer Zeit merk- würdige Exekutivrechte, die sonst antiken Ratsversammlungen nicht zukommen: ihr untersteht die Polizeitruppe, und sie kann Verhaftungen anordnen (vgl. Wilamowitz a. a. 0.). Auch das sind sonst Gompetenzen eines regierenden Magistrats. Wenn auch im einzelnen bei dem Versagen der direkten Überlieferung sich wenig Sicheres sagen läßt, so viel ist doch klar, daß durch die Reform von 488/7 die Exekutiv- gewalt des Archon in w^eitem Umfang auf Fiat und Prytanen über- gegangen sein muß. Kleisthenes hatte von Anfang an dafür gesorgt, daß sein Rat der 500 nicht vom guten Willen des Präsidenten der Republik ab- hängig war, indem nun neben den Archon der ständige Rats- ausschuß der Prytanen trat. Wie sich in der Praxis vor 488/7 das Verhältnis des Archon zu den Prytanen gestaltete, ob diese nur zu controlliren oder auch schon mitzuregieren hatten, wissen wir nicht. Aber Reibungen und Gegensätze zwischen beiden Faktoren dürften nicht gefehlt haben. Die Reform von 488/7 stellte nun den Archon kalt und ließ die Prytanen allein am Ruder. Es ist nur eine Hypothese, aber sie verdient wohl ausgesprochen zu werden, daß der £71101(1x7]? der Prytanen erst damals geschaffen worden ist, der Eintags- Präsident als Ersatz für den Jahres-Präsidenten. Im V. Jahrhundert beruft der ETnordr)]? Rat und Volksversammlung. Wenn unsere Hypothese zutrifft, würde daraus folgen, daß ursprüng- lich der Archon dieses Recht gehabt hat. Dann hätten also weder Rat noch Volksversammlung in Wirksamkeit treten können, wenn der Präsident es nicht gewollt hätte, und der Archon würde vor 48 3/ 7 eine ähnliche Amtsgewalt besessen haben wie der römische Consul. Seit der perikleischen Zeit setzen sich Rat und Volksver- sammlung aus denselben socialen Schichten zusammen, so daß ein 316 A. ROSENBERG, PARTEISTELLUNG DES THEMISTOKLES Gegensatz zwischen ihnen im allgemeinen nicht zutage tritt. In der Zeit der Perserkriege dagegen, als die Ratsdiäten noch nicht existirten, war die ßovXr] ein Ausschuß des besitzenden Bürgertums. Eine Reform also, die der ßovh) die Regierung des Staats in die Hand gab oder doch geben wollte, war 488/7 nicht „ultrademo- kratisch", sondern sie stärkte die bürgerhche Demokratie im Sinne des Kleisthenes. Daneben sicherte sie die Republik davor, daß irgend- ein kühner Mann die Amtsgewalt des Archon ausnutzte, um zur Tyrannis aufzusteigen. Die Einführung der Archontenlosung ergänzt also die Anwendung des Ostrakismos. Auf welchen attischen Staats- mann speciell diese Reform zurückging, wissen wir nicht. Belochs Theorie, daß die Alkmeoniden die Urheber der Archontenlosung waren, ist zumindest völlig unbeweisbar. Abschließend sei noch einmal betont, daß von ultrademokratischen Tendenzen im Athen der Perserkriege nichts zu beobachten ist. Von keinem der damaligen Staatsmänner läßt sich mit triftigen Gründen behaupten, daß er eine Herrschaft der besitzlosen Masse anstrebte. Mit vollem Recht hat Beloch eine derartige Auslegung des themistokleischen Flottengesetzes abgelehnt. Aber von der Be- schränkung der Archontengewalt und vom Ostrakismos gilt das gleiche. Berlin. ARTHUR ROSENBERG. zu XENOPHONS KYNlirETlKOl. Ein Fragment. [Als mein Bruder Gustav merkte, daß die Zunahme seiner Krankheit ihm die weitere praktische Ausübung der geliebten Jagd allmählich verbiete, beschloß er, dem von ihm begeistert gepflegten Jagdsport mit der Feder zu dienen. Er plante eine Schrift „Die Jagd im Altertum" und legte für sie im letzten Jahre seines Lebens eine umfassende Material- sammlung aus Schriftstellern und Denkmälern an. Eine Skizze des ge- planten Werks legte er in seinem letzten Vortrag seinem Göttinger wissenschaftlichen Kränzchen vor. Leider hat er für diesen sehr beifällig aufgenommenen Vortrag nur die Stichworte zu Papier gebracht, und dies Gerippe eignet sich nicht zur Drucklegung. Ausgearbeitet fanden sich in seinem Nachlaß nur nachfolgende weidmännische Bemerkungen zu Xenophons Schrift über die Jagd. Auch ihnen fehlt offenbar der Abschluß, aber sie enthalten so viele für die Beurteilung des umstrittenen Buchs wertvolle Beobachtungen, die schwerlich ein anderer Altertums- forscher zu geben vermöchte, daß die Hinterbliebenen glauben, sie den Fachgenossen nicht vorenthalten zu sollen. Sollte ein Forscher den Wunsch haben, die von meinem Bruder begomiene Arbeit über die Jagd im Altertum aufzunehmen, so wird seine Witwe ihm gern das gesammelte Material anvei trauen. Leipzig. ALFRED KÖRTE.] Als älteste und wichtigste Quelle unserer Kenntnis des Jagd- wesens bei den Griechen gilt der unter Xenophons Namen gehende Traktat von der .Jagd (Kvv)]yeTiy.6g). Das ganze Altertum hin- durch ohne Widerspruch für ein echtes Werk Xenophons ge- halten, ist er neuerdings, namentlich durch die vortreffliche Unter- suchung von Radermacher (Rh. Mus. LI 1896 S. 596 — 629 und LH 1897 S. 13—41) einwandfrei als untergeschoben erwiesen worden. Denn , überall liefäen sich deutliche Unterschiede gegen- über der Sprache und dem Stile Xenophons nachweisen" (a. a. 0. LI S. 622). Nach Radermachers Darlegung kann die Schrift nicht vor der ersten Hälfte des IV. Jhs. vor Chr. verfaßt sein, das Prooemion nicht vor dem III. Wenn diese Ansetzung im allgemeinen richtig ist, so bleibt der Wert der Schrift als der ältesten theo- retischen Abhandlung über die Jagd bei den Griechen allerdings bestehen. 318 G. KÖRTE Eine andere Frage aber ist, ob sie in der Tat in der Absicht geschrieben worden ist ^), ein praktisches Handbuch der Jagdausübung zu geben-) (wie es Xenophons Schrift :rteQl inmy.fjg auf einem andern Gebiete des Sports wirkhch ist) und ob ihr Verfasser als Fachmann, als „echter Weidmann" gelten kann, wie Radermacher (a. a. 0. LI S. 627) als ausgemacht hinstellt. Eine eingehende sach- liche Prüfung vom Standpunkte des praktischen Jägers aus läßt das bezweifeln. Zunächst kann die Schrift auch nicht entfernt als eine er- schöpfende Darstellung des Stoffes angesehen werden. Denn sie behandelt zum weitaus größten Teile nur die Jagd auf den Hasen, dessen körperliche Eigenschaften und Gewohnheiten ; in einem Kapitel (IX) ist sodann die Rotwild-, im folgenden (X) die Schwarz- wildjagd behandelt, endlich ganz kurz die Jagd auf reißende Tiere, welche auf fremde Länder außerhalb Griechenlands beschränkt ist (Kap. XI). Sehr breit handelt der Verfasser in den beiden Schluß- kapiteln (XII. XIII) von dem Nutzen der Jagd für Jugenderziehung und Staat. Die Disposition des Ganzen muß als recht mangelhaft be- zeichnet worden , Zusammengehöriges ist auseinandergerissen , die Darstellung im einzelnen ist alles andere als klar und präcise. So beginnt die Auseinandersetzung über das, was zur Jagd gehört, ganz unvermittelt mit dem Netz wart {aQy.vcoQÖg) und dessen notwen- digen Eigenschaften (II 3). Dann folgt eine sehr ausführliche Be- schreibung der verschiedenen Netze. Erst viel später wird über die Ausrüstung des Netzwartes und die Aufstellung der Netze gehandelt (VI 5 ff.). Eingeschoben ist eine ganz allgemein gehaltene Besprechung der Hunderassen (III), ohne Angabe, ob es sich um die speciell für die Hasenjagd gebrauchten oder um Jagdhunde überhaupt handelt (jenes scheint gemeint, denn bei der Schilderung der Jagd auf Rot- und Schwarzwild werden die hierzu erforderlichen Hunderassen wieder nur summarisch erwähnt). Daran schließt sich die Schilderung des Spürens der Hunde, der hierbei zu vermeidenden 1) Der Verf. tut so: c. II 2 oaa ök xal ola dsT ^aosay.Evaausvov eX^sTv E7i' avTO cpodaco y.al aviä xal trjv EJiiotrjiirjv Exdozov , i'va nooEidcbg EyXElofj TW EQyO). 2) Kaibel in d. Z. XXV 1890 S. 582 f. Jn Wirklichkeit aber ist der Kynegetikos weit entfernt davon , ein Handbuch für Jäger , oder nur dies zu sein. Er ist in erster Linie eine Lobrede auf die Jagd." zu XKNOPHONS KYNIIFETIKOl^ 319 fflileiliaften und der erforderlichen Eigenschaften sowie des Körper- baus (IV). Wiederum getrennt hiervon wird das Gerät zur Füh- rung der Hunde beschrieben (VI), an andrer Stelle das Wölfen und die Aufzucht der Hunde (VII 1) und deren Benutzung zur Hasenjagd. Zwischendurch ist von der Ausrüstung des Jägers und seiner Tätigkeit bei der Jagd , im wesentlichen der Führung der Hunde (daher der Name xvvf]yeT'i]g, d. i. Hundeführer) gehandelt. Wiederum für sich steht die Anweisung zur Jagd bei Schnee in Kap. VIII, am Schluß des ersten und Hauptteils der Schrift, was allerdings in- sofern gerechtfertigt erscheinen mag, als sie ohne Hunde vor sich gehen soll. Diese das Zusammengehörige auseinanderreißende Gliederung des Stoffes trägt sicherlich nicht zur Klarheit der Darstellung im ganzen bei und erschwert deren Anwendung in der Praxis. Aber dieser Fehler kann auf die geringe schriftstellerische Übung und Begabung des Verfassers zurückgeführt werden. Anders steht es mit der Unvollständigkeit der Darstellung, dem Fehlen von Angaben, die man in einem Handbuch der Jagd zu suchen berechtigt ist, endlich einer ganzen Reihe von solchen, welche so offenbar irrig sind, daß man sie einem praktischen Jäger unmöglich zutrauen kann. In erster Hinsicht (Unvollständigkeit) fällt auf, daß von der Jagd zu Pferde (ohne Netze und Schlingen), welche Plato Leg. VII 824 A allein billigt, überhaupt nicht die Rede ist. Der Einwand, Ver- fasser sei eben kein vornehmer Mann (Radermacher a. a. 0. LI S. 627), ist nicht stichhaltig, denn was er als Voraussetzung für den Jagd- betrieb hinstellt: die Haltung einer Anzalil von Hunden (diese ist durchgehends vorausgesetzt, namentlich VI 12), eines eigenen Sklaven als Netzwart, der verschiedenen Arten von Netzen, setzt doch, selbst wenn nur die Hasenjagd in Betracht gezogen wird, einen nicht unbeträchthchen Aufwand voraus, zu welchem nur Reichere imstande waren. Und ferner: von der Niederjagd sollte wenigstens die auf den Fuchs nicht ganz mit Stillschweigen über- gangen sein. Das Tier selbst wird aber nur an zwei Stellen bei- läufig erwähnt (VI 3 und V 4) , aus denen hervorgeht , daß es nicht selten gewesen sein kann. Auch erscheint der Fuchs auf Monumenten neben dem Hasen als Jagdbeute ^), und ein Vasenbild 1) z. B. Berlin. Vas. 2053. Brit. Mus. Cat. of gr. and etr. vases II B 52 (Walters) und ebenda 421. 320 G. KÖRTE des V. Jhs.^) lehrt uns, daß sein Fang mittels Fallen (Schwanen- hals) schon damals geübt wurde. Die äußerst summarische Behandlung der Hunderassen ist schon erwähnt worden. Von einem Handbuch für Jäger dürfte man gerade über diesen wichtigen Punkt, über Rasseeigenschaften und Verwend- barkeit der einzelnen , genauere Angaben erwarten. Auch über Aufzucht und Abrichtung der Hunde erfahren wir nur sehr wenig, und doch kann die letztere nicht ganz gefehlt haben. Wenn (VII 9) empfohlen wird, junge Hunde, welche (ausnahmsweise) einen Hasen gefangen haben, diesen zerreißen zu lassen, so ist kaum zu glauben, daß dieser Rat von einem praktischen Jäger ausgeht, denn so würden die Hunde ja zum Anschneiden geradezu erzogen, während sie doch der Regel nach den Hasen nicht fangen, sondern in die Netze jagen sollen. Als einziges Ausrüstungsstück des Jägers wird eine Keule, QOJialov, genannt (VI 11), offenbar identisch mit dem sonst als layco- ßoXov bezeichneten und häufig abgebildeten Gerät, einem kurzen, nach oben keulenartig verdickten und meist etwas gekrümmten Knüppel, der zum Schlagen und , wie der Name sagt, zum Wurfe diente. Über seine Anwendung wird nichts gesagt, namenthch nichts über den Gebrauch als Wurfholz. Nur einmal heißt es (VI 17), der Jäger solle das oonaXov y.ard. rov laydo erheben, aber nicht dem flüchtigen Hasen entgegentreten, weil dies zwecklos sei. Und doch muß in der Praxis das Lagobolon zur Erlegung des kurz vor dem Jäger aufstehenden oder ihm flüchtig nahekommenden Hasen häufig gedient haben , wozu es wohl geeignet war. Der Netzwart muß mit einem ähnlichen Instrument ausgerüstet gedacht werden, denn ihm fällt es zu^ den ins Netz geratenen Hasen zu töten^). Es wird aber bei der Ausrüstung des Netzwarts (VI 5) 1) Panofka, Gab. Poux-tales pl. 29. danach Schreiber, Bilderatlas Taf. 80, 3. 2) VI 18 scheint mir die Lesart der Handschrift: ziuiaäico naXg. .^ais drj, :iute dfj, mit einer Lücke davor, die vom Sinne geforderte. Denn Dörners Lesmig avTO) aaTg ,, hierher, Bursch" und dann jiaT 8)j, .-zaT ö/j ,Bm\sch höh, Bursch höh" stimmt nicht zum Zusammenhang. Im Augenblick, da der Hase, nach dem Ort, wo er aufgestoßen worden, sich zurückwendend, den Netzen nahe kommt, ruft der Jäger dem Netzwart zu, (aufzupassen und) zuzuschlagen. Daß er ihn zu sich heranrufen soll, ist sinnlos, da der Netzwart eben an den Netzen aufpassen und im gegebenen Moment einzugreifen hat, während der Jäger die Hunde dirigirt. zu XENOPHONS KYNHrETIKOS 321 nicht erwähnt. Wie hier eine der Natur der Sache nach geforderte, für die Jagdausübung nicht unwichtige Anweisung fehlt, so wird wiederum bei der Schilderung der Jagd auf Rotwild (IX 20) die Angabe vermißt, auf welche Weise dies im Sommer ohne Schlinge eingeholt und erlegt werden könne: offenbar doch nur durch Hunde, welche das oder die Stücke „stellen". Von der Anwendung von Netzen, die doch auch für die Jagd auf Rotwild bezeugt ist ^), erfahren wir nichts, dagegen finden sie wieder ausführliche Er- wähnung bei der Jagd auf Schwarzwild (X). Auffallender als dieses Fehlen von notwendigen Angaben und für die Beurteilung der ganzen Schrift wichtiger sind gewisse Un- klarheiten der Schilderung sowie Angaben , die von einem prak- tischen Jäger und Zeitgenossen des Verfassers unsrer Schrift nicht herrühren können. Gleich der Beginn der ausführlichen Anwei- sung zur Hasenjagd läßt es unklar, ob es sich um Feld- oder Waldjagd handelt. Nur die Vorschrift , man solle zunächst die Hunde ,am Walde" anbinden^), weist auf die erstere, wie auch der weitere Verlauf der Jagd. Eine große Rolle spielt für diese das Wort Yivoq. Es wird in zwei Bedeutungen angewendet. Einmal (V 1 und wiederum VI 4 in dem abgeleiteten Tätigkeitsworte l'yvevoig) bedeutet es die der Fährte des Hasen anhaftende Witterung, an anderen Stellen (häufiger) die Spur oder Fährte selbst. Eine Anzahl von Vor- schriften nun läßt sich nur so verstehen, daß der Verfasser meine, diese Fährte des Hasen sei dem Jäger durch das Auge wahrnehmbar. So V 6, wo es heißt „im Winter, Sommer und Herbst sind die Spuren in der Regel gerade, im Frühhng dagegen verschlungen", weil in diesen vorzugsweise die Rammelzeit des Hasen falle und ihn zum Umherschweifen veranlasse. Oder VI 20 : „Falls sie (die Hunde) aber nicht auf der Spur sind, sondern sie überschießen, so rufe er sie an: Nicht weiter, meine Hunde! Und falls sie (21) neben ^) der Spur stehen, so führe er sie in vielen und dichten Kreisen herum. Wo ihnen die Spur undeutlich ist, da mache er sich ein Zeichen für sich selbst, und von diesem aus halte er sie zusammen, 1) Pollux V 77 Sixrvoig fih ei rig oyfisvaag (mit Treibern) avzäg avveXäoEiEv. 2) VIll EX ri]g vlrjg. Dömer übersetzt falsch: „außerhalb des Gehölzes", was vielmehr exrog r. v. heifBen müßte. 3) So Dömer; jtqootcöoi roTg l'xvsoi eigentlich vor der Spur, Hermes LIII. 21 322 G- KÖRTE bis sie (die Spur) deutlich erkennen." Aber noch mehr wird dem Jäger zugetraut. Der Verfasser unterscheidet (V 9) zwischen La- ger- und Wechsel -Hasen {evvaiog und ögofinTog). Dörner über- setzt so und meint, es werde im modernen Sinne zwischen Stand- und Wechselwild unterschieden. Im Sinne des Verfassers unsrer Schrift richtig, wie V17 beweist: ^Die allerorten herumschweifenden 1 Wechselhasen] aber sind schwer im Laufe zu fangen {^(^alejTol TiQog Tovc ÖQOjiwvgY ; sachlich gewiß nicht zutreffend, denn der Begriff von Stand- und Wechselwild ist auf den Hasen nicht an- wendbar: Wechselhasen in diesem Sinne hat es im Altertum und auf griechischem Boden sowenig gegeben wie heutzutage. Der Verfasser scheint eine zu seiner Zeit verbreitete Meinung wieder- zugeben, und aus deren Irrigkeit ist kein Schluß auf seine Uner- fahrenheit in der Jagdausübung zu ziehen. Aber, wenn (VI 14) gesagt wird: „sobald aber der Hund (nämlich der zuerst losgelassene, im Spüren sicherste) die gerade Spur unter den verschlungenen angefallen hat, löse er (der Jäger) einen zweiten", wenn aber die Spur weiter geht^), in kurzen Zwischenräumen auch die übrigen nacheinander, so muß der Leser annehmen, der Jäger sei imstande, aus eigener Wahrnehmung die gerade Spur unter den verschlungenen zu erkennen und das Ver- halten der Hunde danach zu beurteilen oder zu corrigiren. Noch deutlicher geht dies aus VII 6 hervor: „Man soll die jungen Hunde auf die Lagerspuren nicht lösen, sondern sie am langen Kiemen halten und den spürenden Hunden folgen lassen" und VII 9: „Auf den Laufspuren dagegen lasse man sie fortsuchen, bis sie den Hasen fangen." Woran, so fragt man, soll der Jäger erkennen, ob es sich im Einzelfalle um Lager- oder Laufspuren (nämlich die des angeblichen Wechselhasen) handelt, wenn ihm selbst die Spur nicht wahrnehmbar ist? Der Hase hinterläßt aber, außer bei Schnee, keine erkennbare Fährte, es sei denn etwa auf einer betauten Wiese oder einem glatt gewalzten Ackerstück. Diese Anweisungen können demnach von einem praktischen Jäger nicht herrühren. Vollends aber gilt dies von der Anweisung zur Jagd bei Schnee (Kap. VIII), Sie soll ohne Hunde mit einem Begleiter und mit Benutzung der Stellnetze betrieben werden. Hat man eine nach vielfachen Absprüngen bzw. Wiedergängen des Hasen gerade, ohne 1) Die Worte JisQaivofiivov öh tov l'p'ov? können nicht mit Dörner übersetzt werden „wenn er die Spnr aufnimmt''. zu XENOPIIONS KYNIIFETIKOI 323 abzweigende andre Spuren, auf einen Punkt (das Lager) fortführende Spur ausgemacht, so gehe man nicht gerade hin/.u, um den Hasen nicht rege zu machen, sondern umkreise ihn: er wird ruhig sitzen- bleiben. Dann suche man weiter. Schhefshch kehre man zu dem erst gefundenen zurück, umstelle ihn mit den Netzen und mache ihn dann rege. Sollte er sich aus den Netzen frei machen, so sehe man, wo er im Schnee sich drückt und umstelle ihn aufs neue. Drückt er sich nicht, so verfolge man ihn; denn er wird auch ohne die Stellnetze sich fangen lassen : er ermattet nämlich bald wegen der Tiefe des Schnees und weil sich ihm unten an den behaarten Läufen eine große Masse anhängt. Bietet schon die ganze Anweisung Unwahrscheinliches , so , daß der einzelne vom Jäger festgestellte Hase ruhig sitzenbleiben solP), bis er mit Netzen umstellt ist, so ist der Schlußpassus, daß der Hase im tiefen Schnee schnell ermatte und von zwei Männern gefangen werden könne, ganz ungeheuerlich. Gerade bei Schnee ist der Hase, der die Hälfte der Hinterläufe aufsetzt und dadurch den Vorteil hat wie ein Mensch auf Schneeschuhen, nicht nur dem verfolgenden Jäger, sondern auch den Hunden beträchtlich an Schnelligkeit überlegen. Denselben Vorteil hat er bei der Flucht über Sturzacker. Göttingen. GUSTAV KÖRTE t. 1) [Hier möchte ich den Verfasser des xmnp/Exixög auf Grund von Jagderzählungen meines Vaters verteidigen, mein Bruder hat das xvxXo) ExnsQuivm nicht genügend bewertet. Mein Vater erzählte oft, daß in seiner Studentenzeit ein alter Förster auf dem Gut seines Schwagers, wenn er den Gästen seines Herrn einen „sichern" Hasen verschaffen wollte, in früher Morgenstunde das Lager eines Hasen umkreiste , worauf der Hase stmidenlang sein Lager nicht verließ. A. Körte.] 2V- PY0MO:S Um hinter den Ursprung eines metaphorischen Ausdrucks zu kommen, vollends eines früh in die Conventionelle Sprache wissen- schaftlicher Terminologie übergegangnen , soll man nicht mit Hi- storikern und Philosophen wie Herodotos und Demokritos beginnen. Überhaupt gilt es erst einmal alles zu vergessen , was wir heute mit einem Wort wie Rhythmus ^) verbinden. Wohl uns , daß der Zufall uns für Qv&juog (gvo/xög) einen Beleg aus Archilochos be- schert hat. In dem Tetrameterfragment der Selbstparaenese (fr. 66), OvfiE, &vjii^ a/jn-jy^dvoioi xijdsöiv xvxcojiieve lauten die Schlußworte: (als Sieger nicht prahlen, als Besiegter nicht jammern!) äXkd laQxoioiv re x^^Q^ ^^'^ >iOL>iOioiv äny^dla jui] Xh]V yiyvcooy.E d' olog ov&juög ävßowTiovg e^ei- Wer hier bei ovüjuog an einen Charakter der Menschenseele denkt, hat sich nicht die Mühe genommen, auch nur die vorhergehende Zeile anzusehn. Gemeint ist, auch von niemand bisher mißver- standen: 'das Menschenleben steht unter dem Zeichen eines steten Wechsels von Glück und Unglück, von Schmerz und Freude', ein Gedanke, der allen Dichtern vertraut, von ihnen mit allen möglichen Bildern illustrirt wird, am liebsten wohl mit der Vorstellung wechselnder Winde (Find. Olymp. VII 95, Pyth. III 104, Isthm. IV 5; 'Schicksal des Menschen, wie gleichst du dem Wind', Goethe), aber auch von Wellenbewegung ('auf der steigenden, fallenden Welle des Glücks', Schiller). Wenn nun heute die Etymologen einig sind in der grammatisch allein glaublichen Ableitung von qeco — ohne sich übrigens die Schwierigkeiten des Bedeutungsübergangs zu ver- hehlen — , w^ie soll man sich die Situation des Mannes vorstellen, dem zuerst bei einem Fließen der Gedanke gerade an Wechsel von Glück und Unglück gekommen wäre, oder umgekehrt? Der in der Formel jiävza qeX in die geflügelten Worte übergegangene Satz des Herakleitos bezeichnet einen ebenso unmerklich als rasch sich vollziehenden Wandel der Gegensätze, wie Feuer und Wasser, und 1) Eug. Petersen, Rhytlimus. Abh d. Gott. Ges. cl. Wiss. N. F. XVI 5. PYeMü:>: 325 deutet damit mehr pliilosophiscli als bildhaft anschaulich aul' ihre höhere Einheit. So fehlt denn auch bei ihm das Wort Qvo/iög vielleicht nicht zufällig: geTr rd liXa TioTUfiov dixi]v lautet seine Lehre (nach Diog. Laert., Diels Vorsokr. P 69, 5). 'Daß der ov^jnog von den Griechen dem Meere abgelauscht ward, steht mir fest', urteilte Georg Gurtius, Lübecker Kind (Grdz. d. gr. Etym. ^ S. 353). Aber für die Wellenbewegung des Meeres ist ge7v nicht der übliche Ausdruck, wenn man absieht von Bildungen wie äjuquQvrog, JiEQiQQvrog, und der sehr gewählten Um- schreibung für das Meer, äXiQQvrov äXoog bei Aischylos (Hiket. 868); y.ax' ' Qxeavbv Tioxajudv cpege xv/xa qvoio sagt die Odyssee am Schluß der Nekyia (X 699), und in Dareios' Rede (Aisch. Pers. 745) gedachte Xerxes den heiligen Hellespontos o^rjoeiv geovra Boono- Qov §6ov deov. Okeanos und Bosporos sind dem Griechen eben Ströme. Woher also das Bild? 'Der Main bei Frankfurt wird es keinen lehren', schreibt mir ein Freund, Svohl aber jeder Bach in einem Taunustal; immer neues Wasser, immer an den selben Steinen des Grundes sich hebend und dann wieder sich senkend: wirklich das anmutigste Bild der Dauer im Wechsel!' In der Tat, das anmutigste Bild! 'Seele des Menschen, wie gleichst du dem Wasser, Schicksal des Menschen, wie gleichst du' — den zum Auf- und Niedersteigen zwingenden Steinchen des Flußbetts! Wen für das nach Archilochos den Menschen bald erfreuende, bald nieder- drückende Schicksal das Bild doch zu idyllisch anmutete, der brauchte nur für den Taunusbach einen Bergstrom zu setzen, deren es ja in Griechenland und Kleinasien reichhch gibt: Jünglingfrisch Tanzt er aus der Wolke Auf die Marmorfelsen nieder, Jauchzet wieder Nach dem Himmel. Dem Griechen würde das wohl eher ein gva^ sein, ein Wassersturz, als ein Qvdjuog. Doch sehen wir uns weiter um: das nächste Beispiel in der uns erhaltnen griechischen Dichtung bietet Anakreon (74): eyco de luioeoo Jidvxag, oooi '/poviovg ey^ovoi gvß^juovg xal yaXETiovg' iJ,Efid&r]xd o\ co MEyiorrj, (so Bergk, überl. juef^ad'tjxaatv ws M.) Tü)v äßaxi^ojUEVCov. 326 0. SCHROEDER Hier steht das Wort wirklich in der weiteren Übertragung auf menschhche Charaktere. Doch verweilen wir einen Augenblick bei der überaus schwierigen Interpretation des Fragments. Was ist dem Dichter ein yßöviog Qv&juög xal '/^aXenoq im Gegensatz zu den dßaxiCojuEvoi, als deren einen er den Megistes zu liebkosen scheint? äßaxeco kennt schon die Odyssee; Helene gebraucht es von den Troern, die den Odysseus im Bettlerkleid unbeachtet lassen: ol ^' äßdxr]oav nävxeg, eycb de juiv oYrj äveyvcov roiov eovra {6 249). ejLi(jogdv'&t]oav rjyvöfjoav '^ov^aoai', sagen die alten Er- klärer. Und Sappho hat rißaxijg, im Gegensatz zu jiaXiyxorog, (72) : dXM rig ovx ejn/LU naXiyxorog dgydv, äXX' äßdx}]v räv (pgev' e'x(o (Lesung Bergks). Nimmt man dazu Hesychios: äßdxt]V afpEkrj dovverov fjov^iov, ferner äßaxYjg' äßa^ äcpcovog dovvExog, dann Suidas : äßa^og' yovyog, so ergibt sich die Ableitung von ßdt,co ßeßaxrai, und es ist nicht einzusehn , was dieser Ableitung irgend im Wege stehn sollte. Eine neuere Herleitung von ßdxrgov, haculum, ßaxöv Tieoov hat Bechtel gebilligt (Lexilog.), Boisacq (im Dict. Etym.) wohl mit Recht abgelehnt. Gleichviel ! Des Megistes kindlich stilles Wesen hat es dem Anakreon angetan, während er allen 'verdrießlich schweren Narren" aus dem Wege geht, denn das wird 'z^&oviog in Verbindung mit yalenog hier heißen, yßovia' vjioyeia xexgvjujueva ßagea (poßeqd jueydXa bietet Hesych, woraus Bergk (in seiner Doktorarbeit 1834 S. 203) occultos entnommen hat; nicht unbedingt einleuchtend, da xexQvjujueva nichts anders wird besagen wollen als, rein räumhch, vjioyeia vjioy'&ovia. Auch auf ßagsa möchte ich kein Gewicht legen: neben cpoßsQd jjiEydXa scheint es, wenn auch shlecht genug, Ausdrücke zu interpretiren wie ßgovrij/uara ydovia (Aisch. Prom. 996). Lehrreicher ist das leider bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte Anakreonfragment (64) , yßoviov (5' e/uavrdv rjqa, von Härtung sinnreich verändert in yßoviov (5' eIöov övEiQov, das der Scholiast zu Hes. theog. 767 anführt, um seine, freihch auch falsche, Interpretation von i^eov y&oviov zu be- legen, (avTi) Tov orvy EQOv. Genug, man wird nicht fehlgehn bei den hassenswerten yßövioi qv&juoI xal yahjioi, wenn man an die yafiYjXd TivEovxEg Pindars denkt, also an den durch Niedrigkeit der Gesinnung widerwärtigen Charakter von Krittlern und Neidern, PVOMOI 327 im Gegensatz zu dem unergründlich liefen Schweigen kindliclicr Einfah des Jidig nagderiov ßXeJicor. Doch dies alles nebenbei: die Bildhaftigkeit der Metapher wird aus diesen ins Geistige übergegangnen Verwendungen nicht an- schaulich. Das selbe gilt von dem dritten Beleg, bei Theognis (964): fUjTzOT^ tJiau'i]0)]g tiqIv äv eidf/g uvdga oo(pi]veo)g oQytp' Tial QV&juo^' xal rQonov övnv' eyßi. Merkwürdig ist, wie Herodotos bei der Erzählung von den Freiern der Agarisle (VI 128: man denkt überhaupt an poetische Vorlagen), in deutlicher Anlehnung an den Theognisvers, das Wort §v§ju6g vermeidet : zur Bezeichnung einer Gemütsart mocht' es ihm nicht mehr ganz mundgerecht sein; drum setzt er dafür, in Erinnerung vielleicht an ^vdjut^eiv (ox^juariCeiv diaivjiovv Schol. Soph. Ant. 318), 'Wohlerzogenheit^: Tfjg ögyfjg xal jzaiösvoiog je xal rgönov. Mein- Licht in die Metaphorik des Wortes bringt ein Aischylos- fragment, nach Pollux aus den 0a?i.ajuo7ioioi (78 N. ^): älX' {eT) 6 juev iig Aeoßiov (parvcof.iaxi xvju' ev xQiymvoig exjtsQaiverco Qvd-fxoTg. Wer hierin wegen der 'Dreiwinkligkeit'' der Qvüfioi eine Bestätigung findet für eine auf 'Schriftzüge' zurückgehnde Bedeutung (ovo/uog, iovojnog [vgl. übrigens Demeterliymn. 230j von igvco 'ziehe"), der hat nicht einmal den Vers ganz gelesen : da steht ja die lang- ersehnte Welle! Das lesbische xv/iia, noch heute beliebt in den Hohlkehlen unsrer Bilderrahmen, zeigt im Profil wirklich eine dreimal geschwungne Wellenlinie. Aischylos hat also, ein echter Dichter, das Wellengewoge in Qv^/uög noch durchgefühlt. Und nun denkt man bei dem Auf und Ab der JVIenschen- schicksale doch wohl lieber an jiöriov xvjuaivovra oder xvjuara jiavToicov dvsjucov als an Taunusbach oder Bergstrom. Doch nehmen wir den Unterlauf eines Stroms , da wo er zum Meere wird, wo er TiveujuaTog ejUTieoovTog xvjuariag yiyverai (nach Herod. II 111, Find. Pyth. IX 42 f.), etwa KavoxQiov äfiq)l geei^Qo., und warum nicht gerade in der Heimat des Herakleitos?, denken uns dort einen lonier — und ionisch ist das Wort (guß/xog, gvojuog, Qvojuog) schon wegen der Endung (Otto Hoffmann, Ion. Dial. 599; bei Wolfg. Aly p. 12—18 fehlt es unter den ionicae voces des Aischylos) — , denken ihn uns dort dem Spiel der Wellen zuschauend, wie der Wind oder die vom Meere kommende Dünung sie empor- 328 0- SCHROEDER treibt, xvord (paXi]Qidovja, oder lassen wir ihn lieber noch in einem Segelboot die Weilen durcheilen, mit ihnen in regelmäßigen Ab- ständen steigend und fallend und das Anschlagen der Wellen an den Bug des Nachens vernehmend, so hätten wir den Keim, der im alten gv^/uog noch vereinigten Begriffe "^Gewoge' und 'Taktschlag\ sichtbar und hörbar zugleich , und körperlich fühlbar obendrein : ich meine, das wäre griechisch gedacht; und ungefähr so denk ich wird es auch Archilochos gemeint haben, olog gvo/uög dvdQOjjiovg s'xsi- Denkbar wäre freilich, daß auch er schon wie Herakleitos an ein immerwährendes Ab- und Zuströmen gedacht hätte, wo- durch unmerklich Gegensätze wie Glück und Unglück ineinander übergingen, wenn erega xal exega ijiiggei (Diels P 80,13), und die Elemente der irdischen Substanz immerfort y.al Tigoosioi xal uTiEioi (Diels P 96, 5). Aber dem Dichter, vollends dem vorhera- kleitischen Dichter, scheint es doch besser anzustehn, wenn er das seelisch fühlbar Erlebte, Von der Freude zu Schmerzen Und von Schmerzen zur Freude Tieferschüttemden Übergang, lieber im Bilde des Auf- und Abwogens der Wellen, also einer Peripetie, als eines gleichmäßig ab- und zuströmenden W^assers vor Augen hat. Erfreuhche Bestätigung ergibt ein Fragment aus Menanders Georgos x6 xrjg Tvyrjg ydg gsvjua (.lejamTuei xayv. Wenn schon das einzelne gev/ua /uexamTixov ein Bild des Glücks- wechsels darbietet, so doch der gv^juog erst recht, wenn er eine Vielheit von gev/uaxa vertritt. Und wie steht es denn mit der Bedeutung der Wörter auf -dj^iog {-ojuog)? Niemals bezeichnen sie doch einfach einen gleichmäßig verlaufenden Vorgang: xvvC'>]^/ii6g ist nicht xvv^i^oig, €?.x)]'&jn6g nicht eXxvoig, jLivxi]d^f.i6g nicht /uvxr], ein Gebrüll ist nicht einfaches Brüllen. Dagegen ließe sich gv&juög wohl unschreiben mit goai (bei Homer stets im Plural, wie gev/j.axa bei Herodot), xw^rj-dixog mit xvvCijjnaxa (ebenfalls bei Homer nur im Plural), xlav&fxog mit xXavfiaxa (überall nur im Plural). Wir sehn, wie man sich behalf, ehe die Endung -&ju6g durch- gedrungen war. Hiermit ist für gv^juog der Begriff eines in sich gegliederten und motivartig sich wiederholenden Gebildes ebenso sicher fest- gestellt als der Ursprung der Metapher aus der Vorstellung eines PYGMOI 329 flüssigen Elements. Von jenem Wogengang aber zur Gangart des Pferdes (ocpCojuevov Qvß/nov Aisch. Choepli. 797), und dann auch des Menschen (Scliol. Heph. 83, 6 Gonsbr. , Anonym. Amin-, bei Studemund, Anecd. var. I 229, 26) ist für die Phantasie des Griechen nur ein kleiner Schritt. Ein scheinbar neues Gesicht zeigt der gir^fiog yQafXfidrxov des Herodotos (V 58). Hier ist, wie längst in der archaischen Bildkunst, die xm]oig zum ox^pa geworden , das Auf- und Abwogen zu dauernd im Gedächtnis haftender und fürs Auge festgehaltner Ge- stalt. Das ist denn auch übergegangen in die Terminologie der atomistischen Physiker, unter denen Leukippos ()vo/i6g = a/fj/ta auch grade von Buchstabenformen gebraucht (Diels IP 3). Doch verdanken wir seinem großen Schüler Demokritos noch ein helles Licht über die ursprüngliche Metapher in ov&/tiög. Wohl verwendet er jueTaQvojLiovv schon in der Bedeutung jLieraox^j/Ltari^siv /lera- fWQcpovv, wenn er lehrt, y diöayjj uETaQvojLioI xov äv&QWJiov, jueraQvofiovoa de cpvoiOTrom (Diels 11 ^ 71 f.), dagegen eniQvofdrj noch im Sinne von Zuströmen: erefi ovöev 1'of.ier negl ovöevog, äXX' ejiiQVOjuhj exdozoioiv fj öo^ig (Diels II ^ 59, 18), was er an einer andern Stelle (60, 12) erläutert durch rä enEiotovxa. Endlich freut es, mit einem Distichon des Tragikers Phrynichos schließen zu können, des von Aristophanes am Schluß der Wespen als oxelog ovqdviov }'' ExXaxril^mv verspotteten, während es von einem andern heißt, ev gvß'jLia) yoiQ ovöev eoriv. Phrynichos {Tiegl eavrov cprjoiv, sagt wenigstens Plutarch quaest. symp. VIll 9, 3) schreibt da seinen Tanzfiguren ebensoviel oyr]ixax]juevr]g, andre gaipcoSoTev avrrjv, etg/uco rivi xal gacpfj Jiagajrh'joiov Jioielv, elg ev avxijv äyovxeg. Dasselbe besagt die anschließende Erklärung des Dionysios von Argos: ursprünglich, als sie ein beliebig ausgewähltes Stück der Dichtung vortrugen, hätten diese Leute nach dem Siegespreis dgvrpöoi geheißen, avi}ig de exaxegng xrjg 7tou)oecog eioevey&eioijg xohg äyco- vioxdg, olor axovjuevovg ngbg äXh]?.a rd fiegt] xal r)]v ovfiTiaoav jioh]Oiv emovxag, gaycodobg Jigooayogei^&rjvai. Also sie haben ihren Namen erhalten , weil sie die einzelnen Stücke aneinander- nähen und so die Einheit wiederherstellen. Auf diese Erklärung führt nun auch die schon erwähnte Äußerung Pindars, die bei scharfer Interpretation viel mehr besagt, als was man gewöhnlich in ihr sucht. Timodemos hat, sagt er, durch seinen Sieg an den Nemeen seine Athletenlaufbahn eben damit begonnen , womit auch die Homeriden, die Sänger genähter Epen, zumeist anheben, mit dem Prooemion an Zeus: 0'&e7' jreg xal "Ojui^gidai ganxcov enecov xd nol'K doidol ägyovxai, Aibg ex TTgootjuiov. Pindar erläutert Homeriden durch Rhapsoden; aber auch umgekehrt sagt er, daß keineswegs alle doidoi Homeriden sind — denn dann wäre der Zusatz überflüssig — , sondern nur „die Sänger genähter Epen". Damit wird zugleich die Eigenart der von den Homeriden vor- getragnen Poesie im Gegensatz zu andern Dichtungen charakterisirt. Wilamowitz hat sehr mit Recht betont, daß ein umfang- reiches Epos, das für den mündhchen Vortrag bestimmt ist, eine Gliederung und Ruhepunkte erfordert , bei denen der Vortragende abbrechen kann, um an einem andern Tage oder bei anderm Anlaß ebendort einzusetzen, daß daher auch solche bei fortlaufender Lektüre 332 E. MEYER unerträgliche Härten und unvermittelte Übergänge, wie sie zwischen dem Schluß von A und dem Anfang von B und ähnlich z. B. zwischen X und W klaffen , keineswegs eine Verschiedenheit der Dichter oder Interpolationen erweisen, sondern bei dem Zweck, dem das Epos dienen soll, ganz naturgemäß, ja geradezu notwendig sind ^). Das sind eben die Nähte, die die einzelnen Teile zu einem größeren, trotzdem einheitlichen Ganzen verbinden. So erklärt sich sowohl Pindars Äußerung wie der Name Rhaps- oden. Die Homeriden sind im Besitz solcher gajird fn-/; , zusammen- genähter Gedichte" , aus denen sie je nach Bedürfnis bald dieses, bald jenes Stück, oder auch fortlaufend vielleicht mehrere Tage hindurcli eine ganze Reihe vortragen, hnmer aber steht, was sie deklamiren, im Zusammenhang nicht nur des Ganges der Sage, der oi'jH7], sondern auch der Form, als Teil eines größeren Ganzen. Die Art, wie Demodokos aus der oi'/urj der momentanen Inspiration folgend ein beliebiges Stück herausgreift ('& 73 K 499 ff. 6 d' 6g- jufj'&elg -deov iJQXsro ^), q)aTve (3' aoiÖifp', ev&ev eXcov cbg ol juev . . aTiEnleiov y.x),., vgl. Phemios a 326), bildet die Vorstufe des großen Epos. In Athen ist bekanntlich die bald dem Solon, bald dem Peisistratos oder Hipparchos zugeschriebene Bestimmung ein- geführt, daß die Rhapsoden nicht nach Willkür ein beliebiges Stück auswählen, sondern sich ablösend der Reihe nach das ganze Epos vortragen sollen. Dem entspricht die ursprüngliche Einteilung der Epen in Rhaps- odien, Einzelgesänge nach Art der Aventiuren des Nibelungenliedes, die inhaltlich eine kleinere Einheit innerhalb des großen Rahmens bilden. Es war ein durchaus berechtigter Gedanke von Christ — so armselig im übrigen seine Iliasausgabe ausgefallen ist — , diese ältere und sachlich allein berechtigte Gliederung an Stelle der künstlichen, von rein äußerlichen Gesichtspunkten beherrschten Buch- einteilung der Alexandriner wieder scharf hervortreten zu lassen. Auf der anderen Seite kann nicht scharf genug betont werden, daß ebenso wie die beiden Epen Hesiods nur in einer durch die alexandrinische Kritik am Schluß verstümmelten Gestalt auf uns 1) Wilamowitz, Die Ilias und Homer S, 107. 260. 322 f. 2) Die Scholien geben die beiden Erklärungen ix dsov iii.irevadEig, 7] d.TÖ rov &eov rrjv OQfirjv noirjoüfiEvog ' sd'og yäo ijv avzoTg äjio &sov jTQooi/iidueaOai. Ich halte es für sehr wahrscheinlich , dafa die zweite die richtigere ist und das übliche Prooimion gemeint ist. DIE RHAPSODEN UND DD-: HOMERISCHEN EPEN 333 gekommen sind, mit Erhaltung der Verse, welche zu dem weg- geschnittenen Teil überleiten, so auch sowohl Ilias wie Odyssee ihren ursprünghchen Schluß verloren haben. Der Schlußvers unsrer Ilias lautete bekanntlich „nach einigen"^): öjg Ol 7' äjnq)i€Jiov xdq)ov "Ektoqoq ' y^Xde ^' 'Afia^cov, "ÄQfjog ß-vydniQ /iieyah'jxoQog avÖQocpovoio. Der „homerische" Becher D^) illustrirt diese Verse und die un- mittelbare Verbindung von Ilias und Aithiopis: auf die Lösung der Leiche Hektors folgt unmittelbar, am rdcpaq "Exrogog, die Be- grüßung des Priamos durch Penthesilea und dann ihr Kampf mit Achilleus. Wer beim Vortrag hier aufhörte oder die Ilias hier abschloß, sagte statt dessen natürlich cog Ol y äficpiETiov jdrpov "Exxooog mjioddjuoio, und so steht daher in allen Handschriften und in unsern Texten. Der Übergang zu der neuen Episode ist rein äußerlich, aber nicht härter als an zahlreichen andern Stellen der beiden Epen, z. B. dem schon angeführten Eingang von W oder etwa d 620 ff. ; und daß diese Gestaltung des Schlußverses der Ilias in unsern Texten das sekundäre und die Anfügung der Amazone das ur- sprüngliche ist, zeigt eben seine Fassung, die für einen solchen Übergang stereotyp ist (vgl. z.B. II. Ml. ^ 1. t] 1. v 185), da- gegen einen wirklichen Abschluß in keiner Weise bildet. Wie eng die letzten Rhapsodien der Ilias inhaltlich und formell mit der Fortsetzung in Aithiopis und Iliupersis verknüpft sind, wie sie mit diesen einmal eine Einheit gebildet haben müssen, ist bekannt und zuletzt noch wieder vt)n Wilamowitz ausgeführt. Allerdings ist dann die Lostrennung der Fortsetzung schon verhältnismäßig früh erfolgt, wesentlich aus ästhetischen Gründen, weil die Einfügung neuer Gestalten die innere Einheit der Dichtung zersprengte, die man jetzt verlangte. Daß dies Moment für die Scheidung zwischen dem echten Homer und den äXXoi maßgebend war, spricht Ari- stoteles in der Poetik c. 8 und 23 deutlich aus ^). Aber wenn bei Plato der Rhapsode Ion immer wieder betont, daß ihn nur Homer 1) Schol. T zu ß 804. 2) Robert im 50. Berliner Winckelmannsprogramm S. 26. 3) Wie weit daneben sachliche Widersprüche, wie sie Herodot zwischen Ilias und Kyprien hervorhebt, und stilistische Anstöße mitge- wirkt haben mögen, läßt sich bei unserm ganz dürftigen Material nicht erkennen. 334 E. MEYER innerlicli packt und er sich nur mit diesem beschäftige, und dann Sokrates unter seiner Zustimmung davon redet, welche Wirkung er erziele, wenn er den Freiermord des Odysseus vortrage j) '^yj^- Xea im xbv "Exioga oQjucdvTa T] xal zcbv Tiegl "Avögofidyiiv i?i.eeirc7)v xi i] tzeqI 'Ey.ußi]v T] tieqI Ugiafiov, so hat offenbar auch Plato noch die Persis als homerisch und als zur Ilias gehörig an- erkannt, wenn auch vielleicht als selbständiges Gedicht. Mit der Odyssee steht es nicht anders. So wie wir sie lesen, hat sie keinen Abschlufä, das Schicksal des Helden ist noch nicht erfüllt, Poseidon noch nicht versöhnt, und wir erwarten eine Fort- setzung nur um so mehr, weil Odysseus -(/; 247 ff. der Penelope ausführlich erzählt, w^as Teiresias ihm verkündet hat und was ihm jetzt bevorsteht. Überdies ist es im Grunde nur ein Zufall, daß uns der Schluß unsrer Odyssee, von yj 297 an, erhalten ist; denn schon in voralexandrinischer Zeit hat man yj 296 Ol juev ETieira aondoioi Xexrgoio naXaiov 'äeoiudv l'y.ovro als den Schluß der echten Odyssee betrachtet ^) und Aristophanes und Aristarch haben das anerkannt. Wenn sie trotzdem die Fort- setzung bis zum Ende von co in ihre Ausgaben aufnahmen , so ist das dasselbe, wie daß uns in der Theogonie noch der Katalog der Söhne der Göttinnen und der Übergang zu den xazdloyoi yvvaixcöv, am Schluß der Erga die rj/uara und der Übergang zur "Oqvl^o- fA.avTeia erhalten sind, während das weitere weggeschnitten ist. Auch für den Eingang der Ilias ist uns bekanntlich in dem Osannschen Anekdoton eine Fassung erhalten , die sie mit dem vorhergehenden, also mit den Kyprien, verknüpft — ob es bei der Odyssee etwas Ähnliches gegeben hat, wissen wir nicht. Aber hier ist die Sachlage umgekehrt wie beim Schluß der Ilias; denn diese Verse eonsTE vvv /xoi Movoai 'OXvjUJiia dojjuaz' Eyovoai, önncoQ öi] jufjvig te yö^og ■??' eXe TIi^lEicova yUjxovg t' ayXaov vlöv ' o ydg ßaodiji yoXco'&sig . . . sind deutlich lediglich eine dürftige Überarbeitung des echten Ein- gangs. So haben beide Epen, ebenso wie die Hesiods, zwar einen 1) Daß Apollonios von Rhodos diesen Vers als den Schluß der Odyssee betrachtet und nachahmt, und daß sich dadm-cli auch die Be- wunderung dieses Verses wegen seiner aoxpgoovvt] durch Demetrios von Phaleron begreift, habe ich in d. Z. XXTX 1894 S. 478 f. bemerkt. DIE RHAPSODEN UND DIE HOMERISCHEN EPEN 335 durchaus sachgemäßen, seihständigen Eingang, aber keinen Sclilufs. Nach hinten setzen sie sich viehiielir immer weiter fort, teils in alten, ursprünglich zu ihnen, oder zu einer älteren Fassung der zu- grunde liegenden Dichtungen gehörigen Stücken, teils in neu auf- genommenen Stoffen und Gedichten, die den Umfang immer mehr anschwellen liefen. Daneben steht dann selbständig die Urgeschichte in den Kyprien, und es ist zu beachten, daß, während wir für die Fortsetzung der Ilias und der Odyssee (und zum Teil vielleicht auch für diese selbst) mehrere Parallelgedichte kennen, für die Kyprien, soweit wir wissen, ein solches sowenig exislirt hat, wie für die Ilias. Aber wenigstens in der Gestalt, in der wir sie kennen, setzen sie die Ilias voraus , und so erweist sich diese — natürlich nicht in ihrer letzten, sondern in einer älteren Gestalt — immer wieder als der Kern, an den alle Epen dieses Kreises ansetzen. Daneben stehn dann die Epen der übrigen Sagenkreise , vor allem die des thebanischen Kreises (und die verschollenen Argonauten- und He- raklesgedichte) in lebendigster Wechselwirkung mit denen des troischen Kreises. Dafs alle diese untereinander zusammenhängenden, den ganzen Umfang der Überlieferung umfassenden Dichtungen, nicht etwa nur die des troischen Kreises, von den Rhapsoden vorgetragen wurden, ist bekannt. Als Schöpfer der Gedichte galt ihnen Homeros, ein fahrender Sänger wie sie, von dessen Schicksalen sie mancherlei erzählten — diese Überlieferung hat jetzt Wilamowitz vortrefflich analysirt — ; und ihn betrachteten sie daher, der das gesamte Leben beherrschenden genealogischen Auffassung entsprechend, als ihren Ahnherrn, mochte der einzelne Rhapsode auch tatsächlich ganz andern Ursprungs sein. In diesen Verhältnissen steht die physische Herkunft der fiktiven oder durch Adoption und Blutsverbrüderung rechtlich geschaffenen vollständig gleich. So nennen sie sich Home- riden, genau so, wie die Ärzte sich von Asklepios, die Bildhauer von Daidalos ableiten und Sokrates daher ebensowohl als Athener ein Nachkomme des Ion und Apollon (Plato Euthyd. 302 c) wie als Bildhauer ein Nachkomme des Daidalos und Hephaistos ist (Euthyphr. IIb. Alcib. 1 121a), oder wie die israelitischen Priester Nach- kommen des Lewi und des Mose (später des Aharon) sind, auch wenn ihre Eltern einem ganz andern Stamm angehörten ^) — um 1) Daß die Lewiten ein fiktives Geschlecht sind nnd tatsächlich die Priester ganz anderer Herkunft sind, aber durch Ergreifung ihres 336 K- MEYER, RHAPSODEN UND HOMERISCHE EPEN den Ausgleich der beiden Genealogien hat man sich nicht weiter den Kopf zerbrochen, das war ganz irrelevant. Daß die Homeriden dem Vortrage der Rhapsodien eine An- rufung der Gottheit vorausschickten, die eben darum, weil sie dem SagenstofT voranging, als jiqooijuiov bezeichnet wird, ist auch sonst bekannt, und eine Sammlung von solchen Musterstücken ist uns in den sogenannten homerischen Hymnen erhalten. Um so auf- fallender ist, dem Zeugnis Pindars gegenüber, daß in diesen, ab- gesehen von ein paar ganz armseligen Versen (hymn. 22), Zeus gar keine Rolle spielt. Dem steht gegenüber, daß Hesiod im Prooe- mium der Erga zwar nicht selbst den Zeus anruft, wohl aber die Musen dazu herbeiruft. Ganz lebendig tritt uns der alte Brauch dann bei Arat entgegen. Berlin. EDUARD MEYER. Berufs aus ihrem Stamm ausscheiden, sagt das älteste Zeugnis, der Segen Moses, ausdrücklich. So stammt denn der Priester, auf den der Kultus von Dan zurückgeht, nach Jud. 17, 7 aus Bethlehem und ist judäischen (Ge- schlechts, wird aber 18,30 unbedenklich zu einem Nachkommen des Mose und seines Sohnes Gerson gemacht. Daß das Geschlecht der Homeriden auf Chios mit den Rhapsoden nichts zu tun hat, sondern fälschlich herangezogen ist, bedarf jetzt keiner Ausführung mehr. zu STEPHANOS BYZANTIOS. Über die Entstehungszeit der Ethnika des Stephanos Byzantios ist bisher Iceine völhge Sicherheit gewonnen , und die über dieses Problem aufgestellten Meinungen weichen recht erheblich vonein- ander ab. W. Schmid ^) begnügt sich mit der allgemein gehaltenen Feststellung, daß der Grammatiker nach Dexippos und Markianos gelebt haben müsse. J. Geffcken ^) versetzt ihn in den Anfang des 7. Jahrhunderts. J. E. Sandys^) denkt sich das Original „nach 400 n. Chr." geschrieben und nimmt im Einklang mit unserer Überlieferung die Genesis des uns erhaltenen Auszuges unter lusti- nian an. L. Cohn *) verweist den Autor ins 6. Jahrhundert, ohne eine nähere Zeitbestimmung zu geben. Eine Untersuchung dieser chronologischen Frage dürfte daher wohl angebracht sein. In welcher Richtung das Ergebnis zu finden ist, hatte seinerzeit schon A. Westermann in seiner Ausgabe des Schriftstellers (S. IV ff.) gesehen, und mit vollem Recht knüpfte daher neuerdings bei seiner Prüfung dieser Frage E. Stemplinger ^) an seine Feststellungen an. Die Äußerungen von P. Sakolowski **) können zur Hebung der Schwierigkeit nicht beitragen , da ihnen die Be- gründung durch Beweise fehlt. Bei ihm ist der Nachdruck u. a. darauf gelegt, daß das Lexikon vor der Abfassung des vor 535 unter lustinian entstandenen ^vvexörjfxog des Hierokles schon voll- endet war. Diese Behauptung wird ohne Begründung ausgesprochen 1) Christ - W. Schmid , Geschichte der griechischen Literatur II 2 ^ S. 888. 2) Lübkers Reallexicon» 98413. 3) A history of classical scholarship from the 6th Century b. C. to the end of the middle ages^ 1906 S. 379. 4) Iw. Müllers Handb. II 1* 1913 S. 702. 5) Studien zu den 'Eßrixä des Stephanos von Byzanz, Progr. d. Kgl. Maximilians-Gymnasiums, München 1902 S. 6 ff. 6) Philologisch-historische Beiträge, Gurt Wachsmuth zum 60. Ge- burtstage überreicht 1897 S. 107 f. Hermes LIII. 22 338 B- A. MÜLLER und läßt sich auch in keiner Weise stützen, wenn man beide Werke nebeneinander durchmustert. Ein unanfechtbares Zeugnis über Stephanos' Lebensstellung liefert zunächst der Artikel 'AvaxxoQiov S. 92, 15 M. : 'AvaxxÖQtov, 'AxaQvaviag Jiohg .... ZocpoxXriq (frg. 830 N.^) de cprjot diä rrjg ei „Ävaxrogeiov Trjgö' ejicbvvjnov yßovog'^ . xal Evyeviog de o nqb fjfxcbv zag ev rfj ßaodiöi oxoXäg diaxooju/]oag ev oidloyfj Xe^ecov did di(pd^6yyov (pr]oiv. eoixe 6' äoxiyel evieTv x^y-svai ßißXiq) ' fifxeXg yäg diä rov ~i evQO/uev. Danach war Stephanos von Byzanz Lehrer an der kaiserlichen Hochschule von Konstanti- nopel. Eugenios ^) selbst, der hier erwähnt ist, wird als TiQeoßvxrjg ijöi] öjv eji 'Avaozaoiov ßaoiXecog bei Suidas s. v. Evyeviog bezeugt. Aus der Mitteilung des Stephanos Byzantios kann man wohl einen Hinweis auf die Stellung entnehmen, die er später bei der Abfassung seines Werkes oder — genauer gesprochen — bei der Niederschrift des Artikels 'AvaxroQiov einnahm; nicht aber darf man ihn, wie Stemplinger (S. 8) es tut, als unmittelbaren Nachfolger des Eugenios bezeichnen und die Tätigkeit dieses Grammatikers auch in die Re- gierungszeit lustinos' L (518 — 527) und teilweise lustinians L (527 — 565) verlegen. Durch die Bemerkung des Stephanos wird Eugenios nur als ein Vorgänger von ihm bezeichnet, ohne daß daraus ein genauerer Nachweis über das Zeitalter des späteren Grammatikers mit zwingender Sicherheit entnommen werden kann. Über Stephanos selbst sind noch einige weitere Nachrichten erhalten. Konstantinos Porphyrogennetos spricht in seiner Schrift Tiegl d^efidrcov, für die er noch das vollständige Werk des Autors benutzen konnte 2), im Abschnitt über Sicilien^) von dem yga/bi- /uarixog Zrecpavog, eine Äußerung , die , so unbedeutend und fast selbstverständlich sie auch sein mag, doch das Zeugnis des Artikels 'AvaxxÖQiov bestätigt. Der Artikel rördoi lehrt dann ein historisches Werk über Byzanz von ihm kennen (S. 212, 8 ff.): Poz&oi, e&vog ndXai oixfjoav evxog xfjg Maitoxiöog. voxegov de eig xrjv ixxög Ooaxtjv /uexaveoxyjoav , (bg ei'Q7]xai juoi ev xoig Bvl^avxiaxoig. /biejuvi]xai xovxcov 6 ^ojxaevg üaQ'&eviog *). Auf Grund dieser 1) VgL L. Cohn, Realencykl. VI 987 f. W. Schmid a. a. 0. S. 879. 2) VgL A. Westermaims Ausgabe S. Xff. 3) II 10 S. 7 der Tafelschen Ausgabe des 2. Buches von 1847. 4) Zur Datirung des Parthenios vgL A. Meineke, Analecta Alexan- drina S. 264f. zu STEPHANOS BYZANTIOS 339 Mitteilung darf man unsern Lexikographen in eine Reihe mit Chri- stodoros und Hesychios lUustrios stellen, die, worüber weiter unten noch zu sprechen sein wird, um 500 oder nicht wesentlich später über die Anfange und die Vorgeschichte von Konstantinopel schrieben. Die allgemeine, wohl stark methodologisch gerichtete Einleitung der Ethnika selbst wird im Artikel Al&ioxp (S. 47, 19) erwähnt: tieq! Tov Al'&iOTiioon nXaxvxEQOV ev xoTg rcoj' Id^vixcbv JiQorexvoXoyrj- juaoiv EiQrjzai ^). Die Entstehungszeit von Stephanos' Ethnika selbst zu gewinnen, mufs von einer anderen Basis aus versucht werden. Diese liefert, wie wiederum zuerst A. Westermann gesehen hat, der Artikel 'Axovai, und bei genauer Interpretation dieses Zeugnisses gelangt man zu einer schärferen Datirung des Lexikons, als sie bisher ausgesprochen worden ist. Der Artikel selbst, dem in unsrer Überlieferung übel mitgespielt und der in unserm Auszug stark verkürzt worden ist, lautet (S. 61,4): 'AxovaL, jioXiyviov tiXt]- oiov 'HQaxXeiag. XeyEzai xard Jt£Qi(pQaöiv 6 olxcbv rag "Axo- vag. t6 ed^vixov 'Axovirrjg , xb '&i]Xvx6v 'Axcovixig. ovxco ydq Tig vf]oog diacpEQOvoa juev xco jiavEvcp^j/icp jiaxQixlcp xal xä Tidvxa oocpMxdrcp juayioxQü) Uexqo) , XEijuh't] ök xaxavxixgv xfjg Evdaifxovog jioXEwg XaXxi]d6vog. E7iix£xXi.r]xai ds did x6 nXrj- 'd'og xCbv EV avxfj jigög dxovag nEütoirj/jiEvoiv Xid'Oiv. XiyExai xal dxovixov drjXrjxrjQiov cpdqfiaxov , (bg 'Ad-tp'aiog ev xqixco Öeljivo- oo(pioxa>v (III 85 B), oxi xovg 7tQO(pay6vxag x6 Tiijyavov jurjÖEv 7tdox£i-v EX xov dxovixov. xXij'&rjvai Öe (paoi did xb cpvEod^ai EV TOTTcp 'Axovaig xaXovjUEvo) ovxc jieqI 'HgdxXsiav. Die Mittei- lungen über das Städtchen 'Axovai in Bithynien am Pontos , das in der antiken Überlieferung stets mit der Giftpflanze dxovixov in Zusammenhang gebracht wird 2), interessiren hier nicht, wohl aber, was über die Insel 'Axcovixig berichtet wird. Den über sie in diesen Artikel eingefügten Zusatz, der zu einem Auszug gar nicht paßt, hat Meineke als in der Epitome zugefügte Interpolation be- zeichnen zu müssen geglaubt, eine Auffassung, die als unrichtig 1) Vgl. über jiQOTExvoloysTv , einen in Schriften dieses Kreises bei Späteren beliebten Ausdruck, H. Stephanus, Thesaurus VI 2064 f. 2) Vgl. von den älteren Erklärern namentlich Gl. Salmasius, Plini- anae exercitationes 1629, 881, von den neueren besonders 0. Schneider, Nicandrea , zu Alexiph. 41 (nebst Schol.) ; über die Sache ist auch bei Eustath. in Dionys. Perieget. 791 berichtet, wo der Name 'Jxovai fehlt. 22* 340 B- ^- MÜLLER angesichts der nicht seltenen persönhchen und individuellen Bemer- kungen im Lexikon des Stephanos') bezeichnet werden muß. Daß die sprachliche Form der Mitteikmg über die Insel "ähco- vTng bei Chalkedon mit dem Gebrauch von diacpegeiv tlvi im Sinne von „Eigentum sein "2) völlig der Gräcität jenes Zeitalters entspricht, in das man überhaupt von vornherein ganz aUgemein auf Grund anderer Judicien das Werk versetzen würde, sei beiläufig vermerkt. Es darf also an der Ursprünglichkeit der in so eigen- tümlichem Maße persönlich abgestimmten Bemerkung festgehalten werden. Der Artikel 'Axovai wurde also geschrieben, als Petros, der Geschichtschreiber, Schriftsteller und Staatsmann der iustiniane- ischen Zeit^), zugleich /udyiorgog und jiaxQixiog war. Zum magister officiorum wurde Petros nach dem Bericht Prokops*) von lustinian ernannt, als er am Ende des 4. Kriegsjahres (538/39) aus seiner Internirung im Gotenreich entlassen wurde und nach Konstantinopel zurückkehrte; als Datum dieser Beförderung kann wohl unbedenklich das Jahr 589 angesetzt werden. Als jiargixiog erscheint Petros zuerst im Jahre 550, wo er als Gesandter lustinians zum Perser- könig Chosroes geht. Von den Neueren haben Arnold Schäfer und Ernst A. Stückelberg ^) dieses Jahr als Zeitpunkt seiner Er- nennung bezeichnet. Diese Auffassung findet keine Stütze in dem einzigen hierauf bezüglichen Zeugnis, das erhalten ist: Procop. bell. VIII (Goth. IV) 11, 2 xal Uergov jLih ävdga Tiarginiov rr]v Tov juayioTQOv ugyjp eyovja jiagä Xoog6i]v 'lovonviavög ßaodevg eoxeXXev. Hier erscheint vielmehr Petros im Jahre 550 schon als Inhaber des Patriciats. Die Ernennung zum Patricier ist auch nicht 1) VgL die Nachweise bei E. Stemplinger S. 6,3, sowie z. B. aucli die Artikel 'Ay.y.aßixov zsT/^og, 'Ay./iwvia, NsävÖQsia, 2) Vgl. Stephanus, Thes. II 1377 f.; H. van Herwerden , Lexicon Graecum suppletorium et dialecticum I- 375. 3) Vgl. über ihn B. G. Niebuhr, Corpus scriptorum liistoriae Byzan- tinae I S. XXI ff.; A. Schäfer, Quellenkunde IP 193f.; K. Krumbacher, Gesch. d. byzantin. Litt.* S. 237 ff. 4) Bell. VI (Goth. II) 22, 24 ig BvCdvnov dfpixo/nirovg (seil. 'Adavd- oiov y.ai Uexqov) ysQwv ßaodsvg rwv /XEyiOTCOV tj^icoasv, "Aßaväoiov fih rcöv iv 'IzaXla TTQairwotcov y.aTaazyaä/Lievog, IlezQco 8s zrjv rov fiaytazoov nalov- /isvrjv UQxijv jiaQaoyöfurog. 5) Das Constantinische Patriciat, Inaug.-Diss. Zürich 1891 S. 84. Über navevcprii.iog als Prädikat für Träger dieses Ranges vgl. außer den Bemerkungen in dieser Schrift S. 36 noch P. Koch , Die byzantinischen Beamtentitel, Diss. Jena 1903 S. 94f. zu STEPHANOS BYZANTIOS 341 an den Stand des Kandidaten , an eine bestimmte Station in der Ämterlaufbahn oder an eine Altersstufe gebunden ^). Nur der Umstand, dafs die Kaiser ihre Gesandten mit Vorliebe aus den Patriciern auswählten oder dem Überbringer ihrer Botschaft, wenn sie ihm mehr Gewicht verschaffen wollten, das Patriciat übertrugen'^), kann zugunsten der allgemein herrschenden Anschauung, Petros sei 550 Patricier geworden, geltend gemacht werden, allerdings angesichts des eben wiedergegebenen Zeugnisses aus Prokop nur mit sehr bedingtem Recht. Wohl aber kann mit Bestimmtheit ausgesprochen werden, daß vor 539 Petros als jiarQixioq unmöglich ist, so dafs dieses Jahr als der äußerste terminus post quem für die Entstehung der Ethnika in Betracht kommt. Als terminus ante quem wird gleichfalls durch den Artikel 'Axovai Petros' Todesjahr geliefert. Darüber liegt folgende Über- lieferung vor: 562 wurde Petros abermals als Gesandter nach Persien geschickt ^). Seine Beschäftigung in dieser Funktion und seine Rückkehr zogen sich bis zum Jahre 563 hin; bald nach seiner Ankunft in Byzanz starb er dann. Bei Menander Protector, der einzigen Quelle auch über diese Tatsache, wird das Ergebnis noch unter lustinians Regierungszeit berichtet (p. 373, 12 N. = 13 p. 33, 16 D.): äXX' 6 ÜETQog äTZQaxrog drsxcoQ)]os rcov MijÖLxcbv öqicov . . . aTCLQ ig rb BvCdmov ä(pix6/.ievog 6 UexQog ov nollo) voiegov xariXvos xbv ßiov. Es darf also nunmehr wohl ausgesprochen werden, daß die Ethnika des Stephanos Byzantios zwischen 539 und 565 entstanden sind. Angesichts des Umstandes, daß das Werk nach einem Zeugnisse bei Suidas noch unter lustinian in Hermolaos einen Excerptor fand, wird man geneigt sein, die Entstehungszeit dieses Lexikons geo- graphischer Namensformen eher an den früheren als an den späteren Termin heranzurücken. Das Werk, obgleich ein Ergebnis rein grammatischer Forschung, zeugt doch wie der ^vvexötj/nog des Hie- rokles und die XQioriavtxi] xojioyQacpta des Kosmas Indikopleustes, die in demselben Zeitalter entstanden, von dem starken geographi- schen Interesse, das der iustinianeischen Epoche eigen ist, von einem Interesse, wie es im byzantinischen Reich im 7. Jahrhundert an- gesichts der politischen, besonders auch der kulturpolitischen Lage 1) Stückelberg a. a. 0. 16 ff. 2) Stückelberg a. a. O. 38. 3) Menander Protector p. 346 ff. Nieb. = 11 p. 10 ff. Dclf. 342 B. A. MÜLLER kaum denkbar und trotz der Fülle und Vielseitigkeit des erhaltenen Quellenmaterials auch nicht nachweisbar ist. Ein gleiches Ergebnis, wenn auch nicht so genaue und enge Abgrenzungen für die Zeitpunkte, innerhalb welcher das Werk ge- schrieben ist, liefern weitere chronologische Judicien in verschiedenen Artikeln. Aus dem Inhalt des Artikels Aagai^) hat schon Stemp- linger (S. 7) den zutreffenden Schluß gezogen, daß er nicht nach 573 geschrieben sein kann. Noch schärfer und sachlich richtiger wird man das von ihm gewonnene Ergebnis dahin präcisiren, daß eine Niederschrift des Artikels Aaqai in der vorliegenden Fassung seit dem Augenblick unmöglich war, wo dem Verfasser die Tat- sache der 573 erfolgten Zerstörung dieses Bollwerkes bekannt wurde. Dagegen sind die aus dem Artikel OeovjtoXig gewonnenen Folge- rungen nicht in dem Sinne beweiskräftig, den ihnen Stemplinger beimißt. Nach Joannes Malalas, dessen Mitteilung von diesem Ge- lehrten übersehen worden ist, erfolgte die Umnennung Antiochias in Theupolis bald nach dem Erdbeben, das die Stadt im Jahre 528 arg zerstörte 2). Gegen Sakolowskis (a.a.O. S. 108, 1) excessive, aber kaum begründete Skepsis gegenüber dieser Nachricht wird man zunächst geltend machen müssen, daß Joannes Malalas, der in seiner christhch-byzantinischen Weltchronik fast alle Geschehnisse des Orbis terrarum vom Standpunkt des Antiocheners aus betrachtet, gerade über alles, was mit seiner Vaterstadt zusammenhängt, stets sehr gut und zutreffend unterrichtet ist. Ferner liefert, was Sako- lowski und Stemplinger entgangen ist, die Cod. lust. I 1, 6 erlassene Anweisung in ihrem Subscriptum den Beweis, daß die Stadt schon 533 Theupolis genannt wurde, ein Zeugnis, durch welches Malalas' Nachricht bestätigt wird. Schließlich wird bei Prokop in der Schrift jiEQi xnojuaTcov die Umnennung der Stadt nirgendwo in Zusammenhang mit ihrem Wiederaufbau gebracht, der nach der 540 erfolgten Eroberung durch Chosroes am wahrscheinlichsten wohl 545 oder später stattfand, wo zwischen Byzanz und Persien ein für diese Gebiete gültiger Waffenstillstand eintrat. Bei Prokop heißt es in der erwähnten Schrift, die nach 560, in keinem Fall aber vor 558 vollendet und herausgegeben wurde ^), vielmehr II 10, 2 1) 219, 6 Aagai , o v[vv Adjgag (paoi, (pgovgiov 'Avaozaacovjiohg Xeyö- tXEVOV, oyvQcozaTov xze. 2) 433, 16 Ddf. h avxu> dk rä> XQ'^^V f^£^£x^^^ 'JvTiöxsia ßsoinoXig. 8) Vgl. Krumbacher a. a. 0. 232. zu STEPHANOS BYZANTIOS 343 'AvTc6x£io.v, i] rvv Oeovnohg emxexXt]Tai; V 5, 1 ^Avrioyeiag, Pj vvv OeovjioXig imyJxXtjrai ; V9,29 OeovTtohv (der Name Anliochia fehlt). Diese imxXijoig der Stadt hat sich gegenüber dem alten Namen nicht durchgesetzt. Prokop, Joannes Malalas und, um von den Späteren nur einen zu nennen, Menander Protector, der nach lustinian schrieb, bezeichnen Antiochia stets mit seinem alten, durch die Jahrhunderte geheiligten Namen. Bei Stephanos Byzantios er- scheinen beide Namen nun in folgendem Verhältnis: S. 62, 7 vTiEQ 'Avxioy^Eiav tyjv jieqI Ad(pvrjv. S. 99, 9 'Avzioyßia. dexa Jioleig dvaygdq^ovrai, elol de nXeiovg. JigcoTt] 2vQv. fj öevrega IxXtj'&ri dnb "Avxiöyov xov ^Enicpavovg, Avöiag. TQixt] MsooTioxajulag, MvyÖovia xaXovjuevr], "j xtg ngog r&v mixcoQicov Näoißtg xaXeXxai xxe. S. 222, 6 Adcpvr] rcQodoxeiOv ejiiorjjuöxaxov xrjg eco 'Arxioyeiag jxrjXQonoXecog. S. 446, 6 xrjg jiegl Adq)V}]v Avxioyeiag. S. 309, 9 QeovnoXig f] jueyioxr] xfjg tco jioXig yxig e^ Avxco- %eiag [xexd xov oetojuov ojvojudo'i}?] ano 'lovoxiviavov. Man wird einerseits aus dieser Citatenreihe wiederum eine Be- stätigung für die Meinung, daß das Lexikon unter lustinian ent- standen ist, ableiten dürfen, zumal da diese smxXrjoig für Antiochia sonst nur in der Zeit dieses Kaisers neben dem herkömmlichen Namen auftritt, andererseits aber auch dazu gelangen, Sakolowskis Anschauung (S. 108, 1) für unberechtigt zu halten, das Lemma ©eovTioXig sei interpolirt, da der „echte Stephanos" die Stadt sonst nur als ArxioyEia f) tieqI Adrpvrjv kenne. Beide Nam.en werden vielmehr wie bei Prokop und Malalas nebeneinander gebraucht; der Lexikograph liegt uns an allen Stellen, wo die syrische Stadt erwähnt wird, nur in starker Kürzung vor, und namentlich die Erwähnung unter AvxLÖxeia (S. 99, 9), wo die anderen Orte des- selben Namens viel ausführlicher als die syrische Kapitale am Orontes behandelt werden, ist ganz ungewöhnlich knapp geraten. Einem Schlüsse ex silentio muß man also hier mit doppelter Vorsicht gegen- übertreten. Zu der gewonnenen Zeitbestimmung passen andere Angaben unserer Überlieferung. Im Artikel BöonoQog werden ganz allgemein die Schriftsteller über die Anfänge von Byzanz in folgender Weise erwähnt (S. 178, 11): Xeyexai xal Bootioqiov xov Bv^avxiov XtfxriV Ol de iyxcoQioi ^ojocpÖQiov avxb xaXovoi TiagayQajujuaxi^ovxeg, 344 B. A. MÜLLER o&ev ol lä UaTQia yeyQaq^öxeg xov Bv^avr'iov ä?d7]v Jiagazi'&eaoi (Meineke; eTimdeaoi codd.) juv&ixrjv lozoQiav, öxi ^ilinnov . . . xb BvCoLvxiov TiohoQxovvxog xxX.'^). Nun ist ja allerdings ohne weiteres zu bemerken, daß die Schriftstellerei über die IldxQia dieser oder jener Stadt oder Landschaft mit Wahl des Wortes IldxQia im Titel von Werken dieser Art schon lange vor lustinians Zeit gepflegt wurde. Es ist aber wohl ohne Zweifel beachtenswert, daß IldxQia KoivoxavxivovTioXewg für uns zuerst auftreten mit dem nur durch Suidas bezeugten Werk des Epikers Ghristodoros aus Koptos, dessen Blüte wiederum bei Suidas etii xwv 'Avaoraoiov rov ßaodeojg XQÖvcov (491 — 518) angesetzt wird 2), und des Hesychios Illustrios ^), der nach G. Wentzels sachkundiger Erörterung in die Zeit dieses Kaisers, seines Nachfolgers lustinos I. und in die Anfänge lustinians gehört *), Einen für die Chronologie des Autors nicht unwichtigen Hin- weis bietet ferner der Artikel ZvKaL Da A. Meineke in seiner Ausgabe hier eine Interpolation unseres Textes angenommen hatte, erfordert dieses Lemma eine besondere Untersuchung ; es lautet (S. 590, 12): 2vxai, nöXig ävxixQv xrjq veaq'Pcbfxrjg, i) Ka'&' fj/xäg 'lovoxiviaval TiQOoayoQev&eToa. Die Worte j; xaß' fjfiäg 'lovoxivi- aval nQooayoQEv&eioa, die als späterer Zusatz verdächtigt wurden, machen nach Form und Inhalt nach jeder Richtung den Eindruck der Ursprünglichkeit. Stephanos erwähnt regelmäßig in seinem Werk die juexovojuaoia eines Ortes unter dem betreffenden Stichwort, wie in dieser Untersuchung schon bei einem früheren Anlaß betont werden durfte. Ich verweise anläßlich dieses neuen Falles auf den Artikel über die östliche Reichshauptstadt (S. 189, 11 ff.): Bv^dvxiov, zo iv Ggdx^] ßaoikeiov , noXig diaoi]ji(ozdzi]. . . . juezcovojudo&i] öe xal Kon'oxavzivovTiohg xal via 'Pü)/.u]. Diese Vorstadt, das heutige Galata, erhielt 528 durch lustinian das Stadtrecht und wurde zugleich mit dem Namen 'lovoxiviavai oder 'lovoxiviavovjiohg be- 1) Vgl. die Nebenüberlieferung bei Eustath. in Dionys. Perieg. 142 p. 242, 34 — 243,7. 2) Vgl. Suidas s. v. XQiozödcoQog. S. ferner F. Baumgarten, De Christo- doro, poeta Tbebano, Diss. Bonn 1881, und W. Sclimid a. a. 0. S. 776, 3) Vgl. Scriptores originum Constantinopolitanarum, rec. Tb. Preger, I lÖOl S. I-VIIL 1-18. 4) Vgl. diese Zeitschrift XXXIII 1898 S. 310 ff. H. Schultz, Realen, cykl. VIII 1323 nimmt an, der Schriftsteller habe mindestens das Jahr 582 noch erlebt, ohne seine Behauptung zu begründen oder zu beweisen. zu STEPHANOS BYZANTIOS 345 dacht, an dessen Stelle seit dem 8. Jahrhundert der heute geltende Name auftritt^); in den IJaTQia des Hesychios Illustrios erscheint der Stadtteil noch unter seinem voriustinianeischen Namen (16 p. 7, 6): iyyvg de zov xaXovfievuv ^LTQüTyyiov Atavrog xe xal 'Axi^^eoyg ßwjuovg äve&tjxaro (seil. 6 Bv^ag)' tvda y.al zo 'A^iXXscog ]^Qr]juari^si Xovtqov. 'Ajiiq)idQeco de roü ygcoog ev zaTg keyoj-ievaig 2!vxo.lg cpxoöojuyoev, ai ri]v ejicüvvjuiav ex xcov ovxocpoQCOv öer- ÖQCOv eöe^avxo. Man darf aus diesem Zeugnis wohl schließen, daß die UdxQia KcovoxavxivovjioXecag 528 schon abgeschlossen vorlagen, als die Umnennung von 2vxai erfolgte. Der vermeint- liche Zusatz in diesem Artikel, durch den ein seit 528 noch nicht ganz zwei Jahrhunderte in Geltung befindlicher Zustand der Namens- führung mitgeteilt wird, ist also, wie schon E. Oberhummer gegen A. Meineke betont hat, ursprünglich und völlig unverdächtig. Auch hier ergibt sich, wenn auch nicht gerade ein Kriterium für die Ent- stehung des Werkes unter lustinian, so doch ein Anhaltspunkt dafür, daß der vorliegende Artikel vor 528 nicht niedergeschrieben sein kann; E. Stemplinger^) zieht einen falschen Schluß, wenn er aus dieser Stelle folgert, sie sei der Zeit lustinians I. zuzuweisen. Im Anschluß an das Lemma Svxai ist der Artikel Tafiiadig (S. 599, 14) zu besprechen: Tai-da&ig, nohg Alyvnxov Xeyexai de (L. Dindorf in Stephanus Thes. VII 1796; xal codd.) -dijXvxcög. f] ye- vixij TajLudüecog. ovxco Fecogyiog 6 XoiQoßooxög ev xcö ovofiaxixco. Auch hierauf hatte schon Stemplinger a. a. 0. kurz hingewiesen, ohne sich allerdings über diese interessanten Bemerkungen näher zu äußern. Der Artikel selbst erscheint in unserer Überlieferung nicht an seinem gebührenden Ort hinter TdjLißQa^, sondern zwischen TajLwgdxi] und Tdvayga. Auf Grund dieses Umstandes hatte Meineke vermutet, daß vielleicht der ganze Abschnitt interpolirt und dem Lexikon fremd sei, über die Worte ovrco Fecogyiog 6 Xoigo- ßooxög ev xcö övojuaxixcö selbst aber mit aller Entschiedenheit das Anathema ausgesprochen und sie als Interpolation gekennzeichnet. Aber der Artikel sieht als Ganzes wie in seinen einzelnen Teilen derartig aus, daß man ihn nicht ohne Not aus dem Lexikon streichen kann. Wie ein Blick auf Meinekes Index (S. 739 f.) zeigt, sind die Städte Ägyptens in den Ethnika in einer Reichhaltigkeit, um nicht 1) Vgl. die einzelnen Nachweise bei E. Oberhummer, Realencykl, IV 971 f. 2) Philol. LXIII 1904 S. 619. 346 B- A. MÜLLER zu sagen, Vollständigkeit vertreten, daß man das allerdings in der Antike verhältnismäßig selten erwähnte Tajuiaßig hier vermissen würde, wenn es nicht in dem Lexikon aufträte: alle Nachbarorte von gleicher oder geringerer Bedeutung, alle Städte Ägyptens werden genannt. Auch die Fassung und der Inhalt des Artikels sind nicht derartig, daß man ihn oder einzelne seiner Bestandteile als Fremd- körper in unserem Lexikon ablehnen müßte. Die Bildung des Genetivs wird wie hier, so zu Me/ufpig^) und Zdig"^) angeführt; bei anderen Artikeln, wie bei Zvrjvrj (S. 590, 7) und wiederum bei Udig (S. 550, 4) wird noch das aus dem betreffenden Namen abgeleitete xxrjxixov gebucht. Auch die Anführung des Gitats aus Georgios Ghoiroboskos, das verificirt werden kann 3), entspricht der Weise des Lexicographen ; ich verweise auf Belegstellen aus den wenigen in der ursprünglichen Fassung des Lexicons erhaltenen Artikeln: S. 244,13 (s.v. Avq- gd^iov) ojucog de vvv AvQQairjvol leyovxai. ovxo) yaQ xal BdXaxQog ev Maxeöovixdlg (pi]oi xxe. — S. 245, 17 (s. v. Avojiovxiov) jue- juvi]xat ö' avxTJg xal Tqvcpcov ev naQCovv fxoig ygdq^cov ovxcog xb e&nxov xxe. — S. 246, 10. 15 (s. v. Acodcbvi]) ^ilo^evog de . . . ovxcog — ovxcü de xal 'EnacpQodtxog. — S. 251, 3 (s. v. A&qo) ovxco xal ^ÜQog — S. 255, 1 (s. v. Aä)Qog). Unsere Epitome bietet die Citate sehr häufig in äußerst abgekürzter Form; daraus erklärt sich die heutige Gestalt des Artikels. Hält man nun den Text des Stichwortes Tafxia&ig in seinem ganzen Umfang für genuin, so läßt sich die weiter oben gewonnene Erkenntnis über die Entstehung des Lexikons im iustinianeischen Zeitalter für die Lösung einer weiteren Frage der griechischen Literaturgeschichte nutzbar machen. Über Georgios Ghoiroboskos' Lebenszeit hat sich bisher keine ge- nügende Sicherheit gewinnen lassen *). A. Hilgard ^) hatte als terminus post quem den Anfang des 6. Jahrhunderts bezeichnet. R. Reitzenstein ^) war zu dem Ergebnis gelangt, daß er nicht nach 1) S. 444, 7 Msfiqng, -t) diaay^/noTdiT] Alyvnzov fitjzQÖnohg. xXivEzai xal Mifj.(fi8og xal Mef.iv7]'&eioav 'lovoiiviavcö reo ßaoiXei herumzudeuteln oder sie durch Conjectur zu entstellen. Da G. Wentzel (in d. Z. XXXIII 1898 S. 311) in seinen äußerst vorsichtig formulirten Ausführungen immerhin die Möglichkeit offen läßt, daß Hermolaos unter einem andern als lustinian I. gelebt haben kann, mache ich darauf aufmerksam, daß nach Suidas' Wortlaut und nach der Art, in der dieser Schriftsteller die beiden Kaiser dieses Namens bezeichnet, nur lustinian I. gemeint sein kann. lustinian II. (685 — 695 und wieder 705 — 711) ist aus- geschlossen; er wird bei ihm 'lovoiiviavög 6'Piv6r^u)]Tog genannt^). Stemplinger ^) hat dann unter Hinweis auf die Suidasartikel Boj^avog *) und BooTTOQog^) und die Tatsache, daß Bochanos 576 unter lustinos II. Bosporos angriff, vermutet, bei Suidas sei im Artikel über "EgiAÖlaog zu lesen eTtixojiiijv . . . nQoocpv'>]'&eloav 'lov- OTivqy TCO ßaoikei. Diese Vermutung könnte als Basis einer Dis- kussion dienen, wenn Stemplinger der Nachweis geglückt wäre, der bei Suidas u. d. W. BooJiogog erhaltene Nebensatz gehe auf Stephanos 1) VgL z. B. cod. Just. I 1, 6. 2) Vgl. u. d. W. und u. BovlyuQOi. 3) Philol. a. a. 0. S. 619. 4) Bco/avog, ovo/xa xvqiov. t~]v dk Tovqxcov dgxVY^^ °^ ^-"^^ 'lovortriavov zov BöojioQov ijiögdi^as. C^rsi iv reo BöonoQog. 5) BöonoQog, jiohg jisqI rov 'ElXrjajiovxov i]v Bd)'/_avog 6 Tovqxo; eju 'lovozifiavov ßaadsojg inögütjoei'. zu STEPHANOS BYZANTIOS 349 von Byzanz zurück. Bei diesem fehlt aber im Artikel B6o:iooog und überhaupt im ganzen Lexikon jeder Hinweis auf diese Talsache und auf die Zeit lustinos' II. Beiläufig erwähne ich — nicht als Argument von besonderer Bedeutung, sondern nur der Ordnung und Vollständigkeit halber — , daß bei Suidas dieser Kaiser selbst nirgendwo genannt ist; wo bei ihm ' lovoxTvog xorkommt, ist stets der erste Inhaber dieses Namens gemeint. So ergibt also auch diese Überlieferung einen Beleg dafür, daß Stephanos sein Werk nicht nach lustinians Ausgang geschrieben haben kann. Ich lasse nunmehr einige Beiträge zum Text einiger Stellen der Ethnika folgen, die mir der Erklärung oder Heilung zu bedürfen scheinen. Völlig rätselhaft ist zunächst der Artikel 'Adodv)] S. 27, 14: 'Adgav)], nohg Ogaxijg, // jluxoov vtteq zfjg BsQEvixi^g xehai, (hg OeoTiojUTzog. UoAvßiog ök did xou rj zi]v jueo7]v ?>.eysi Iv TOioy.aidexdr)]' 'Adg/jv)]. rö Idvixöv 'AdQi]viTr}g , d)g ZviqvYj 2!vi]vm]c, 2eh]vi-i ZeX^jviTi-jg. tovtojv xä f.iaQTvqia Iv xoTg oixeioig. övvarai ök y.al 'AÖQijraTog, (hg KvQi]vaTog IIe?Jj]vaiog Mitvh]- vdiog. diöcooi de y Teyvi] y.al rö 'AdQ7]vevg, (bg IIsXXr]vevg. Eine Stadt oder einen Ort oder, um einen an sich vielleicht möglichen, wenn auch unwahrscheinlichen Fall zu setzen , ein Gebiet des Namens BeQEvixt] gibt es in Thrakien nicht. Diese Tatsache macht die Stellung des Relativsatzes // juixqov vtieq Tfjg BsQevixrjg xeixai hinter jioXig &Qay}]g sehr verdächtig. Von vornherein wird man aber an der Ursprünglichkeit des Einschiebsels festhalten und den Fehler an einer andern Stelle suchen wollen. Wer dieses Vorgehen billigt, muß zugleich schließen, daß durch den Relativsatz ihrer Lage nach eine andre Stadt des Namens Adgdvi] in einem andern Gebiet bezeichnet wird, auf welche die gekennzeichnete Eigentümlichkeit zutrifft; die Bestimmung des Landes selbst ist in unserer Überheferung untergegangen. Stephanos kennt in seinem allerdings arg verstümmelten Artikel S. 164, 3 sieben Städte dieses Namens, die freilich nicht alle von ihm müt gleicher Deutlichkeit bezeichnet werden. Unsere moderne Forschung vermag seiner Liste ■vielleicht noch die eine oder andere hinzuzufügen ^). Sucht man die Umgebung eines jeden dieser Orte ab, soweit sie einwandfrei be- stimmt sind, so stößt man in keinem Fall auf ein Topographicum des Namens Adrane, wohl aber in der unmittelbaren Umgebung 1) Vgl. die Einzelartikel in der Realeiicykl. III 280 ff. 350 B- A. MÜLLER der Stadt Berenike in der afrikanischen Pentapolis auf einen ganz ähnlichen Namen. Auf der Peutingerschen Tafel erscheint ganz nahe bei diesem Orte, fast senkrecht über ihm in die Karte ein- getragen , der Ort Hadrimiopolis ^) , der an andern Stellen mit folgenden Namensformen bezeichnet wird: Itin. Anton, p. 67, 2 Adriane (67, 1 Beronice); Hierocl. synecd. p. 733, 2 "AÖQiavri (733, 3 Begovixr]); Ravenn. p. 137, 17 Adriani (137, 18 Ver- meide), p. 353, 14 Adrianopolis (353, 13 Vcrnicide); Ravenn. Guid. p. 522, 12 Hadrianopolis (p. 522, 11 ■Vernicida). Diese Stadt, das heutige Soluk, führt also in unserer Überlieferung neben dem längeren auch den kürzeren Namen Adriane. Sie liegt nordnordöstlich von Berenike; zur Bestimmung dieser Lage wird die Präposition vjisq verwendet, welche häufig zur Bezeichnung von Lagen geographischer Punkte im Verhältnis zu anderen Orten gebraucht wird; angesichts des vorliegenden Artikels aus Stephanos Byzantios darf wohl darauf hingewiesen werden, daß sie beim Periegeten Pausanias unter anderem auch im Sinne von , nördlich" erscheint^). Diese Umstände in ihrer Gesamtheit gestatten wohl, die Schwierigkeiten in dem vorliegenden Artikel des Lexiko- graphen zu lösen oder doch wenigstens aufzuklären. Stephanos fand in seiner Quelle für dieses Stichwort oder in den Materialien für die Zusammenstellung seines Werkes die Form Adgävt] als Namen für die Stadt, welche wie in der Tabula Peutingeriana /jUxqov vueq rrjg BsQEvixrjg lag, oder beging bei der Niederschrift einen ent- sprechenden Irrtum und behandelte diesen und den thrakischen Ort in einem Artikel. Die hier vorgetragene Ansicht wird dadurch gestützt, daß Stephanos auch sonst beim Excerpiren seiner Quellen und der Zusammenstellung seines Textes sich ähnliche Fehler und Nachlässigkeiten zuschulden kommen ließ; W. Schmid') hat einige bezeichnende Beispiele zusammengestellt. Seit der diocletia- nischen Provincialorganisation ist das Gebiet der afrikanischen Pentapolis die provincia Libya superior oder 7) ävco Aißvr] *). Auch 1) Vgl. H. Barth, Wanderungen durch die Küstenländer des Mittel- meeres 1 390, 484 ; K.Miller, Itineraria Romana 878. In der Realencyklo- pädie ist der Ort unberücksichtigt geblieben. 2) A. Rüger, Die Präpositionen bei Pausanias, Diss. Erlangen 1889 S. 50. E. Reitz, De praepositionis v.Teß apud Pausaniam periegetam usu locali, Diss. Freiburg 1891 S. 7flf. 3) A. a. 0. S. 889. 4) Vgl. Provinc. laterc. Veron. 1, 3. Not. dign. or. 1, 81. 2, 25. 23, zu STEPHANOS BYZANTIOS 351 bei Stephanos heißt das Gebiet Aißvt]^). Ich ergänze daher, was er bringt, folgendermaßen: 'Aögavt] , noXig {Aißvrjg), fj juixqov VJieg Ti]q Begsviy.ijg xeixai. {eori xal ^Adgavt] oder äXXi] de jioXig oder mit ähnhcher beim Autor gebräuchlicher Wendung) Ogaxrjg, cbg OeonofXTiog. IloXvßiog de öid rov r/ rt]v juearjv XeyeL iv igioxaiöeyAzt]' 'Aögip'}]. Die Citate aus Theopomp, der die Namensform 'Adgdv7] hatte, und aus Polybios beziehen sich nur auf den thrakischen Ort. Jener ist nie auf die Pentapolis und ihre Städte, insbesondere nie auf Euhesperides oder Berenike zu sprechen gekommen, soweit man aus den erhaltenen Resten seiner Werke einen Schluß ziehen kann; dieser hat gleichfalls in seinem 13. Buch nie Topographika der Pentapolis berührt, wohl aber an mehreren Stellen thrakische Orte erwähnt^). Im Anschluß an diese Stelle darf vielleicht eine sehr schöne Ergänzung von A. Westermann, von der Meineke in seiner Ausgabe keine Notiz genommen hat, und die auch sonst nie beachtet worden ist, wieder in ihr Recht eingesetzt werden: S. 558, 12 2!avgo/.idTai, E'&vog "Ivöixov. xal ^ay^aXizrig xohiog. 'xaxä tovtov tov 2!aya- Xirrjv xÖXjiov xeTvxai neXdyioi v^ooi ejixa . Um den ersten und zweiten Teil dieses Artikels miteinander einigermaßen in Einklang zu bringen, war schon L. Holstenius ^) auf den Ausweg verfallen, statt "Ivöixov zu schreiben Agaßtxov. Nun erscheinen aber die Zavgofidxai durchgängig als skythisches Volk*), die Zay^aXixai als indischer Stamm. So drängt sich hier die Annahme auf, daß zwei Artikel in einen verschmolzen wurden. Ursprünglich dürfte der Text ungefähr gelautet haben: 2!avgo/xdxai, e&vog 2xv&lx6v ZaiaXixai, k'd'vog 'Iv&ixöv. xal ^^a^aXirrjg xöXnog xxX. Als verderbt erkannt, wenn auch noch nicht geheilt ist der Artikel BiXßiva, der in unsrer Überlieferung hinter Bi'&vojioXig 2. 9. Pol. Silv. prov. 10, 5, chron. I p. 542. Zosim. II 33. Hierocl. synecd. 732, 8. S. auch J. Marquardt, Römische Staatsverwaltung I ^ 462. 1) Vgl. z. B. S. 159, 11. 164. 6. 184, 19. 2) Vgl. S. 868, 26—869, 7 H. = S. 274, 10—15 B.-W. 3) Notae et castigationes in Stephanum Byzantium de urbibus, 1684 S. 286. 4) Vgl. die Lexika, besonders das allerdings einer kritischen Sichtung bedürfende Material von R. G. Latham bei W. Smith, Dictionary of Greek and Roman geography II 925. 352 B. A. MÜLLER und Bloa und vor Bioahia auftritt (S. 170, 14): BiXßiva nohg IJsQoix/j. TO i&vixöv BtXßivdnjg (bg Atyivdr^jg. Schon A. Ber- kelius hat in seiner Ausgabe (1694 p. 225) zu diesem Artikel be- merkt: liic aliquid monstri laterc mcridiana Jucc clarius est. Die von ihm angeführten Argumente , die heute auf Grund eines sehr vermehrten Materials nachgeprüft werden können , sind zu- treffend : unsere gesamte ziemlich reichhaltige Überlieferung über persische Geographika der Antike sowie über persische Glossen bei den Alten i) bietet nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür, daß eine im Sinne des Lexikographen persische Stadt des Namens Bllßiva in den Bereich der Realität gehört. Ferner ist, worauf nach Berkelius erneut Carl Otfried Müller in seiner Erstlings- schrift ^) aufmerksam gemacht hat , wesentlich , daß die von persischen Städte- und Ortsnamen abgeleiteten Ethnika in ganz anderer Weise gebildet werden. Wie diese Bildung erfolgte, darüber belehrt uns der Artikel 'AdagovTioXig (S. 26, 5): 'AöuQovjioXig, nöhg UeQOiTi't], cog Maqy.iavog iv neginXco rov IJsqoixov xöXnov. 6 jioXiTfjg 'AdaQOJto?Jn]g , d)g 'H)d07io?drt]g, 'HcpaiorojioXmjg, reo TEyvixcp Xoym, ei ju^] ocpeiXei reo Usqoixcö rvjico, (hg Kajußvörjvög Zaxprjvog IlaQairaxrjvog^). Den Weg zur Beseitigung der Corruptel haben gleichfalls Berkelius und C. 0. Müller gezeigt, indem sie den Ort BiXßiva mit dem peloponnesischen BeXßiva identificirten : jener las Aaxojvix)) ; dieser schlug IlEXoTiovvrjOiayJ] vor, bemerkte dazu: Gentile Alyivdrtjg forma Peloponnesris propria memoraf Stcphaniis s. vv. Kdmvva, Be/ußiva und verwies auf den Ar- tikel 'AfKfiyevEia (S. 89, 10): Ajug^iyEveia, jioXig ^leoorjviaxrj. .... TO eOvixov Ajuq)iyEVEidr'i]g diä rov üeXoTiovvrjoiov yaqax- rijoa fj xal AfiepiyEVEvg. Die Gleichsetzung von BiXßtva und BkXßLva ist richtig; Stephanos hat an anderer Stelle (S. 161, 12), irrigerweise den peloponnesischen Ort und die südsüdwestlich vom Vorgebirge Sunion gelegene Insel *) von gleichem Namen zusammen- werfend, BeXßiva einen besonderen Artikel gewidmet: BeXßiva, noXig Aaxcovixrj , Uavoaviag öyöSo) [VIII 35, 4]. 'AgzEjui.dcoQog vYjOOv avriqv (ptjoi. xb Eurixor BEXßnn']ri]g (bg Atyivrjxiig. Ein 1) Vgl. P. de Lagarde. Gesammelte Abhandlungen 186(3 S. 147 ff. 2) Aegineticorum über 1817 S. 91 f. 3) Vgl. auch S. 155, 5. 175, 5. 229, 12. 351, 11. 430, 1. 572, 23 und häufig. 4) E. Oberhummer, Realencykl. III 198. zu STEPHANOS BYZANTIOS 353 kurzer Überblick über dieses peloponnesische Belbina dürfte gestatten, eine Verbesserung des überlieferten nöXig IJegoixi'j zu finden , die vielleicht einleuchtender und leichler als die früheren Vorschläge ist. Unter dieser topographischen Bezeichnung, deren Namensform in unserer Überlieferung schwankt , muß ein Ort im Grenzgebiet zwischen Lakonien und Arkadien, der sogenannten BeJ^juivärig, verstanden werden, der in der Nähe des Berges Ghelmos zu loka- lisiren ist. Dieser Berg selbst mit seinen Resten von allen Be- festigungswerken bildete das von Plutarch ^) erwähnte tieqI rrjv Belßivav 'Ädrjvaiov und war geradezu die Akropolis des Platzes 2). Ort und Gegend werden von Pausanias^) zu Lakonien gerechnet, eine Angabe, die zunächst nur als für das Zeitalter des Periegeten gültig bezeichnet werden darf. Das Gebiet war fortgesetzt ein Gegenstand des Streites zwischen Sparta und Arkadien und wird gerade deshalb regelmäßig in unserer Überlieferung erwähnt *) ; bald gehörte es zur nördlichen, bald zur südlichen Landschaft. Die Arkadier nahmen es als ihnen eigentlich und von altersher gehörig in Anspruch: Paus. VIII 35,4 Xeyovoi jiiev dt] ol 'AgyAdeg xrjv Bele- /xtvav Trjg ocperegag ovoav ro ägyaiov dnorejueo'&ai Aaxedaijuoviovg' Mysiv de ovx elxöra scpaivovxo fxoi y.al ulXmv evexa xai judhora oxi fxoi öoxovoi SrjßdioL /^?;(5' dv (Bekker; ixY]de Hdschr. ) roüro eXaooo- fxevovg nsQUÖeXv zovg ^ÄQxdöag, et oq)ioiv eoeo'&ai ovv rw öixaiq) ro STiavoQßojfia 8f.ieX?<.ev. Belbina kann also auf Grund dieser Lage der Dinge mit demselben Recht als lakonische und als arkadische Stadt bezeichnet werden. Nun sind als südlichster arkadischer Stamm die Parrhasier zu bezeichnen. Der Kern ihres Gebietes ^) liegt südöstlich vom Lykaion; sie füllten den westlichen und südlichsten Teil der Ebene von Megalopolis, nach dessen Gründung ihre Ausdehnung nach 1) Cleom. 4 i>i TOVTOV Klso^iiv^ itgürov ol scpogoi ;iE^in:ovai xaza?.>]ip6- fiBPOV ro TiEQi rtjv BsXßivav /i{}7'jvaiov. if.ißo?.i] ds zfjg AaHon'ixfjg xo yjaqiov iazt xal zöze jzgog zovg Meyalojiolizag fjv in:i8iH0v. 2) Vgl. darüber auf Grund eingehender Autopsie W. Loring, Journal of Hellenic studies XV 1895, 36 ff. S. auch Blümner zu Pausan. III 21, 3 sowie J. Kromayer, Antike Schlachtfelder I 205f. 211. 3) III 21, 3 zijg . . '/cogag zfjg Äay.coviHijg t) Belz^dva fiähoza ägdea&ai ns(pvxEv. 4) Vgl. die Einzelnachweise-bei E. Oberhummer, Realencykl. III 198 sowie Frazer zu Pausan. III 21, 3, H. Blümner zu Pausan. VIII 35, 4. 5) Vgl. Frazer und Blümner zu Pausan. VIII 27, 4. Hiller von Gaertringen IG V 2 p. VIII 83—144. Hermes LIII. 23 354 ß- A. MÜLLER Lakonien und nach Osten zu natürlicherweise etwas eingeschränkt gewesen sein muß. Daß zu Thukydides' Zeit ihr Gebiet an die Skiritis stieß, lehrt, was dieser Geschichtschreiber zum Jahre 421 über den Zug der Spartaner gegen to iv KvyeXoig Tslxog berichtet, das sich leider nicht topographisch fixiren läßt (V 33): Äaxedaijuovioi de rov avrov ß^egovg Tzavdrjfxel ioTgarevoav . . . Trjg ''AgyMÖiag ig UaQQaoiovg Maviivecov vjirjxoovg öviag xara ordoiv ejiixaXe- oa[j,EV(üv ofpäg, afia de zb ev KvipeXoig zeTy^og ävaiQiqaovxeg, rjv övvcovrai, o ereixioav Mavnvrjg xal avrol ecpgovgovv. ev ttj ITag- gaoixfj xeijuevov eni rf] 2!xiQizidi rrjg Äaxcovixrjg. Das hier er- wähnte ev Kv^ieXotg xelyog, sowie KvxpeXa selbst, das man durch- aus nicht mit dem Kvx^eXa zu identifiziren braucht, welches Nikias h roTg'ÄQxadixorg (Athen. XIII 609 E = FHG IV 463) zu Kypselos' Geschichte nennt ^), läßt sich topographisch nicht fixiren; aber gleich- wohl kann man aus der thukydideischen Darstellung schließen, daß 421 das Gebiet der Parrhasier an die Skiritis stieß. Diese selbst, ein rauhes Bergland, lag zwischen dem oberen Eurotas und dem Oinustal^). Das Gebiet der Parrhasier berührte also einstmals und zwar im Grenzgebiet der Skiritis Lakonien , von dem die Alymig, der nördlichste Grenzgau, früher arkadisch gewesen war, während die südlich davon gelegene BeXjuivaTig von altersher nach einem oben ausgeschriebenen Zeugnis noch später als altarkadisches Land in Anspruch genommen wurde, Soll nun ein bestimmter arkadischer Stamm als Herr dieses Gebiets, als Herr insbesondere von Belbina oder, um die hier in Frage kommende Namensform zu brauchen, von Bilbina bezeichnet werden, so können das nur die Parrhasier sein. Ich schlage daher nunmehr vor, bei Stephanos zu lesen: BiXßiva, jiöXig UaQQaoixr} und verweise wegen des Adjektivums auf Thucyd. V 33. Die Änderung dürfte sich durch die Erwägung 1) YgL E. Curtius, Peloponnesos I 339, 16. Hiller von Gaertringen a. a. 0. 128, 90. 2) VgL E. Curtius a. a. 0. 1 18. II 217. 263 ff., Inschriften von Olympia 91—98, bes. 95—97, sowie R Lattermanns Karte: IG V 1 tab. VII. Diesen Feststellungen gegenüber ist unzutreffend und irreführend die jüngst vor- gelegte Hypothese E. Ziebarths in Lübkers Reallexikon ^ 956 a, der die Skiritis im oberen Eurotastal allein unterbringt; sie widerspricht nicht nur unseren sämtlichen Zeugnissen und Nachrichten über dieses Gebiet, sondern ist auch an sich unmöglich: im oberen Eurotastal läßt sich, wie ein Blick auf die Karte lehrt, eine so umfangreiche Grenzlandschaft, wie die Skiritis es war, schlechterdings gar nicht ansetzen. I zu STEPHAN OS BYZANTIOS 355 empfehlen, dafs IIeqoixi] sehr leicht aus dem immerhin seltenen und wenig gebräuchlichen IJaQQaoix/j verderbt werden konnte. Aus dem Umstände selbst, daß an der einen Stelle die Stadt als lakonischer, an der anderen als parrhasischer Ort bezeichnet wird, wird man kein Argument gegen die vorgetragene Conjectur ableiten können: der Artikel 'A&ajLiavia lehrt, daß Stephanos bei seinen Formulirungen solchen doppelten Zuweisungen auch unter ein und demselben Stichwort Rechnung trug (S. 33,10): "A^ajua- via, xwQa 'IXXvQiag, ol de OeooaUag. Andrerseits kann die Lesung BiXßiva, nohz IlaQQaoiy.i] noch durch eine andere Erwägung ge- stützt werden. Schon längst ist beobachtet worden, daß bei „spä- teren" Autoren parrhasisch soviel wie arkadisch bedeutet^). In glücklicher Weise hat Hiller von Gaertringen ■'^) darauf hingedeutet, daß ein Vers des Kallimachos der Ausgangspunkt dieses Gebrauches ist (hymn. 1, 10): ev de oe Uaggaoirj 'Pect] zexev. Wer in diesem Vers Uaggaoia im weiteren Sinn verstand, setzte es mit 'AgyMÖia in v. 7 gleich. Mit noch besserem Recht kann neben diesem Kallimachosvers eine von Aristaios handelnde Stelle des Apollonios Rhodios als Beleg für die Gleichung „parrhasisch = arkadisch" genannt werden (II 520 ff.): €v de Keq) xazEvdooaro, Xaov äyeigag UaQQaoiov, roi jceg re Avxdovog eloi yeve^^Xrjg. Unzutreffend ist es dagegen, für diesen Sprachgebrauch auf Pind. Ol. 9, 143 zu verweisen, wo der Dichter sich nur auf die Parrhasier selbst bezieht. S. 240, 3 Agvg, noXig 0Qqxr]g, 'ExaraXog EvQCOJtf]. eori xal TioXig r&v (Berkelius; Ttxcoxoioxcbv AR; Jircoxcoorcö V) Oivcotqcov. 6 noXixrjg Agvevg xal Agvfjig (Meineke; Agvoig codd.). eort xal xcojui] KiXuxiag Ttagd (RV; Avxiag enl A) reo 'Aqco TTorajuco. Gegen die Überlieferung über die Lage des kilikischen Ortes nimmt der Umstand ein, daß ein Fluß '^^d? nirgends sonst erwähnt wird, ein Bedenken, das deshalb um so schwerer wiegt, weil der Nachrichten- 1) Pape- Benseier, Wörterbuch der griechischen Eigennamen II', lUl^. Blümner zu Pausan. VIII 27, 4; vgl. ferner Serv. Aen. VIII 344. Steph. Byz. S. 120,7 (Eustath. in Dionys. Perieg. 414); Schol. Pind. Ol. 9, 143. Schol. Apoll. Rh. II 521. 2) A. a. 0. p. VIII 137 a 23* 356 B. A. MÜLLER bestand unserer Quellen über Topographika Kilikiens im Altertum außerordentlich reichhaltig ist. An Kilikien selbst als dem Land, in welchem das Dorf lag, wird man wohl gegenüber Lucas Hol- stenius ^), der von der Lesart Ävxiag ausging und Maiävögcp ver- mutete, festhalten dürfen. Auch Gl. Salmasius, gegen den sich Holstenius seinerzeit wandte, hielt KiXiyJag für richtig und schrieb Uivagcp (sie), indem er annahm, hier sei der am Amanos ent- springende und bei Issos in Kilikien ins Meer mündende Küstenfluß von allerdings recht geringer Länge seines Laufes gemeint, der von Stephanos S. 340, 4 u. 'looog, nohg juera^v 2^vQiag xal Kihxiag genannt und sonst im Altertum nur wegen der Nähe des Ortes der Alexanderschlacht erwähnt wird. Berkelius billigte dann 1694 in seiner Ausgabe diese Lesart mit folgenden Worten: cjuae lectio ianto confidentiiis admittcnda est, qiiia in 3ISS ante rö 'Äqm lacuna conspicitur. Schon dieser Umstand — Meineke sagt aller- dings nur, daß der codex Vossianus zwischen tm und 'AqÖ) eine Lücke aufweise, deren Umfang er nicht bestimmt — lehrt, daß gegenüber dem nur hier überlieferten Wort 'Aqm eine Gonjectur berechtigt ist. Eine leichtere Änderung als das von Salmasius vor- geschlagene Uivagcp dürfte 2!dQcp sein. Neben dem Pyramos und Kydnos erscheint der häufig erwähnte Saros^) als einer der wich- tigsten Flüsse Kilikiens von einer außerordentlich beträchtlichen Stromlänge. Wenn {Z)rjLQ zur Ausfüllung der Lücke sich als nicht genügend erweisen sollte, schlage ich {2!iv)dQcp unter Verweis auf Ptol. geogr. V 8, 4 Zdqov y 2^ivdQov jiozajuov ixßoXai vor. Selbst wer diesen Vermutungen nicht beistimmt, wird doch zugeben müssen, daß der 'Agög Tzoxajuög nur noch als ungenügend beglaubigt in unseren Lexika geführt werden darf. Der Heilung bedarf wohl auch der Artikel WvUa (S. 703, 10): WvlXa yojgiov juera^v 'HoaxXeiag xal rov Uovxov. MeviTcnog iv jieoiTilcp rov TIovzov '' dno KQr\viboiv eig Wvllav xcoqiov orddia x , ano Wv}Ji.i]g ycoQiov stg Tiov nöXiv xal noxafxbv BiXXaiov ordöia n? x6 edvixöv WvXXdxi^g. Gemeint ist der kleine Ort 1) A. a. 0. 105. 2) Vgl. die Belege bei Pape - Benseier IP 1348; s. Steph. Byz. S. 24, 21flf. ; 547,5 'PoT^og, imvsiov Kihxiag sjii taig ixßokaig xov Sägov no- rafiov. S. femer W. M. Ramsay, Historical geography of Asia minor (Royal Geographical Society, Supplementary papers IV) 1890, 18. 53. 221. 276. 289. 310. 311. 385. zu STEPHANOS BYZANTIOS 357 Wv2.Xa^) an der bithynischen Küste zwischen dem pontischen Hera- kleia und Tios'-). Psylla selbst liegt nicht zwischen Herakleia, das seinerseits selbst eine ponlische Hafenstadt ist, und dem Meere. Der Text, der in der überlieferten Form sachlich unmöglich ist, mu(.^ also verderbt sein. Schon Gl. Salmasius^) hatte die Meinung ausgesprochen, es sei zu lesen WvXXa iooqiov jUEia^b 'IlQaxXeiag xal Tiov. Näher dürfte unserer Überlieferung folgende Vermutung kommen : WvXla ycogiov fiera^v 'HgaxXeiag xcü (Tiov) tov IIovtov. Zur Empfehlung der Conjectur verweise ich auf Steph. S. 624, 20 Tiog, jioXtg JJafpXayoviag tov IIovtov. Ich führe ferner aus dem gleichen Autor folgende Stellen an: 77, 9 'AXom] . . . TQiTf] (seil. noXig) TOV IIovxov ; 96, 2 eotiv "Avd^eia xal tov IIovtov JioXig TiQog TTj Ogfix}]; 347, 13 eoTi xal tov IIovtov KaXddovoa; 882, 19 Kgejut], TToXig IIovtov ; 571, 8 Zivoin)], noXig öiacpaveaTaTYj TOV IIovtov; 642,12 Tvqitolx}], noXig IIovtov; 667,3 (Piveiov, TOJiog TOV IIovtov. Hamburg. B. A. MÜLLER. 1) Vgl. Arrian. pevipl. ponti Euxini 19 (= Anon. peripl. p. Eux. 13). Ptol. geogr. V 1, 7. Marcian. epit. peripl. Menippi 8. Tab. Peut. segm. 9, 4 mit der Form Scylleum. 2) Vgl. außer den zu Psylla angeführten Stellen besonders Strabo XII 542. 543. 565. Mela I 104. Memnon 16.19 (FHGIII 535 f.). Ptol. geogr. V 1, 7. Tab. Peut. segm. 9, 5. 3) Plinianae exercitationes 880. NACHTRÄGLICHES ZUR EPIKUREISCHEN GÖTTERLEHRE. In d. Z. LI 1916 S. 568 ff. sprach ich (S. 586, 1) die Erwartung aus, daß wir die Philodemschrift über die Lebensweise der Götter von H, Diels bald in verbesserter Gestalt erhalten würden. Diese Hoffnung ist durch seine Ausgabe und Erläuterung des Textes in den Abhandlungen der Pr. Akad. d. Wissensch. 1916 Nr. 4 und 6 aufs glänzendste erfüllt. Auch meine Arbeit erwähnt er dort in freund- licher Weise. Aber er kommt doch in Hauptpunkten zu wesentlich anderen Ansichten als ich, und auch Auffassungen von mir, denen er in Anmerkungen zustimmt, widerspricht er zum Teil im Texte, wahrscheinlich weil seine Arbeit fertig vorlag, als er meine zu Gesicht bekam. Da es sich um wichtige Punkte handelt, die ich endgültig klargestellt zu haben dachte, möchte ich hier nochmals auf sie eingehen, um so mehr da ich auf Grund der Dielsschen Veröffentlichungen auch meine Begründung an einigen Stellen zu ändern habe. Höflichkeitsumschreibungen bei der Darlegung unsrer Gegensätze erläßt mir der hochverehrte Gelehrte gewiß gern. Der wesentlichste Punkt, in dem wir voneinander abweichen und um den sich unsre sonstigen Meinungsverschiedenheiten grup- piren, ist seine Ansicht, daß die Epikureer zwei Arten von Göttern anerkannt haben : die eigentlichen Götter, die in ewiger Glückselig- keit in der Zwischenwelt wohnen, und eine Art sekundärer Gott- heiten, die Gestirngötter, wie Sonne und Mond, die wie diese Gestirne unsrer Welt angehören und, an deren Geschick geknüpft, mit jenen höheren Göttern nicht gleiche Seligkeit und Unvergäng- lichkeit genießen. Der Zwiespalt, den diese Unterscheidung in die Götterlehre der Epikureer bringt, soll in der Unklarheit ihrer Be- richte zum Ausdruck kommen, und bedeutende Vertreter der Schule, wie Apollodor, der Gartentyrann, und sein Schüler Demetrios Lakon^), 1) Dieser erklärt Pap. 1055 Col. 16 ov] y.oofiov &e6v, ovo' ,"Hhov t' axd- fiavza aeXrjvrjv tb 7ih]&ovoav". ZUR EPIKUREISCHEN GÖTTERLEHRE 359 ebenso auch Lukrez, sollen die zweite Götterart ausdrücklich ver- worfen haben. Ja auch Philodem habe in eigentümlichem Schwanken sie bald anerkannt, bald geleugnet. Ehe ich nun auf die Dielsschen Beweisgründe für die Doppel- natur der epikureischen Götter im einzelnen eingehe, schicke ich einiges Allgemeine voraus, das mir gegen seine Ansicht zu sprechen scheint. Ich könnte mich gegen die epikureischen Gestirngötter auf Augustin berufen, der De civ. dei XVIII 41 (Us. S. 229, 23 ff.) sagt: Epicurus . . . soleni vel ulliim siderum deum esse non crcdens, ebenso auf Plutarch Adv. Colot. 27 p. 1123A ol . . . (pdoxovreg ju^]öe röv yXiov e'juifvxov elvai jurjde rrjv oeXtjvtjv, während Epikur selbst ausdrücklich (Us. 59, 16) Gott für ein Cfpov, also für e^ipvyov erklärt. Plutarch hat wahrscheinlich eine aka- demische Schrift gegen die Epikureer, die älter als ApoUodor war und sich gegen den Epikurschüler Kolotes richtete, benutzt. Über- haupt, wenn Epikur irgendein Schwanken in seiner Verwerfung der Sterngötter zeigte, würden seine Gegner sicher das gegen ihn in erster Reihe ausgenutzt haben. Aber weder bei den Akademikern noch bei den Stoikern ist eine Spur von einer solchen Kritik er- halten. Indessen bedarf es solcher mittelbaren Zeugnisse nicht. Epikur hat sich in seinen Briefen selbst mit genügender Deut- lichkeit ausgesprochen. So heißt es im ersten § 76 (Us. S. 27, 17 ff.) in bezug auf die Himmelserscheinungen: fXYire XeiTOVQyovvjog xivog vojuiCeiv öeT yiveod^ai xal diazatrovrog fj öiard^avTog xal d.[xa ri]v jiäoav fxaxaQioxrjja e^oviog juetd ätp^agoiag, und wenn man einwenden sollte, hier sei von den eigentlichen Göttern die Rede, nicht von den sekundären, so sagt der zweite Brief § 97 (Us. S. 42, 11 f.) allgemein: xal fj ■&sTa cpvoig nqbg ravra (zu dem gesetzmäßigen Umlauf der Gestirne) /utjöa/uf] nQogayeo&o). In der Tat: die Epikureer hätten ihre ganze Theologie auf den Kopf stellen müssen, wenn sie in irgendeiner Weise göttliche Wesen zu den Himmelskörpern in eine nähere Beziehung gesetzt hätten. Denn Seligkeit, Anfanglosigkeit, Un Vergänglichkeit sind die wesentlichen Eigenschaften der Götter. Darum werden sie in die Zwischenwelt versetzt, wo diese Eigenschaften geschützt sein sollen. Dagegen ist unsre Welt und mit ihr Sonne, Mond und Sterne entstanden und vergänglich. Das gleiche Los würde also die Sterngötter treffen ; sie könnten somit nach epikureischer Auffassung keine Götter sein. So geschieht denn auch an keiner Stelle, wo Epikur 360 R- PHILIPPSON von Sonne, Mond und Sternen spricht, der Sterngötter die leiseste Erwähnung. Ebensowenig in den übrigen Quellen, wenn ich von den Herculanensia fürs erste absehe. Lukrez vollends schließt ausdrücklich jedes göttliche Element von den Gestirnen aus. So an der Stelle, wo er ankündigt (V 76 ff.), er werde darlegen, wie die Bewegungen der Sonne und des Mondes von der Natur gelenkt würden, ne . . . aliqua divom volvi rafione putemus. Wer das behaupte, verfalle dem alten Aberglauben. Und nicht minder deutlich erklärt er V 114ff.: ne forte rearis terms et solem et caelum, mare, sidera, hin am corpore divino dehere aeterna manere . . . qtiae procul iisque adeo divino a numine distent, inque deum numero quae sint indigna videri, notiiiam potius praebere ut imsse pidentiir, quid sit vitali motu sensuque remotum. Ferner V146f.: illud item non est ut possis credere, sedes esse deum sanctas in mundi partihus ullis. Und wenn auch Lukrez hier Darstellungen jüngerer Epikureer gefolgt sein sollte, ist es glaubhch, daß diese eine Lehre für „alten Aberglauben" erklärt hätten, die irgendwie von ihrem vergötterten Meister vertreten worden wäre? Dazu bedürfte es zwingender Beweise. Untersuchen wir, ob die von Diels angeführten Stellen solche bieten. „Auszugehen ist", sagt er Nr. 6 S. 29, „von dem Scholiasten der KvQiai do^ai bei Diog. X 139, der zwei Arten von Göttern unter- scheidet, ovg juev xar dgidjudv vcfsorcöiai;, ovg de yMxä öjuoeideiav EX TYJg ovvexovg etiiqqvoeok rcöv djuoicov elöüiXcov im rö avxo djioTETekEojuEvcov, äv&QcojioEidEtg. Es freut mich, daß er meine Auffassung von ovg jLih' — ovg ös als Zweiteilung nicht des Sub- jektes, sondern des Prädikates in Anm. 3 billigt und durch zwei weitere Beispiele belegt^). Um so befremdlicher ist, daß nach seiner Meinung doch zwei Arten der Götter unterschieden werden sollen. Damit hätten wir wieder die von uns beiden abgelehnte Zweiteilung des Subjektes. Daran ändert auch nichts, wenn er fortfährt: „Zunächst macht es keinen großen Unterschied, ob man zwei Arten von Göttern als objektive Wesen oder von Göttererscheinungen als subjektive q:avtaoiai unterscheidet. Denn es kommt hier nur auf die Entstehung der Güttervorstellungen an." Denn nach meiner von ihm gebilhgten Auffassung des ovg [xev — ovg de werden beide 1) Ein viertes gibt Isokr. Helena 1, 1 o'i fiiv — o'i ös, vgl. Zeller IIa 3 S. 265,5. ZUR EPIKUREISCHEN GUTTERLEHRE 361 Prädikate y.ar' ägi^judv vcpsoxöjxng und äv&ocoTioeiöelq auf die Götter im allgemeinen bezogen. Sie werden erkannt einerseits als Einzelwesen , andrerseits nach der Gleichartigkeit der von ihnen herrührenden Bilder als menschenähnlich. Aber vor allem ist es irrtümlich , wenn Diels glaubt , hier werde von der Erkenntnis der Götter durch cpavTaoiai gesprochen. Sein Fehler ist, dafs er die wichtigen einleitenden Wörter: (pt]ol rovg 'deovg Xoyco 'd^ecoQrj- rovg fort- und unberücksichtigt gelassen hat. Diels meint nämlich des weiteren, nach Epikurs Ansicht erhielten wir von den Göttern teils reine, teils entstellte, wenn auch ähnliche Bilder (wovon später!); jene ergäben die Erkenntnis der Götter als Einzelwesen, diese nur die ihres Gattungswesens. Eine solche Erkenntnis wäre aber keine logische, wie sie hier nach obigen Worten geliefert werden soll, sondern eine Erkenntnis durch unser Vorstellungsvermögen {öidvoia). So bleibt nur meine Erklärung der, wie ich glaube, sehr verkürzt wiedergegebenen Worte Epikurs übrig. Wir erkennen durch die Vernunft wohl, daß die Götter Einzelwesen sind (dafür spricht schon ihre Menschenähnlichkeit), wir können uns aber bei der Beschaffen- heit der von ihnen zuströmenden eldcola wiederum durch die Vernunft nur ein Bild ihres Gattungscharakters machen. Nicht also von einer doppelten Art der Götter noch von einer doppelten Art ihrer Erscheinungen spricht nach meiner Auffassung Epikur in diesem Scholion, sondern von einem doppelten Ergebnis unsrer Erkenntnis ihres Wesens durch die Vernunft. Dazu stimmt auch die Aeliosstelle (Us. 239, 11 ff.), nach der Epikur alle Götter nur durch die Vernunft erkennbar nennt, weil ihre Bilder eine zu zarte Beschaffenheit haben. Von einer doppelten Art Götter ist da nicht die Rede und noch weniger davon, daß gerade die eigenthchen Götter uns als Bilder „rein gehaltene Atomcomplexe" senden. Gerade dies wird von allen Göttern geleugnet. „Von dieser doppelten Entstehung (der Göttervorstellungen) " , fährt Diels S. 30 fort, „handelt Epikur, wie Philodem in der Schrift von der Frömmigkeit berichtet, folgendermaßen (S. 134 Gomp.) : .... Tcbv \Ei\d\(X)X(x>\v öfioiav 2.ajußa[v6v]ra)v 1/ y£y£vvrj[jiiev7]]v xäv i^ v7iEQßd[oe(jog] töjv jLiETa$v [ri]v avr]i][v xar' ägiüpov ovy]- XQiGiv Öte juev [t?)j'^) ex röJv] avrojv xale{I)v, oxe d\e t)]v ex Tcbv öjuoiojv.'^ Diels nimmt an, daß hier von einer doppelten Ent- 1) Dieses schon von Gomperz ergänzte ti'jv, das bei Diels fehlt, ist wohl notwendig. 362 R- PHILIPPSON Stellung der Göttererscheinungen aus reinen und entstellten Bildern die Rede ist. Das ist schon nicht sicher. Ich stelle die vorhergehenden Zeichen unsrer Columne (Z. 2Ü.) ungefähr so her: sTtioJv d' iyoj [yMi nQOze- Qov xri\vde ttjv [ov]o- Taoi\v xal Td[?] (pvoeig tov]tcov töjv [Ei]d[cü- Xcü]v Tag (pvoeig ^) rcöv eIömXcov braucht hier nicht die Götterbilder im besonderen zu bezeichnen, sondern kann auf die Bilder im allgemeinen gehen. Diese nennt Epikur bald die aus denselben, bald aus den ähnlichen stammenden (ovoTaGig oder ovyHoioig), je nachdem die Bilder eine ähnliche, oder wenn möglich (also Ausnahmefall) individuell identische Zusammensetzung er- halten. Das erstere ist, wie ich in d. Z. a. a. 0. S. 569 und 586 nachzuweisen suchte, bei den Götterbildern der Fall, während die Bilder der irdischen Dinge unter günstigen Bedingungen^) durch Überspringen der Zwischenkörper ^) die Gegenstände genau wiedergeben. Daß Philodem im Zusammenhange mit den Göttern, von denen die Schrift handelt, den Nachdruck auf die nur ähn- lichen Bilder legt, ergibt sich daraus, daß er entgegen der Reihen- folge in dem vorhergehenden Participialsatze ex rcbv öfxoicov ans Ende setzt und nach meiner wohl sicheren Ergänzung weiter hinzufügt: y.al rijv tovtcov rd^iv ovx äjtoßaXXovxoiv , cjore xal t6 ovzco TiQayßkv iu7]dajuä)g äora&Eg eJvai. Also auch diese nur ähnhchen Bilder geben eine sichere Kenntnis, wenn auch nicht von der individuellen , so doch von der allgemeinen Beschaffenheit der Götter. Aber auch wenn hier von einer Unterscheidung der Götterbilder die Rede sein sollte, so bildeten nach dem xäv Z. 8 1) Dieses Wort halte ich für sicher. Auch im Herodotbriefe 48 (Us, S. 11, 10) nennt er die sidcola (pvoeig, ebendort spricht er von ihrer ovaxaoig. 2) Im Herodotbrief §47 sagt Epikur von den sl'dcaXa im allgemeinen: TÖ> amiQn) avTCüv /nrjßkv dvztxojizeiv ?] oXiya ävrcxöjiTeiv (das ist also die i'jisQßaoig zöjv fieza^v unsrer Stelle^ noXloTg (Us. jioU.aTg) ös nal 0.1:1 si- Qo ig Evdvg ävtixÖTireiv xi. 3) So übersetzt Diels an dieser Stelle richtig tcüv fieza^v, während er vorher von Überspringen der Zwischenvpelt spricht; doch davon später! ZUR EPIKUREISCHEN GÖTTERLEHRE 363 die reinen Bilder nur einen Ausnahmefall, der sich im einzelnen gar nicht feststellen ließe, da wir kein Kriterion haben, um durch e7iifiaQTVQi]oig die reinen und entstellten Bilder zu unterscheiden. Jedenfalls träfe aucli dann zu, dafs Philodem nach Maßgabe seiner Worte die nur ähnlichen Bilder als eigentliche Quelle unsrer Götter- erkenntnis betrachtete. Da nun auch in der ganzen Umgebung unsrer Stelle, soweit ich sehen kann, von Gestirngöttern nicht die Rede ist, glaube ich nicht, daß sie für die Annahme solcher seitens Epikurs verwertet werden kann ; ebensowenig, wie wir sehen werden, die Anführung derselben Epikurworte im 3. Buche über die Lebens- führung der Götter. Die Metrodorstelle endhch, die Diels heranzieht^), hat mit obigen Epikursätzen überhaupt nichts zu tun; denn in ihr ist nicht von einer Unterscheidung der Arten der Göttererkenntnis oder des Verhältnisses der Bilder zur Erkenntnis ihrer Gegenstände die Rede, sondern von dem Unterschiede zwischen ewigen und ver- gänglichen Atomverbindungen (ovyxQioeig). In der Sextusstelle (Adv. math. IX 44 f.), die Diels heranzieht, wird die Entstehung des Volksglaubens nicht auf das Erscheinen von Sterngötter- Bildern, sondern auf die Beobachtung der evxoojuia der Himmelsvorgänge zurückgeführt. Diese Beobachtung gibt aber nicht, wie Diels meint, nach Epikur ein unreines Bild der Götterwelt, sondern überhaupt 1) Philodem. jt. eva. fr. 123 S. 138 Gomp. Es ist bedauerlich, daß die vorhergehenden und folgenden Zeilen so arg beschädigt sind. Ich lese vorher zweimal fr. 117, 20 und fr. 118, 1 :rtQ6g 8id[?.t]yjiv], nach meiner Annahme der siöcöXoiv. Fr. 118,21 etwa: [Ja: zoiovTOiv (pavzaoiMV ejtc-] voi]av xaza[?.a- ßsTv] Hai Twv [ex tov]ra>v y.Qioscov zov ä](p&aQTOv [si- vai x\ai jiäv vq\7]- zov zo\ zä>v [i?£(üj'] elg \ev ä&Qoi]a/j.a. Diels ist geneigt, mit mir 123, 12 [ziva] ovyxQioiv zu ergänzen; wenn er aber meint, es werde damit angedeutet, daß man diesen Terminus nur un- eigentlich von den Göttern gebrauchen dürfe, so kann ich dem nicht bei- stimmen, denn ein Drittes neben Atomen und ihren Zusammensetzungen gibt es nach Epikur für Körper nicht. Da also die Götter keine Atome sind, müssen sie ovyxQiaeig sein; das ziva würde sie nur als eine besondere Art dieser bezeichnen. 364 R- PHILIPPSON keines, da die Götter mit der Lenkung der Gestirne nichts zu tun haben (vgl. in d. Z. a. a. 0. S. 5 75 f.). Aber auch der Beweggrund, mit dem Diels die Annahme von Sterngöttern seitens der Epikureer zu erklären sucht, die Erinnerung an das Schicksal des Anaxagoras, scheint mir nicht stichhaltig. Schon Augustin (Us. S. 229, 21ff.) bemerkt, daß im Gegensatz zu Anaxagoras Epikur ruhig habe in Athen leben können, obwohl auch er weder Sonne noch Sterne für Götter gehalten habe, und Zeller (III b* S. 445) meint, der epikureische Deismus habe damals eben- sowenig Gefahr gebracht wie der erklärte Atheismus. Epikur wußte auf andere Weise Rücksicht auf die Volksmeinung zu nehmen. Philodem vollends hatte in einer Zeit, in der der Gonsular und. Augur Cicero das Gedicht des Lukrez herausgab, gewiß keinen Anlaß, in so schwankender Weise, wie Diels annimmt, die Stern- götter bald anzuerkennen, bald zu leugnen. Sehen wir nun, ob die Stellen unsrer Schrift, auf die Diels sich stützt, in eindeutiger Weise dafür sprechen, daß nach ihnen Philodem das Bestehen von Sterngöttern zugegeben hat. In der achten Columne handelt er von den Wohnsitzen der Götter und weist ihnen in Übereinstimmung mit seiner Schule die Zwischenwelt als solche an, wo sie vor jeder, auch der geringsten Schädigung geschützt sein sollen. Von dorther, sagt er Z. 35 ff. in leider höchst lückenhafter Überlieferung, empfangen wir reine Vor- stellungen von ihnen, und fährt Z. 37 fort: ol de jzsqI ti]v yfjv 7taQeniiJ.oXvvovTai rivojv dvoiy.eioreQcov emvoiaig. Diels übersetzt: „Die Götter aber, die um die Erde (kreisen), werden durch die sich daneben eindrängenden Vorstellungen von gewissen fremden (Ele- menten) entstellt". Wenn diese Deutung der Worte richtig ist, so wäre damit Philodems Annahme von Göttern zweiter Klasse be- wiesen. Aber schon der Ausdruck ijiivoiaig warnt davor; dieser bedeutet auch nach Diels' Auffassung nie Anschauungen sinnlicher oder phantastischer Art, sondern logische Gedanken über verborgene Dinge. Also nicht die Götter selbst, wie Philodem ungeschickt sagt, sondern die Göttervorstellungen (ihre vorjoetg) werden auf diese Weise entstellt. Es steht aber nichts im Wege, tieqI ri]v yijv an- statt zu dem Subjekt ol de zu dem unmittelbar folgenden Prädikat zu ziehen und zu übersetzen: „Die aber (die vorjOEig der aus der Zwischenwelt in reiner Gestalt uns zuströmenden Götterbilder) werden auf Erden durch falsche Zugedanken entstellt. " Das ist in der Tat ZUR EPIKUREISCHEN GÖTTERLEHRE 365 die Lehre Epikurs : ov yao q^vldrzovoiv {ol noXkol) avzovg, oTovg voovoiv . . . Ol) yuQ JiQoXTqxpeig eiolv, alV vTtohl]\pEi<; yjsvdeig ai TCüv noXXan' vtxeo "decbv änocpaoeig (Br. III 123 Us. S. 60, 6 0'.). Im folgenden bringt nun Philodem ein Beispiel solcher Ent- stellung, das sich themagemäß mit der falschen Vorstellung von den Göttersitzen beschäftigt. Ich will der Kürze halber meine Auf- fassung der zwar, wie so oft bei Philodem, sprachlich oft unge- schickten und z. T. nur in Bruchstücken überlieferten, aber ihrem Inhalt nach mir durchaus verständlichen Sätze vortragen. Er geht dabei, wie Diels vortrefflich zeigt, von gewissen Epiphanien aus, bei denen Götter in demselben Abstand wie gewisse Sterne und andere Sternbilder vergötterter Menschen vorgestellt ^) werden. Insonder- heit werden mit Sonne und Mond ähnlich gestaltete Wesen ver- knüpft, weil sie auf demselben Abstand vorgestellt werden, obgleich sie weit größer als jene Himmelskörper sind. Aber auch die Spiegelbilder sind oft viel größer als die Spiegel, in denen sie er- scheinen. Wie man aber bei dem Spiegelbild nicht zahlenmäßig bestimmen kann, wie weit sein Gegenstand von dem Spiegel ent- fernt ist, so auch bei den Götterbildern, die über die Gestirne hin- weggehen (vjisgßaiveiv), aus welcher Ferne sie kommen. Es ist daher falsch, zu glauben, daß diese Göttergestalten mit Sonne, Mond usw. wirklich verbunden seien {TiaQaßeßXrlodai). „Denn nicht", schließt er 9, 22 ff., „darf man annehmen, daß die Götter mit diesen Gestirnen untrennbar verbunden sind und mit ihnen umlier- wandeln, sondern daß sie, wenn die Objekte , denen sie ihre Ent- stehung verdanken , auch noch so weit von dem Zwischenraum entfernt sind , (über die Gestirne) hinweggehen ^) und nicht (oder 1) Nach der Papyruslesung Scotts muß es Z. 41 v^oovvtül (nicht oQöivtai, wie bei Diels) heißen (ebenso 9, 10 roovfier, Z. 11 vosTzat, Z. 13 voovfXEv). Auch die Sterngötter wären nicht sinnlich wahrnehmbar, sondern (pavTaazixal kjiißoXai trjg diavoiag. 2) Diels faßt das vjtsgßalvsiv und v:iEgßaoig (dies auch in der oben angeführten Epikurstelle) als ein Überspringen der Zwischenwelt (d. h. wohl des Raumes zwischen dem Intermundium und uns) auf, durch das die Götterbilder unmittelbar und rein in unsre Seele gelangen. Aber wie ist das möglich? Um zu uns zu gelangen, müssen sie doch immer durch unsre unreine Erdatmosphäre gehen, in der sie bei ihrer Zartheit Veränderungen erfahren. Richtiger übersetzt er die v:^£Qßaoig tcöv ßsza- §v (Philod. jr. Evo. fr. 118) mit „Überspringen der.Zwischenköri^er". S. oben S. 362. Es ist das /.itjdkv ävzixöjitEiv Epikurs (Us. S. 10,4 und 11,1) und 366 R- PHILIPPSON Aielleicht cbg = gleichsam für /o; herzustellen) mit ihnen verknüpft zu uns gelangen. Daher nennt Epikur, glaube ich {oJjuai hinter 'Emy.ovQov zu ergänzen?), die Bilder bald die aus denselbigen (Gegenständen), bald die (wie diese Götterbilder) aus ähnlichen stammenden." Ich glaube, daß die Stelle, so aufgefaßt, in sich klar ist und den Glauben an Sterngötter schon durch die oben an- geführten Worte deutlich ablehnt. Daran schließt sich dann vortrefflich die Erklärung Apollodors gegen die Wohnsitze der Götter auf Erden ^), und nur so erklärt sich Philodems unbedingte Zustimmung zu ihr. Zu dieser Ablehnung der Sterngötter scheinen mir die im einzelnen durch die lückenhafte Überlieferung getrübten, im ganzen aber klaren Ausführungen über die Bewegung der Götter zu stimmen (Gol. 10, 6 ff.). „Denn weder darf man glauben," heißt es da, „daß sie weiter nichts zu tun haben, als durch die Unendlichkeit der (Stern) bahnen umherzuwandeln und sich im Kreise zu drehen ; denn nicht glückhch ist ein solcher, der sich sein ganzes Leben wie ein Kreisel herumdreht. Noch darf man sie für unbewegt halten." Mit dem ersten Teile der Disjunktion wird aufs deutlichste der Sterngott verspottet. Diels vergleicht treffend die ähnliche Ver- spottung des rotundus, ardens, volubilis deus durch den Epikureer Velleius (Cic. de nat. d. I 18 und 24), der wahrscheinlich die Schrift eines Philodem nahestehenden Epikureers oder dessen selbst wiedergibt. Die folgende, durch eine Lücke von zwei Zeilen vom vorigen getrennte und höchst zerstückelte Stelle läßt sich leider mit Sicher- heit nicht herstellen. In der Fassung von Diels ist [xal dC] äg unmögUch. Diels übersetzt es: „und durch diese (Zuflüsse)"; aber weder ist die relativische Anknüpfung nach xai (und) möglich, noch das transire bei Lucrez IV 145 und 247. Meine Ergänzung von Col. 9 Z. 13 ff. s. weiter unten. 1) Ich lese nämlicli 9, 35 rwv xaT[o)t]y.iofzsv(ov [&ecöv] „der (in Tempeln) angesiedelten Götter\ Vgl. Lukrez V 146 f. illud item non est, ut possis credere, sedes esse detim sanctas in mundi partibus ullis. Auch 10, 3 stand ursprünglich (nicht durch eine Interpolation des Schrei- bers): man müsse diese eigentümlichen Götterwesen verehren und zwar mehr rj xa y.aTaay.evaCöfxeva ngö? ?;/ici]%'[s]Tv, z[^v 8s dcdvoiav. 2) Nach Alexandres zu Arist. Metaph. III 2 (1004 b 34) und IX 3 (1054 * 30) fr. 31 R. hat Aristoteles die Siaigiaetg zdv ivavzi'cov eingehend im zweiten Buche seiner Gespräche :;ieqI zdyaOov auf Grund der platoni- schen Vorträge behandelt. In ihm wurde gezeigt , daß zd iyavzi'a crdvza elg TÖ ev xai jiXfj^og dvdyexai. ZUR EPIKUREISCHEN GÖTTERLEHRE 371 wird das k'v Z. 31 ff. eingeteilt: en de rd juev y.ar^ ägn') /nov iariv ev , rä de xar' elöog, xa de xara yevog, m de xax' ävaXoyiav. Für uns kommen namentlich die beiden ersten Arten in Betracht. aQi&jiicp juev, d)v t) v?j] juia. Hier besteht also die Einheitlichkeit des Seins (ovoia) in der Einheit des Stoffes. Näher ist schon oben diese Einheitlichkeit auf den Zusammenhalt {ovveyeia) begründet. Ebenso 1015^ 36 f. xcbv de xad' eavxd ev hyojuevcov xd juev leyexai reo owey^fj elvai und zwar (1016* 4): fxäXlov ev rd (pvoei ovveyij Tj xeyv}]. ovveyeg de Xeyexai, ov xivyoig juia y.ad-' avxö y.al jui] oJov te ällcog' fua d' ov ddiaioerog, ädiaigexog de y.axd iqovov. Nun ist das dgiß^jucö ev gleich dem xa&' exaoxov , dem Einzelwesen (vgl. Metaph. II 4 p. 999^ 34 rd ydg dgi-^/iicö ev y rd y.a^' ey.aoxov Xeyetv diacpegei ov&ev, ebenso n. C- yev. II 1 p. TSl'' 34). Demnach ist das individuell Eine {rd y.ar dgi^judv ev) im strengsten Sinne (jzQcorcog) ein Einzelwesen von einheitlichem Stoffe, dessen Zusammenhalt von Natur derart ist, daß er sich zur gleichen Zeit einheitlich bewegen muß. Ein Baumstamm ist wegen seines natürlichen Zusammenhaltes mehr eine solche Einheit als ein Holzbündel , ein Schenkel mehr als das Bein, weil des letzteren Teile sich gesondert bewegen können. el'dei ev, cov 6 Xoyog elg 1016^ 33, wobei nach 1016^ 33 ff. unter Xoyog die Definition zu verstehen ist; so ist der Art nach eins der Mensch, die ebene Figur usw. Ähnlich steht es mit der Gattungs- und Analogieeinheit. Die näheren Auseinandersetzungen über eldog, yevog, Xoyog 1016* 17 — 1016^ 6 können wir übergehen. Der Einheit ist nach 1017 --^ 3 ff . die Vielheit, xd noXXd, ent- gegengesetzt, und zwar der individuellen Einheit das, was des Zu- sammenhaltes entbehrt (t(5 ^n/ ovveyy\ etvat). Die Unterscheidungen des der Art nach Vielen entsprechen denen des Einen 1016* 17 ff. Kurz berührt wird der Gegensatz des ev und rd noXXd auch Metaph. IX c. 3 p. 1054* 20 ff., wo als eine Art ihres Unterschiedes hervorgehoben wird: xd fiev ydg y dirjgrjfiEvov T] diaigexdv nXfj'&og XI Xeyexai, xd de ddiaigerdv y fxrj di7] gy juevov ev. Desto wichtiger ist dagegen hier (Z. 29 ff.) für unsere Zwecke der Satz: eori de rov juev evdg . . . . rd ravrd xal ojlioiov xal Ibov, rov de jiXiyßovg t6 eregov xal dvöjiioiov xal dvioov. Danach sind das Selbige und das Ähnhche Unterbegriffe des Einen und ebenso das Andere und Unähnliche solche des Vielen. Es fragt sich nun, wie sich die über- und untergeordneten Begriffe 24* 372 R- PHILIPPSON unterscheiden. Metapli. IV 9 p. 1018^ 7 ff. heißt es: fj ravzozrjg evoTijg rig eoriv y jtIeiov oov . . . Tj orav xQpj'f^ai (bg nXeiooiv. Ebenso wird an der Stelle der Topik (I 7 p. 103* 9 f.), wo von dem xavTOV gehandelt wird, hervorgehoben, daß sich sowohl das ägi'&jucp als ei'dei ravrov auf nleioi bezieht. Während also die Einheit sich, wie schon der Name sagt, auf einen Gegenstand oder Begriff bezieht , beruht das zavTov auf einer Vergleichung ver- schiedener Namen , Gegenstände oder Begriffe. Dies kommt auch in ihren verschiedenen Gegensätzen, den noXld und dem ersga, zum Ausdruck. Auch das ramo und eregov zerfällt in die Arten : ägi^jucö, ei'dei, yevei (1054=^ 33 ff. , 1016* 6, 103=^ 8 ff.). Das aQi^iiCc, ravzö teilt er 1054^ 34 ff. wieder in zwei Unterarten 1) das 2.6yq) KOI dgi-djUM ev (=zcp ei'dei xai zfj vXij ev) wie „du dir selbst", 2) das zm loyo) zfjg TXQcbzyg ovoiag ev , olov al i'oai yga/ujuai evßeiai al avzal xai zä i'oa xai zd looycövia zezgd- yayva, xaizoi nXeico. Also rechnet er auch die mathematische Congruenz unter das zavzov xax' dgidjudv. Der Zusatz xaizoi jileio) zeigt deutlich, daß das dgi'&jucp zavzo in diesem Falle nicht immer dem dgi'&juco ev gleich ist, denn die congruenten Figuren sind mehrere, ihnen fehlt die stoffliche Einheit, z6 vir] ev, und damit die ovvexeia. Dagegen fällt die erste Art völlig mit dem dgi^juco ev zusammen, wie er denn auch 103* 28 aus- drücklich sagt: jiidXioza ö' 6juoloyovfj.ev(jog z6 ev dgi^juM zavzov. Beide bezeichnen das Einzelwesen, aber jenes an sich nach seinem natürlichen Zusammenhalt, dieses in seiner logischen Einheit bei Verschiedenheit der Namen oder begrifflichen Beziehungen^). Ähnlich ist das Verhältnis von el'öei ev und zavzo ; der Mensch ist seiner Art nach eine Einheit, weil ihm der Art nach stofflicher Zusammenhalt eigen ist, Menschen sind der Art nach dieselben, weil sie zur selben Art gehören. Besonders wichtig sind dann die Bestimmungen des o/iioiov und ezeQOv im Verhältnis zum zavzov. Es heißt nämlich 1054^ 3ff. : 6/uoia de, edv jurj zd avzd änXcbg övza jurjöe xazd zi]v 1) Nicht ganz richtig sagt er 263 ^ 1 2 fF. ro orjfisTov . . Tavrov aal ev aQidfxü), Xöyo) 6s ov zavzov, letzteres insofern der Punkt zugleich Ende der einen und Anfang der anderen Linie sein könne. Denn danach ist es SV, aber nicht zavzov, da dieses nach 1054* 34 ff. immer die logische Gleichheit fordert. ZUR EPIKUREISCHEN GÖTTERLEHRE 373 ovoiav ädtd(fOQa rljv ovyy.£if.ih')]v, y.ara. ro eldog raviu fj. Und über das exeqov Z. 16 f. x6 de eäv f.aj xal (zugleich) y vXt'j xal 6 XöyoQ Eig, öio ob xal 6 jT?,i]oiov t'zeQog. Danach sind Sokrates und Piaton ähnlich, weil ihr eldog dasselbe, verschieden, weil ihr Stoff nicht derselbe; sie sind aber auch el'dei oi avxoi, weil ihr koyog derselbe. Dagegen sind sie nicht yMx^ aQi^juov ol avr oi. Dem entspricht, wenn Aristoteles 103^ 19 ff. sagt: jiäv . . . vöojq navxl Tavrbv reo el'öei Xeyerai öiä ro ey^eiv rivä 6juoiör}]ra. Ebenso beantwortet er (357^ 27 ff.) die Frage, ndreQov y.al i) ■&ä?Mrra del öiajLievei rcov avrcöv ovoa jlioqicov doiü^ucp y reo ei'dei y.al reo Jiooeo, jLiezaßaVMvrojv äel reöv fiegeJöv, xadaneq drjQ y.al ro Jiorijiiov vöeoQ y.al jzvq. del ydg ullo xal älXo yiverai rovreov exaorov , ro de eldog rov TtXrjdovg ixdoxov rovzeüv jLievei xaddneQ ro reöv Qeovreov vddreov xal ro n)g eployog gev/na. Das Meer also und die übrigen genannten Dinge ändern sich stetig, aber sie bleiben dieselben der Art nach. Endlich führt er jt. ^eoeov yev. II 1 p. 731^ 25 ff. in Übereinstimmung mit Piatons Gastmahl von den sterblichen Wesen aus: dgi^f^ico jLiev {dtdia elvai) ddvvarov, el'dei d' evdex^rai und zwar durch die Zeugung. In Metaph. II 4 p. 1000^ 5 berührt er nun eine ovdevbg eXdrreov diroQia, die unmittelbar auf die uns bei Epikur vorliegende Frage führt: Tioregov al avral xebv ef&aQreöv xed reov dcpßaQxeov dg^at eloiv T] exegai. Die früheren Denker hätten sich schlechtweg für dieselben Elemente entschieden, aber die daraus entstehende Schwierigkeit, als ob sie eine Kleinigkeit wäre, nur „angenagt". Auch in dieser Frage wie in so vielen knüpft Epikur an seinen großen Vorgänger an. Denn seine Lehre von den dQyai und den aus ihnen ent- stehenden Gebilden bot eigentlich für die Götter keinen Platz. Nach ihr gibt es nichts als die Körper und das Leere. Die Körper sind aber entweder Atome oder Zusammensetzungen aus ihnen. Ein Körperloses ist nur das Leere. Dies können die Götter nicht sein; denn es ist ja nur der Raum, in dem die Dinge sich bewegen. Also müssen die Götter Körper sein. Aber, sagen die (stoischen) Gegner bei Philodem n. evoeß. fr. 121 (Gomp. S. 136, Diels Abh. d. Ak. 1916, 6 S. 31, 1, teilweise nach meiner Ergänzung Z. 6 ff.) : ovd' ev xoTg ocojnaaiv xaxaQi&juet xovg deovg reJöv ocojud- roiv Xeyexiv rd [xev elvai ovvxQioeig rd 6' e^ ü)v al ovyxQi- 374 R. PHILIPPSON osig jTEJi6i]VTai. /.lyrs yäg ärojuovg vojui^eiv rovg Seovg fxrjxe avyxQioeig , eneiöiqjieQ [al juev ä] vaigß [rjx] oi rs^ecog ^) , al öe näoai q)[&aQxa'i\. Dieser Folgerung konnten sich die Epikureer schwer entziehen. Denn in der Tat, den gefühllosen Atomen konnten sie die Götter nicht gleichsetzen, und dafür, daß alle Zusammen- setzungen aus diesen vergänglich seien, konnten sich die Gegner auf Metrodor berufen, der nach derselben Philodemschrift fr. 122 Z. 13 ff. (Diels ebenda) an zwei Stellen sagte: to ^)) [äexexov xov y.evov (die Atome) diajueveiv, änaoav <3' av ovvhqioiv q?&aQxrjv. Aber Metrodor muß an dieser Stelle die Götter außer acht gelassen haben, und Philodem muß daher a.a.O. Z. 8 f. gesagt haben: y.al MrjxQO [öoiQog o v\ xvyxo.vei xrjg ^vjxiqoecog. Denn in der Tat erklärten die Epikureer vermittels einer Reihe kühner Hypothesen, die ich in meinem Aufsatz in d. Z. näher dargelegt habe, die Götter für eine besondere Art von ovyxQiosig. Hier will ich diese Annahmen nur insoweit noch einmal prüfen , als sie in Beziehung zu dem aristotehschen Begriffe der evoxtig stehen. Ganz in Übereinstimmung mit diesem bezeichnet im Herodot- brief 50 (Us. S. 12, 3) Epikur die Gegenstände, von denen uns die Bildercomplexe Vorstellungen übermitteln , als ev xal ovvexeg. Der natürliche Zusammenhalt war auch für Aristoteles das Kenn- zeichen des yMx' ägi^judv ev ; es ist aber zu beachten, daß Epikur den Ausdruck xax' dgidjuov hier nicht gebraucht. Außerdem finden wir ivöxfjg im selben Briefe 52 (S. 13, 14) für die vergänglichen Einheiten der öyyoi gebraucht, die den Schall nach allen Seiten verbreiten. Den Ausdruck yax^ äQidfiov, aber ohne ev und xavxov finden wir dagegen in dem schon besprochenen Schohon zu x. ö. 1, in dem Epikur sagt, daß die Vernunft die Götter als xax' aQißjuov vcpeoxöjxag erschheße, d. h. als Einzelwesen im Gegensatze zu der bloßen Arterkenntnis, die uns ihre zu uns gelangenden, nur ähn- lichen Bilder lediglich ermöglichen. Dem entspricht, wie ich a. a. 0. S. 600 f. dargelegt habe, wenn der Epikureer bei Cicero de nat. d. I 45 (vgl. 105) erklärt, vim etnaturarn deorum . . , nee ad numerum {cerni), daß wir die Götter nicht als Einzelwesen schauen, was natürlich nicht gegen ihr Einzelsein, das wir mit der Vernunft 1) Bei Diels' Ergänzung [ovroi /nkv 8 [i] atoo [rt] oc zs^ecog fehlt der Beweis, daß die Götter keine Atome sein können. Auch sonst lese ich die Columne etwas anders (s. weiter unteu). ZUR EPIKUREISCHEN GÖTTERLEHRE 375 erschließen, streitet. Der Ausdruck xar' äoi^juov ist also an beiden Stellen in Übereinstimmung mit Aristoteles hier nur = xad'^ exaorov gebraucht. Vis et natura umschreibt die Bezeichnung (pvoig, die, wie wir sehen werden, von Epikur für die natürlichen Einheiten gebraucht wird. Wichtig ist aber, daß Cotta in seiner Erwiderung von der Erscheinung der Götter (species) sagt, neque candem ad numerum per mauere. Danach wird den Götterbildern die bleibende individuelle Selbigkeit abgesprochen : ov xax' aQi&juöv xamov diajueveiv. Der Ausdruck ev6r't]g wird uns ferner als von Epikur ver- wendet, unter Angabe der Schrift 71. öoioTipog durch Philodem Ttegl evoeßsiag fr. 80 (Gomp. S. 110) bezeugt. Die Stelle lautet (der Anfang ungefähr von mir hergestellt) [y.al yoLQ 1 roia[vz7] ov]oTa[[A]]- oig ö/.i[olcov ögdöjg (paivq[iT]' ä[v £v]6rr]g. dvvaxai ya.Q ey. xijg 5 6juoi6T}]rog vtcolq- Xovoa öiaiojviov eyeiv r}]v TeXeiav evdaijLioviav, e- nEiÖYjTtEQ ovx yjx- 10 Tov EX rcöv \[avTU)v]\ {öjuotcov) T] rcöv [[öjuoicov]] {amcöv) otoi- yELOiv ev{6r)}]Teg aTioTEXEio^ai dv- v]avzai xal vnb tov 15 "Etzixovqov xaxalEi- Jiovzai, xa&äjiEQ iv TWL ^regl ooiott]- rog avroraxa' In Z. 12 erscheint sicher evöx7]xeg; danach darf man auch Z. 4 und zu vjiaQyovoa Z. 5 f. ev6xi]g ergänzen. Unter der Einheit aber, die die vollkommene Glückseligkeit als eine ewige besitzt, kann nur die Gottheit gemeint sein. Diese wird t] ix xi^g öjuoiöxrjxog genannt; danach muß Z. 10 f. eine Verwechslung von ex xcöv avxcov und öjuoimv vorliegen, wie schon Scott bemerkt hat. Ich habe a. a. 0. 376 R- PHILIPPSON S. 592 f. und S. 603 ff. (in der Gicerostelle liest Diels im Anschluß an meine Darlegungen wohl sicher richtig: simü'mm rerum) aus- einandergesetzt, wie Epikur sich die Erhaltung der Götter durch den steten Zustrom ähnlicher und ihrem Wesen entsprechender Stoffe denkt. Schwieriger ist, was wir unter den Einheiten aus denselbigen Elementen verstehen sollen. Jedenfalls nicht, wie ich a. a. 0. an- nahm, die vergänglichen Dinge ; denn sie ändern sich ja fortwährend. Ich nehme an, daß sie die Atome bezeichnen, die stets aus den- selben Teilen bestehen, wie Lukrez I 609 ff. bezeugt: sunt igitur solida primordia simplicitate, quae minimis stipata cohaerent pnrtibus arte, 11 on ex uUorum conventu conciliata, sed magis aeierna pollentia simplicitate. Aeterna simplicitas ist Epikurs diaicovia Ev6Ti]g, und den minimis dartihus entsprechen Epikurs oToi^sia (Grundbestandteile), unter denen hier also nicht äro/ua zu verstehen sind ^). So haben wir also zwei Arten ewiger Einheiten : die Atome und die Götter. In der Fortsetzung Z. 25 ff. erscheint aber sogleich auch der Gegensatz zum eV, den wir aus Aristoteles als solchen kennen : ra TioXXct juijv], ejieiödv ix Tfjg ojuoicov äXXcov XaX\ XcOV [e71i\ OVVXQl- oe]cog y[ev]}]Tai Jio[i6v n, [xar' ägid^judv ev xal xavTOv ov ÖLaiJ,evEi\. Unter den noXXd sind die vergänglichen Dinge zu verstehen, die sich wie die Götter aus ähnlichen , aber immer anderen Stoffen ergänzen; äXXwv entspricht an andern Stellen (vgl. a. a. 0. S. 592) äXX6q)vXa, was die Götter ablehnen , während sie die olxeXa auf- nehmen. Die übrigen Dinge können sich eben dieses Fremdartigen nicht erwehren und bleiben deshalb, wie ich ergänze, nicht ein und dasselbige, sondern gehen, wie sie entstanden sind, schließlich unter. 1) Dem widersi^richt nicht, wenn er (Us. 36, 8) sagt Sri äzofia tä oror/Eia. Den Ausdruck oroiyjTov braucht Epikur auch Br. I 47 (Us. 10, 14) in allgemeinerem Sinne. 1^ ZUR EPIKUREISCHEN GÖTTERLEHRE 377 Noch ist aber der Zusatz Z. 22fT. von Wichtigkeit: el'o)i)e roivvv ovrrojiKog (so wohl richtig Usener) javza (pvo iv unoxe- XeToß^ai Xeyeiv. Aristoteles setzt Metaph. IV 4 die verschiednen Be- deutungen des Wortes cpvGiq auseinander. Die meisten finden sich auch bei Epikur. Die hier von ihm benutzte ist die, welche Aristo- teles 1015^ 12 bestimmt: i'jdt] xal oXcog Jiäoa ovoia (pvoig Xeye- xai, wenn man 1014'' 23 dazu nimmt: Iv de rdlg ov/ime(pv>c6oiv eori Ti ev X 6 avrb . . ., 3 noiei dvxi xov änxeodai ovjU7is(pv- xevai xal sJvai ev xaxd xö ovvex^Q ^glI tiooov, äXlä /«) xaxä tÖ Jioiov. Denn nach unsrer Golumne nannte auch Epikur die- jenigen Dinge Naturen, die solche Einheiten bilden, und zwar, wie wir sehen werden , sowohl ewige als auch vergängliche ^). So finden wir denn auch in den Briefen Epikurs das Wort q)voig (Us. 6, 12) von den Körpern im allgemeinen im Gegensatz zu ihren ovjußeßi^xoxa und ovjujixco^iaxa (vgl. 2, 16), von den Atomen (7,5 und 38,15; vgl. 116,16), von der Gottheit (29,4; 42,11; 53,14; 54,16; vgl. Gic. de nat. deor. I 45: vim et nahtram), aber auch von den eldoXa (11, 10) und der Seele (jt. g Tiagex- XEx?i.]i^u[tvcor jii]ovov xöiv änoxdxxoog [jiXi]Oi- a^övxwv d7tü)'&e]io&ai xo 7ioir][xix6v x]fjg d?iy')]d6vog xoTg d]vd jLiegog, äf.ia de x[ö] o/lioio[v i]di[o]7coi£Todai Jiäoi xdig dvd fx[e.Q\og' Mo\xe fi[8\ovrig xal xijg jLi£yioxi]g (Etvai) d[E]Kxix[d xal xe- Xsia] Ttdvxa ' (p&o\^odg] de xal [jue- rao^^ßoEi. Es wird also auseinandergesetzt, daß der Mensch des reinsten Glückes teilhaftig werden kann, indem er das Schädliche (rd dno- rdxxcog 7t?,rjoidCovxa) meidet, das Zuträgliche sich aneignet; aller- dings dem Vergehen unterliegt er. Im folgenden, dessen Anfang sehr zerstückelt ist, scheint von Z. 16 an die noch vollkommenere Seligkeit der Götter begründet zu werden. Nach dieser Auffassung scheidet auch hier der Sterngott aus. Ebenso in fr. 39 a ; denn der Gott, von dem hier die Rede ist, ist nach meiner Auffassung der stoische ; dieser ist wegen der exjiv- Qcooig nicht unsterblich und wegen seiner Belastung mit der Welt- lenkung nicht vollkommen glückhch. Noch möchte ich mit einigen Worten auf einen von Diels er- örterten Punkt von weittragender Bedeutung eingehen. Diels hatte in 71. ^ecüv A Col. 25 (Abh. d. Pr. Ak. 1915 Nr. 7 S. 44) die Z. 33 ff. in unübertrefflicher Weise so wiederhergestellt: Der Weise wird die berühmtesten politischen Machthaber verachten, die ihre geheime Schlechtigkeit entzünden, öxav oqu jiaQOJoajUEVovg vcp^ ivog 'Avxco- 382 R. PHILIPPSON viov y/AQa<; ra y.ar^ äoxv rovg ivaviiovg. Wir sehen eine Äuße- rung, die zeitgeschichtlich ebenso bedeutungsvoll ist wie für die poli- tische Stellung Philodems und seiner Umgebung. Es kommt aber auf ihre Deutung an, und in dieser weiche ich von Diels etwas ab. Er versteht unter den „Gegnern'' die Triumvirn, die die Herr- schaft dem Antonius in die Hände spielen, und vermutet wegen rd xar' äoxv, daß hier auf das Gesetz des Tribunen P. Titius 27. Nov. 43 angespielt sei. Um diese Zeit müßte dann Philodems vorliegendes Buch geschrieben sein. Diesen Ansatz bestätigt er jetzt (Abh. d. Pr. Ak. 1916 Nr. 6 S. 84, 1). Er nimmt damit den Ansatz auf 44, den er unter Hinweis auf Pisos zeitweilige Gegnerschaft gegen Anto- nius, aber allerdings im Widerspruch zu seinen vorhergehenden Ausführungen an jener Stelle gemacht hatte, zurück. Und doch halte ich diesen für den richtigen. Man darf annehmen, daß Phi- lodem bei seinem engen Verhältnisse oder besser Abhängigkeitsver- hältnisse zu Piso dessen politische Anschauungen geteilt hat. Dieser war der Schwiegervater Gäsars^); so darf man ihn politisch als Cäsarianer bezeichnen. Sein Schwiegersohn hat ihm zum Gonsulat und Gensoramt verholfen. In diesen Ämtern sowie beim Aus- bruch des Bürgerkrieges ist Piso für dessen Pohtik eingetreten. Aber er war, vielleicht unter dem Einfluß der epikureischen Philo- sophie, ein friedliebender Mann. So hatte er schon 49 für einen Vergleich zwischen Gäsar und Pompeius gewirkt. Während des ersteren Diktatur trat er nicht hervor; aber nach dessen Ermordung stellte er sich so wenig auf selten der Republikaner, daß er im Gegenteil aufs nachdrücklichste für die Ehrung Gäsars eintrat. Als jedoch der Zwiespalt zwischen Antonius und der Freiheitspartei aus- brach, suchte er zu vermitteln. Dies brachte ihn zeitweise in einen Gegensatz zu ersterem; daß dieser seiner Tochter die Hinterlassen- schaft Gäsars vorenthielt, mag den Gegensatz verschärft haben. Am 1. August 44 trat er sogar im Senate gegen ihn auf, wir wissen nicht, in welcher Weise. Nach Gicero Phil. XII 14 soll er sogar gesagt haben, er wolle dem Vaterlande den Rücken kehren, wenn Antonius es unterdrücke. Aber seit Ende des Jahres sehen wir ihn im Sinne der Vermittlung alle gewaltsamen Maßnahmen gegen diesen bekämpfen und zugleich für die Gesetze Gäsars eintreten. Er ist einer der Gesandten, die Anfang 48 zu Antonius gehen, und befür- wortet eine zweite Gesandtschaft. Gicero nennt ihn damals geradezu 1) Vgl. zum Folgenden Drumann - Groebe 11 51 fF. ZUR EPIKUREISCHEN GÖTTERLEHRE 383 einen Freund des Antonius. Daß er später nicht gegen die Trium- virn auftrat, sieht man daraus, daß er nicht auf die Ächtungsliste gesetzt wurde. Beim Zerfall des Triumvirats trat er offenbar auf die Seite Oktavians, des Adoptivsohnes seines Schwiegersohnes. Wir sehen, er war und blieb Cäsarianer, aber er war eine vermit- telnde Natur. Aus dieser entsprang sein kurzer Gegensatz gegen Antonius, der in die Zeit zwischen dem 1. August 44 und Ende des Jahres fällt. Nur in dieser ist auch der Ausfall Philodems ver- ständlich. Daß Piso und sein Hausphilosoph durch einen Angriff auf die Triumvirn im Jahre 43 Kopf und Kragen gewagt hätten, halte ich für ausgeschlossen. In Wirklichkeit tadelt Philodem auch nicht so sehr den Antonius, als die Gegner, die ihm die Herrschaft in die Hand spielen; das sind aber nicht die Triumvirn, die poli- tischen Erben von Pisos Schwiegersohn, sondern die Gegner des Antonius, die Gäsarmörder, durch ihre Unversöhnlichkeit {viiovXö- T)]q). Philodem wird wie sein Brotgeber, solange Cäsar lebte, dessen Anhänger gewesen sein und nach dessen Tode nur solange geschwankt haben, bis sich entschied, wer sein Erbe war. An seine glühende Freiheitsliebe glaube ich nicht. Auch Epikur ist Opportunist gewesen (vgl. meine Ausführungen Archiv für Gesch. d. Philos. XXIII 308 f.). Wenn beide sich gegen die Tyrannis er- klären, so doch auch gegen die Pöbelherrschaft. Das sind ja seit Plato die beiden äußersten Verfallsformen des Staates. So sehen wir denn auch in der von Diels erwähnten Römerode (III 3) den Dichter zugleich diese verurteilen und die Alleinherrschaft des Augustus in den Himmel heben. Das ist kein Widerspruch (s. jetzt Heinze zu der Stelle). Daß Horaz erst nach der Schlacht bei Phi- lippi in Beziehung zu Philodem getreten sein kann, habe ich schon an andrer Stelle erwähnt. Dessen Anschluß an Brutus beweist also nichts für Philodem. So läßt sich mit einiger Sicherheit annehmen, daß n. d'ecöv A ungefähr Mitte 44 abgefaßt ist. Unsicherer ist das Ergebnis bei n. diay. F. Diels deutet die Katasterismen, die nach ihm zweimal in letzterer Schrift bekämpft würden, auf die Versternung Cäsars. Aber, abgesehen davon, daß mir die Ergänzung 9, 35 xazrjoreQr]- f-iEVCov ävÖQow zweifelhaft ist, gab es doch zahllose Versternungen schon vor der Cäsars; Eratosthenes hat bekanntlich ein ganzes Buch darüber geschrieben. Eine frondirende Gesinnung gegen Cäsar halte ich bei Philodem für ausgeschlossen, gegen Oktavian 384 R. PHILIPPSON wäre sie bei dessen erstem Auftreten im Jahre 44 möglich. Eher könnte man 10, 4 als politische Anspielung deuten. Wie ich oben darlegte, hat hier zuerst rd Tiqoq rj/ucöv k'drj xal vaovg ge- standen, eöi] ist aber in el'ör] geändert, über vaovg ist rovg veovg 'ßeovg geschrieben. Wir haben hier also eine spätere Änderung, die doch wohl von Philodem selbst stammt und einen bestimmten Anlaß haben muß. Man könnte nun bei den „neuen Göttern" an die ägyptischen denken, deren Dienst Piso und Gabinius im Jahre 58 in Rom verboten und deren Altäre sie zerstörten (s. Drumann-Groebe II 54, 7). Die Durchsicht unsrer Schrift fiele dann ungefähr in dieses Jahr. Ich vermute aber eine politische Anspielung noch an einer andern Stelle. Es finden sich nämlich am Fuße einiger Columnen in kleinerer, jetzt kaum lesbarer Schrift Zusätze, die, wie Diels mit Recht annimmt, Nachträge Philodems sind. In dem unter Col. 4 glaube ich nun (zum Teil in Übereinstimmung mit Diels) folgende Worte zu lesen : elra de xal rb jtaoä xiqiv i) jigög vßQi[v] 7ioo(v)[xevov — ojLioiov Tovr äv äv[a]idovg cpaivoiro cp6v\ov'\ — Teio6fi\e'&a\ — ä(pQovz\^LOTOvvxEg^ — xal rcöv xdzoj [o]vro)[v]. In rpovov könnte eine Anspielung auf die Ermordung Gäsars liegen, deren Bezeichnung als ävaid}]g im Munde eines Hausgenossen Pisos durchaus gerechtfertigt wäre. Philodem lehnte dann eine Rache an den Mördern ganz im Sinne der vermittelnden Stellung Pisos im Jahre 44 ab. „Eine Tat, die zur Rache oder gegen Frevel vollführt würde, erschiene ähnlich dem unverschämten Morde. Wir wollen uns also nicht rächen {{ov) reioo/ue^a), ohne uns um die Toten in der Unterwelt (d. h. Cäsar) zu sorgen." Wäre eine solche Aus- legung dieser Stelle richtig, so stände nichts im Wege, an der andern in der Änderung zovg veovg dsovg eine Ablehnung der Vergötterung Gäsars zu sehen. Sie sowohl wie der Verzicht auf Rache entspräche der epikureischen Aufklärungsphilosophie und ließe sich mit dem gemäßigten Gäsarismus Pisos vereinigen. Auch der zuletzt besprochene Zusatz fiele dann in das Jahr 44, während die Schrift selbst früher verfaßt wäre. Doch sieht ein jeder, wie frag- lich alle diese Vermutungen sind. Zum Schluß benutze ich die Gelegenheit, noch einige Bemer- kungen und Ergänzungen zum Texte (I) und den Erläuterungen (II) von Diels hinzuzufügen. Fr. 82 (I 13) schließt die Besprechung der allgemeinen Tugend und der besonderen der Götter ab und bildet den Übergang zur ZUR EPIKUREISCHEN GÖTTERLEHRE 385 Freundschaft. Ich würde daher Z. 2 f. [tov yejvi xov schreiben; xal rcbv eldixoiZEQCOv gehört nach seiner Stellung nicht zu xqo- Tiov, sondern zu ovoraoig: „Nachdem aber das allgemeine Gepräge der göttlichen Tugend aufgewiesen und die dem Gotte seit Ewig- keit eigene Zusammenstellung auch der besonderen Tugenden vor Augen gestellt ist, — ." Übrigens hat eidixog nichts mit „individuell" zu tun (s. II 4); etdog wie yevog sind Gegensätze von xar' ägi^judv. Den Schluß würde ich lesen: im ro xecpuXatov äjiocpeviö/ued-a ojisjo evio[ig] jii[£yiorov (paiverai dya&ov], nämlich zur Freundschaft. Fr. 87, 12ff. würde ich folgendermaßen ergänzen: [vojuioTEOv 6' Eivai Tovg -deohg cpdixcög äXXijXoig ejiijueiyvvo- d^ai, tva jur] nagovrcov tc5v] e^co^ev xQEioid&v 17 avficpvXia ngög zrjv ovvavaoxQocpriv änrji, m Jiddr] nagadiöcooiv (lehren). So ist auch die folgende Begründung {ijiijuei^iag) verständlich. Den Schluß lese ich: ovxen x{ai) 7iQ{bg) xo Xoi\ji6v vno- ßX[YJ]xE[ov\ (darf man uns unterschieben) xäg E[ni\io[Qr}y lag o\vx(og [avayxaiag elvaL\. Fr. 83 Z. 7 wohl nQog t))[v aXo&rjoiv^, Z. 8 etwa dtä [xrjg oipecog nag' uXXcov fjdovdg Xajußdvojuev], vgl. zum Inhalt Pap. 168 Gol. I 9 ff. (d. Z. LI 1916 S. 606 f.). fr. 86 a Z. 2: evdaiuoviag [äxQox]dx[r]g (b]g x[Q]ei[xTOvg. Gol. 3 Z. 11 Ende vielleicht xcov x[a&' avxcöv] nach Z. 19 xaz' avxcbv Am Schlüsse der Columne scheint mir geschildert zu werden, wie die Menschen dazu kamen, den Göttern die Weissagung zuzu- schreiben : Z. 18 ff. etwa: [xoTg\ yd\Q ägiaioig xojv xax^ avxwv (elvai) x{al) x[cöv s]va%>xi(jOv £de[i] xr][v evvoia[v ' xovxoov ovv xu vor)xi\xä x{at) [rr^v nqö- Xrjxpiv e'xovxeg, ei cbv elna/uev — Z. 24 xovxcov juev rag exx[exQi]/uevag Xel^eig eig xovg '&eovg dvEcpEQOv. Col. 4 Z. 6 scheint mir t^v durch Abirren auf die vorige Zeile (xvjv yvöjoiv) verschrieben zu sein. In Z. 7 — 10 vermutet Scott . zum Teil sovraposti. Anfang und Ende lautet vielleicht ungefähr: xd \^ia.e\v, \el\ y' rjv y\y\(üGxd^ — [dv etioiei X\v7ir]v \xe] x{al) dvtav negl xov [n]Q6[x]eQov £[idEvai' xd] de usw. Hermes LIII. 25 386 R. PHILIPPSON Col. 5 Z. 13 könnte man den Vorschlag von Diels etwa er- gänzen: [?.oyio]jiiovg k'xlovrag] rovg [ävd'Qcßjiovg yQfjöjbtcov] jrgog- deio&ai [ov] dy[7']avrai [(pa.]oy.eiv. Z. 19 jia[oayJjjTOv] Col. 6 Z. 80 ist vielleicht im Zusammenhang mit derVerster- nung Cäsars von den Kometen die Rede: ä[o&evel]g de (al cpvoeig) rcov [roiovjcov o]voTdoe(ov diä (p[vo]iy.[i]v] elkslitf'iv ovh eji'] ä'iöia öi- auEvovocüv, dA2' ovy Öti a[T6.]xTCog' ö&ev em xe twi jui] Te}.ea)g d7zoxo?J^^X))]ß[iiv]ai öeX di,[o]Td^s[i]v x(al) em jcoi ijxrov [rag ö]d[ovg y.a§'i][y]eu[6]oi q)aveQäg owreXeTv näoa ydg Col. 8 Z. 9 ovvrj(pd^[ai xä 7ie\q\1 x-rjg xöjv '&scov d[iaya)yfjg]. Z. 11 ... yQ\eiva> x{ai) ecpdlifco xd xovxoig x]cbv ovvegyovv- xcov owlacf&evxa ' yevqjuevoi d' \a7i\6 xovxcov eig olxsiovg] xojiovg ev&eoiv xcöv &ecö[v E]q::djixa)f.iev' x[al ydg xovxo 7zaQei]xs xö jLiegog d7iod6osco[g txav]a)g [6 Ztjvcov (?) ev xcöi] Jiegi xf][g di]a- [ycoyrjg ■&Ecbv' ov ydg eq)r] xcoQig xavxrjg x}]v decöv ä](p[&a]Qoiav x[ai] §[cjo]jU7][v navxayß'&Ev ev[o\x\a\deTv' Col. 9 Z. 13 ff. läfst sich dem Sinne nach etwa so ergänzen: y.al UTib f.iEQOvg ö' eoxiv el- neiv xdg Im xavxov öiaonjjLiaxog ro)]oeig, [äg 15 "decüv] s'xojuEV [em x]avx[ov y' yXlcoi x{a.i) oe- kijv-iji], v7iEQ[ßaiveiv xavxa xd äorga, ojo- t' i7z[Etd]i] xn'[Eg cpaivovxm xovxoig na- QaßEß)S]odai, xi]v vöi]oiv ovx oq'&ov lEyEiv na- QaßEßXfjodai xovroig ovxco ojiuxQoTg tmdgxov- 20 Ol, xal xaxd xi]v vjiEoßaoiv ovöe xi]i /lExa^v oxdoEi Ji{Qog-) OTioboxEOv xdg ov/njiXoxdg Z. 13 deutet äjio juigovg auf ein besonderes Beispiel zu der vorigen Ausführung; ich nehme Sonne und Mond als solches an. Zum besseren Verständnisse gebe ich die Übersetzung: „Und im besonderen darf man sagen, daß die im selben Abstände erschei- nenden Vorstellungen, die %vir von Göttern auf derselben Fläche wie Sonne und Mond haben, über diese Gestirne (in Wirklichkeit) hingehen, so daß, wenn gewisse (Götterbilder) diesen beigesellt scheinen, es nicht richtig zu sagen ist, die (so erhabene) Wahr- nehmung (der Gölter) sei diesen, die doch so klein sind, beigesellt, und daß man im Hinblick auf das Hinübergehen die Verflechtungen ZUR EPIKUREISCHEN GÖTTERLEHRE 387 nicht auf Rechnung eines zeitweihgen Verweilens (der Götterbilder bei den Gestirnen) setzen darf." Col. 9 Z. 30: xev]dg ö* 6 koyog im zrji q?o[QTiy.\r]\i rov y]^iov Ijuiy.Qojrjxi, (bg 6] ijhqg jueyag div di' ä[7iooTdoe]ojg <)^aiveT[ai juiXQog ' ov yotg] Ttjv jLioQ(p)]v Eka[TT]qyrai [öi äji6o]Taoiv fjhog' [ovöe rd i\ äel (pa\li\v\eo&ai xijg 7i]Qoyivojuevi]g E7i[ivoiag x[(jöv "äecbv, xä grj'&evxa e^ l'\oov öiqXdl' Fr. &Q etwa: \ol jusv av&QCOTioi ovx änaixovvxai otxia xivd, xäv jurjöe/Liiav] ä7i6Xa]yoiv avx[a] xeXrji, xaddjiEQ ovöe (M'd\eXxai ed\mdii xoXg JzixQoig xal ÖQijue[oi xcol yEy[/.iaoi\v ijLKpeQijg xal nm'xeXcbg 7xaQaxeToß'a[i, ji{QÖg)(p\oQOv imcpeQoyqa ^tt]\xd)\viov, oxi, [xäv rj- dv dl' avxijv e'xcjooi [xd^a ju]r}dsy, xal jiiv[}]jU}]v äv- aigei] 7idvx[cov cbv e'jia&ov xaxwv Fr. 77, 2 bedeutet o/ixoiov eItzeTv „vergleichsweise"; s. meine Dissertation De Philodemi libr. negl orj^iEicov xal OYjfjLEicaoEOiv p, 10, wo ich schon auf unsre Stelle und andere hinwies. Zu diesen kommt Menander Epitrep. V. 654 Sudh.^. Vgl. auch Philod. n. Qtjx. I 256, 15 und II 249, 6 Sudh. xoivoxeqov eitieTv. — iäv scheint hier wäe imEQOQäv mit dem Particip verbunden. Ich schließe einige Vorschläge zu Philodem tieqI EvoEßEiag an. Fr. 78 (S. 108 Gomp.) Z. 9: "EmxovQov, aXX' ov- 10 X a\jib ipvy^rjg ex- xidh'Yu ' tiXeTov ydg ovÖev im xovxoov Ol 7ld]vo[o(pOl TlETlOiq- xaoiv e]i (3' iycb 15 ÖEiico] xodd"', ö [(pa- oiv £X£]Tv\ [iv] xoTg xcbv dvögcüv] ov Xe- yEod^ai 7iQ\oq)E\Q(DV — 25 7i\aQao\xrjoag'], (hg 25* 388 R- PHILIPPSON Fr. 81 (S. 111 Gomp.) Z. 6: ei jut] rag ävco- zdzcoi öiaiQovjue- vog xoivozrjrag e- jue^Xev evrpQcov [[t]]] 10 Tig, {t(ov) iv ravraig jiqo- eiXr]/LijuEva>v eidcö[v juvt]fxovev\Eiv deov, Tovg 'ßsovg juovov dvaiQEio^ai 15 TiQog avzov (pa.v[ai zovzov x^Q''^ — 20 zä xazd /uegog alo- '&7]zd ze xal vo^zd d]v[z]a>v Eidf] xal ovv- E\az\rj\K6zwv ' cbg ydg ä2.k[ü)]v {ziv)(bv, ovzoig ev- 25 A[dy]co? ovde zov- XCo\v ijUVfjfAOVEV- o[£v • e7i]eI d' — Fr. 82 (S. 112) Z. 1: [Uyovzsg Öe, ozi — ] xal näoav aX[rj'&Eiav 'E\7lixOVQOg E^[EiXE- zo zoTg 7io[XXoig e]x zcöv övzaov, \cpXva- 5 Qovoiv, cbg xd[v icöi d(od£xdza)[i Z. 6—16 sind von Usener (S. 127 Z. 87 ff.) im ganzen richtig wiederhergestellt. 17 zd z[öj]v dEcov [jiQayjbia- za, \xa\d'd7iEQ dv \ov zi- ■&£[izo] zd xoiv6[v 20 vjio zivoiv, dXkd zd xazd jUEQog [jiei- GEi xal did zi,[vog dnd- zy]g' hl tiqöt^eqov xal zovß'' "E[gjLi]a[Qxog 25 iv z(bi zEXEvx\a'Laii Z^CJV TlQÖg 'EjUTlEÖO- ZUR EPIKUREISCHEN GÜTTERLEHRE 389 y.Xm 7iaQaor][juaivet xal jiQooTi^eT [ro /uaxd- q[i]ov just äq^oßia[g votjxeov. Fr. 83 (S. 113) [den Anfang s. oben S. 377]: 17 [Xeycov dk xäv \raXq\ xv^Qiaig 21 rav- xbv [xal a\jio(paive- x\ai\, xäv T(bi dco- öexdx\(X)\i Tiegl (p[v- 25 a[£]ct)[g xo]vg uQcbxovg q)rj\olv ä^v&Qwnovg EJiiv[oi'i\iJ,axa ^qju- ßdvsiv a.q)'ddQX(x>v cpvaecov ' Fr. 84 (S. 114): 5 ovde ydg hl x\rj\Qeixai x[6 7iavxE\X\wQ o[v evö\cu- fjLov xal xb TiQog ^[ta- Xvoi\y a\örix\xo)\g £Xo\y. Fr. 102 (S. 120) Z. 3: edoiev] d>g xdig 5 jieqI xo\v *EmxovQov iäv x]oiavxag ive- , dglag, alg äv vqxe\QOV doxco\qL xal (jue)xa/LieXeq- '&]ai, olag xxX. 20 v[7Te- Q]dv(ü ydg oJjuai xbv Xoyov] ye ^Qrjvai xe- '&et]o'&at ndvxcov, Xe- yco dh xbv äXrj'&f] xal XEIJu]eVOV EV XTjl ■&£- coQijai, oldv 'EmxovlQog 7lQ0[v'&t]XEV. 390 R. PHILIPPSON Fr. 103 (S. 121) Z. 4: Ceo[av- 5 reg dq?i]evT [ov]de ?.oidoQi]cöv k'vioi zöjv ivavzi](JOv, Tiveg (5' e\jiai- veiv To\vg TiQoyovovg ye Tjyv] avrcov aige- 10 oiv, dAA' r]]juäg juovovg elvai rE]TV(pcojUE- vovg ävao]TiX?^ov- oiv 6 d'] ovv 'Enixov- - Qog '^ju^g] xevajv [do~ 15 ^öjv anoXvjei rcbi ■{)'e[i- 0)1 ßXajjLfxdzoov änav äjiayoQsvjua TiQogdelg aldov/ns- vog ■ ovde (pojßovjuai 20 juij y ovxog\ adeog £[t- Vai TlVt\ bÖ^Tß XOiV 00i(pQ6v\(ÜV ÖVTOiV, ovr\cog änavxa xaxa- ^icog keyco]v xä jisqI 25 '&Ea)v xal a\7io(paiv6- fxevog xb [fxaxaQLOV näv d.tdiov\ y.al ä(f&aQ- xov lelvai]' Fr. 105 (S. 123) Z. 5: OJO- ■&' Ol Xeyöjuelvoi dei- oiöaii^iovEg El[g ävv- 7iEQßh]xov ä\xaQa^L- av ExßdXkEiv ' [xal 10 yoLQ 6 zr]v d'&ar[aoiav x[al x^-jv äxqav /ua- xa[Qi6zi]x]a xov •»^'[gjot; aco[<^a)v e\v ä7iaoi[v äya- 'doTg xal ov]va7ixo/X£- 15 {vaig 7]do)v]aTg' Ev]oEßi]g x[al ji£q[1 iu7]dE\vög Exd[x£- ZUR EPIKUREISCHEN GÖTTERLEHRE 391 QO}' [a7iod]o^afi£r[og' 6 d\£ TO &ei]qv x^Qig ÖQy[fjg xai] y^dgiTog 20 do&£vovot]g [[tag]] £- ^atT (enr)' ov ragaTTol/uevcov] Fr. 116(S. 133)Z. 1: \6u de 7CQ]ogXo[yiCeo&ai X6- ycoi] 7id[vTag '&ecoQt]- rov]g v[oy]]o[ei JisQilr]- 7i\za)v TMv [elöco- 5 Xmv ju}]d' [aiOT&ijoe- oi, 7iaQejii[oTt]od~ juevov TO f.irj [tivx- vov elvai voe[Toß', aio- davofievov t' elg 10 TO orEQ£ix\^>io\v Jido- yeiv avTO ' [rovg] d[€ voovjuivovg rijv 7iaQaio&7]oei oaQH[i- vrjL 7ieQikr]JiTi]v al'o- 15 '&r]]oiv, i]v xal ä7i\6 cpv- oecog ey[voj]oav €[ig fifjLäg dvajieixneod^ai, \xqi- oiv xav[rt]v vofxi- t,e\o&ai 7ieQ\l votj- judTCOv] 7idvT0j[v TÖJv äX?.[cov Fr. 117 (S. 183) Z. 2: aVTo[TEXfj Tld- oa\v elvai ti]v xöiv ■&E(o\v ovvxq[ioiv 5 (paiv]ojuevü)[v oi'dev €'x£i]v vjiqvXov Ev ök] T(x)i negl "&£- Cbv dv]aju(piXExra>g ri'&EJrai xb xtjv 10 cpvoiv] dvvxrjv [e- 892 R- PHILIPPSON yov deiv\ änav \el- vai (pd^ovjsQoy xa[t 6q- yiXov] fXYj voeTo\&ai Tolg\ öXoig Fr. 119 (S. 134): \tovtcov yoiQ\ vjiag [xal övag '^juag £^£t[r q)]av[Taoiag, alg ju6k[ig] av [jieio'&eTjuEv rcbi xa[l regaoiv äk- 5 Xoig '&' (bju[oia)0'&ai' dl' ijv /' v[7i6Xr]yjiv xarayva}[oeTai Jiai- dojuaxia[v zcöv öi- aßaHövraw t^]v fjfie- 10 xEQav 6 ovv\d^eig^ ä Tiagd ToTg älgy^aloig fjLvix\r]£TO x\aTa rag n6[XE\ig "Alprjväi xal "AQe[i ■&]voju[Evoig ' 15 Tav[Ta xal äXXa jiQo\griy'\ayo\y tiqoze- Qov\, ä 7' Ei'xa[^ov jiav- TOfJotg 7i6.'d\^Eoiv, ä r' EÖoyfiajiI^lov ' ov- 20 T£ yoLQ E^f]o[av ßXEJiovrsg [sig xovg noXXovg ovdk \xe- vä{g) öo^ag xaT\a ovjlc- TtEQKpOQOLV ay[T(ÖV £- 25 ^Ed^rixav, öjo[rs xaxä xavxrjv vji6[Xt}yHv ovo' öXcog eyljurjxdvEi- av EJioiov[vxo xa- ■&d7l£Q Ol Xg[i7ioL Z. 16 , führte ich früher an", wohl im ersten Teile der Kritik der Volksgötter, Zu iyjutjxdvEia Z. 27 vgl. Philodem ji.oQy. 11,10 iy[jurj]xaväxai (Grönert, Mem. Herc. S. 53), wo Wilke allerdings Inifjirjyaväxai liest. ZDR EPIKUREISCHEN GÖTTERLEHRE 393 Fr. 121 (S. 136)Z. 4: , ., „, od aX- 5 Xovg (}i]o]l Xe[y\eiv — 15 ovv[xQioeig, E7ieidi)7ieQ [al juev d- vaiod[7]T]oi zeXefog, al de näoai q)\&aQxai' jui]dEV [de Xeyetv 20 rovg '&e[ovg (p^aq- Tovg öX]cog, d[AA'] ov- X ävai[o&/]r]o[vg] juö- vov el[vac] vojui- Covrag, [ö]v u ■&e[v- 25 rag ei]vac ya[l ä- od)jua\rov [röv ■ßeSv .dAA' oljjuac owlfia juev Tov] '&e6v, a[i ö' ev TÖJi jisQi 'd']eä)r> rö jurj ye (pvo]et, rt]v do- 20 ■&evfj fx]ev ovvxq[ioiv e'xov], ov[v]d)[vvjuov de rfji -deiai] xal ro jut] rfjg cpvoEOjg bv\ [xeTE^ov- orjg rä>]v äXyr]d6[va>v, 25 Sor' £| ä]vdyxr]g jua- kaxiag 7ioX\käg noijoai ätdia (pv]oig ovoa (paivexai\ xai rig Fr. 123 (S. 138) Z. 1: ex Tov]ra)[v oyjoj/ue'd'a avT^ovg x[al xov] rrjg 6- 394 R. PHILTPPSON fioiör]r]rog [tqotiov] xal T?y]c Tojv \a.x\6ix(ov [ftg ekd- 5 ;t<]cTrov 7iaQe\y\xlioe[a)g TiaracpdoHOvxag ex yQa(pco]v avTCoV xal xzX. In den folgenden beiden Fragmenten kann die Ergänzung mehr noch als in den vorigen teilweise nur nach dem Sinne erfolgen, da meist nur die Anfänge der Zeilen in ihnen erhalten sind. Fr. 124 (S. 139): 6 [<3'] ä[cp\^aQT[og, el xal juovov Ef.i[m/xjiXa- rai Xax[d.vcp, nhjgoT T7]v e[jiiß v/iäav fmX- 5 X\o\v \i] TQvq)wv, ov rag x&v aXX\(jC)v äßgäg di- aiiag d\iaircöv, äX- Xä zag 6ju[oiag rcöv e- vovTcov [avTCOi xaxä 10 TYiv \cpvoiv oixeicojud- xcov xdl^eXey^siv dv]vaT[6v ioriv ex x(bv [äorarov Trjv öl^id'&eoiv Jiag- 15 exovTCOv \Tovg övei- diCovi\ag rag ä- nXäg dta\iTag ijjucöv, dXXd 7ivx[vdg x^QO.'^ djiOTeXovo[ag ' öi- 20 ddaxei ö' 6 'E[mxov- Qo]g ev xcbi N[eoxX£T, (hg ra\ jigög to o[(b/Lt' dvay- xdia \^dn6X\av\oLv juei- Cü) Jioijei Tüiv [docÖTCOv ' 25 7ioi\eiv y[dQ tö oöjju' d- OTa§eg cpa\veQ6v eJv' V7iv[i]a}[v xaxcöv did jüiv z\Qvq)eQ(bv \diaiTcbv yivo/uEvcov]. Fr. 125 (S. 139) Z. 3: [ei de xaxd XTjv lo[xoQiav xd ZUR EPIKUREISCHEN GÖTTERLEHRE 395 5 aco[/^]aT[a Jidvxa x]az' E'v[voiav diakv- exai, xal r[?)v yeve- oiv avrijv [äßereiv xal TtQog t[6 ovveywg 10 diafxevE^iv ramöv ä- 7iokei7ie[oüai jui]- d[ev] roTg [ßsoTg' tov- ro (paoi jueyiq[T07' elvai rexju/]Qioi' 15 TOV 7isQiaiQ[eTv ro 'ßeiq[v] EX Tcöv [öv- rcov xov Ex{f\EVxa oco- juaTc\xöv [eIv' avro ' akX a\nEXi7i\oiiEv 20 avx(bi\ xalG&i]oiv xal xi]v 'f]dovi]v xal x[i]v £o]'&?J][v e^iv xäjiEOx^oajUEv xa- TCt xd ivvo/jjuaxa 25 7zd]vxa xi][v] y[evEOiv jUEv dv[xa)v] fii] \q)'&o- [^a? ÖExxixcöv . . . Ich mache übrigens auf die wichtigen slichometrischen Beob- achtungen Dom. Bassis in seiner Sticometria Ercolanense (Riv. d. Filologia 1909, Estratto p. 65 ff.) aufmerksam, aus denen zweifellos hervorgeht, daß Pap. 1098 vor Pap. 1077 und Pap. 229 zu setzen ist. Ein Irrtum ist es allerdings, wenn er Pap. 1428 an das Ende des ganzen Werkes setzen will. Denn am Schlüsse dieser Hand- schrift wird deutlich daraufhingewiesen, daß in einem neuen Buche nun die Ansichten Epikurs selbst über die Frömmigkeit besprochen werden sollen. Wir haben also mindestens zwei Bücher, wie Gom- perz auch annimmt, vorauszusetzen; mit dem zweiten beginnt eine neue Reihe stichometrischer Zeichen. Doch mit dieser Frage wird sich ein neuer Herausgeber dieses wichtigen Werkes eingehend zu beschäftigen haben ; hoffentlich stehen ihm dann auch die Urschriften wieder zur Verfügung. Magdeburg. ROBERT PHILIPPSON. DAS ZWANZIGSTE KAPITEL VON HIPPOKRATES DE PRISCA MEDICINA. I. Die Textüberlieferung. Die vielverzweigte Entwicklung der Hippokratischen Briefsamm- lung hat kürzlich dadurch eine neue Beleuchtung erfahren, daß Diels in d. Z. oben S. 57-87 aus dem Urbinas 68 s, XIV den 19. Brief in einer Gestalt herausgegeben hat, die von der bisher bekannten sehr stark abweicht und viel ausführlicher ist. Daß zwischen den beiden Fassungen dasselbe Verhältnis besteht wie zwischen den längst bekannten Doppelfassungen der kleinen Briefe 4 und 5, hat Diels sofort ausgesprochen und gewiß mit Recht angenommen, daß auch die neue Form des 19. Briefes im Anfang der Kaiserzeit ent- standen sein muß. Gomponirt ist dieser sogenannte Brief, in Wirklichkeit ein Xoyog jisqI juavirjg, den angeblich Demokrit dem Arzte übersendet, ganz in der Weise wie etwa die Abhandlung Tiegl iXXeßoQiojuov, die das 21. Stück des Briefromans bildet; hier wie dort sind die Hippokratischen Schriften aufs stärkste aus- gebeutet. Auch das hat Diels sofort dargetan. Doch läßt sich zu den reichlichen Quellennachweisen, die er vorgelegt hat, noch ein kleiner Nachtrag geben, der vielleicht ein gewisses Interesse be- anspruchen darf. Außer den Epidemien, de victu I, de morbo sacro, de morbis IV ist nämlich auch die Schrift über die alte Medicin im Eingang be- nützt. Da die Sache nicht ohne Bedeutung für die Textgeschichte ist und das 20. Kapitel von de prisca medicina, um das es sich hier handelt, starke Varianten aufweist, wird es nötig sein, zunächst den Text des benützten Abschnittes vorzulegen und kurz zu be- sprechen. HIPPOKRATES DE PRISCA MEDICINA 397 Äsyovoi de Tiveg xal irjTQol xal ooqpioxal, (hg ovx eh] övva- röv it]roixi]v elöevai öorig jur] olöev 6 n earlv avß'Qwnog, ulla rovzo öeT xarajuad^eiv röv jueXlovxa ögß'ajg d-eganevoeiv zovg dvd^QCüjTOvg. reivei de amoXg 6 Xoyog eg cpiXooocpirjv, xad^dneQ 5 'JEjujiedoxhJg ?j äXXoi oi jisqI cpvoiog yeyQdrpaoiv {el^yjxrixaoiv) ei dgi^jg o ri eorlv äv§Qcojiog xal ojtcog eyevexo tiqcoxov xal önod^ev ovvendy^]. eycb de xovxo juev, öoa xivl el'grjxai i] oo- (pioxf] }] IrjXQM i] yeyQanxai neql cpvoiog, rjooov vojuiCo) xfj bjxgixfj xeyvi] ngooijxeiv y] xfj yQacpixf], vojui^co de negl q)voiog yväjvai xi 10 oacpeg ovdajuö&ev aXXo&ev eivai i] e^ itjXQixfjg' xovxo de olov xe xaxajua^eTv, oxav avxrjv xig xrjv irjXQixijv oQ&ojg Jiäoav neqiXdßij ' juexQi- de xovxov jioXXov /.loi doxei deTv ' Xeyo) de xrjv loxoQirjv xavxYjv, eldevai äv&QCOJiog xi eoxiv xal dC oXag alxiag yivexai xal xdXXa dxQtßewg. enel xovxo ye /xoi doxel dvayxaiov elvai irjxgo) 15 Tiegl (pvocog eldevai xal ndvv ojzovddoai (hg el'oexai, emeQ xi jueXXei x(hv deovxoiv noitjoeiv, ö xi xe eoxiv ävd'QCOxcog Ttgög xd Eoß^iojuevd xe xal nivojueva xal ö xi jigög xd dXXa ejiixrjdevjuaxa, xal o XI d(p' exdoxov exdoxcp ovjiißyoexai, xal /xrj djiXiCdg ovxcog ' ^novriQOv eoxiv ßgcofia xvgog' novov ydg naqeiei xco nXr]Q(o§^evxi 20 avxov^, dXXd xiva xe novov xal did xi, xal xivi xcöv ev xco dv- '&Q(OJi(x) eveovxojv dvejiixr'jdeiov. A = Par. 2253 s. XI; M = Marc. 269 s. XI; ^- = vulgati Codices. 1 xal ante trjXQol om. A, secl p/". 7/8 // ootpiaxfi rj Itjxqöj el'rj A; eV; M; EVI vel eoTi g; s'vi [övi'azdi'] Reinhold dvvazog Kühlewein sine nee. 3 8eiv Gomperz, Apol. d. Heilk.- p. 171 ß^egamveiv M 4 relvei] rj rivi A* mg. ös] ze M. 5 "E/ii.-isSoxXei]? M add. Fohlenz, (sleyov) ^Tmerins; {8eixvv- aoiv?) Gomperz, Apol. d. Heilk.' p. 171 6 verba äUä {2)—äv&Qcojiog (6) quae propter homoioteleuton in omnibus codd. praeter AM exciderunt post ovvETiäyr} (7) trcmspos. Rhd. Kühl., ita tarnen tct alterum o rc iailv äv&gcojiog delerent, i^ ag^f]? post avvE.-räyi] ponerent 7 d.Tdi^er A; o&ev M; 6'jicog g TovTOiv M'^ i) om. Ms 10 olöv rai A' corr.* 11 rijv i)]zq. clel. Ilberg jiäoav om. A 12 jioXXovg /lwi öoxdei lösTv Mg 12/13 ravztjv xrjv ioxoQirjv slvai ävß-. A 14 ejtsI xovxo M; sjtl xovxo {xovxco A*) A ; insi rot g navxi itjxqö) g; irjxgqj om. A 15 OJiovdd^at. nonnulli g wojiEQ A 16 Jioitjoiv A XE om. Mg 17 re om. M?, cf. Schonack, Curae Hippocraticae, Regimont. 1908 p. 81 sqq. xai 5 xi — EJiixt]8sv^iaxa {cf. p. 11,2 Kühl, al.) om. omnes pr. A 18 priiis xai om. A fitj] 8tj A 18/19 xai /Lirj anXöjg ovxoi 8oxeeiv oxi jiovyjqÖv g 19 Jiövov^ jiovrjQovA. jzaq- ixsi A; EXEi M; q)EQEi g 20 Ttovov] xqÖjiov A 20/21 xmv ev xä) dv&QcoTiq) iveovxwv A; tcüv dvd'QcöjKov Mf 398 M. POHLENZ Der Autor legt hier grundsätzlich seinen Standpunkt gegenüber den Ärzten dar, die als Voraussetzung für jede medicinische Tätig- keit ein volles Wissen über die Natur des Menschen betrachten. Eiösrai o ri lorlv ävdocoTiog ist das Schlagwort, in dem er ihre Anschauung zusammenfaßt, um als seine eigene Ansicht die Be- schränkung auf ein Wissen o rt te Iotiv ävOgoiTioi; Tigög rd eo&iojLierd te y.al Tiivouera xtL gegenüberzustellen. Er kenn- zeichnet seine Gegner, ähnlich wie es der Verfasser von jt. cpvoiog d.v&Q(ü7iov im Eingang tut^), als Leute, die über das Fachwissen der h]rQiy.)] hinaus zu einer allgemeineren Wissenschaft, einer cfilo- oo(pb] vordringen wollen, wie ja Empedokles und andere Natur- philosophen Untersuchungen über das ursprüngliche Wesen des Menschen 2), über die Art seiner Entstehung, die Stoffe, aus denen er zusammengesetzt ist, angestellt haben. „Ich aber", so fährt er mit der starken Betonung der subjektiven Überzeugung, die wir an diesen Ärzten kennen, fort, „meine, daß die Frage, was Gelehrte oder Ärzte über Naturphilosophie geschrieben haben, die ärztliche Kunst gar nichts angeht" — wir erwarten nach dem tovxo }x,ev die Fortsetzung, was er positiv selbst für notwendig hält. Statt dessen biegt er zunächst ab, um im Gegensatz zu den Männern, die ihren Ausgangspunkt bei der Naturphilosophie nehmen, zu er- klären: „Vielmehr halte ich den umgekehrten Weg für geboten: wer zu sicheren Ergebnissen in der Naturerkenntnis gelangen will, muß von der Medicin ausgehen" — ehe er nun darlegt, woran er bei diesem sicheren Ergebnis denkt, schiebt er wieder erst noch mit Rücksicht auf die richtige Methode den Gedanken ein: „Das kann man aber erst erreichen, wenn man die Medicin selber in ganzem Umfange erfaßt hat, und so weit sind wir noch lange nicht", und nun kommt er erst damit heraus, was für ein sicheres Ergeb- 1) "OoTig i-iEv sl'ojdev äxoveiv leyövrcov afxtpl zfjg (pvaio? rfj? avdgo)- 7iivr]5 jioQQOiXEQO) fj oxöaov avxrig ig IrjTQiHrjv iffi]y.ti, tovtco /nev ovx E:nTtj- dsiog o8e 6 Xöyog axoveiv. 2) Bei Ergänzung eines Verbums wie i^ijit'jy.aoiv fällt die Umstellung Reinholds von selbst weg. i^ UQ/Jig ist wohl absichtlich so gestellt, daß es sowohl zu s'Qt^xrjy.aoiv wie auch zum Folgenden gezogen werden kann. Vgl. de victu 2 (prjfii dt] 8eTv rov fiE/J.ovza doßwg ov/ygärpeiv :tsoi öiaixTjg dv&Qcojiivrjg ngcörov fihv navrog qwaiv äv&QCOJiov yvwvai y.at öiayvcövai, yvtö- vai (liv OjiÖ Tivcov ovvioxrjy.ev i^ ägyijg . . . shs yäg rip' i^ ao/fjg avaxaaiv fif] yvojaexac, aber auch die nachher S. 408 ff. zu besprechenden Plato- stellen. HIPPOKRATES DE PRISCA MEDICINA 399 nis ihm vorschwebt: „ich meine das exakte Wissen vom Wesen des Menschen, den Ursachen seiner Entstehung usw." Dieses Wissen lehnt er also nicht, wie es ursprünglich scheinen konnte, ganz ab. Er will nur zeigen, man dürfe es nicht von irgendwelchen natur- philosophischen Hypothesen aus zu erreichen hoffen. Vielmehr dürfe man es nur von der Vollendung der medicinischen Wissenschaft erwarten. Aber diese ist ein Ideal, das noch in weiter Ferne steht, und so wäre es verfehlt, wollte man vom praktischen Mediciner dieses Wissen verlangen. Auf dieses will also unser Autor im Gegensatz zu den spekulativen Ärzten verzichten. Freilich nur auf dieses; „denn so viel muß der Arzt freilich von der Natur wissen und sich unbedingt anzueignen suchen, wie sich der menschliche Leib gegenüber Nahrung, Bädern, Übungen usw. verhält, was diese auf jeden einzelnen Organismus für einen Einfluß haben, warum dies der Fall ist, welche Bestandteile des Körpers auf den äußeren Reiz reagiren". Das ejtel — y£ Z. 14 ist natürlich nach dem von Vahlen, Opusc. I p. 99 ff. für das lateinische na)n erläuterten Sprach- gebrauch zu verstehen ^). rovrö ye bringt endlich die Fortsetzung zu dem rovro fiev aus Z. 7, ist also unbedingt dem enei roi ye der Vulgärcodices vorzuziehen. Auch wenn diese gleich darauf vor IrjTQCp ein navTi einfügen, so ist das ein zwar sinngemäßer, aber unnötiger und die Prägnanz des Ausdrucks beeinträchtigender Zu- satz. Das Fehlen von h^xQcö in A dagegen beruht wohl nur auf einem Versehen. Nun zu dem neuen Hippokratesbriefe. Dem Verfasser war offenbar unser Kapitel wegen seines allgemeinen Charakters sehr willkom.men, und wenn er für die Erörterung der Principienfragen auch weder Verständnis noch Interesse hatte, so konnte er doch die einzelnen Wendungen für seine Einleitung gut verwerten. So lesen wir denn an deren Schluß § 10: T]v jut] yoLQ rrjv £| äg^^g ovoxa- 1) Plato Symp. 187 A: &OJieo l'ooig aal 'HgäxXeirog ßoHsrai, XeyEiv ETiEi ToTg ye gr^f-iaotv ov xa'/.wg ?Jysi. 'Ich betone, er hat die Absicht; denn zum Ausdruck bringt er diese nicht richtig.' Prot. 333 C: aioxi'voi/:it]v av k'ycoys rovzo ofw?Myeiv' etieI jtoXXoi ye de xrjv loxoQirjv xavxrjv, ixdirjyevjuevog Xvooa xi ioxi xal öxoioioi diayiyvcboxexai xal xiva xqojiov ano- Xaxpeoixo^). enet xoi ye juoi doxeei ävayxaiov elvai jiavxl IrjxQO) jieqI exdoxov xöv vovoijjiidxwv eldevai, exaoxov xi eoxi xal dl' oi'ag aixiag yiyvexai, xal Jidvv ye oxcovdd^eiv (bg el'oerai. fjv ydg xig eldeiij xijv alxirjv xov voorjfxaxog, ajoneq [xoi TiecpQaoxai xal exEQOJiJi, oiög t' äv eirj xd ^vjuv g) nolXov Jioi- xiXwreqa re {noixiXcoreQf] re Mg) xal öid nXeiovog äxQißehjg eoriv. " Hier könnte sich jioixiXcorega nur auf die eben genannten xaxd, die aus der xevcooig hervorgehen, beziehen. Aber das widerspricht dem ganzen Zusammenhang. Der Satz schließt vielmehr den Ge- danken ganz ab, der am Anfang des Kapitels mit ei /.lev fjv djiXovv eingeleitet ist, und was das Subjekt sein muß, zeigen uns Stellen wie c. 12 (p. 13, 2) yaXenov di] {de A mit Teil von g) roiavri]g dxQißeh]g eovorjg Jtegl ri]v reyvrjv rvyydveiv del rov args- xeordrov [dxQareordrov A) (vgl. auch das Folgende) und noch besser der Schluß von c. 7, wo der Arzt den Nachweis, daß die wissenschaftliche Medicin sich von der naturgemäßen Auswahl der Nahrung in der älteren Zeit dem Wesen nach nicht unterscheidet, mit den Worten abschließt: ri di] rovro exeivov diacpegei dXX' i] [jiXeov] ro re {ye k)^) eidog xal öri noixiXcoregov xal nXeio- vog TiQfjy ju areif] g ; dg^i] de exeivt] t) Jigoregov yevofievi]. Also schwebt auch in c. 9 die irjrgix"^ als Subjekt vor, die freilich seit dem Schluß von 8 nicht mehr genannt ist, und TTOixiXo^regt] ist die richtige Lesart. Ganz ähnlich steht es endlich mit einer Stelle 1) Vgl. p. 5, 14 sjisi t6 ye svgtjfia fieya zs xal TioXki]? axsxpiög re xai rexvrjg u. Ö. HIPPOKRATES DE PRISCA MEDICINA 403 des 3. Kapitels. „Die ävdyxi] ist es gewesen, die zur Entdeckung der diätetischen Medicin, zur richtigen Auswahl der Krankennahrung führte. Sie hat es ja auch schon in der alten Zeit bewirkt, daß die Gesunden zu einer specifisch menschlichen Ernährungsweise übergingen. Ursprünglich teilten die Menschen nämlich die tierische Nahrung, hatten aber natürlich davon starke Beschwerden, dia di) rain}]v t))v ahh]v xal ovroi jlwi öoxeovoi Cv^fjoai xQO(pi]v dg/Lio- Covoav jfj cpvoei xal sugeTv TavT)]v, f] vvv ygecüjueüa (p. 4, 16). So liest Külilewein mit A, aber Mg haben nicht aizit]}', sondern XQeirjv, und wenn es schon an sich unwahrscheinlich ist, daß dieses signifikantere Wort für das blasse ahhjv eingedrungen sein sollte, so wird seine Ursprünglichkeit dadurch erwiesen, daß das ganze Kapitel eine Specialanwendung der kulturhistorischen Theorie ist, wonach der Zwang der Not es war, der alle Kulturfortschritte hervorgerufen hat. Darauf hat schon Wilh. Meyer in seiner Göt- tinger Dissertation Laudes inopiae (1915) p. 28 hingewiesen, und er hat zugleich gezeigt, daß als Termini zur Bezeichnung der Not- lage dvdyxi] und XQeh] abwechseln (xgeia z. B. in der kultur- geschichtlichen Darstellung, die Diodor I 8 nach Demokrit gibt: xa&6Xov yuQ rijv xQsiay avT)jv diddoKaXov yeveo&ai roTg dv&gco- jioig Kxl.). Wenn wir nun sehen, wie auch der Arzt am Anfang von 3 (p. 3, 14) gleich das Stichwort bringt: vvv de avxi] fj dvdyxi] a]Tgixi]v enoirjoev ^i]Tt]'&}~p'ai iE xal evQe^fjvai dvßgcojtoig und in c. 4 es mit den Worten rjg ydg /u7]Ö£ig ioriv idicoTijg, dXld TidvTsg enioxrifJiovEg did xi]v xQTJoiv xs xal dvdyxt]v wieder auf- nimmt, müssen wir auch das engverwandte XQ^h^' 4, 16 festhalten, statt es mit A deswegen zu ändern, weil die ausdrückliche Nen- nung des Begriffes nicht unmittelbar vorher erfolgte. Die schwersten Schäden der Überlieferung sind natürlich auch hier in der Zeit eingetreten, die der Scheidung der beiden Klassen vorauslag. Das sei wenigstens noch an einem Beispiel beleuchtet. Im c. 3 heißt es in unmittelbarem Anschluß an die zuletzt bespro- chene Stelle über den Fortschritt zur menschlichen Nahrung: ex juev ovv xcbv tivqow ßge^avxeg o(pag xal nxioavxeg (so A, ßge- ^avxeg xal nxioavxeg ndvxa Mg) xal xaxaXeoavxeg xe xal öiaorj- oavxeg xal (poQv^avxeg ((pgv^avxeg M und Teil von g) xal önxi^- aavxeg dnexeXeoav {djisxeXeoajuev A) dgxov^ ex de xcbv XQi'&ecüv fxä^av. Wenn hier Schroten, Mahlen, Durchsieben, Backen nach- einander erwähnt werden, so will uns der Arzt offenbar zeithch 26* 404 M.POHLENZ die einzelnen Stadien der Brotbereitung vorführen. Dann hat vor oTtiriGavTeg nicht cpQv^avxeg, sondern „Kneten" cpoQv^avxeg seinen Platz, und so hat wohl Galen gelesen, der im Glossar (poqv^avzeg durch q^vgoLoavTeg erklärt. In Mg ist das Wort ofTenbar deshalb geändert, weil sich damit das vorhergehende ßge^avzeg nicht ver- trägt. Aber kann denn vor dem Schroten von einem Einweichen der Körner die Rede sein? Nötig ist hier ein anderer Begriff, das Worfeln, die Reinigung des Kornes von der Spreu. Wie das grie- chisch heißt, zeige Plato Soph. 226 B: olov dnidetv re leyofiev xal öiarräv y.al ßgdzretv xal diaxQiveiv, wozu im Timaeuslexicon die Erklärung steht: ßgarxEiv dvaxiveiv cootisq oi rov oTrov xa'&ai- govxeg, vgl. Geop. III 7 : jttioteov xal ßgaoreov und Aristophanes, der fr. 271 ohne chronologische Folge nebeneinander nennt nzirxa) ßgdxxco jiidxxco dsvco jtsxxco xaxalcb, vgl. Pherekr. 183. Zu lesen ist für ßgd^avxeg also ßgdoavxeg (Anth. Pal. VI 258 eq?' äXmog, eq)' q noXvv eßgaosv dvzlov), falls man nicht etwa einen Über- gang in die Flexion der Gutturalstämme annehmen und ßgdoavxeg ansetzen darf. Das ndvxa von Mg ist selbstverständlich verkehrt, aber auch das oq^ag von A verdächtig, da ein Objekt aus jivgcbv leicht zu entnehmen war. II. Die Auffassung der medicinischen Wissenschaft. Das zwanzigste Kapitel von de prisca medicina ist durch seine principiellen Erörterungen eines der interessantesten Stücke des Hippokratischen Corpus^). Der Arzt hat vorher den Nachweis er- bracht, daß die medicinische zs^rrj sich qjvoei durch empirische Feststellung der für den Kranken geeigneten Ernährungs- und Be- handlungsweise allmählich entwickelt hat, und hat dabei scharf gegen die Arzte Stellung genommen, die sich nicht auf die mit dieser bewährten Methode erzielten Ergebnisse verlassen, sondern zu Hypothesen greifen und willkürlich irgendwelche Grundstoffe beim menschlichen Leibe ansetzen, um von da aus alle Krankheiten des Organismus zu erklären und danach die Therapie einzurichten. Jetzt tritt er in eine methodische Auseinandersetzung mit den Ge- lehrten und Ärzten ein, die als Voraussetzung einer wissenschaft- lichen Medicin wie der medicinischen Praxis die Naturphilosophie ansehen. Die Anschauung, gegen die er sich hier wendet, ist sach- 1) Th. Gomperz, Griech. Denker I 238 ff. HIPPOKRATES DE PRISCA MEDICINA 405 lieh von der vorlier bekämpften an sich nicht scharf zu sondern. Aber daß der Arzt sich hier einer bestimmten neuen Gruppe von Gegnern zuwendet, zeigt der Eingang: Xeyovoi de riveg xal h-jXQoi xal ooq)iozat, und dafür spricht auch, daß man im Ton der Polemik eine Änderung zu verspüren meint. Während er die Willkür der Hypothesen vorher nicht ohne Animosität und Sarkasmus abgefer- tigt hat, legt er jetzt trotz der Schärfe, mit der er die Naturphilo- sophie ablehnt, doch Wert darauf, das hervorzukehren, was ihm mit den Gegnern gemeinsam ist. Drei Momente sind es, die er in seiner Erörterung scheidet: die Naturphilosophie, eine Anthropologie, die das ursprüngliche Wesen des Menschen zu ergründen strebt, endlich eine unmittelbar für die Praxis verwendbare Physiologie, die über das Verhalten des menschlichen Organismus zu Nahrung usw. aufklären und danach Diät und Therapie regeln will. Die Naturphilosophie als Ausgangs- punkt weist der Arzt mit Entschiedenheit ab; die Anthropologie läßt er als ideales Ergebnis der medicinischen Wissenschaft gelten, das physiologische Wissen betrachtet er für den praktischen Arzt als notwendig. Ob er die letzte Forderung von sich aus formulirt oder sich einen Programmpunkt der Gegner zu eigen macht, kann zu- nächst zweifelhaft sein. Aber hier hilft uns eine Parallele weiter. An der berühmten Stelle des Phaidros (270G) fragt Sokrates: tpvx'i]? ovv (pvoiv d^icog Xoyov xaravofjoai oTsi övvardv ävev xfjg xov öXov (pvoecog; und Phaidros antwortet: ei juev 'Ijijio- TtQOLTEi ye TM Tcbv 'AoxXi]7tiadä)v öei rt Tti^sod'ai, ovde tteqI oibfxaTog ävev rrjg fiedööov xaviTjg. Daß unter rfjg tov oXov (pvoecog die Natur des Alls zu verstehen ist, nicht etwa die Natur des Ganzen im Gegensatz zu den Teilen der Seele oder des Leibes^), ergibt der Zusammenhang und die kurz vorher gegebene Fest- stellung: Jiäoai ooai jueyuXai r&v xeyvcbv TiQoodeovxai ädoXeoxiag xal juexecoQoXoyiag cpvoeoig tieql (269E)2). Hippokrates befolgt also die jui^odog, daß er die allgemeine Naturphilosophie als 1) Fredrich, Hippokr. Untersuchungen S. 4 scheint die Sache so auf- zufassen, wenn er paraphrasirt: 'Hierbei muß die Natur des Ganzen (^ rov oAov (pvoig) stets im Auge behalten werden' und den Satz hinter die Vor- schriften über die Einwirkung auf die einzelnen Körperteile (nach 270 D) rückt. Aber bei Plato steht er eben vorher. Richtiger stellt Fredrich gleich darauf den Satz mit jisqI asgcov vödrcov röjicov 1 zusammen. 2) Vgl. Jiegi degcov vödicov tÖjicov 1 (Fredrich S. 5). 406 M. POHLENZ Grundlage nimmt und daraus ein Wissen vom menschlichen Leibe entwickelt. Sokrates fährt dann fort: xb roivvv jieqI (pvoecog oxojisi Ti Tiore Xeyei 'IjtJioxQarrjg re xal 6 d?j]'&i]g Xöyoq. a^ ov% oibe dei diavouod^ai jiegl özovovv (pvoecog' jiqcötov fxev, änXovv T] noXveiöeg iortv ov jieQi ßovXr]o6jue'&a elvai avxol re^- vixol xal äXXov dvvaroi noieiv, STieira de, äv juev änXovv ^, oxojieTv T7]v övvafuv avxov, riva jcgog xt Jieqjvxsv elg x6 dqäv e'xov i) xiva eig xb xia^eTv vjib xov, idv de jiXeico ei'd)] exf], xavxa agi'&fxrjodfxevov, öneg eq?' evog, xovx' löeTv 699' exdoxov, xcb xi TioieTv avxb Jieqpvxev tj xco xi Jia'&eiv vnb xov; . . . fj yovv ävev xovxüov jue'&oöog eoixoi äv ojoJieQ xv(pXov noQeia, und geht dann zur Anwendung dieser jueßodog auf die Seele über. Daß auch diese Methode nicht nur aus den Voraussetzungen des Hippokrates abgeleitet, sondern von ihm selber entwickelt ist, wird durch den Zusammenhang nahegelegt. Sicher wird es, wenn man de prisca med. 20 heranzieht. Denn wenn es dort heißt, der Arzt muß wissen, o xi xe eoxiv äv&QConog Jigog xd eo&iojuevd xe xal nivofxeva xal 6 xi ngog xd uXXa ejiixi]devjuaxa, xal o xi dcp' exdoxov exdoxo) ovjußtjoexai, xal jut] änXcbg ovxcog ... — dXXd xiva xe jzovov xal öid xi xal xivi xwv ev xco dv&Qomco eveovxoiv dvenixrideLov, so ist der Parahelismus m.it der im Phaidros dar- gelegten Methode unverkennbar (so auch Fred rieh, Hippokr. Unters. S. 6). Und wenn nach Plato die erste Frage ist, ob der zu beein- flussende Organismus änXovv oder jioXveiöeg ist, so darf man de prisca med. 23 vergleichen: jioXXd de xal äXXa xal eow xal e^co xov owjuaxog el'dea ox^judxü)v, ä jueydXa dXXrjXayv diacpegei xcgbg xd na'&riixaxa xal vooeovxi xal vyiaivovxi . . . ä öeT Jidvxa elöevai fj diaq^egei, öncog xd aixia exdoxcov eiöcog ög&öjg g)vXdoo)]xai. Somit haben wir die drei Momente, die de prisca med. 20 unter- schieden werden, bei keinem andern wiedergefunden als dem großen Hippokrates. Aber wenn man daraufhin den Verfasser als Hippo- kratiker schlechthin oder auch gar Hippokrates als Vertreter der empirischen Richtung von de prisca medicina angesehen hat, so ver- kennt man die ganz verschiedene Stellung der beiden Ärzte zu ihrer Wissenschaft. Nur den dritten von den drei Programmpunkten des Hippokrates macht sich der Verfasser von de prisca med. zu eigen, während er sich sonst in scharfen Gegensatz zu ihm stellt. Hippo- krates ist es in erster Linie, der dem empirischen Arzte als Gegner vorschwebt, und wenn er ihn einfach unter die ojxqoI xal oo(pioxai HIPPOKRATES DE PRISCA MEDICINA 407 einreiht, so zeigt uns das nur, daß für ihn Hippokrates noch nicht die unbedingte Autorität ist wie für die Späteren. Andrerseits sahen wir ja sclion, daß er den hier bekämpften Gegnern mit Achtung begegnet, wie er auch durchaus nicht verschmäht hat, von dem hier als Führer der spekulativen Arzte genannten Empe- dokles zu lernen (VVellroann, Fragm. d. sikel. Ärzte 37. 86). Als die Anschauung des Hippokrates dürfen wir folgendes er- schließen. Die Medicin muß in einer allgemeinen Naturerkenntnis wurzeln. Nur so kann sie zu einer wissenschaftlichen Erkenntnis des mensclilichen Körpers gelangen, und diese wieder ist auch für die medicinische Praxis notwendig. Der Arzt muß wissen, welche Teile der Körper hat, welche Funktionen diese haben, wie und durch was für äußere Einflüsse sie afficirt werden und worauf das beruht. Sonst kann er nicht den Anspruch erheben, ein Mann der Wissenschaft zu heißen ^). Es ist offenbar eine programmatische Erklärung, die Hippo- krates abgegeben hat, mag er das nun in einer besonders ver- öffentlichten Schrift oder auf andrem Wege getan haben. Nach zwei Richtungen hat er dabei seine Stellung präcisirt. Gegenüber den bloßen Routiniers, die da meinen im Besitze der ärztlichen Kunst zu sein, wenn sie über ein paar mechanisch erlernte Recepte und Behandlungsweisen verfügen (Phaidr. 268 A), betont er mit aller Schärfe, von Wissenschaft könne nur die Rede sein, wenn der Arzt sich über Grund und Zweck seiner Maßnahmen klar sei, und das sei nur durch ein wirkliches Studium des menschlichen Körpers iauf Grund einer allgemeinen Naturerkenntnis zu erreichen. Aber ebenso unwissenschaftlich ist ihm auch die andere Richtung, die in irgendeiner grauen Theorie, in irgendeiner vorgefaßten Meinung über die Zusammensetzung des menschlichen Organismus das Allheil- mittel für die Krankheiten gefunden zu haben glaubt. An deren Adresse ist es gerichtet, wenn er das genaueste Studium der ein- 1) Vgl. z. B. auch, was Galen de haer. .3 von der rationalen Medicin sagt: rj de 8ia zov löyov qpvaiv ixfia'&sTv naQaxskevszai rov re ocofiarog, ov SJiiXsiQsT läodai, xal zwv aixiwv djidvzcov zag 8vvdf/,ecg, oig 6at]fiSQai Jiegcmjtzov z6 ocöf^a 7] vyisivözsQov ^ voosqcozeqov avzo eavvov yiyvezai. fiszä 8e zavz' fjörj xal deocov xal vSdrcov xal x^oqIojv xal ijiiztjSevfidziov xal sdsofidzcov xal nof-idzmv xal l&wv ijiiozrj/Liova, cfaoiv, sirai 8eT zov lazQÖv, oncog zöJv zs vo- OTjfidzwv djidvzwv zag alziag i^svQiox?] xal zcöv lafxdzwv zag Svvdfisig xal jiaQaßd).).Eiv otög t' fj xal XoyH^saßai, ozi zü> zoicoSe ztjg alziag sldsi z6 zoidvde dvva/itv E/ov uiooaaydev zoiöv zi Egyd^Eodai jiEcpvxEV. 408 M. POHLENZ zelnen Organe wie auch der einzelnen Heilmittel und ihrer Wirkun- gen verlangt. Daß hier sichere Erkenntnis nicht ohne gründliche empirische Beobachtung erreicht werden kann, hebt Plato nach seiner ganzen Tendenz nicht hervor. Es ist aber selbstverständlich, und das ist ja auch der Boden, auf dem sich der Bekämpfer der rein spekulativen Richtung mit Hippokrates zusammenfindet. Den Ein- fluß des Hippokrates werden wir dabei in der Geflissentlichkeit er- blicken dürfen, mit der auch dieser Arzt betont, man müsse sich über das öid xl der Wirkungen klar sein, müsse die Beschaffenheit der körperlichen Organe wie die im Körper wirksamen Kräfte genau kennen. Andrerseits geht ihm die Anerkennung des empirischen Elementes durch Hippokrates offenbar längst nicht weit genug, und in dem Zurückgreifen auf die Naturphilosophie sieht er ein verhäng- nisvolles Entgegenkommen gegen die von ihm vorher bekämpften rein spekulativen Ärzte, die den festen Boden unter den Füßen ver- lieren, und hält hier deshalb eine scharfe Zurückweisung für not- wendig. Gegen Hippokrates wendet er sich in diesem 20. Kapitel sogar in erster Linie. Die Eingangsworte zeigen aber, daß er sich bewußt ist, einer Mehrzahl von Gelehrten gegenüberzustehen, die solche An- schauungen hegt. Danach wäre es nicht befremdlich, wenn er seine Polemik zugleich auch gegen andre Ärzte richtete. In der Tat hat Th. Gomperz in dem ersten Satze unsres Kapitels eine direkte Polemik gegen de victu I 2 gefunden: q}^^iju dt] öeTv röv fieXXovxa ogd^cbg ovyyQdrpeiv negl diairrjg dv&QCOJirjir]g jiqcotov fjLev Tiavzög cpvoiv äv^Qcojiov yvcövai xal diayvwvai ' yvajvai fJLEv OLTio rivojv ovveoxrjxev i^ dQ/fjg, diayvcövai de vnb rivcov [xeQeiüv KEXQdzrjjai ' ehe ydg rr]v e| dg'/fjg ovoxaoiv jui] yvdioexai xxL (Apol. d. Heilk.2 S. 171; Gr. D. I 242). Die Ähnlichkeit ist tat- sächlich da, und es wäre wohl möglich, daß diese Stelle unserm Arzte auch vorschwebte. Aber näher liegt etwas andres. Der Ver- fasser von de victu hat sich bei der Behandlung seines Special- themas die grundsätzlichen Ausführungen seines großen Collegen zu eigen gemacht. Wenn das richtig ist, dürfen wir in den Worten von de prisca med. e^ dgyrjg o xi eoxlv äv&gcojiog xal oncog eyevexo ngönov xal onodev ovvendyy] einen Nachhall aus Hippokrates er- blicken. Und dafür läßt sich noch ein Moment geltend machen. In den Ges. IV p, 720 ff. führt Plato aus, warum er es für not- wendig hält, nicht nur Specialbeslimmungen zu erlassen und deren HIPPOKRATES DE PRISCA MEDICINA 409 Übertretung unter Strafe zu stellen, sondern allgemeine Prooimien zur Aufklärung über Zweck und Nutzen der Gesetze vorauszuschicken. Er beruft sich dabei auf das Vorbild der guten Ärzte, die sich auch nicht wie ihre banausischen Gollegen damit begnügen, im Einzel- falle die einmal erlernten Anordnungen zu treffen, sondern überall die Kranklieit von Grund aus untersuchen und sich wie dem Pa- tienten Klarheit über die Ursache der Krankheit wie über den Sinn ihrer Maßregeln verschaffen. IX p. 857 G kommt er ausdrücklich auf diese Analogie zurück : ev yatq enioxaoi^ai öei ro roiovöe, (hg, d aaxaXdßoi tzote xig largög xcbv xaig EfxiiEiQiaig ävev Xoyov xi]v laxQiyJjv jLiexa'^EiQiCo/uh'cov iXevßegov ekev^egco vooovvxi dia?.ey6- jiievov iaxQov xal xov (pilooocpeXv eyyvg iQch^evov juev roig loyoig i^ OLQxfjg de änxojuevov xov vootjjuaxog, negl (pvoecog jzdotjg ijiav- tövxa xrjg xcbv GCOjLidxcov, xa^v xal og^odga yeldoeiev äv xxX. An dieser zweiten Stelle lassen die Worte tzeqI (pvoEoog ndorjg EJiav- lövxa xfjg xcbv ocojudxcov keinen Zweifel, daß Plato bei dem wissen- schaftlichen Arzte an Hippokrates denkt. Dann ist es wohl kaum ein Zufall, daß wir unmittelbar vorher die Worte e^ OLQyJ]g dnxo- fjLEVOv xov vooYjfxaxog und genau so IV 720 D E^exd^cov an' dgyrjg xal xaxd cpvoiv (xd voorjfiaxa) lesen und daß uns dieses selbe e^ äQxfjg im selben Zusammenhang de prisca med. 20 und zweimal in der verwandten Stelle von de victu begegnet. Wenn ferner Plato IX 857 D den wahren Arzt so charakterisirt: xov (pilooocpElv Eyyvg yodiixEvov xoTg Xoyoig, so werden wir die Worte in de prisca med. 20 xeivei Öe avxoTg 6 löyog ig cpdooo(ph]v wohl so interpretiren müssen, daß nicht erst der Gegner diese Kennzeichnung der hippokratischen Auffassung gegeben, sondern Hippokrates selber die Beschränkung auf ein enges Fachwissen für unzulänglich angesehen und die cpiXooocpir] für notwendig er- klärt hat. Wichtiger ist etwas andres. An beiden Stellen der Gesetze stellt Plato den „ freien" Ärzten von der Art des Hippokrates die , Sklaven" gegenüber, die zwar auch Ärzte heißen, in Wirkhchkeit aber nur Diener der Ärzte sind (720A) und es meist auch mit der Sorge für die Sklaven und niederen Leute zu tun haben. Dem ent- spricht ihre banausische Auffassung ihres Berufs. Es sind Leute, die sich sklavisch an das empirisch Angeeignete halten, die xaTg EjUTiEiQiaig ävEv Xoyov xrjv laxQixrjv /xExayEiQiCovxai (857 D), die xax' EfiJiEiQiav xijv XE^vt-jv xxcbvxai, xaxd cpvoiv ös {.nq (7 2 OB), 410 M. POHLENZ xal ovre rivä Xoyov ixdoTOv tcsqi vooijjuarog eyAoiov ra)v üIxE" rcöv ovöelg rcöv roiomcov largcöv didcooiv ovÖ^ djiodeyeTai, tiqoo- TOL^ag d' avxä) xä öo^avxa e^ efxneiQiag wg äxQißcög eldcbg . . , ol'x€T:ai' äjio7irjöi]oag Jigog äXXov xäf.ivovxa olxhrjv (720 G). Daß die Einzelheiten dieser Schilderung durch Piatos eigene philoso- phische Anschauung (z. B. öo^avxa — elddig) wie auch durch die Tendenz, die er hier verfolgt, bestimmt sind, ist klar. Aber wie steht es mit der Scheidung der beiden Richtungen selber? Wenn Plato diese benützt, um für seine eigene Methode in der Gesetz- gebung etwas zu entnehmen, möchte man doch meinen, da& die Scheidung in der medicinischen Welt selbst anerkannt war. Hat also schon Hippokrates selber seine Wissenschaft, bei der er überall die Ursachen der Krankheiten wie der Arzneiwirkungen angibt und dadurch Rechenschaft für seine Maßnahmen abzulegen imstande ist, in Gegensatz zum rein empirischen Betriebe gestellt, hat er den Gegensatz EfxneiQia — xe'x^vrj formulirt? Ich habe dieses Problem schon in meinem Buche Aus Piatos Werdezeit S. 134 ff. behandelt und kann mich deshalb kurz fassen. Wenn zunächst als Kriterium der medicinischen xeivyj in den Ge- setzen bezeichnet wird, daß sie durch Angabe der Gründe Rechen- schaft über ihr Verfahren abzulegen vermag, so finden wir dasselbe schon Gorg. 465 A: xeyvr]v ök avx/p' (sc. Ti]v öy,v dg^ip' axtov xe D.aßs xai Xaßcbv i^iaxaxo, fiohg xe dqPE^Eig iv dyQco tjovxog snxa sit] xä Xoind xov ßiov 8iriyayE, xai sni ys x6 fivfjixa avxov xovxo EJisyQaipEV oxi '2ifxihg ev- xav'^a XEixat ßiovg (iev hrj xöoa, l^rjoag 8e extj Inxd'. Diesen Auszug aus Dio bieten sowohl Xiphilinus als auch die Exe. Const. II (De virtut. et Vit.) 2 p. 369, n. 298. 299 (ed. Roos), ferner Zonar. XI 24 p. 76 Dind. III. In den Exe. de sent. (Exe. Const. IV p. 2.56 ed. Boissevain), n. 111. 112 (Petr. Patr. ?) ist diese Notiz, da sie bei Dio unter Hadrian erzählt ist, so abgefaßt, als ob sieh alles dies zur Zeit Hadrians ereignet hätte, Si- milis also erst unter Hadrian Centurio gewesen wäre ; aueh raaeht dieses Excerpt (und einige andere, s. Boissevain, Dio-Ausgabe III 238f.) aus IV?; xöoa in der Grabschrift hrj jiEvxi'jxovxa, so aueh die Exe. Salmas. (Cramer, Aneed. Gr. Paris. II 396 = FHG IV 581, 114, aueh in Boissevains Dio- Ausgabe III 765 f. abgedruckt). Einen Teil davon nimmt in ähnlicher Weise der Anonymus (Leo Gramm.?) Cramer a. a. 0. S. 284 auf und fast wörtlich übereinstimmend Kedren. I 438. Bei Kedrenos haben einige Hss. nach der Mitteilung des Leunelavius og (= 76), was offensichtlich aus xöoa verdorben ist (Boissevain z. St.). Wir erfahren aus Dio nur, daß er an Jahren älter war als sein Amtsnachfolger Turbo. SER. SÜLPICIUS SIMILIS 423 gegangen zu sein; denn der Scholiast zu Pers. sat. II 1 erwähnt sie als Beispiel, wenn auch recht ungenau und ohne Nennung des Simihs. Die Gardepräfektur des Similis wird aber auch in der Vita Hadriani (c. 9, 5. 6) verzeichnet. Hadrian entheß, heifst es, die beiden Präfekten, denen er die Herrschaft verdankte, (P. Acihus) Attianus^) und Simihs; ihre Nachfolger wurden (lulius Priscus Gal- lonius Fronto Q. Marcius) Turbo (Publicius Severus)^) und Septicius Clarus. Schon daraus geht hervor, daß Similis und P. Acilius Attianus bereits unter Traian Praefecti praetorio waren und es in der ersten Zeit Hadrians noch blieben. Bestätigt finden wir das durch die Nachricht Dios (-Xiphil.) LXIX 1, 2 (vgl. Zonar. XI 23 p. 71 Dind. III), daß Attianus im Verein mit Plotina dem Hadrian nach dem Ableben Traians zur Herrschaft verhelfen habe^). Nun kennen wir aber einen Praefectus annonae Sulpicius Similis unter Traian, und zwar aus Ulpians Monographie De officio praetoris tutelaris*). Ulpian handelt hier über die Gründe, die von der Verpflichtung zur Übernahmxe der Vormundschaft befreien. Zu den davon Enthobenen gehörten auch die Mitglieder des Gollegs der Bäcker, soweit sie einen selbständigen Betrieb führen, der eine be- stimmte Menge Brots erzeugen kann; Ulpian beruft sich dafür auf einen Brief Traians an Sulpicius Similis. Dessen Amt ist zwar I 1) V. Hadr. 1, 4 ist celium taeianum im cod. Bamb., caelium tattia- num im Palat. überliefert; sonst (von anderen Corruptelen abgesehen) Attianus. Den richtigen Namen hat Hülsen, Rom. Mitt. XVIIl 190.3, 64—67 aus der Inschrift (CIL XI 7248) eines in Elba gefundenen Altars festgestellt. 2) Vgl. über ihn Dessau, Prosop. imp. Rom. II 339, 179. Den volleren Namen erfahren wir durch eine Inschrift aus Rapidum in Mauretanien, die Pallu de Lessert, Bull. soc. nat. des antiqu. de France 1911 p. 167 f. veröflfentlicht hat, auch Bull, des trav. bist. 1911 p. 93, dazu Cagnat p. 135 (= Ann. epigr. 1911 n. 108). 3) Nur die Exe. Salmas. (s. oben) schreiben dem Kaiser Hadrian die Übertragung des Gardecommandos an Similis zu, ganz zu schweigen von dem erwähnten Anachronismus, den die Exe. de sent. begehen. 4) Fragm.Vat. 233 Ulpianus de officio praetoris tulelaris. Sed qui in collegio pistorum sunt, a tutelis excusantur, si modo per semet ipsos pistri- num exerceant; sed non alios puto excusandos, quam qui intra numerum constituti centenarium pistrinum (vgl. Gai inst. I 34) secundum litteras divi Traiani ad Sulpicium Similem excerceant; quae omnia litteris praefecti annonae significanda sunt. 424 A. STEIN nicht ausdrücklich angegeben ; aber nicht nur der Zusammenhang zeigt, dafs es sich um einen Praefectus annonae handelt, da diesem das corpus pistorum unterstellt war, sondern auch der Zusatz, daß das Zutreffen aller dieser Voraussetzungen durch den Praefectus annonae bestätigt werden müsse. Auch fragm.Vat. 235 liegt ein Reskript Hadrians an den Praefectus annonae in einer denselben Gegenstand betreffenden Frage vor. Die Ulpianstelle nun, die uns den Gentilnamen des Similis und eine wichtige Stufe in seiner Beamtenlaufbahn kennen lehrt, bildete damit die Brücke zur Deutung einer Inschrift aus Ägypten, in der ein Präfekt von Ägypten Sulpicius Simius genannt wird. Die In- schrift ^) befindet sich auf einer quadratischen Ära, die vor den Eingangsstufen zum Serapistempel am Djebel Fatire, dem antiken Mons Glaudianus, gefunden wurde. Drei Seiten der Ära sind be- schrieben ; die Vorderseite, nur lateinisch, tPägt die Inschrift an. XII Imp. Nerva Traiano Caesare Aug. Germanico Dacico per Sulpicium Simium pracf. Aeg., auf der linken (s. unten S. 425 Anm. 2) Seitenfläche steht gleichfalls lateinisch Föns felicissinms Traianus Daciciis, auf der rechten griechisch "Ydqevfxa svrvxs- oraxov Tqaiavbv Aaxixov ; aufserdem liest man auf den Plinthen dieser drei Seiten Ajiijiiojvi{o)g (1.), Krjocjoviov (r.), MaXXirrjg (Vorderseite)^). Die Inschrift gibt also den Namen der Örtlichkeit an; es ist eine um die Wasserstation an der Karawanenstrafse vom Nil zum Roten Meere angelegte befestigte Niederlassung, die den Namen Föns Traianus {^'YÖQEVfia Tgaiavör) führte, offenbar weil die Anlage der Station eben damals durch Traian erfolgt ist. Die Ruinen des dazugehörigen Kastells sind noch erhalten^). Die Inschrift ist von Wilkinson gesehen und copirt worden; seine Ab- schrift bietet das Cognomen in der Form Simium. Nun hat zu- erst schon der italienische Gelehrte Giovanni Labus*) die Identität des hier genannten Präfekten mit dem Praefectus annonae Sulpicius Similis und dem Praefectus praetorio Similis gesehen und daher 1) CIG III 4713 c = CIL III 24 (dazu p. 968; = Dessau II 5741 = Cagnat IGR I 1259. 2) Es ist der Name des Architekten: Ammonius, der Sohn des Cae- sonius, aus Mallos (in Kilikien) ; vgl. Letronne, Recueil des inscr. I 424f. 3) Vgl. auch Baedeker, Ägypten' (1913) 357. 4) G. Labus, Di un epigrafe latina scoperta in Egitto, Milano 1826, j). 101. Über die Autorschaft des Labus (gegenüber Borghesi) s. Canta- relli, La serie dei prefetti di Egitto I (1906) 8 f. SER. SULPICIUS SIMILIS 425 das überlieferte Siniiion in Sünilcni emendirl. Das 12. Jalir Tra- ians in Ägypten entspricht der Zeit vom 29. August 108 bis 28. August 109. So ist die Ämterlaufbahn des Mannes noch klarer. Er begann also im militärischen Dienst und war noch nach der Thronbesteigung Traians (im J. 98) nur Centurio ^), ist aber, was sich bei der Bevorzugung erklärt, deren er sich bei dem Kaiser er- freute, sehr rasch avancirt, so dafi er binnen 10 Jahren die vor- nehmsten ritterlichen Ämter bekleidete, erst die Praefectura anno- nae, dann die Statthalterschaft von Ägypten und noch vor dem Tode Traians (im August 117) die höchste für einen Mann ritterlichen Ranges erreichbare Stufe, das Gardecommando. Gegen die Emendation des Labus hat aber erst Letronne^) und dann Franz (GIG a. 0. und p. 312 I) Einsprache erhoben; sie halten an der Abschrift VVilkinsons fest, da dieser sonst sehr genau ist. Und auf Grund dieser Abschrift hat Letronne (vgl. I 115. 421) den Namen des Präfekten in derselben Form auch in einer andern Inschrift aus dem nämlichen Jahr eingesetzt. Es ist dies die Bau- inschrift des Tempels von Panopolis, der dem Gotte Pan, der Haupt- gottheit in dem Gau, geweiht war, bei Letronne I 103 — 119, n. XIII, pl.VIb und (nach einer etwas besseren Gopie) f, dann von Franz edirt GIG III 4714 (dazu p. 1191). Der Name des Präfekten in Z. 5 ist gewaltsam ausgekratzt und daher bis auf geringe Reste nicht erhalten. Nach diesen (ihm durch verschiedene Abschriften überlieferten) Resten glaubte nun Letronne mit Rücksicht auf die Inschrift vom Föns Traianus ergänzen zu können im [ÄevH]iov \2^ovXnixiov ^ijxiov e7i\dQxov Alyvnrov. Lepsius, der die In- schrift selbst sah und copirte, hat seine sehr viel bessere Abschrift in den Denkm. aus Ägypten und Äthiopien Bd. XII Abt. VI Bl. 75 1) Wahrscheinlicli, wie Ritterling (briefb'ch) meint, schon Primipilus mit Ritterrang. 2) Letronne, Recueil I 420—425, n. XXXIX, pl. XV 4 auf Grund der ihm von Wilkinson geschickten Copie, vgl. auch 1 152. Hier (wie im CIG) ist die griechische Inschrift auf der linken, die lateinische auf der rechten Seite eingezeichnet (danach auch beschrieben I 424), und ebenso Kt]oo}viov auf der linken Plinthe, ^Afifi(i)vi{p)g rechts. Mommsen gibt CIL a. 0. die lateinische Inschrift der Seitenfläche links, wie ich meine, mit Recht. Denn der lateinische Text geht in bilinguen In- schriften immer voran und auch die oben gegebene Namenfolge auf der Plinthe weist auf diese Anordnung hin. Auch Cagnat IGR l 125Ü folgt dieser Anordnung. 426 A. STEIN Nr. 24 wiedergegeben^). Überdies besitzen wir zu dieser Abbildung seine Tagebuchnolizen in den aus seinem Nachlaß von Naville, Borchardt und Sethe herausgegebenen Textbänden zu den Denk- mälern II (1904) 162. Lepsius nimmt die Ergänzung Letronnes mit Rücksicht auf die Größe der Lücke als im wesentlichen richtig an, stellt aber fest, daß zu Beginn em Faiov trotz der Rasur deut- lich sei ^), so daß er dem Präfekten den Vornamen C. statt L. gibt ^), das Cognomen Simius aber beibehält. Dabei ist jedoch über- sehen, daß der Präfekt, dessen Name hier genannt ist, nicht wie der in der Inschrift vom Föns Traianus genannte im J. 109, son- dern vorher an der Spitze Ägyptens gestanden hat. Denn der Statthalter, dessen Name ausgemeißelt ist, wird nur genannt, um den Beginn des Tempelbaus zu datiren {em . . . ejrdgxov Äiyv- 71T0V ^jo^GTO rö eQ-yov), während das Datum 19. Pachon*) des 12. Jahres Traians = 14. Mai 109 sich auf die Vollendung (ovv- ereXeo^y] de) bezieht. Nun wissen wir aber, daß bis mindestens zum 26. März 107^) C.Vibius Maximus im Amte war, und tat- sächlich finden wir seinen Namen auf mehreren Denkmälern ausradirt (CIL III 14148 2 und Cagnat IGR I 1175)6). ßei Sulpicius Similis aber — denn er ist, wie aus den weiterhin anzuführenden Beispielen ersichtlich ist, der unmittelbare Nachfolger des G. Vibius Maximus und er ist sicher der auf dem Stein von W^adi Fatire genannte Präfekt, einerlei wie dort die Überlieferung lautet — kann es sich nach dem, was wir über sein Ende wissen, keinesfalls um eine Tilgung seines Namens infolge einer Damnatio memoriae handeln. Es ist daher aller Wahrscheinhchkeit nach auch in der Tempel- 1) Auch bei Cagnat IGR I 1148 findet sich die Inschrift. 2) Von den übrigen Namen will Lepsius CO CI . lOY er- kennen. 3) Labus hatte anstatt [Aevx]iov den Vornamen [novß?.]iov ergänzt j vgl. auch Borghesi, Oeuvres VI 280. 4) Im CIG ist das Tagesdatum unrichtig edirt. IJa/cov le anstatt i&'. 5) P. Amh. II 64. C. Minicius Italus war nicht der Nachfolger des C. Vibius Maximus, wie noch Dessau, Prosop. Imp. Rom. III 423, 389 und P. Meyer in d. Z. XXXII 1897 S. 213 annahmen, sondern dessen Vor- gänger. 6) Dabei soll hier unerörtert bleiben, ob wir ihn in dem Maximus des P. Oxy. III 471 erkennen und einen Fingerzeig für die Ursache seiner Verurteilung erblicken wollen oder nicht (vgl. Wilcken, P. Arch. IV 381; Zweifel äußert P.M.Meyer, Berl. phil.Woch. 1907 S. 465). SER. SÜLPICIUS SIMILIS 427 inschrift von Panopolis der Prüfekt, dessen Name gewaltsam aus- gemeißelt ist, niemand anders als C. Vibius Maximus ^). Dazu paßt von den Resten des Namens allerdings nur der Vorname ganz, nicht die andern Buchstabenreste, die Lepsius anführt (s. oben S. 426 Anm. 2). Doch scheint bei der Wiedergabe dieser gewiß nur ganz undeutlich zu erkennenden Zeichen die Suggestion durch den von vornherein angenommenen Namen mit eine Rolle gespielt zu haben. Zur Not ließe es sich erklären, daß unter diesen er- schwerenden Umständen CO anstatt OY und Gl . lOY anstatt EIMOY gelesen wurde. Nun hat aber W. Schwarz (Jahrb. f. kl. Phil. CLI 1895 S. 640) geglaubt, gegen Labus'^), dem auch Mommsen (zu CIL III 24) bei- stimmt^), die Ansicht Letronnes und Franz' wieder zu Ehren bringen zu können, bewegt sich jedoch dabei in einem seltsamen Girculus vitiosus, denn er beruft sich auf Lepsius, ohne zu bemerken, daß hier nur eine Ergänzung aus der andern Inschrift vorliegt. So ist die Form Simius nicht, wie Schwarz meint, durch beide In- schriften bezeugt, sondern beruht nur auf Wilkinsons Abschrift der einen vom Föns Traianus. Schwarz geht aber noch weiter, indem er nicht nur dem Präfekten den Namen C. Sulpicius Simius zu- schreibt, sondern auch eine Gleichstellung mit dem bei Dio er- wähnten Similis ablehnt (von Sulpicius Similis in der Ulpianstelle ist hier keine Rede), und er hat Zustimmung bei Boissevain (in seiner Dio -Ausgabe III 237 Anm. zu Z. 12) gefunden (s. auch unten S. 428 Anm. 2). Die Identität der an allen den erwähnten Stellen genannten Persönlichkeiten nimmt zwar Dessau, Prosop. Imp. Rom. III 289 f., 735 selbstverständlich an, aber auch er glaubt noch, 1) Icli hatte diese Vermutung schon früher ausgesprochen (bei Can- tarelli a. 0. I 42), doch fehlt da noch die nähere Begründung. Seither habe ich bemerkt, daß auch schon Franz (bei Letronne II 535 und CIö z. St.) an diese Möglichkeit gedacht hatte. 2) Er citirt Labus (Di un' epigrafe latina S. 100 ff.) und Borghesi (Epigr. scop. in Egitto S. 111); das letztere gibt es natürlich nicht, son- dern Schwarz hat einfach die Notiz Mommsens zu CIL III 24 mißver- standen: Lahus sive Borghesius epigr. scop. in Egitto p. 111 (Druckfehler anstatt 101). S. oben S. 424 Anm. 4. 3) Auch Henzen in seiner Inschriftsammlung (Orelli - Henzen III 5309, obwohl er in der Edition sowie Orelli I 803 an dem überlieferten Text festhält) und Hirschfeld, Philolog XXIX 1870, 30; Rom. Verw. I 225, 33. 428 A. STEIN daß der Name Siniilis in Ägypten mit Angleichung an das Grie- chische 2^iju(/u)iog geschrieben wurde, und er wird in dieser An- nahme bestärkt durch einen Papyrustext (BGU I 140 = Mitteis, ehrest, d. Pap. 373 = Bruns-Gradenwitz '' 196), der früher unrichtig gelesen worden war^). Es ist eine Epistula des Kaisers; der Kaiser- name war von Wilcken in Z. 3 TQat[a]vo[v Kaioagog xov xvQio\v ergänzt und der Name des Empfängers in Z. 10 2!ijiijuie gelesen worden 2). Eine erneute Revision des Textes durch Wilcken (in d. Z. XXXVII 1902 S. 84—90) ergab aber statt dessen den Namen Tdjii/iue, also Q. Rammius Martiahs, der Kaisername kann daher nur Tga- i[a]vo[v "Adgiarov 2^eßaoTo]v lauten und das an sich nicht ganz sichere 3. Jahr wird bestätigt durch die Consulatsdatirung. Es scheiden somit zwei von den Zeugnissen für die Namensform Sim(;m)ius aus; der Gebrauch von Siniius anstatt Shnilis reducirt sich ledig- lich auf die Wilkinsonsche Copie der Inschrift von Wadi Fatire, und hierin steckt oh.ne Zweifel ein Fehler^). Denn der Präfekt von Ägypten Sulpicius Similis ist uns seither durch eine ganze An- zahl anderer Urkunden aus Ägypten bekannt geworden, und in allen diesen wird er mit seinem richtigen Cognomen genannt. Der früher (S. 426 A. 5) erwähnte P. Amh. II 64 (vgl. 65) nennt ihn 2Jov/.myuo\g] ^ifuXig ohne Titel; aus dem Zusammenhang geht aber unzweideutig hervor, daß es nur der Präfekt sein kann. Dieser Papyrus läßt uns auch ziemlich genau den Zeitpunkt erkennen, in welchem Sulpicius Similis die Verwaltung Ägyptens antrat; er ist datirt nach dem 10. Jahr des Kaisers Traian, 29. Aug. 106—29. Aug. 107. Da aber nach dem Zeugnis derselben Urkunde am 26. März 107 noch C. Vibius Maximus als Präfekt tätig ist, so muß Similis zwischen diesem Tage und dem 29. August 107 nach Ägypten ge- kommen sein. Auch in dem Auszug aus einem Prozeßprotokoll, den 1) Auch in den Inscr. sei. zu n. 5741 bemerkt Dessau (Anm. 3): 2ifiiog vel 2'i/ii/j.tog pltrumque dictns in Aegypto. 2) P. M. Meyer hat dann (in d. Z. XXXII 1897 S. 215 f.) diesen Adi-es- saten als den Präfekten von Ägypten erkannt und mit dem vermeint- lichen Sulpicius Simius identificirt, zugleich aber sich die Ansicht von Schwarz zu eigen gemacht, daß Sulpicius Similis von diesem verschieden sei (später hingegen auf Grund des seither bekannt gewordenen Mate- rials diese Ansicht richtiggestellt, Berl. phil. Woch. 1907 S. 464f.). 3) Ich möchte dafür auch die sonst allerdings sehr mangelhafte Abschrift von Brocchi anführen, der hier SPIMILIM hat (CIL III p. 968). SER. SULPICIUS SIMILIS 429 wir P. Amh. II 65 lesen, ist ^LovXnixtog üifxiXiQ ohne Titel und ohne Datum genannt, während für Vibius Maximus der 19. April lü5 an- gegeben ist. Ein bisher unverüfi'entlichter Heidelberger Papyrus, den Wilcken in d. Z. XXXVII 1902 S. 88 citirt, nennt lovXnimog ZifJLiXig als Präfekten von Ägypten für das 11. Jahr (107/8); für das 12. Jahr ist er durch die Inschrift vom Föns Traianus bezeugt. Das späteste Datum aus seiner Verwaltungsperiode besitzen wir in dem gleich- falls noch unveröffentlichten Wiener Papyrus (vgl. Gantarelli a. 0.), den ich dank der Freundlichkeit Wesselys einzusehen Gelegenheit hatte. Auch hier ist nur der Name ZovXniy.iog Zi/xiXig ohne den Titel gegeben und die Datirung exovg is ßeov ^) Tqaiavov ^a^ie- vcl)§ xe, das ist der 22. März 112. Als Terminus ante (piem für das Ende der Präfektur des Sulpicius Similis kann der 25. Februar 114 gelten, weil im Phamenoth des 17. Jahres schon sein Nach- folger M. Piutilius Lupus im Amte war^). Haben alle diese Texte eine so genaue Fixirung der Präfektur des Sulpicius Similis ermöglicht, so hat ein anderer Papyrus bzw. seine Lesung und Erklärung durch die Herausgeber dazu bei- getragen, die Forschung zu verwirren. Es ist der umfangreiche sog. Dionysia- Papyrus (P. Oxy. II 237). In der Eingabe der Dio- nysia wird eine Reihe von Entscheidungen und Erlassen früherer Präfekten mitgeteilt, darunter (col. VIII 21 — 27, mit dem angehäng- ten Erlaß des M. Metlius Rufus bis Z. 43) ein Edikt {i:if.dXidog diaTayjud), das im Wortlaut folgt: (PXdoviog ZovXnixiog ZijuiXig e'jiagl'/ßg] Aiyvnjou Xeyei' xxX. Das Datum (Z. 27) dieses Erlasses ist {exovg) xy 'A&vq iß', es sind also die Lesungen der entscheiden- den Ziffern unsicher. Von diesem Erlaß ist auch an einer andern Stelle der Urkunde die Rede, col. IV 36: ZijLu?udog xov f]ye[juo]- vevoa[vxo]g . . . ejiioxoXtjv, und ebenso von andern Entscheidun- gen desselben Präfekten VI 27: xgioeig Z[i]iuiXtdog, doch läßt sich hieraus für die Datirung nichts weiter gewinnen. Die Herausgeber Grenfell und Hunt nehmen an, daß es sich wegen der Auslassung des Kaisernamens nur um Jahre der laufenden Regierung, d. i. die des Commodus, handeln könne; dies führt, wenn die angenommene Lesung richtig ist, auf den 8. November 182. Aber selbst wenn diese Lesung nicht richtig wäre, käme nur ein Spielraum von 1) Der Papyrus stammt aus einer späteren Zeit. 2) Vgl. meinen Artikel bei Pauly-Wissowa-Kroll RE, Zweite Reihe I 1263; Pharmuthi steht hier versehentlich anstatt Phamenoth. 430 -^- STEIN wenigen Jahren in Betracht; denn die Zählung der Regierungsjahre des Gommodus beginnt beim Antritt seiner Alleinherrschaft mit dem J. 20, und vom J. 25 angefangen sind als Präfekten schon Longaeus Rufus und sein unmittelbarer Nachfolger Pomponius Faustianus aus der Eingabe selbst bekannt, die an den letztgenannten Präfekten gerichtet ist. Daher könnte, wenn die gelesene Zahl 23 nicht richtig ist, nur 21 bis höchstens 25 angenommen werden, also 180 — 184 n. Chr. In der Tat ist das oben erwähnte Datum un- annehmbar; denn zu diesem Zeitpunkt war, wie wir sicher wissen, noch Veturius Macrinus im Amte. Deshalb schlägt Gantarelli (a. 0. I 60) die Lesung y.b' vor, die auf das einzige Datum inner- halb des angegebenen Zeitraumes führe, zu welchem bis jetzt kein Präfekt nachweisbar ist ^) ; das wäre also der 8. November 183. Doch scheint mir die Schlußfolgerung auf Gommodus überhaupt nicht zwingend; der Kaisername in der Jahreszahl kann auch aus Versehen oder Flüchtigkeit weggelassen sein. Ich hatte daher ver- mutet 2), daß wir es hier nicht mit einem Statthalter aus der Zeit des Gommodus, sondern vielmehr mit dem uns schon bekannten Präfekten Sulpicius Similis zu tun haben, daß somit die undeutlich erhaltene Jahreszahl statt y.y vielleicht ly zu lesen sei, was sich auf die Regierung Traians beziehe; dann würde das Datum zu der uns bekannten Amtszeit dieses Präfekten vortrefflich passen. Doch möchte ich auf diese Zahl auch nicht allzuviel Wert legen, nur darauf, daß es sich um unsern Sulpicius Similis und daher um Jahre Traians handelt. Daß auch ly gelesen werden kann, haben die Heraus- geber selbst zugegeben (P. Oxy. IV p. 262), sie haben aber meine Gonjectur doch nicht angenommen, und Gantarelli (a. 0. 1 43. 60) sowie P. M. Meyer, Berl. ph iL Wo eh. 1907 S. 465 sind ihnen darin gefolgt, weil der Name des Sulpicius Similis auch in einem andern Oxyrhynchospapyrus (P. Oxy. IV 712) genannt ist, der sicher aus späterer Zeit stammt, und zwar, wie die Herausgeber meinen, aus der Zeit des Gommodus, jedenfalls aber nach dem 10. Regierungs- jahr des Pius (146/7), das hier Z. 13 erwähnt ist. In Z. 22, die nur zu einem geringen Teil erhalten ist, lesen wir den Namen ZovlniyAov Ziiii\)?\EOK ohne erkennbaren Zusammenhang; es läßt sich nicht einmal ersehen, ob auch der Titel hier angegeben war. Unter diesen Umständen beweist die Nennung dieses Namens doch 1) Strenggenommen müßte man doch auch den 8. Nov. 180 zulassen. 2) Jahresh. d. österr. archäol. Inst. III 1900 Beibl. 209. SEE. SULPICIUS SIMILIS 431 wirklich nicht im geringsten, daß Sulpicius SimiHs zur Zeit des Commodus Präfekt von Ägypten war. Auffälhg bleibt nur noch, dafs im P. Oxy. II 237 col. VIII 21 der Name des Präfekten Flavlus Sulpicius Similis lauten soll, wäh- rend er sonst nirgends den Namen Flavius führt. Aber auch die Lösung dieses Rätsels ist, wenn ich recht sehe, nunmehr möglich. Sie wird uns geboten durch den Text der Felseninschrift von Dehmit im nördlichen Nubien, die wir jetzt bequem bei Preisigke, Sammelb. 3919 lesen. Sie enthält eine auf Befehl des Statthalters durch den Gohortenpräfekten vorgenommene Grenzregulirung: e^ Evxelevoeog (sie) Zeqoviov ZovXnixiov 2!tjuiXeog xov XQaxioTOv -^yejiiovog vom 29. März 111 (3. Pharmuthi im 14. Jahre Traians), also in der Zeit, in der der bisher besprochene Sulpicius Similis sicher Präfekt von Ägypten war. Hieraus erst erfahren wir seinen richtigen und vollen Namen, Ser. Sulpicius Similis. Das Pränomen Servius war ja auch seit jeher bei den Sulpiciern sehr verbreitet; und ich zweifle nicht, daß auch in dem Dionysiapapyrus VIII 21 anstatt <^läovioq richtig Zegoviog zu lesen sei '). In diesem Fall hätten wir auch einen Beweis mehr dafür, daß hier der Präfekt unter Traian gemeint ist. In die nun von 107 bis mindestens 112 bezeugte Amtszeit dieses Präfekten fällt auch P. Fay. 117 vom 15. Januar 108, wo (Z. 5 f.) ein xQäreioxog rjyEfXfhv erwähnt ist (vgl. auch 119, 11 fjyefiovog); hier kann natürlich auch nur Ser. Sulpicius Similis ge- meint sein. Hervorzuheben ist, daß wir seit kurzem seine Verwaltung 1) In der Edition ist allerdings kein Zeichen einer unsicheren Lesung des ^Idoviog angedeutet, und die Zeitverhältnisse gestatten es dermalen nicht, in Oxford anzufragen und den Papyrus nachprüfen zu lassen. Aber selbst wenn dort ^kdoviog stünde, würde dies keine starke Instanz gegen meine oben geäußerte Vermutung bilden, da das ganze Schriftstück sich aus einer Reihe später und zum Teil sehr flüchtiger Copien und stark verkürzter Excerpte zusammensetzt, in die sich leicht ein solcher Schreibfehler einschleichen konnte. [Nachtrag. Mittler- weile konnte ich durch die gütige Vermittlung Prof. Hitzigs in Zürich (dem hierfür an dieser Stelle aufrichtiger Dank ausgesprochen sei) von Grenfell, der das Original einer erneuten Durchsicht unterzog, eine volle Bestätigung meiner Vermutung erlangen : „ I hare looked, at P. Oxy. 237 VIII 21 and the correct reading is ZeQoviog {not ^Xaoviog), as Arthur Stein suggesfs."] 432 A. STEIN Ägyptens auch durch ein außerhalb Ägyptens gefundenes Zeug- nis belegen können, nämlich durch ein Inschriftfragment aus Kar- thago^), wo von seinem Namen nur .... Siinü .... erhalten ist, weiterhin der Titel [p]rac/'. Aeg., auch die Bekleidung eines Priester- amtes und die Beteiligung an einem Kriege. Wir besitzen noch ein Denkmal, das den Namen Sulpicius Similis nennt; es ist die stadtrömische Grabschrift CIL VI 31865; doch scheint es mir höchst unwahrscheinlich, daß hier unser Ser. Sulpicius Similis gemeint ist, da sonst wohl seine Ämterlaufbahn angegeben worden wäre. Muß schon hier die von Borghesi (Oeuvres III 235 f.) vermutete Identität als zweifelhaft bezeichnet werden, so hängt eine andere von Borghesi (ebd. 127, vgl. auch X 42 — 44) ohne weiteres angenommene Gleichstellung völlig in der Luft: es besteht nicht der geringste Anhalt dafür, daß wir es CIL VI 259 = Dessau II 8643 (Genio Si)}iilis familia) mit unserem Präfekten zu tun haben. Dem raschen und glänzenden Aufstieg des Ser. Sulpicius Simihs vom Genturio zum Vicekönig von Ägypten entsprach das weitere Vor- rücken nicht. Bis 112, höchstens 113 war er Statthalter von Ägypten und erst 117 (kaum frülier, da ja Dio berichtet, daß er nur kurze Zeit die Gardepräfektur innegehabt habe) Praefectus prae- torio, w^ährend in vielen andern Fällen das Gommando über die Prätorianer unmittelbar nach der Präfektur von Ägypten über- nommen wird. Die Erklärung dafür liegt eben darin, daß Similis, wie wir aus Dio erfahren, sich nur widerstrebend zur Übernahme des vornehmsten ritterlichen Amtes bereit erklärte, zu dem ihn der 1) CIL VIII 24587: .... Simil ß]amen p hello Ra p]raef. Aeg In Z. 2 wäre flaiiien Palatualis, vielleicht auch ßamen Pomonalis möglich (vgl CIL III 12732). Die Vermutung Reglings, daß Z. 3 hello Raelico denkbar sei, ist allerdings sehr unsicher. Ritterling, an den ich mich brieflich wandte, hatte die Freundlichkeit, mir zu antworten: „Ein bellum Raeticum zu Traians oder Hadrians Zeit gibt es nicht; jedenfalls können in einem solchen dona militaria nicht verliehen worden sein. Mir scheint es nicht ausgeschlossen, daß statt R vielmehr P auf dem Steine steht oder stehen sollte: also Pa[rthico]. Sulpicius Similis kann als Praefectus praetorio und Comes des Traian im orientalischen Kriege decorirt worden sein. Aber auch das ist natürlich ganz unsicher." SER. SULPICIUS SIMILIS 433 Kaiser in Würdigung seiner Verdienste berief. Wahrscheinlich hatte er sich schon nach der Rückkehr aus Ägypten dem otium cum dignitate hingeben wollen, das ihm erst unter Hadrian zuteil wurde. Unsere Untersuchung hat also gelehrt, einmal, daß G. Sul- picius Simius ^), C. Sulpicius Similis und Flavius Sulpicius Similis zu streichen sind; es hört ferner die Zweiteilung des Sulpicius Similis in einen Präfekten Ägyptens unter Traian und einen unter Commodus, unter dem es in Wahrheit keinen dieses Namens ge- geben hat, auf, und es schwindet endlich jeder Zweifel, daß der uns durch so viele Texte bekannte Vicekönig von Ägypten in den Jahren zwischen 107 und 113, Ser. Sulpicius Similis, identisch ist mit dem Manne, der unter Traian erst Centurio, dann Praefectus annonae und zu Ende der Regierung dieses Kaisers sowie zu Beginn der Herrschaft Hadrians Praefectus praetorio gemeinsam mit P. Acilius Attianus war. Prag. ARTHUR STEIN. 1) Speciell dieses Ergebnis hatte bereits "Wilcken nach seiner ver- besserten Lesung zu BGU 1 140 gewonnen; aber die Zahl der Zeugnisse hat sich seither erheblich vermehrt. Hermes LIII. 28 DIE HEIMAT DES EPIGRAMMATIKERS POSEIDIPPOS. Es ist bisher unbekannt gewesen, woher der Epigrammatiker Poseidipp stammt. Knaack hatte Alexandria vermutet, mit Gründen, die zu einem solchen Schluß nicht ausreichten. P. Schott hat sie in seiner tüchtigen Dissertation 'Posidippi epigrammata collecta et illustrata' (Berlin 1905) widerlegt und seinerseits vermutet (p. 113): Posidippus . . . in una aut prope unam ex maris Aegaei insidis non prociil a Mileto natus esse videtur. Die Gründe für diese Annahme sind aber um nichts zwingender als die, welche Knaack auf Alexandria führten. Mit berechtigter Zurückhaltung hat W. Schmid (Christ II 1 ^ S. 117) darauf verzichtet, eine der Hypothesen über die Heimat Poseidipps aufzunehmen. Erst ein wirkliches Zeugnis aus dem Altertum kann da Gewißheit geben. Wie über den Geburtsort, bestand auch über die Geburtszeit keine Sicherheit. Als äußerste Grenzen für die Geburtszeit nahm Schott (p. 46) die Jahre 312 — 290, als engere 307—295 an, mit dem Schluß, daß es geraten sei, möglichst nahe an 300 heran- zugehen. Bestimmend ist dabei für ihn hauptsächlich das Epi- gramm AP V 133 (8 bei Schott; 257 bei Geffcken, Griech. Epigr.) gewesen : KexQOJil QoXvE Xdyvve tioXvÖqooov ix/udda Bd^x^ov, QoXve, ögooiCsoßo) ovjußo?uxi] Jigönooig. oiydodoj Z/]vcov 6 ooq)bg xvxvog ä^) rs KXedv&ovg juovoa ■ jLuXiOi <5' f]juTi> 6 yXvxvjiixQog "Egcog. Schott hat dies Epigramm in sehr weitgehender Weise biogra- phisch ausgedeutet: Poseidipp als Student in Athen zu der Zeit, als Zenon, von Kleanthes unterstützt, die Stoa leitet, Poseidipp aber nicht ganz jung, nicht jiaTg, des ylvxvnixQog "Egcog wegen, also sei etwa 282 — 270 als Abfassungszeit des Gedichts anzunehmen. 1) ?7 Schott, was nicht mehr zulässig ist, vgl. unten S. 439. Auch Pohlenz und Geffcken egalisiren nicht. HEIMAT DES EPIGRAMMATIKERS POSEIDIPPOS 435 Wenn man eine Elegie in dieser Weise biographisch-chronologisch verwertete, würde man heute wohl allenthalben auf starken Wider- spruch stoßen. Sollte dies Trink- und Liebesepigramm wirklich subjektiv aufgefaßt und biographisch wörtlich genommen werden dürfen? Gerhard, Phoinix von Kolophon S, 103f. und 238 f. tut es noch ebenso wie Knaack und Schott (offenbar ohne den letzteren zu kennen) und identificirt den von Phoinix angeredeten TIooEidui- Tiog mit dem Epigrammatiker — was Pohlenz, XdoiTEg für Leo S. 95 ablehnt. Da ist es entschieden ein Fortschritt, wenn Poh- lenz a. a. 0. S. 93 jener älteren Auffassung des Poseidipp-Epigramms gegenüber feststellt: „Daß hier nicht der Student improvisirt, der den ganzen Vormittag studirt hat, zeigt schon die Anrede an die attische Flasche, die ihn offenbar in der Heimat an die attische Studienzeit erinnert. Es soll vielmehr eine ausdrückliche Absage an die Philosophie sein"^). Pohlenz gibt also die Studentenpoesie preis, behält aber den attischen Studienaufenthalt bei. Aber auch da noch kann man fragen: muß ein Epigramma- tiker, um die stoische Modephilosophie und den cpihjdovog ßiog bei Wein und Liebe wirksam zu contrastiren, gerade Student bei den zwei Vertretern dieser Philosophie gewesen sein, die er anführt, um daraus eine lebendige, aktuelle Pointe zu gewinnen ? In Wirk- lichkeit gibt, meine ich, dies Epigramm nur einen chronologischen Anhaltspunkt: während oder nach der Zeit des gemeinsamen Schol- archates ist es gedichtet, aber über Poseidipp selbst gewährt es keinen sicheren biographischen Aufschluß, beweist weder, daß er damals dort Student war, noch gar, daß er es als Student dort verfaßt hatte. Mit anderen Worten: es ist für die poetische Chro- nologie ein terminus post quem, ist aber für das Geburtsdatum des Poseidipp nicht in der von Schott geübten Weise verwertbar. Wir sind also nicht genötigt, möglichst nahe an 300 herunter- zurücken, sondern haben durchaus die Möglichkeit, bis zur obersten Grenze, die Schott angab, also bis etwa 312 hinaufzugehen 2). 1) Von mir gesperrt. Das ist, wie ich meine, durchaus das Ziel des Epigramms. Das andere kann Einkleidung sein, rein als poetische Situation gedacht; ob biographischer Kern darin steckt, können wir nicht mit Gewißheit sagen. 2) Auch G. Pasquali in d. Z. XLVIII 1913 S. 207 A. 6 lehnt Knaacks Chronologie ab : „ um 280 war Poseidippos . . . schon in Alexandrien ; er hat dann das zephyritische Heiligtum der Aphrodite Arsinoe . . . ge- feiert, als sie noch lebte, und zwar sehr officiell. So wird er schwer- 28* 436 0. WEINREICH Und daß wir dazu greifen müssen, beweist ein neues Zeugnis für den Epigrammatiker Poseidipp, das uns vor allem auch den so erwünschten Aufschluß über seine Heimat gewährt. Es ist eine von den bei den griechischen Ausgrabungen in Thermen gefundenen Inschriften mit Proxeniedekreten, deren Abklatsche Rhomaios, der Ephoros Ätoliens und jetzige Leiter der Grabungen, der epigraphi- schen Commission der Kgl. Akademie zu Berlin in liberalster Weise zur Verfügung gestellt hat für das in Vorbereitung befindliche Sup- plement zu IG IX 1. Mit gütiger Erlaubnis der epigraphischen Commission kann diese Einzelheit, die ja von allgemeinerem Inter- esse ist, hier schon bekanntgegeben werden. Die Inschrift (im Museum zu Thermon, Inventar Nr. 68) ist leider unvollständig, so daß das Präskript mit der genauen Datirung durch die eponymen Beamten des ätolischen Bundes fehlt. Aber die Zeit des Textes ist mit ausreichender Genauigkeit durch den Schriftcharakter und durch prosopographische Indicien zu bestimmen. Die in zwei Columnen angeordnete Sammlung von Proxeniedekreten ist aufs sorgfältigste auf dem Stein eingetragen. Die einfach-strengen Buch- stabenformen zeigen noch keine Biegung der Hasten, keinerlei Ver- dickung der Hastenenden oder gar Apices; O und ß sind kleiner als die andern Buchstaben, A hat geraden Querstrich, X, schräge, n noch nicht gleichlange Schenkel, und vor allem das E ist noch vierstrichig. Dem gesamten Schriftcharakter nach ist die Inschrift in die Zeit um 280 zu datiren. Dazu passen die prosopographischen Indicien, die sich, da das Präskript mit Strategen, Hipparch und Schreiber fehlt, aus den Namen der syyvoi ergeben und zu deren näherer Bestimmung H. Pomtow seine fördernde Hilfe geliehen hat, für die ihm auch an dieser Stelle gedankt sei. Gleich in den ersten Zeilen von Gol. A begegnet als Bürge Agdxcov Uohevg. Er ist identisch mit dem Hipparchen Aodxojv no?uEvg, den eine ebenfalls noch unedirte In- schrift aus Thermon (Inv. Nr. 32) bietet, die der Schrift nach etwa der gleichen Zeit angehört, vielleicht etwas jünger ist. Da wird neben Aq6.xcov der Bularch Ävxeag genannt, den Pomtow mit dem Hieromnemon des Jahres 269 (Syll.^ 422) identificirt. Ferner ist unser Aqolxojv aller Wahrscheinlichkeit nach identisch mit dem Vater lieh um 270 oder später, d. h. in der Zeit, als Zenon ein Greis war und Kleanthes schon berühmt sein konnte, noch in seiner Studienzeit ge- standen haben." HEIMAT DES EPIGRAMMATIKERS POSEIDIPPOS 437 Agdxwv in dem schönen Epigramm, das Soteriades im AeXriov dg-/. I 1915 Nr. 35 publicirl und abgebildet hat. Einige Versehen können auf Grund des von Rhomaios gesandten Abklatsches (Ther- men Inv. 33) verbessert werden. Die Schrift ist etwas älter als die unserer Proxeniedekrete und könnte nach Hiller von Gaertringen zu einer Ansetzung um 285 wohl passen. In AQnxcov haben wir endlich noch den Grofsvater des im Jahr 194 bezeugten Agdpccov UoXievg (Syll.3 598 D 12) zu erblicken. Dann erscheint als eyyvog ein Nixavögog Tgixovevg, das ist der mir auch aus andern, noch unveröfi'entlichten Thermoninschriften bekannte Großvater des nachmaligen Strategen Nikander {Bitrov Tqii. a. 190; 184; 177). Weiterhin begegnet NeojiroXsjuog Nav- jidxTiog als Bürge, in ihm erkannte Pomtow den NeonröXe/uog 0VOXOV Ätxoilog, der 274 eine Statue erhält und der 266 in Delphi ätolischer Hieromnemon ist (Syll.^ 424 G. 411. 412). Den Sohn dieses NeojiroXejuog NavTidxxiog, der gleich seinem Groß- vater 0voxog heißt, lehren uns die neuen Texte als Strategen kennen. Wichtig ist — um von andern Judicien zu schweigen — vor allem noch der mehrmals genannte eyyvog Tgi/äg 'Eoizdv, in dem wir den Hieromnemon von 273/2 und 272 zu erkennen haben (Syll.' 417. 418). Zxonag Tgixovevg, der auch als eyyvog hier vorkommt, ist also wieder der Großvater des gleichnamigen Stra- tegen, dessen erste Strategie 220 fällt. In dieser Inschrift nun, die also durch ihren Schriftcharakter wie durch die prosopographischen Indicien auf die Zeit um 280 fest- zulegen ist, erscheint unter den ätolischen jigö^evoi in Gol. A 23 f.: UooeidiJiJiojt roji eTiiyQajUjiiaroTioiöji IleXXaioii, evyvog KXeoxQdrrjg 'HgaxXecorag. Die unterstrichenen Buchstaben werden durch die Abschrift von Rhomaios bestätigt, der die Inschrift aber nur zum kleinen Teil und provisorisch abgeschrieben hatte und vieles nicht mitteilt, was auf dem Abklatsch noch deuthch zu erkennen ist. Die ersten zwei Buchstaben des Namens bestätigt auch Hiller von Gaertringen am Abklatsch, oeidm kann ich bei gutem Licht so bestimmt erkennen, daß ich es nicht einmal für nötig halten würde, Punkte darunter zu setzen. Und um etwaigen Versuchen, einen andern Namen zu vermuten und FlO zu Anfang anders zu deuten, den Boden zu ent- ziehen, muß ich bemerken, daß die vorhergehende Zeile mit evyvog 438 0. WEINREICH IIoXvdcoQqq "Hgay-Aecorag schließt. Silbentrennung ist in der ganzen Inschrift vermieden, jede Zeile beginnt mit einem vollen Namen. Selbst wenn ich nicht zwischen IIo- und dem absolut sicheren Schluß die Buchstaben oeidiTz auf dem Abklatsch läse, müßte man den Anfang und das Ende, da Raum dazwischen für 7 Zeichen ist, zu IJooeidiJiJicoi ergänzen. An dem Namen ist ein Zweifel nicht möglich ; es erhält ein emyQajuuaroTioiog Poseidippos die Proxenie von den Ätolern. Ganz singulär ist nun, daß dieser Mann nicht wie sonst bei den jigöievot durch Patronymikon und Ethnikon bezeichnet wird, sondern allein durch eine Berufsbezeich- nung und das Ethnikon. Mir ist aus all den zahlreichen ätolischen Proxeniedekreten keine Analogie dazu bekannt, und auf der großen Stele 68 haben sonst alle ngö^evot die übliche Bestimmung durch Vatersnamen und Heimatsangabe. Wenn man hier eine Ausnahme machte, konnte der Grund nur der sein, daß man sicher war, diesen Mann dadurch eindeutiger zu bezeichnen, als wenn man ihn Sohn des N. N. genannt hätte. Um diese Zeit kennen wir zwei Dichter des Namens Poseidipp, den Komiker und den Epigramma- tiker. Ersterer ist ausgeschlossen, der ejiiyQajujuarojioiog gemeint. Hätte es nun — den Fall einmal gesetzt — außer dem bekannten, um diese Zeit lebenden Epigrammatiker Poseidipp noch einen zweiten Epigrammendichter dieses Namens gegeben, so würde das Patronymikon als unterscheidendes Merkmal notwendig gewesen sein. Es fehlt, also steht die Identität des hier geehrten mit dem uns bekannten fest — und gerade dieser wird ja auch in der lite- rarischen Überlieferung zum Unterschied vom Komüdiendichter als iTiiyQa^iifiaxoyodcfog bezeichnet (Schol. Apoll. Rhod. I 1290, Schott S. 106), so wie hier als EJiiyQajufiaroTioiög. Wir lernen nun aus dem neuen Testimonium, daß er aus Pella stammt. Damit sind Knaacks wie Schotts unzureichende Combinationen — unzureichend, weil eben unser bisheriges Material zu wenig Grundlagen bot — erledigt. Die Heimat ist sichergestellt. Was ergibt sich aber noch für die Frage der Geburtszeit? Wenn Poseidipp um 280 vom ätoli- schen Bund die Proxenie erhält, war er gewiß nicht ein 20jähriger Student. Denn er hat sie doch wohl auf Grund seiner dichterischen Leistungen erhalten, darauf führt eben die Tatsache, daß man statt des Patronymikons die Bezeichnung eTnyQaju/biazoJioiög wählt, und diese kann man ihm nur geben, wenn er sich durch Epigramme HEIMAT DES EPIGRAMMATIKERS POSEIDIPPOS 439 schon einen Namen gemacht hat. Die Vermutung Hegt nahe, dafs er solche für den ätohschen Bund gedichtet hat — etwa Grab- oder Weihepigramme für hervorragende Männer des Bundes, Steinepi- gramme für historische Persönhchkeiten dieser Zeit. Dafür ehrt man ihn durch Verleihung der Proxenie, so wie Ende dieses Jahr- hunderts dem Nikander als ejiecov jiou]Täi, doch wohl für seine Ahcohxd und jisgl xq'>]oz}]Q(cov tkIvtwv, in Delphi, das ja damals dem ätolischen Bund unterstand, die Proxenie gegeben wird und er, von Herkunft Kolocpcoviog, also mit Recht auch als AhoXog in der Überlieferung bezeichnet werden konnte (vgl. Pomtow in der Syll.^ 452). Durch die neue Inschrift sind wir demnach auch ge- nötigt, mit dem Geburtsdatum des Poseidipp bis mindestens 312 hinaufzugehen. Ein weiteres Ergebnis bezieht sich endlich auf den Dialekt der Poseidippepigramme. Schott hatte das Schwanken in der Über- lieferung, die meist u, aber auch fj bot, dadurch beseitigt (vgl. S. 112), daß er überall i) herstellte. Das geht nun nicht mehr an; \')Mog 17, 3 und d stützen sich, die dorischen Artikel werden nicht mehr librarorium libidini zuzuschreiben, sondern Posei- dipps Beziehungen zu Nordwestgriechenland, wo ä und i] neben- einander vorkommen, zu verdanken sein. Daß er Epigramme im Dialekt Atoliens geschrieben hat und daß neue Epigramme Posei- dipps aus den Inschriften dieser Gegend, die den ersten Decennien des 3. Jahrhunderts angehören, zu gewinnen sind, wird Pomtow demnächst versuchen nachzuweisen. Heidelberg. OTTO WEINREICH. DIE ÄLTESTE DEFINITION DER RHETORIK. Im Verlaufe seiner Untersuchung über das Wesen der Rhetorik wird der Sokrates des platonischen Gorgias darauf geführt, diese TExvr] als die jisi&ovg drjjuiovQyög zu definiren (453 A). Das ist ein ungezwungenes Ergebnis des bisher geführten Gespräches. Sokrates sucht nach der di/ferenfia specifica, durch die sich die Rhetorik aus der großen Schar von jeyvai abhebt, cov Jiäoa fj jigä^tg Hoi ro xvQog did Xöyoiv eoti (450 D). Erst nach langem Hin und Her ist es ihm gelungen, den philosophisch völlig unge- bildeten Gorgias endlich dahin zu bringen, daß er das xÜQog der Rhetorik als das Tiel^eiv bezeichnet (452 E). Beachtenswert ist aber, daß nicht Gorgias selbst, sondern Sokrates die Consequenz aus dieser Feststellung zieht und die genannte Definition aufstellt. Gorgias erklärt sich nur im allgemeinen mit ihr einverstanden, denn auf die Frage des Sokrates: ?j s'x^ig ti keyeiv im nXeov zi]v qyj- TOQiH}]v dvvao&at Tj nei^o) roTg aaovovoiv ev t^ W^XÜ ^oieTv; antwortet er in seiner gönnerhaften Art: ovöa/icbg, d> ZcbxQaxsg, aXXd juoi doxeig ixavojg oQiC^o'&ai' eon ydg xovzo ro xsq)dkaiov avrfjg (453 A). Dieser Sophist ist eben weder selbst imstande, einen ogog aufzustellen, noch einen solchen, falls er von einem andern begründet wird, in seiner ganzen Tragweite zu würdigen. Deshalb ist die Vermutung, Piaton citire an unserer Stelle die Defi- nition des Gorgias selbst, von vornherein abzuweisen. Ein so später Autor wie Doxapatres, der dies behauptet (II 104, 18 W.), hat sicher aus dem platonischen Gorgias geschöpft. Aber er hat den Dialog schlecht gelesen, und das gleiche gilt von den Neuern, die denselben Schluß wie er gezogen oder gar seine Weisheit für Überlieferung genommen haben. Nach einem andern antiken Zeugnis soll die Definition auf die Begründer der sicihschen rexvrj, auf Korax und Tisias, zurückgehen. So berichtet der anonyme Verfasser der Prolegomena in Herm.o- genem (IV 19, 19 W.). Auf welcher Quelle seine Angabe beruht. DIE ÄLTESTE DEFINITION DER RHETORIK 441 wissen wir nicht. M()glicli ist aber auch, dafs er oder sein Ge- währsmann gleichfalls nur eine Vermutung auf Grund jener Piaton- stelle äußert; eine derartige Schlußfolgerung wäre zwar recht kühn, aber gewiß nicht undenkbar. Die Eigenart des Ausdrucks nei&ovg drjjiuovQyog für eine leblose Teyvi] hebt ihn ja bei Piaton aus seiner rein dialektischen Umgebung so deutlich heraus, daß man leicht an ein Citat denken konnte. War man aber einmal auf diesem Wege und mußte Gorgias aus den oben genannten Gründen als Vater des ÖQog ausscheiden, so blieb keine große Auswahl von Namen mehr, auf die man raten konnte. Und was lag da näher, als diese primi- tivste Definition dem ältesten Handbuch der Rhetorik zuzuschreiben? Aber nehmen wir einmal an, sie habe in Wirklichkeit in jener sagenhaften reyvt] ihren Platz gehabt, so konnte sie nur zu Anfang, in einer principiellen Auseinandersetzung über das Wesen der Be- redsamkeit vorgetragen werden. Da erhebt sich aber die Frage, ob wir derartige theoretische Erörterungen bei den äQp]yeTai der rabuHstischen Advokatenrhetorik überhaupt voraussetzen dürfen, Sie waren zu ihnen sicher nicht mehr befähigt als Gorgias, so sehr auch Piaton von seinem Standpunkte aus übertreiben mag. Piaton erhebt noch in dem später verfaßten Phaidros das Postulat, daß die Regeln der Didaktik, vor allem die auf Einteilung und Begriffs- bestimmung hinzielenden, bei dem — erst noch zu vollziehenden — Aufbau der Rhetorik angewandt werden müssen, und macht der Vulgärrhetorik zum Vorwurf, daß sie dies bisher versäumt habe. Und in der Tat kennt weder die Sophistik und erst recht nicht die e/ujiEiQia KOI TQiß)'j der Gerichtsrede jene fast fanatische Sucht des Definirens, die erst die Sokratik beherrscht hat. So zieht es ja auch Gorgias in seiner Helena vor, anstatt einen ogog der Rhetorik aufzustellen, die Macht des Xoyog in allen Tönen zu preisen. Und seine Vorgänger werden sich noch weniger auf Abstraktionen ver- legt haben als er. Wenn man trotzdem fortfährt, jene Definition im platonischen Gorgias nicht als ein natürliches Ergebnis des fiktiven Gesprächs, sondern als ein mit Vorbedacht angewandtes Citat zu betrachten, so wirkt hier die Autorität des um die Erforschung der griechischen Rhetorik so hochverdienten Leonhard Spengel nach. Spengel (Rhein. Mus. XVIII 1863 S. 482) hielt es für ausgemacht, daß der seltsame Ausdruck nei'&ovg drjfxiovQyog von den Dorern ausgegangen sein müsse. Denn d^]jLuovQy6g sei in unserm Falle nicht mit den Lateinern 442 fl- MUTSCHMANN als opifcx (wie es u. a. Quintil.II 15,4 und Ammian.Marcell.XXX4,3 bei der Wiedergabe unserer Definition tun), sondern als „Leiterin, Herrin, Schöpferin" zu fassen, und die metaphorische Redewendung sei der Sprache der Sophisten durchaus angemessen. Wir besitzen noch immer nicht die Biographie des Wortes d)]/iuovQy6g, die seiner- zeit Paul Wendland gefordert hat, dürfen aber wohl behaupten, daß es für eine specifisch dorische Bedeutungsnuance dieses Terminus an Belegen fehlt, die auch Spengel nicht beigebracht hat. Was aber die Metapher angeht, so ist sie Piaton selbst ohne weiteres zuzu- trauen. Haben doch spätere Kritiker (vgl. z. B. negl vif>ovg c. 32 ff.) gerade seine übertriebene Vorliebe für Metaphern getadelt. Der- selbe Autor, der im Phaidros (261 A) die ?Myoi wie lebendige Wesen herbeicitirt, konnte auch die tsxv)] personificiren und auf sie die Funktionen ihres Texvixrjg übertragen. Wir dürften das ge- trost behaupten, auch wenn uns nicht zwei weitere platonische Parallelen zur Verfügung stünden. Im Charmides (174E) bezeichnet Sokrates die lazQiHrj als die vyieiag di]juiovQy6g, und im Symposion (188 D) lesen wir: xal eoxiv av fj jiiavTixrj cpiXiag d^ewv y.al ärdgcoTicov drjfxiovQyog. An der zeitlichen Reihenfolge Charmides — Gorgias — Symposion wird heute wohl niemand mehr zweifeln. Will man also schon einmal eine Abhängigkeit Piatons annehmen, so liegt es doch am nächsten, die Definition der Medicin im Charmides als das Citat und die beiden andern Stellen als dessen freie Nachbildungen aufzufassen. Dann hätte Piaton nicht eine rhetorische, sondern eine medicinische tech- nische Schrift benutzt, etwa eine jener Abhandlungen jieQi reyvtjg, wie sie durch die theoretischen Debatten der Sophistenzeit in Masse hervorgebracht wurden. Daß Piaton sich schon im Gorgias, der nicht allzulange nach dem Charmides verfaßt sein kann, mit der medicinischen Literatur wohlvertraut zeigt, hat vor kurzem Pohlenz (Aus Piatos Werdezeit S. 135 ff.) überzeugend erwiesen. Seine Aus- führungen erhalten durch die nunmehr festgestellte Beziehung der Charmides- und Gorgiasstelle einen tiefern Hintergrund. Wir können aber ferner noch verstehen, weshalb Piaton zu dem metaphorischen Ausdruck griff, wobei es gleichgültig bleiben kann, ob er zu ihm durch eine medicinische Schrift angeregt wurde, oder ob er ihn selbst geprägt hat. An allen drei Stellen, an denen er ihn anwandte, lag es ihm gar nicht daran, eine regelrechte Defi- nition der betreffenden rexn] aufzustellen, sondern er wollte nur DIE ÄLTESTE DEFINITION DER RHETORIK 443 deren Wirkungskreis, ihre Jigä^ig und ihr egyov, vorläufig ab- grenzen, ohne etwas über ihren Charakter zu präjudiciren. Er hätte es sonst kaum vermeiden können, die schwierige Frage zu erledigen, ob jene re'pn) denn eine Ejnox'ijiurj sei oder nicht. Dieses Motiv wird im Gorgias beim Fortgang des Dialogs besonders deut- lich. Denn es stellt sich zum Schluß heraus, daß Gorgias irrtüm- licherweise in der Treidco das xerpdXaiov der Rhetorik erblickt hat, während es doch die xoXaxeta ist (463 B). Die Rhetorik ist no- }.niy.)~jg juoQiov eldcoXov (463 D) und deshalb nicht einmal eine re/vi], sondern nur eine Schein- und Afterkunst, eine ifuieiota y.al XQtßri (463 B. 465 A). In Ermangelung eines Oberbegriffs, der so- wohl die TEyvi] als auch die ejujieiQia umfaßt, hat Piaton zu dem bildlichen Ausdruck dt]jiuovQy6g gegrifTen, den er vielleicht einem medicinischen Schriftsteller entlehnte. Dann wäre diese Bedeutung des Wortes aber nicht dorischen, sondern ionischen Ursprungs. Nach dem Gesagten ist die Bezeichnung der Rhetorik als der neid^ovg d7]/.aovQy6g nicht die älteste Definition der Redekunst, ja vielmehr überhaupt keine Definition, sondern nur eine vorläufige Feststellung, durch die die erste Phase der Untersuchung im plato- nischen Gorgias folgerichtig abgeschlossen wird. Mit Korax und Tisias hat sie gar nichts zu tun. Und es steht zu befürchten, daß sie nicht das einzige Fragment des ersten Handbuches der grie- chischen Rhetorik bleibt, das sich bei näherm Zusehen in Nebel auflöst. Königsberg i. Pr. f HERMANN MUTSCHMANN. MISCELLEN. DER SGHLUSS DER ODYSSEE UND APOLLONIOS VON RHODOS. Ed. Meyer ist in d. Z. LIII 1918 S. 334 auf seine Vermutung (in d.Z. XXIX 1894 S.478) zurückgekommen, Apollonios von Rhodos habe im Schlußverse seines Argonautenepos den Homervers y.> 296 nachgebildet, den Aristophanes von Byzanz und Aristarch für das Ende der Odyssee erklärt hatten. Auch v. Wilamowitz (Ihas und Homer 12) hat sie aufgenommen, als etwas Selbstverständliches und allgemein Anerkanntes hingestellt und die kühne Schlußfolge- rung aus ihr gezogen, daß es damals Handschriften der Odyssee gegeben habe, die nicht weiter reichten als bis if 296. Dadurch gewinnt sie weittragende Bedeutung für die Überlieferungsgeschichte Homers, und es würde mich nicht wundern, wenn sie, von zwei solchen Gelehrten vertreten, bald 'Allgemeingut der Wissenschaft' würde und weiteres Unheil anrichtete. So ist's Zeit, gegen sie Verwahrung einzulegen. Sie ist unrichtig. Aristophanes' Bemerkung ist fein und tref- fend : die Wiedervereinigung des so lange getrennten Paares ip 296 sei ein befriedigender Abschluß des Odysseusabenteuers äoTidoioi XexTQOio ztalaiov ^sojuöv ixovro. Apollonios schließt sein Epos mit einer Anrede an die Argonau- ten: 'ich bin nun am Ende eurer Mühen, denn jetzt von Aigina ab gingt ihr ohne Gefahren bei Aulis vorbei in die Heimat äoTiaoicog anrag Uayaoyiöag eioa7ieß}]TE.' Stimmung, Gedanke, Form sind von der Odysseestelle grundver- schieden. Was in aller Welt konnte jemals auch den Gelehrtesten an tp 296 erinnern? Ich lernte die Behauptung, Apollonios ahme diesen Vers nach, erst aus Wilamowitz' kurzer Notiz kennen : lange habe ich ratlos vor dem Rätsel gesessen. Ebenso ging es meh- reren Philologen von Ansehen. Wir verglichen, aber wir begriffen nicht, daß aus dem einzigen Worte äonaoicog — äoTcdoioi solcher Schluß gezogen werden könne. Ich behaupte, den zeitgenössischen Lesern des Apollonios kann hier sowenig wie uns auch nur die leiseste Erinnerung an die Odyssee und diesen Vers gekommen sein. Hätte Apollonios die ihm untergelegte Absicht, seine Leser an ihn zu erinnern, gehabt, so hätte er ja so leicht seinen Schluß jener MISCELLEN 445 Odysseusslelle parallelisiren können: brauchte er doch nur mit dem Beilager lasons und Medeias zu schhefaen^). Aber tp 296 hat niemals am Schlüsse unserer Odyssee ge- standen. Wer das co streicht, muß doch alle Stellen streichen, die es vorbereiten, d. h. alle, die von Laertes als einem Lebenden und Harrenden reden. Ihrer sind doch nicht ganz wenige und sie ziehen sich durch das ganze Epos hin. Z. B. werden Laertes', Penelopes, Telemachs Klagen und Sehnsucht nach Odysseus <5 111 ebenso zusammengefaßt wie ^ 173, und wie selbstverständlich wird er n 302 neben Penelope genannt, an ihn will sie sich in ihrer Sorge um Telemach wenden ö 738, seine einsame Trauer schil- dert Eumaios o 353 und im Hades Antikleia X 187, und da wird das Bild von seinen Kasteiungen im Fruchtgarten fern der Stadt entworfen, das im co ausgeführt ist. Wer so den Leser vorbereitet, der will von Laertes etwas erzählen, der will auch ihm wie der Penelope den Odysseus zuführen. Darüber ist man doch nie in Zweifel gewesen. Wie aber ist dann die Athetese des Odyssee- schlusses möglich? Sollen wir wirklich glauben, der kluge Aristo- phanes habe diese Verbindungslinien nicht gesehen oder habe trotz- dem sie durchschnitten? Was gibt uns das Recht, ihn für blöder und täppischer zu halten als den Durchschnittsphilologen von heute? Also darf man nicht glauben, daß er in ip 296 den Schluß der Odyssee gesehen und den Rest nur als gewissenhafter Philologe trotzdem weitergegeben und kritisch behandelt habe. Das Scholion rovTO TsXog vijg ^Odvooelag (prjolv 'AgioxaQ^oi; xal "AQiojocpdvrjg muß etwas anderes bedeuten. Herr Heinze hat daraufhin zuerst die Vermutung geäußert, Aristophanes habe gesagt, die Wiederver- einigung des Ehepaares sei das Ziel, auf das die Dichtung hin- strebe, vom Ende des Buches sei keine Rede. Ich kann dem nur zustimmen. Unsere Odyssee ist so, wie sie uns vorliegt, eine Ein- 1) Will man durchaus im letzten Apolloniosvers einen Anklang an die Odyssee finden, so empfiehlt sich vielmehr xp 238 aonäoioi ö' sjießav yalrig xaxÖTrjxa (pvyövrsg, aus dem schönen Vergleich der Freude Penelopes, die ihren Gatten sicher im Arm hält, mit der Freude der SchiflF brüchigen, die nach vielen Mühen und Gefahren dem Meere entrinnen. Da ist Stimmung und Gedanke ähnlich und ein etwas stärkerer wörtlicher An- klang. — Daß Demetrios von Phaleron, weil er mit Hermipp bei Stobäus Flor. V 43 Hense (Bd. II p. 269) ip 296 ob seiner ococpgoavvrj bewunderte, ihn 'offenbar als Schlußvers der Odyssee' gelesen habe, wird doch hofient- lich niemand unterschreiben. 446 MISCELLEN heit und will es sein, mag man auch noch so sehr den Mann schelten, der sie so gestaltet hat. Das haben die Alten anerkannt. Es hat sicher früher manche Odysseegeschichte gegeben, aber unsere Odyssee, als Einheit mit Bewußtsein und sicherer Compo- sitionskunst ins Große aufgebaut und in ihren Einzelteilen sorg- fältig verklammert, ist niemals weder kürzer noch länger noch sonstwie anders gewesen, als wir sie lesen, von nichtssagenden Kleinigkeiten abgesehen. 'Ajii£vi]va. yAgrjva sind beide, die schwanzlose Odyssee so gut wie die Apolloniosimitation von tp 296: mögen sie nicht mehr lange im Lichte der Wissenschaft herumspuken! Leipzig. E. BETHE. ZU SENEGAS HERGULES. Es scheint noch nicht beobachtet worden zu sein, daß in dem Ghorlied 560 ff. zwei Verse umgestellt werden müssen. Jetzt lesen wir: hie qiii rex ipoyulis plurihus imperat, hello eum peteres Nestoream Pylon, teeum eonseruit pestiferas manus telum tergemina cuspide praeferens, effugii tenui vidnere saucius et mortis dominus pertimuit mori. Danach würde Pluto eine Waffe mit dreifacher Spitze, also den Drei- zack, geführt haben, der aber nicht ihm, sondern dem Poseidon eignet. Wohl aber führt eine solche Waffe, nämlich einen Pfeil mit drei- facher Spitze, Herakles in dem Homerischen Vorbild ^392 ff.: jXrj <5' "Hqt], öre juiv y.Qareoög Jidig 'Ajuq)itQva)vog deicrsQov xaid /uaCov öiozcöi rQiyXoiy^ivi ßeßXrjxei' röte xai fxiv ävrjxeoxov }Aßev äXyog. xXrj d' 'Aidi]g ev toXol nelcogiog (hxvv öioröv, evre juiv covrög ävrjo, viög Aiog aiyiö^oio, ev JJvXoiL EV vsHVEooi ßaXcov ddvvtjiaiv edcoxev. Es ist also zu lesen: hello eum peteres Nestoream Pylon telum tergemina cuspide praeferens, tecum eonseruit pestiferas manus. Die fast gleichen Versanfänge telum, tecum haben die Verwirrung veranlaßt. Halle (Saale). G. ROBERT. REGISTER. Aera, makedonische 102 flF. AggregatzAistände bei Lukrez 197 ff. Akonitis, Insel 339 f. Alexandros, S. d. Amyntas 129. Annaeus Serenus 193 ff. M. Annius 102 ff'. Anthol. Pal. V 133: 434ff. Antonius bei Philodem 381 ff. Apollonios, Argon., Schlufsvers 334. 444 ff Apuleius, Wundergeschichten 244 ff. Argeios v. Keos 118 ff. Argos, axvTa?uofi6c:, 94 ff. Argos in Makedonien 103 f. Athen, Vertrag mit Chalkis, 107 ff'. Athenaios XIV 630 E ff.: 6. Bakchylides, Lebenszeit 140ff.; Ver- bannung 145 ff. ; Ordnung des Nach- lasses 13!^); 'Eyy.ojftia 137 ff'.; — (I. II): 118f.; (Vli. VIII): 119ff; (XI II): 142 ff".; (Ox. Pap. fr. 1 an Amyntas: 125ff.; (fr. 4 an Hieron): 130 ff; (fr. 5): 134 fl.; (fr. 12): 137. Bündnismünzen, großgriech. 180 ff". Caecina Paetus 83. Chalkis, Vertrag mit Athen, 107 ff. Christodoros IJdzQ. Kiovot. 343 f. Clemens Alex., Xenophoncitate 105 ff. — (Paedag. I 7, 55): 106 f. Darai, Kastell, 342. Ö7]/iuovQyög 440 ff. Demokrit. u.Platon416f.,7r.^7 ff. 40üff.; .T. ägyairj? lazQ. 20. 39tjff'., Abfas- sungszeit 420; jraQayyF.Xiai, Abfas- sungszeit 412; XIX. Brief (.t^. ^la- vu]?) 57 ff'. 399 ff. iJT.-zöfiaxot 289. Honieriden 335 f. 6'/L(oiov etJTEiv 387. vßoig 273 ff'. Hygin (fab.Jl): 224. vTisQßaivsn', vn:£(),kwig bei Epikur 365. Icherzählung 233 ff. 242 ff. 249 ff. Inschriften, griech. : Athen (IG I Suppl. 27a) i07ff.; Keos (IG XII 5, 60S): 113 ff-.; Delphi (Dittenb. Syll. 13 452) 112; Lete (Dittenb. Svll.r-318) 102ff;; Thermon436ff.; lät. (CIL III 24): 424ff'.; (VI 9783): 211 ff (31865): 432; (VIH 24587): 432. lulianus, Philosoph, 211 ff. Uovaziviavai 344 f. Keos. Siegerliste, 113 ff. Kallimachos^rr/a,neuesFragm.ll4ff. Kallinos 298 A. 1; (fr. 1, 17) 292; (2) 298 A. 1; (3.4) 298 A. 3. Kleisthenes 315 f. Krateuas, Arzt, 81 ff. Lachon v. Keos 118 ff. }.7^ög für ladg 290 ff. Lete, Ehrendekret. 102 ff: Liparion v. Keos 123 f. Lucilius, Freund des Seneca, 196. Lucretius (II 444ff.): 197. Lukian. (PLXo^<£v8eTg 2A(!){.\ Ps.-, Jou- xiog i] "Orog 225 ff'.; Technik 260f.; Motive der Volkserzählung 257 ff. Lukios von Patrai 226 ff. Lysias 'OXvfci. 220 f. fiavca 12 S. Mimnermos, Charakter 303 f. ; Lebens- anschauung 278 ff.; Nanno 300 f.; 448 REGISTER Aulet 283; Buchzahl 302 f.: Ge- dicht auf die Schlacht mit Gyges 21)6 ff. ; ifr. 9 ) : 262 ff. ; (fr. 10) : 284 ff. ; (fr. 14) : 287 ff. fxvr]o&>] auf Gemmen 88 ff. Municipalbeamte, röm., Alter 221ff. Nikander, Lebenszeit 110 ff.; Hymnos auf Attalos Ulf. Odyssee, urspr. Schluß, 384. 444 ff. 'Oqsoteioc yÖE? 151. Orestis, Landschaft, 103 f. Ovid, Rahmen und Verknüpfung 174 ff.; (Met. VI 313 ff.): 236 ff. Paetus Caecina 83. Papyri Hercul. Demetr. Lakon (1055) 379, s. auch Philodem ; Amh. (II 64) : 426 A.5. 428ff. Oxyr. (II 237): 43L (XI 1362): 125 ff. Paulinus, praefectus annonae, 188. Pausanias, spart. König, über Ly- kurg 8 A. 1. ^ Tieidovg dt]/j.iovQy6g 440 ff. Peleus, Tod auf Ikos, 168 f. m~]f(n in der Orakelsprache 275 f. Petrou, Wundererzählungen, 243 f. Petros, byzant. Historiker, 340 f. Philodem, Abfassungszeit v. Jt. &ewv 382ff. — .T. svaeß. (80 p.UO): 375. | (83 p. 113): 377 f. (118 p. 134): 1 361. (122. 123 p. 137 f.): 378; n. ^Ewv (4): 384. (2.5): 381 ff.; -t. ^ecbv dycoyfjg (Col. III): 385. (IV): 385 f. (V. VI): 386. (VIII): 364 f. 386. (IX): 387. (Xff.): 366 ff'. 379 ff 387. (fr. 1): 381. (fr. 4): 385 f. (5. 6. 8): 386. (9. 10): 387. (78): 387 f. (81): 388. (82): 384 f. 388 f. (83): 385. 389. (84): 389. (86 a. 87): 38-5. (102): 389. (103): 390. (105): 390 f. (116): 391. (117): .391f. (119): 392. (121. 122): 393. (123): 393 f. (124): 394. (125): -394 f. Phlegon Mirab. 247 f. q;voig, verschiedene Bedeutung bei den Philosophen 377. Pindar (Nem. II 1 ff'.): 330f. (fr. 124) : 128 f. Piso, Cäsars Schwiegervater, 382 f. Piaton, Verhältnis zu Demokrit 417 f. ; zu Hippokrates 409 ff. — (Charmid. 174 E): 442. (Gorg. 4.53 A): 440ff. (465 A): 410f. (Hipp. mai. 281 C): 54. (304 A B):51ff.(Leg.IV.720ff): 409. (1X857 D): 409 f. (888 D): 415 f. (889 C): 416. (Lys. 214 B): 47. (Phaedr. 270 0): 405. (Protag. 337 D): 47. (Sympos. 188 D): 442. Pollis bei Kallimachos 150 f. 173 f. Pontios V. Curubis 221 ff. Poseidippos d. Epigrammatiker, Hei- mat u. Lebenszeit 434 ff. Properz, Nachahmer des Mimnermos 3U4f.; Verknüpfung 177 f. Ptolemaios, Commentator des Bak- chylides 124 f. Pythagoreer, ihre Katastrophe 185 ff. Rhapsoden 330 ff. Rhetorik, Definition 440 ff. ov&uög 325 ff. Seneca, Abfassungszeit von Dial. 2. 8. 9: 193 ff.; von 10: 188 ff. (Herc. 560 ff.): 446. Sisenna, Milesiaca 253 f. oy.vTahauog in Arges 94 ff. Smyrna, Verhältnis zu Ephesos,263f. Solon, von Lysias citirt, 220f. oöjua ,das Wirkliche'' 46. Stephanos v. Bvzanz, Lebensstellung 338 f.; Abfassungszeit d. Ethnika 337 ff. (v. 'Aöo.): 349 ff. C^ßYog): 103. [Baß.): 351 ff. {Aovg): 355 f. (Savoou.): 351. {Svy.ai): 344 f. {Ta- uia&ig): 345 ff (WvUa): 356 f. Strabon (XIV 633): 262 ff 284. Suidas (v. 'Eo/nö/.aog) 347 ff. Ser. Sulpicius Similis 422 ff. Sybaris 180 ff. rsyv)) U. £jii::zEiQca 411. OEov.-io?ug — Antiocheia 342 f. Themistokles , Parteistellung 308ff. Tlesimenes, S. d. Parthenopaios 224. Turraoius, praefectus annonae, 187 ff. Tyrtaios Iff.; Name 4 A.2. 43 f.; Au- let 283 A. 1. - (fr. 5): 286. (10 A): I2ff (lOB. 11): 19ff (12): 31ff. Xenophon Kvvtjysnxog 317 ff. ; Citate bei Clem. Alex. 105 ff. Zwiebel, kathartisch, 170f. "Weimar. — Hof- Buchdruckerei. 0 jK'MJ PA Hermes 3 H5 Bd. 53 PLEASE DO NOT REMOVE CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY